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Kein Weg zurück

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14.12.2003
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Kein Weg zurück

Kein Weg zurück


Das Fotoalbum wog schwer in ihrer Hand.
Sich die Bilder darin anzuschauen, quälte ihre Seele.
Noch einmal wollte sie eintauchen in den Schmerz, ein letztes Mal.
Behutsam blätterte sie die Seiten um. Ihre Augen sogen die mal lachenden, weinenden oder auch bockig dreinblickenden Kindergesichter in sich auf.
Zweiundzwanzig Jahre hatte Maren in diesem Buch verewigt. Von Seite zu Seite wurden die Kinder größer. Auf der vorletzten waren sie erwachsen, sie war so stolz auf ihre drei Männer. Auf der letzten Seite ...
Drei Särge, geschmückt mit weißen Rosen. Das Ende einer glücklichen Familie.
Maren legte ihre Hand auf die Brust, wo keine mehr war
„Das ist Ihre Reaktion auf die Trauer“, hatte der Arzt damals gesagt.
Die Medizin versuchte ihren Krebs zu besiegen. Nur wie sollte sie ihre Sehnsucht bekämpfen? Sie schloß die Augen, einen kurzen Moment. Doch er reichte aus, um die grausamen Bilder in ihrem Kopf wieder lebendig werden zu lassen. Sie fühlte noch einmal den Stoß, der sie aus dem Auto geschleudert hatte, den Schmerz, als sie gegen den Baum geprallt war. Sie sah wie der Van den Abhang hinabstürzte und ihr damit das nahm, was ihr Leben bedeutet hatte.
Es folgten Träume. Jede Nacht begegnete sie ihrem Mann und ihren Söhnen. Ohne Worte, nur ein Lächeln, hoffnungsvoll und doch so traurig.

Maren schloß das Album, verdrängte die Bilder aus ihrem Kopf.
Erst vor kurzer Zeit hatte der Wandel sich in ihr vollzogen. Keine Tränen mehr, sie wollte nicht mehr leiden.
Sie legte eine Tablette auf ihre Zunge, schluckte sie hinunter. Noch ein Blick in den Spiegel. Sie hatte sich schön gemacht, für ihn, den sie heute treffen wollte. Dann griff sie den Autoschlüssel und verließ das Haus.
Sie stieg in ihr Cabrio, fuhr durch den lauen Sommerabend, genoß die Berührung des Fahrtwindes, der ihr Haar zerzauste.
Den Treffpunkt mit ihm, hatte sie selber ausgewählt. Eine kleine Lichtung im nahe gelegenen Wald. Es würde wunderbar werden. Die Vögel würden zwitschern. Sie würde den Duft des Waldes in sich aufnehmen. Sie würde den ersten Stern am Himmel sehen.
Sie würde...sie würde...
Maren hatte ihr Ziel erreicht, parkte den Wagen am Waldrand. Beschwingt ging sie auf die Lichtung zu. Noch war sie allein. Doch sie wußte, er war schon auf dem Weg. Vor einem Baum, breitete sie eine Decke, die sie immer im Auto liegen hatte, aus. Setzte sich gegen den Stamm. Ein Blick auf die Uhr verriet, gleich, gleich würde er da sein. Sie liebte die samtweiche Luft, das sie umgebende Zwielicht, die Kraft des Baumes, der sie festhielt, als wolle er sich mit ihr vereinen.
Eine schon fast vergessene Ruhe erfaßte sie. Ihre Lider wurden schwer. Sie war so müde, so angenehm müde.
Maren merkte wie ihre Sinne sich verloren, langsam, sanft.
Dann fühlte sie seine Nähe. Plötzliche Ängste stiegen in ihr auf.
„Oh Gott“, dachte sie, „habe ich das Richtige getan? Wird es so sein, wie ich es mir erhoffte? Was wenn...“
Er kam näher.
Er war nicht allein.
Ihr Atem wurde flacher.
Sie standen vor ihr.
Ein Lächeln, gezaubert auf ihre Lippen.
Sie reichten ihr die Hände.
Sie blickte in strahlende Augen.
In die Augen ihrer geliebten Männer.
Ihr Herz hüpfte vor Freude.
Ihr Herz...schlug nicht mehr.

 

Hallo coleratio,
Diese Geschichte habe ich schon zum dritten Mal gelesen, ohne sie zu kommentieren.
Nun möchte ich, dir meine Gedanken dazu mitteilen.
Beim ersten Mal dachte ich, dass der Krebs ein Anstoß für ihren Wandel war, wieder in das Leben zurückzufinden. Erst am Ende begriff ich, dass sie nicht das Leben suchte, sondern den Tod, um mit ihrer Familie wieder vereint zu sein.

