Mitglied
- Beitritt
- 27.06.2024
- Beiträge
- 46
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
- Anmerkungen zum Text
Die Geschichte entspringt der Methode des Roman-Stechens. Eine zufällige Seite eines Romans wird aufgeschlagen und der erste Satz, der einen in die Augen springt, wird als Ausgangspunkt genutzt. Der dick gedruckte Text ist aus dem Buch "Der Pate", daraus ist dann mein eigener Text entstanden. Keine Sorge, es ist nur der kurze Satz. Es sind keine Spoiler zum eigentlichem Roman enthalten.
Kescher und Knarre
Vito Corleone hatte sich durch die Demütigung der Capones zu sehr von Wut und Rache leiten lassen. Wieder und wieder die Machenschaften der Capones zerschlagen, das Blut ihrer Familienmitglieder im Waschbecken verschwinden lassen und sich beim täglichen Abendgebet von den Sünden freigesprochen.
Die heilige Maria ist immer gnädig zu ihm gewesen. Vito hätte schwören können, dass ihre Hände ihm leibhaftig halfen sich rein zu waschen. Nun wusste er allerdings nicht, ob sie den Pistolenlauf an seiner Schläfe verfehlen lassen würde. Ihre Mühen wären ohnehin nutzlos. Der Mann, der neben ihm steht und Vito die Waffe dagegen presst, wirkt nicht sehr gnädig. Er hatte sicherlich mehrere Patronen im Magazin. Wer sollte ihn daran hindern, Vitos Gehirn in der Lagerhalle zu verteilen? In dem Gemälde aus Hirnmatsch würden sich all seine Erinnerungen zeigen. Keiner könnte darin etwas sehen.
Keiner würde sehen, welche Freude Vito durchströmte, als Mama ihm einen Kescher gebastelt hatte. Einen eng gewebten, der Stab aus robustem Kastanienholz, um selbst große Fische aus dem Meer zu holen. Es würde auch keiner darin lesen, wie traurig er war, als er eine Schaufel Erde auf den blassen Körper seines Freundes warf, nur weil es der Don damals befahl. Sonst störte ihn die andere Seite der Pistole nicht, doch diesmal hatte er geweint. Die Hände in die Augen gepresst, um den Fluss der Tränen einzudämmen. Vergeblich. Er wusste noch, wie aufgequollen er danach aussah, sodass er Marcella versetzen musste. Wie so oft.
Durch Carlo, seinem besten Freund, lernte er damals den Don kennen. Vito, nicht einen Pfennig in der Tasche, verschwendete keinen Gedanken an die Bürde, die ihn von nun an begleiten würde. Ein Mord ist überraschend leicht, wenn er gut bezahlt wird. Mit einer einzigen Kugel zollte Vito damals dem Don seine Treue. Es gab kein Zurück mehr. Wie wäre sein Leben wohl verlaufen, hätte er stattdessen mit einem einzigen Ring Marcella seine Treue geschworen?
Es würde auch niemand erfahren, wie gerne er nur einmal einen dampfend heißen Cappucino auf dem Balkon des Casa Cipriani Milano trinken wollte. Ganz gemütlich, während Kirchen trotz ihrer hundertjährigen Schönheit, unter den Alpen, die mit einer millionenjährigen Schönheit dominieren, fast schon wertlos wirken. Und guten Wein. Er möchte Rotwein aus Norditalien trinken. Burlotto Barolo. Halbtrocken. Ihr Nachbar, der viel gereist ist, hatte Mama und Papa immer eine Flasche mitgebracht. An diesen Abenden ging es ihnen gut. Dann lagen sie sich in den Armen, leicht schaukelnd zur Musik.
„Betest du?“, drängelt sich eine Stimme zwischen Vito's Gedanken.
Der Mann mit der Waffe tippt leicht gegen Vito's Kopf. Vito öffnet die Augen.
„Ich bin vielleicht dein Henker“, sagt der Mann, „ich bin aber auch ein gläubiger Mensch. Wenn du Gebete hast, dann geb' ich dir eine Zigarette lang Zeit.“
Ohne zu zögern fischt er mit seinen Zähnen eine Zigarette aus der Schachtel, die er sich prompt anzündet.
„Nur eine Zigarette lang, hörst du?“
Der Qualm beißt in Vito's Augen. Er schließt sie wieder.
Nur die Worte, die er damals in der kleinen Kapelle sprach, fielen ihm ein. Die Kapelle hatte immer knatschige Bänke, die gleichzeitig verblichen waren, von den Hintern der betenden und sündigen Leute.
„Ave Maria, piena di grazia...“, beginnt Vito die Wörter vor seinem innerem Augen abzulesen.
