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Kellerkind
Ich halte nichts von Heimat. Ich will ein heimatloser Streuner sein. Meine warme Heimat sind die Herzen der Menschen, ihre Arme, in denen ich versinken kann. Ich zerknülle das Papier, werfe es in den Papierkorb und schaue durch den Kaffeedampf aus dem Fenster; und das Fenster schaut auf Höhe des Trottoirs über Asphalt; nass von Streifen des milchig-bleichen Mondlichtes überzogen, der Ausschnitt des Lebens aus der kleinen Kellerwohnung. Caspar David Friedrich, da gab es diese Gemälde, die ich vor einiger Zeit mal bei einer Ausstellung gesehen hatte; immer wieder dieser Blick aus dem Fenster, in die Ferne. Und ich, ich vor einem doppelt verglasten Kellerfenster, durch das der Horizont bis zum gegenüberliegenden Bordstein reicht. Dabei bin ich so kreativ; denn die Einbildungskraft überwindet ja Grenzen; und in meiner Phantasie bin ich der Heimatlose, ein Abenteurer, der poetische Melancholiker; ja, in der Phantasie kann ich sein, was ich nicht bin. Zuletzt, diese elend, abgenutzte Frage: Was bin ich dann wirklich? Wundervoll, dieser Monolog, im gedämmten Licht, neben mir stapeln sich Teller, umkreist von einem Fliegenschwarm. Damen und Herren, immer das Gleiche, Tag für Tag, eine Anrede in Gedanken, damit ich mich konzentrieren kann, als hätte ich ein Publikum im Kopf. Also, Damen und Herren, viel Betrug, am schlimmsten wiegt da der Selbstbetrug, und letztlich, ja, da siegt die Wahrheit über die Lüge; oder nicht einmal das, die Lüge ist ja ein Nebel; nichts sonst, und die Wahrheit thront, wie ein Felsen, so wuchtig. Also, gestern abend lief ich noch über vor Glück, in Vorfreude - hatte eine kleine Geschichte geschrieben, nichts Bedeutendes, aber ich selbst habe mich danach wie ein König gefühlt, dachte, das sei etwas sehr Tiefsinniges; eine kleine Geschichte nur, in der eine kleine Seele seziert wird. Eine Zusammenfassung wäre unsinnig, weil ich die Geschichte in meinem Kopf wiedergeben würde, nicht die auf Papier Gedruckte. Das, was ich mir da zusammen getippt hatte, war nämlich von Eitelkeit, Ungeduld und technischem Unvermögen geprägt. Kurzum, der ganzen Unvernunft eines 20-jährigen, bedeutungslosen Künstlers. Ich besuchte meinen Vater dann gestern abend, und später im Wohnzimmer diskutierten wir stundenlang, auf dem ledernen Sofa; draußen grenzenlose Dunkelheit; drinnen knisterte Feuer im Kamin und im flackernden Licht zogen sich die Schatten von Tischen und Stühlen in die Länge. Mein Vater streichelte die ganze Zeit den Hund auf seinem Schoß, erzählte:
"Früher wollte ich Bildhauer werden. Und ich wurde Deutschlehrer. Die Erklärung dafür ist ziemlich unpoetisch. Pragmatismus, ich habe schon eingetrichtert bekommen, auf das Geld zu achten, immer auf Geld. Tatsächlich lohnt sich das. Frauen, das wird man im fortschreitenden Alter feststellen, irgendwann scheren sich Frauen nicht mehr um den Künstler in dir. Das wäre zu einfach, die poetische Ehe? Eher Materialismus, Vernunftehen; Frauen achten darauf, ob es sich lohnt mit dir zu leben. Insgesamt war es wohl die..." - e.t.c. Ich hatte ihn an diesem Abend nicht einmal Gehör geschenkt; dabei hatte er so eine angenehme, sonore Stimme, an Abenden bei Kaminfeuer, da konnte die Gänsehaut den ganzen Rücken überziehen, wenn seine Stimme ruhig durch die Stille brummte. Ich war nervös, hatte einen Papierstapel auf den runden Glastisch vor dem Sofa gelegt, hoffte, dass er endlich nachfragen würde. Und als er nicht nachfragte, unterbrach ich ihn - an einer sehr ungünstigen Stelle, da er grad von seiner Kunst als Bildhauer erzählen wollte; und in seiner Eitelkeit floß das Gesprochene so dahin. Da reichte ich ihm den Stapel und bat darum, dass er die Geschichte lese; nicht ohne Zittern in der Stimme, und einem Zittern in mir. Ich lege grenzenloses Vertrauen in sein Urteil, was Kunst anbelangt. Wenn du sie lobst, ein paar Worte des Lobes, nicht einmal ein vollkommenes Lob, bloß überwiegend, dann wäre das Erleichterung, dachte ich; während er las, rührte sich sein runder Kopf nicht, seine buschigen Brauen verliefen schräg über den dunklen Augen, vielleicht ein Kräuseln der Lippen. Und ich versank in meinen vom Kaminfeuer beleuchteten Träumereien: Wenn du sie lobst, dann bin ich etwas, dann fühle ich mich vollständig. So albern dachte ich. Heute, hier, im Keller, da habe ich das Gefühl, zu fallen; ein endloser Fall, tiefer und tiefer, in ein Meer aus Dunkelheit. Ja, so, als ob da nichts unter mir oder über mir wäre; und das ganze Leben sei ein innerer Fall. Nicht bloß, weil das Urteil meines Vaters ein Verriß war, ein Freundlicher zwar, trotzdem deutlich genug, sodass ich die Tränen hatte unterdrücken müssen. Jedoch, meine Damen und Herren... mir wurde da etwas bewußt, mein Vater, halb im Schatten, halb im Licht, blickte mir in die Augen. Etwas wie fürsorgliches Mitleid lag darin. Und er betonte: "Als Schriftsteller darfst du dir nichts vormachen. Du musst ehrlich zu dir sein." Ehrlich zu mir sein; oh, Ehrlichkeit, natürlich. So ehrlich wie damals, als ich an Gott glaubte; es war kein wahrhaftiger Glauben, eher so, dass mir die Vorstellung gefiel, zu glauben. Oder Gitarrenstunden, ich erfand Songs, mittelmäßige und dabei ein Gefühl voller Eitelkeit. Überall Eitelkeit. Sodass ich nachts im Bett der Überzeugung war, dass mein Leben aus Epochen bestand; und diese Epochen sind keine kontinuierliche Weiterentwicklung, sie sind etwas Einzelnes; und einzeln betrachtet so ganz jämmerlich; ich bin jämmerlich. Ich bin einfach Nichts. Das ist die Wahrheit. Ich bin ein Nichts in einer kleinen Kellerwohnung; und durch das Fenster schaue ich auf den Asphalt der Hauptstraße, es hat zu regnen begonnen, die Gullideckel laufen bald über, wenn es so weiterregnet. Und ich, ich kann nicht einmal wirklich traurig sein, weil ich mich für mein Selbstmitleid schäme.