Genau diese Tragik hielt mich davon ab, einen Kommentar zu posten. Es war für mich zu bedrückend, weil:

Krebspatienten brauchen Zuversicht und Hoffnung, um diese Krankheit zu besiegen. Die Familie sollte den Rückhalt bieten, damit diese Krankheit nicht die Oberhand behält.
Diese Frau hat keine Familie mehr. Sie gibt auf. Dieses Aufgeben...wie unglücklich muss man sein, wenn der einzige Ausweg der Tod ist.

Unwillkürlich musste ich an all jene denken, die an Krebs erkranken, ohne einen Rückhalt zu haben. Oder jene, die ihre Familie ausgrenzen, weil sie psychisch an ihrer Erkrankung zerbrechen und sich zurückziehen. Ist das nicht schon ein Tod auf Raten?

Immer noch nachdenklich
Goldene Dame

 

Hi Goldene Dame,

ich freue mich, dass du dich durchringen konntest, einen Kommentar auf meine KG, zu schreiben.

Ich schrieb sie in einer Phase, in der ich mir Gedanken machte, wie mein Leben aussehen würde, wenn ich meine geliebten drei Männer, z.B. durch einen Autounfall, verlieren würde.
Der Gedanke tat so weh, dass ich mir nicht vorstellen konnte, ohne sie zu sein. Freunde, oder selbst meine Schwester, die ich ebenfalls sehr liebe, könnten mich aus meiner Trauer und Sehnsucht, nicht befreien. Das glaube ich zumindest. Es wären schon zu viele geliebte Menschen, die auf der anderen Seite, so hoffe ich, auf mich warten würden.
Du fragst: Wie unglücklich muß man sein, wenn der einzige Ausweg der Tod ist.
So unglücklich, wie ich es wäre.
Und für einen Tod auf Raten, würde ich nicht stark genug sein.
Obwohl ich weiß, dass Menschen über sich hinaus wachsen können.
Ich könnte es wohl, wenn es um Menschen geht, die es mir Wert sind.
Doch um mich???

Ich bete zu Gott, dass er mir diese Prüfung niemals auferlegt.

Das hört sich jetzt so traurig an, doch bin ich eigentlich ein sehr positiver Mensch. :)
Ich danke dir für die Gedanken, die du dir gemacht hast.

ganz lieben Gruß
coleratio

 

Liebe coleratio,

zu deiner Geschichte ist schon so viel geschrieben worden, dass ich dir erstmal meinen Eindruck schreibe, ohne diese Kritiken gelesen zu haben, um mich nicht davon beeinflussen zu lassen:

deine Geschichte hat mir gut gefallen. Sie ist eine deiner typischen Geschichten, eine, die mit dem Jenseits und dem Diesseits zu tun hat und die zum Ende hin darauf abzielt, dass man als Leser spürt, gleich passiert etwas Übernatürliches.
Ich hatte zunächst mit einem Ende in der Form gerechnet, dass der Mann, mit dem sie sich dort trifft, angerast kommt und vor ihren Augen gegen einen Baum fährt und sich ihr Trauma nochmals wiederholt. Zumindestens war ich darauf gefasst.

Was mir an deinem Schreibstil gefällt, ist, dass du nicht viel Text schreibst, eher ein wenig skizzenhaft alles darlegst, aber nichts auslässt. Ich finde erstaunlich, wie gut es mir, trotz der wenigen Worte gelingt, die Geschichte als vollkommene zu empfinden.

Das Ende ist ein wenig mysteriös, weil eigentlich nicht ganz klar ist, ob das nun ein Segen für die Protagonistin ist, dass sie verstirbt. So, wie du es angelegt hast, könnte es auch einfach nur sein, dass sie durch die Kraft der Imagination sich die Freude machen möchte, ihre Lieben wieder zu sehen. Aber es könnte auch sein, dass ihr die Gnade erwiesen wird, nicht mehr allein auf der Welt sein zu müssen, dass sozusagen, die Familie sie zu sich holt.
Erstaunlich ist dabei, dass egal, wie man das Ende deiner Geschichte wertet und sieht, es in jedem Fall ein versöhnliches Ende ist. Ihr Tod hat etwas Beruhigendes und ist damit geeignet von seinem Schrecken etwas zu verlieren.


So und nun les ich mal die Kritiken der andren und werde dann vielleicht noch etwas anzumerken haben. Mal sehen. ;)

ah....das war gut, es getan zu haben, weil es mir wie Salem so erging, den Suizid nicht erkannt zu haben. Diese eine Pille war für mich eine Beruhigungspille, etwas gegen diese unendliche Trauer irgendwie. So genau hab ich mir darüber keine Gedanken gemacht, sie hatte etwas mit der Trauer zu tun, klar, hatte sie ja auch in deinem Sinne, nur dass deine Protagonistin ihre Trauer nicht mehr ertragen mochte und deswegen die Pille schluckte.

