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Keine Geschichte

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28.02.2008
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Keine Geschichte

Eines Abends traf er ein Mädchen in der Diskothek, das ihn fragte, womit er denn seine freie Zeit verbringe. Ihre Augen glitzerten recht nett zu der blinkenden Beleuchtung und ihm wurde bewusst, dass sie ihn wohl mögen könnte. Hübsch fand er auch sie und so bat er, sie möge doch mitkommen, denn er erzähle seinen Freunden Geschichten, das sei seine liebste Beschäftigung. Außerdem dröhne es hier drinnen fast unerträglich laut und sie müsse ihm schließlich gut zuhören können, wenn er ihr eine soeben erfundene Geschichte erzählen wolle. Sie ließ sich den Mantel reichen und folgte ihm hinaus in die Winterkälte. Während sie durch den Schnee liefen, begann er zu erzählen:

"Es war einmal ein junger Graf, der auf dem Schloss seines Vaters lebte und sich recht langweilte. Eines Tages wurde zu Ehren des Herrschers ein Bankett veranstaltet, auf dem auch lustige Spielleute und ebenso viele fremde wie verwandte Gäste anwesend waren. Zu einem späteren Zeitpunkt des Abends hatte der Wein bereits seine Wirkung getan und man tanzte zur Musik der Zigeuner. Der junge Graf wollte sich fast in das bunte Gewimmel stürzen, doch von jeher fühlte er sich in so einer Masse, in so einem Lärm, eher unwohl. Da entdeckte er ein junges Fräulein, das am Rande stand und das ihm durchaus gefiel. Er sprach die Dame an und es begab sich, dass sie ihm, durch die Pforte an der Seite des Saales, auf einen Balkon folgte. Über den beiden glitzerten die Sterne und es wäre sehr schön gewesen, wenn man schweigend über die nächtliche Landschaft geblickt hätte.
Doch der Graf meinte, es wäre dringend notwendig, Konversation zu betreiben und so äußerte er die schreckliche Lüge, dass er gute Geschichten erzählen könne. Dies war nämlich nicht im mindesten der Fall, gab es doch keinen schlechteren Erzähler auf dem Schloss als ihn. Seine Dame zeigte sich zu anfangs noch erfreut, doch nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass ihr der Graf lediglich die Situation beschrieb, in der sie sich gerade befanden. Er formte die Wirklichkeit in seiner Erzählung etwas um, aber dennoch war jedes Ding seiner Geschichte leicht auch hier im Schloss zu erkennen.

Nach einigen weiteren Worten verlor das junge Fräulein jede Hoffnung, dass ein spannendes Ereignis in der Geschichte des Grafen auftauchen könnte. Am Himmel hatte sie mittlerweile schon Neun von den Zehn ihr bekannten Sternbilder zugeordnet und nachdem sie das verbleibende einfach nicht finden konnte, begann sie, sich furchtbar zu langweilen. Sie starrte in die Landschaft und wünschte sich zurück zu der tanzenden Menge.
Doch da der Graf nicht verstand, was in seiner Zuhörerin vorging, redete er fort und fort. Innerlich hegte wohl auch er bisweilen den Gedanken, dass es schöner wäre zu schweigen. Sogar romantische Gefühle und abenteuerliche Ideen lebten in einem Winkel seines Bewusstseins, doch er unterdrückte all diese, weil es nicht schicklich schien, über so etwas zu reden oder es gar zu tun. Die junge Dame schaffte es, hinter ihrer behandschuhten Hand ein Gähnen zu verbergen und schon längst blieb sie nur aus Höflichkeit auf diesem Balkon.

Es war schrecklich dumm von dem Grafen, dass er ihr keine Komplimente machte, denn während er sie im Mondlicht betrachtete, wurde ihm klar, dass sie schöner und reizvoller war, als er erwartet hätte. Sicherlich hätte er auch gerne gehört, was sie denn sagen würde, was sie des Tags erlebt hatte und woher sie kam. Aber das Fräulein schwieg, weil sie sich kaum in den Redefluss dieses Herren drängen wollte, weil sie aus falscher Bescheidenheit meinte, über sie selbst gäbe es nichts zu sagen und weil sie noch eine geringe Hoffnung hatte, dass das Geschwätz des Grafen doch noch eine spannende Wendung finden könnte. Nur blieben alle seine Aussagen in der Schwebe, er formulierte abstrakt, nichtssagend und kleine, schöne Andeutungen machte er durch seine Reflektionen zunichte. Das war keine Geschichte, die er da erzählte, sondern bloß ein Witz, ein lächerlicher Versuch eines Dilettanten.
Wenn er doch wenigstens ruhig wäre oder die Schönheit der Nacht lobte! Wenn er doch nicht so egozentrisch an seiner Rede festhielt, an seinen schwer verständlichen Gedanken! Wenn er flegelhafte Andeutungen machte, dann könnte die junge Dame das Gespräch wenigstens beenden durch ein indigniertes Gesicht und eine Ohrfeige. Doch nichts von alledem fand statt: Er hatte sich vollkommen unbeliebt gemacht bei seiner Zuhörerin, als seine langweilige Rede plötzlich verebbte."