Wie Maria, die heilige Maria wohl wirklich aussieht? Würde er sie wohl anschauen dürfen? Vielleicht weiß sie sogar seinen Namen. Immerhin hallte sein Name nicht selten durchs Essenszimmer. Bei Tisch hatte er als kleiner Junge oft das Gefühl, dass die hölzerne Statue, auf der urigen Kommode, ihn anschaute. Ganz zart, gar nicht herabschauend oder so was.
„Bambino“, sagte Papa immer, „tu nichts, was Santa Maria böse auf dich macht.“
Davor hatte Vito allerdings nie Angst. Die Figur schien zu gutmütig, um wirklich böse zu sein. Doch den einen Tag, als er am Essenstisch saß und seine Faust um den Zinnsoldat schloss, versteckt in der Hosentasche, da hatte Vito das Gefühl, Santa Maria habe ihn enttäuscht beäugt. Als hätte sie ganz genau mit angesehen, wie er kurz davor den Zinnsoldaten seinem Freund heimlich aus dem Regal stahl.
Erwartet ihn der gleiche Blick, wenn er hier und heute mit all den Gräueltaten im Gepäck die Reise ins Jenseits antritt? Vermutlich Schlimmeres.
Ihre Augen würden voller Erschüttern sein, würde sie das ganze Blut an Vito erblicken.
Er selber könnte ihr nicht nennen, wessen Leben an ihm klebten. Was er wusste war, dass ihm der Don nicht ohne Grund Respekt zollte. Das einzige was zählte, für Vito. Eine lange Zeit zumindest.
Das verzeiht nicht einmal die gnädige Maria, dessen ist er sich sicher.
Aber im Himmel tut sowieso nichts weh. Zumindest hatte das der Pfarrer immer gesagt. Im Himmel herrschte Sicherheit, Frieden und Sorglosigkeit, hatte der Pfarrer zu den Kindern gepredigt. Ganz anders als Guiseppe, der den kleinen Fischerladen, abseits vom Dorf besaß. Er war der einzige, der Sonntags nie in die kleine Kapelle kam. Papa meinte, er sei ein von Satan geplagter Heide und er sollte sich ja von ihm fernhalten. Vito hatte allerdings keine Angst vor dem beschwipsten Mann. Der Satan, von dem Papa geredet hat, kam ganz klar aus der Flasche, die Guiseppe sich regelmäßig an die Lippen legte. Fast jeden Abend torkelte er mit roten Wangen durch die Gassen. Vito hatte ihn als kleinen Jungen einmal gefragt, warum er denn immer trank.
Da hatte Guiseppe sich runter gebeugt, seine Augenlider auf Halbmast und mit einem säuerlichem Atem gesagt: „Is' zur Überbrückung. Damit dieser Trümmerhaufen schnell vorbeizieht.“
„Welcher Trümmerhaufen“, hatte Vito damals nachgehakt.
„Mein Leben, Vito. Von diesem Trümmerhaufen rede ich. Bei manchen ist es ein stetiges aushalten, statt genießen."
„Also freust du dich etwa auf deinen Tod?“, erwiderte Vito.
„Hast du gar keine Angst davor?“, fügte er hinzu.
Guiseppe grunzte hämisch.
Dabei schwankte er so stark hin und her, dass Vito befürchtete, sein bulliger Körper kracht gleich auf das Pflaster. Doch als Guiseppe wieder die Kontrolle über sein Gleichgewicht hatte, schaute er den kleinen Jungen ernst an.
„Vito ... Bambino. Tot sein ... is tot sein.“
Er stieß auf.
„Fühlt sich ... genau so an ... wie das Gefühl vor der Geburt. Nach nichts. Also tuts auch nicht weh.“
Vito wusste noch genau wie ihn dieser Gedanke, selbst wenn er nur einem Trunkenbold aus dem Dorf entsprang, noch lange beschäftigt hatte. Der Pfarrer war gar nicht froh, als Vito ihn darauf ansprach. Er wurde sogar regelrecht wütend. Mama und Papa haben davon nie erfahren. Sollten sie auch nie, weshalb er es selber auch schnell vergessen wollte und fleißig die Verse lernte, die der Pfarrer jeden Sonntag erhaben durch die kleine Kapelle sprach.
Doch nun muss er wieder an Guiseppe denken, während der Tod in einer harten, kühlen Pistole steckt, die immer noch an seine Schläfe drückt. Der Mann, der sie führt, riecht nach billigem Rasierwasser. Vito hätte sich für seinen Henker mehr Stil gewünscht.
Es tut nicht weh tot zu sein, denkt Vito. Er weiß nicht, was ihn mehr tröstet. Die gutmütigen Arme der heiligen Maria oder die verworrenen Lebensweisheiten von Guiseppe.
Dann vernimmt er ein Zischen. Dann das Geräusch eines Lederschuhs, der auf dem Boden schabt. Dann ein metallisches Klicken.