Vielleicht liegen meine eigenen Ideen viel zu weit weg von solch einem Seelenzustand, so dass mir gar nicht in den Sinn kam, dass die Protagonistin ihr Leben beenden wollte.
Den Fehler, es überlesen zu haben, möchte ich weder dir bzw. deiner Geschichte anlasten, noch mir.
In der Nachschau ist das Beschriebene samt Suizid ohne Probleme in deiner Geschichte vorzufinden, ich hätte es nur als Gedanken zulassen müssen, dann hätte ich deine Geschichte auch so gelesen. In der Nachschau bin ich aber über mein "Übersehen" gar nicht unglücklich. :)

Lieben Gruß
elvira

 

Hi Lakita,

ich freue mich wirklich sehr, dass du die Geschichte gelesen hast und dass sie dir gefällt. :)

Es wäre schon sehr mysteriös gewesen, wenn meine Prot einfach so gestorben wäre. Obwohl, soll es alles schon gegeben haben.

Nein, sie weiß, dass sie den Krebs nicht mehr besiegen kann, dazu die Einsamkeit, die Trauer, die Sehnsucht nach ihren Männern.

Wie tröstlich, wenn man daran glauben kann, dass es einen "Ort" gibt, an dem sich alles Leid auflöst. (meistens) :shy:

ganz lieben Dank und Gruß, coleratio

 

Hi coleratio,

hiermit widme ich dir meinen 400sten Beitrag. Und das, obwohl es eine Selbstmordgeschichte ist... aber gottseidank eine glaubwürdige.
Stilistisch finde ich deinen Text sehr gelungen. Einzelne, traurige Sätze, die sich wirklich schön in die Stimmung einfügen.

Mir persönlich war der Text jedoch etwas zu kurz geraten... irgendwie hätte ich mir mehr Handlung, mehr Geschichte gewünscht. So ist der Text zwar sehr stimmig, aber auch sehr gradlinig - es fehlen die Ecken und Kanten, die der Geschichte ihre spezifische Individualität geben könnten...

Das war schon irgendwie schade, kaum war ich drin, wars auch schon fertig - bei dem Stil hätte es wirklich länger sein dürfen (aber frag mich jetzt nicht, wie du den plot aufplustern könntest - dazu fällt mir leider auch nichts ein :) ) Halt doch - die psychische Belastung könntest du besser herausarbeiten, die zum negativen Verlauf (und eventuell zuerst zum Ursprung) der Krankheit führt... das ist prinzipiell ein wichtiger Apsekt, den du nicht richtig berücksichtigst...

Auf jeden Fall konntest du dich gut in die Stimmung versetzen - aber das könntest du noch ein bisschen länger tun, damit der Text nicht so skizzenhaft wirkt und vielleicht auch flüssiger wird...

Trotzdem sehr schön geschrieben, auch wenn es nicht mein Lieblingsthema ist ;) .

lieben Gruß,

Anea

 

Hi Anea,

freue mich sehr, dass du diese KG noch mal ausgegraben hast.
Merkwürdig, gerade heute habe ich gedacht, dass ich auf diese KG die wenigsten Antworten bekommen habe. Und dabei fand ich sie, (in meiner Erinnerung, so anrührend)

Nun habe ich, nach deinem Komm., den Text noch mal gelesen.
Du hast recht, er ist sehr kurz.

Zu dieser Zeit, war ich noch geprägt von der Schule des Schreibens.
Dort wurden wir auf wirklich kurze Geschichten getrimmt.
Daraus entstand auch noch -Der Sturm im Bild-.
Danach, dank KGde, habe ich wieder angefangen, längere zu schreiben.
Ist mir zuerst garnicht leicht gefallen. :shy:

Selbstmordplots, da hast du recht, sind eigentlich Tabuthemen.
Doch diese lag mir damals am Herzen.

Freue mich wirklich, dass sie dir gefallen hat.