Hier schwieg er auf einmal und schaute in die Augen des Mädchens, die auch im Licht der Straßenlaternen glitzern konnten. Sie waren eine große Runde gelaufen und befanden sich jetzt fast wieder vor dem Eingang der Diskothek. Sie sagte:
"Was wolltest du mir mit dieser Geschichte jetzt sagen? Ich verstehe es nicht. Und nein, die hat mir auch nicht gefallen! Ich habe mehr erwartet: etwas Spannendes, oder etwas Lustiges wenigstens. Das wäre doch auch nicht schwieriger gewesen, als so etwas zu erzählen?"

Er verneinte und antwortete, dass er nicht wüsste, warum er genau das erzählt hatte. Weil er jetzt schweigsam schien und auch kein großes Interesse an einem weiteren Zusammensein zeigte, ging sie wieder hinein, zu ihren Freunden, die da tanzten. Er aber machte sich zu Fuß auf den Weg nach Hause.

 

Ich bin auch mal wieder hier. Ja, ich werde mich sogar bemühen, die vergangenen, noch ausstehenden Kommentare zu beantworten.
Gerade ist mir aufgefallen, dass diese Geschichte hier vielleicht doch besser in "Experimente" passt, als hierhin. Wenn jemand verschiebewillig wäre..

 

Hi tobiii,

das ist eine nette kleine Fabel. Kein Hockerreißer, aber es muß ja nicht vor Katharsis und Epiphanie aus den Socken qualmen, wenn es um die Stolpersteinchen geht, die sich Leute wie Müllers Kuh täglich selbst in den Weg legen.

Ein Experiment sehe ich nicht.

Dein Konjunktiv ist kraus, was bei dieser Erzählweise ziemlich auffällt, da würde ich nochmal gründlich drübergehn, hier Beispiel:

Eines Abends traf er ein Mädchen in der Diskothek, die ihn fragte, womit er denn seine freie Zeit verbringe. Ihre Augen glitzerten recht nett zu der blinkenden Beleuchtung und ihm wurde bewusst, dass sie ihn wohl mögen könnte. Hübsch fand er auch sie und so bat er, sie möge doch mitkommen, denn er erzähle seinen Freunden Geschichten, das sei seine liebste Beschäftigung. Außerdem dröhne es hier drinnen fast unerträglich laut und sie müsse ihm schließlich gut zuhören können, wenn er ihr eine soeben erfundene Geschichte erzählen wolle.

Dilettant schreibt man mit einem l, zwei t, Du hast es andersrum geschrieben.

Ganz dringend würde ich den Schluß kürzen, und zwar das hier

Was hatte er auch erwartet? Viel ist in einer solchen Situation doch sowieso nicht möglich: er kannte das Mädchen doch erst seit einer Stunde. Nun, da braucht man nicht viel hoffen und weil er einfach nur den Moment genießen wollte, was blieb ihm da, als das Eingeständnis, die Situation als eine langweilige Geschichte zu begreifen?
alles streichen und nach dem Weg nach Hause aufhören. Diese erklärende Nachgeburt ist überflüssig und störend.

Freundlichen Gruß,
Makita.

P.S. Den Titel finde ich doof.

 

Hey Makita,

Danke für das Lesen und die Kritik! Als Experiment verstehe ich die Geschichte deshalb, weil sie ebenso wie die innere Erzählung bewusst langweilig und konfliktlos bleibt, eben nicht das ist, was man als unterhaltsam anstrebt.

Ach wie schön, dass man seine Sprache jeden Tag neu lernen kann! ;) Da war ich wohl etwas verwirrt über die Kombination von Erzählzeit und Konjunktiv ... Vielen Dank für den Hinweis.

Irgendwie scheint es zur Gewohnheit zu werden, dass ich bei jeder Geschichte einige Sätze am Ende wegstreichen muss. Das sollte ich mal bedenken ...
Ach ja, und den Titel mag ich selbst nicht, aber ich komme gerade auf keinen brauchbaren.

Liebe Grüße,
Tobias

 

Hi Tobias,

mir gefällt deine häufige Verwendung des Konjunktivs, der in der modernen Alltagssprache ja kaum noch gebraucht wird und als antiquiert und ziemlich verstaubt gilt. In deine Geschichte und zum Grafen passt er super! Ich würde daran nicht viel ändern.
Das Einzige, was mir aufgefallen war, ist ein winziges Fehlerchen:
>> Eines Abends traf er ein Mädchen in der Diskothek, die ihn fragte (...) << DAS Mädchen, nicht die...

Liebe Grüße
Sonja

 

Hey Sonja,

Vielen Dank für den Hinweis und natürlich noch mehr dafür, dass es dir gefallen hat. Und manchmal glaube ich ich sogar, ich wäre zeitgemäßer, wenn mir der Konjunktiv nicht so gefiele ...

Liebe Grüße

Tobias

 

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