kein titel
Er hatte es geschafft. Er hatte den Kunden, nach zwei Jahren harter Arbeit endlich hundertprozentig von seiner Firma überzeugt. Genau genommen war es nicht seine Firma, doch seine Beförderung zum Junior Chef stand ihm nun so sicher bevor wie das Amen in der Kirche. Er sah es schon vor sich, das Schild an seiner Bürotür mit der Aufschrift
„Jason Spring, Junior Assistenz“
Wie würde er sich dann fühlen. Es war einfach unvorstellbar. Voller Vorfreude auf den kommenden Tag und somit der ihm bevorstehenden Beförderung, schloss er das Büro ab. Er war abends stets der letzte der Nachhause ging. Es tat ihm Leid um seine Frau und seine beiden Kinder, doch durch seine harte Arbeit konnten sie alle das Leben genießen, das er und Linda sich immer gewünscht hatten.
Schon als er in seine Straße einbog sah er, dass in seinem Haus noch Licht brannte. Das war nicht oft der Fall, denn meist kam er erst nach Hause wenn auch seine Frau schon im eingeschlafen war.
Er fand seine Frau in der Küche vor, dem kleinsten Raum im ganzen Haus. Sie stand mit dem Rücken zu ihm gewandt. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Schubladen waren aufgerissen, Essensreste lagen überall herum und auch ein paar Scherben konnte er identifizieren. Ist das alles heute so aus den Fugen geraten? Wann war er eigentlich das letzte mal in diesem Raum gewesen? Dem Gestank nach zuurteilen, stammte die Unordnung und der Dreck nicht erst von heute. Er war völlig außer sich. War es denn zuviel verlangt ein bisschen Haushalt zu führen, während er den ganzen Tag wie ein bekloppter schuftete? Was hatte sie denn bitteschön sonst noch so wichtiges zutun. Dazu kam noch, dass sie ihm keinerlei Beachtung schenkte. Sie musste ihn gehört haben, dennoch drehte sie sich nicht um.
„Was soll das hier sein?“
Sie antwortete nicht und blieb mit dem Gesicht zur Arbeitsfläche stehen.
„Hallo kannst du mich hören?? Erde an Linda!“
Wiederum keine Antwort. Das war zu viel. Er ging auf sie zu und wollte sie mit Gewalt umdrehen. Sie wehrte sich nicht und so konnte er ihr Gesicht sehen. Sie sah grauenvoll aus. Ihre Augenringe waren unübersehbar, ihre Nase und ihre Augen waren gerötet. Es war unverkennbar, dass sie geweint hatte.
Sein Zorn wandelte sich augenblicklich in Mitleid um.
„Lin, es tut mir leid, dass ich dich gerade so angefahren habe, was ist denn passiert?“
Sie brachte kein Wort heraus, nur eine neue Träne tropfte ihre Wange hinunter.
„Lin so rede doch mit mir. Sie mal, wie soll ich dir denn helfen wenn du nicht mit mir redest. Was hast du denn?“
Als Antwort sah sie sich in der Küche um und machte eine Geste der Hoffnungslosigkeit. „Hey Lin, das ist halb so wild. Jeder hat doch mal einen Ausbruch und braucht mal eine Auszeit. Brauchst du Hilfe im Haushalt? Möchtest du mal wieder in den Urlaub fahren, einmal nur Zeit für dich. Ganz ohne die Kinder, ich bleibe hier und passe auf sie auf.“
Sie schnaubte verächtlich.
„Na gut ich hab alle Hände voll zutun. Dann stellen wir für diese Zeit eben ein Kindermädchen ein. Die Arbeit wird ja nicht weniger. Denn heute, vielleicht kannst du es dir schon denken, habe ich endlich den Deal an Land gezogen, für den ich das letzte Jahr geschuftet habe. “ Er lächelte sie erwartungsvoll an, doch sie zeigte keine Reaktion.
„Stell dir nur mal vor, Ich als Juniorchef. Das wäre doch…“
Jetzt brach es aus ihr hinaus: „Dein bescheuerter Job interessiert mich überhaupt nicht. Wann hast du eigentlich das letzte Mal deine Kinder gesehen?“
„Linda? Was ist los, das tut doch jetzt überhaupt nichts zur Sa…“
„Nichts zur Sache? Oh doch, denn genau das ist die Sache.“
„Was soll das? Ich sehe sie doch jeden Tag“
„Ich meine wach. Du arbeitest doch den ganzen Tag, du bekommst überhaupt nichts mehr von mir und den Kindern mit. Ich wollte es eigentlich friedlich mit dir klären aber jetzt sag ich es einfach…“
„Was, was willst du friedlich klären?“
„Ich will die Scheidung.“
„Was? Aber nein, was ist mit unserm Baby…“
„Hmm… Lass mich mal überlegen. Ja ich bin im zweiten Monat wie du hoffentlich weißt, aber da kann doch irgendwas nicht stimmen oder?“
„Also was soll denn…“
„Na fällts dir wieder ein?“
Sie hatten seit über drei Monaten keinen Sex mehr gehabt. Wie hatte ihm das nur passieren können? Wie dämlich, wie bescheuert musste man eigentlich sein?“
„Du betrügst mich also?“
„Gut erkannt. Das gleiche könnte ich allerdings auch zu dir sagen. Du betrügst mich und auch die Kinder mit deiner Arbeit. Nie bist du zuhause. Weißt du, ich wollte es mir nicht eingestehen, doch jetzt, im Nachhinein, kann fast ich sagen, dass ich mir gewünscht hätte, du hättest es bemerkt. Aber wie hättest du das auch tun sollen? Du bist nicht mit mir, sondern mit deiner Arbeit verheiratet! Morgen gehe ich mit den Kindern erst einmal zu meiner Mutter nach Wien.“
„Aber…“
„Gute Nacht“ sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Am liebsten hätte sie geweint, doch auf der anderen Seite war es auch eine Art Erlösung, kein Spiel mehr zu spielen, sondern ihm endlich zu sagen, wie sie sich fühlte.
Eine Woche später saß er in seinem neuen Büro und betrachtete den Schriftzug des neuen Briefpapiers. Jakob & Spring. Er dachte an den Tag vor genau einer Woche zurück und versuchte sich das Gefühl des Glücks in Erinnerung zurufen. Ja er hatte es wirklich geschafft. Er hatte sein Ziel erreicht. Doch es fühlte sich nicht so an wie in seinen Vorstellungen. Nein, es war kein Gefühl des Glücks in ihm. Eine tiefe Leere machte sich in ihm breit, wofür, wofür hatte er all die Jahre geschuftet? Um sich nun auf einem Briefpapier zu sehen?
Er saß an seinem Schreibtisch und brach in Tränen aus. Er hatte alles verloren: Seine Frau, seine Kinder, ja auch seine Freunde und das schlimmste war, dass er die Illusion verloren hatte, dass dies sein Ziel war.