Ach ja, dein 400deter.
Ich weiß, man freut sich über jede Null, die eine Zahl abrundet. ;)
Wünsche dir noch viele davon. :)

ganz lieben Gruß, coleratio

 

Hallo Coleratio,

gut gefallen hat mir die nachträgliche erkennbare Doppeldeutigkeit von

“ Das Fotoalbum wog schwer in ihrer Hand.“

Sehr anschaulich ist auch

„Von Seite zu Seite wurden die Kinder größer.“


Die Bilder sind auch ein guter ‚Trick’ die Grabesszene bildhaft zu beschreiben.
Dass zu dem Unfall noch Krebs kommt, ist an der Grenze zu ‚zu dick aufgetragen’ und ist als Begründung für den Selbstmord nicht nötig. Ja, der Selbstmord - ich hätte es begrüßt, wenn du deinen gut geschriebenen Text nicht in die Reihe der Suizidstorys eingegliedert hättest, das ist so eine zu einfache und zu oft benutze Lösung. Nachdem du am Anfang Grund zum Leiden beschreibst, Schicksalsschläge, hätte sich ein Deflationsfokus angeboten, der die Geschichte aus dem (fast schon üblichen) Lösungsweg hinausführt.
(Du merkst schon, da sind halt persönliche Vorlieben im Spiel :)).

Die Tablette(n) sollte die Frau vielleicht nach der Autofahrt nehmen, nicht dass sie noch einen Unfall hat...

L G,

tschüß... Woltochinon

@ sim

„Gut finde ich, den Selbstmord als erotisches Rendevouz zu beschreiben. Das ist wirklich anrührend“

Ich habe es eher als eine Verklärung einer bedauernswerten Tat empfunden.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hi Woltochinon,

ich freue mich über deinen Kommentar. :)

Mittlerweile weiß ich, dass Selbstmordgeschichten zuviel des Guten geworden sind.
Für meine KG fand ich es passend, weil ich mich so gut in die Situation meiner Prot versetzen konnte. Leider ist es auch so, dass nach einem solchen Schicksalsschlag, der Krebs oft ausbricht. Natürlich nimmt sich nicht jeder/jede gleich das Leben.

deinen gut geschriebenen Text
Dafür ein dickes DANKE :shy:

lieben Gruß, coleratio

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Coleratio!

Jetzt warst Du schon so lang nicht mehr da, daß Du auf der Startseite gar nicht als Geburtstagskind aufscheinst – trotzdem wünsch ich Dir alles Gute! :)

Und weil Du schon so lang nicht mehr da warst, mußte ich jetzt diesen Titel anklicken – mal schauen, ob da nicht doch ein Weg zurück ist, zumindest was Dich hier auf kg.de betrifft. ;)
Das Thema ist zwar eigentlich keins für einen Geburtstag, aber ich stelle mir die Suche in Deiner Geschichtenliste nach einer Geschichte ohne Tod auch recht schwierig vor. ;)

In der Geschichte ist freilich kein Weg zurück, und ich finde, daß Du das ziemlich überzeugend bringst. Auch die Sache mit dem Brustkrebs ist glaubwürdig, jedenfalls habe ich schon von Untersuchungen gelesen, die belegen daß die Mehrzahl der Krebspatienten jahrelang Kummer in sich hineingefressen und Depressionen nicht behandelt hat. (Würden die Krankenkassen mehr Psychotherapien finanzieren, könnten sie langfristig gesehen am viel teureren Ende sparen, aber auf dem Ohr sind die Verantwortlichen taub, weil sie nur kurzfristig denken können.)

Ihren Glauben an ein Leben nach dem Tod, der noch durch ihre Träume unterstützt wird, kann ich gut nachvollziehen, besonders, da sie sonst nicht viel an sozialem Umfeld zu haben scheint, was vielleicht auch mit dem Brustkrebs zusammenhängt. Obwohl ja glaub ich heute kaum mehr die ganze Brust amputiert wird, aber vielleicht liegt es ja auch schon länger zurück oder der Krebs war schon so weit fortgeschritten. Meiner Oma wurde auch in relativ jungen Jahren schon eine Brust amputiert, und sie lebte immer sehr zurückgezogen; zwar ging sie arbeiten, aber privat hatte sie nur die Familie. Und so glaube ich auch, daß die Protagonistin sich mit ihren Erinnerungen zurückzieht, immer weiter von den Lebenden entfernt, bis sie bereit ist für den Schritt, den sie am Ende geht, und diesen Schritt geht die Protagonistin in vollster Überzeugung, ihre Familie wiederzutreffen. Ob sie sich nur einbildet, sie zu sehen, oder sie tatsächlich sieht, ist dann eigentlich Nebensache, da sie ja auf jeden Fall in dem Glauben stirbt (und wenn dann doch nichts mehr kommt, bekommt sie es eh nicht mehr mit ;)).

»Nur wie sollte sie ihre Sehnsucht bekämpfen?«
– Beistrich nach »Nur«, oder besser noch ein »Aber« stattdessen

»Sie sah wie der Van den Abhang hinabstürzte«
– sah, wie

»Den Treffpunkt mit ihm, hatte sie selber ausgewählt.«
– keinen Beistrich


Liebe Grüße,
Susi :)

 

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