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Kinderaugen

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10.11.2004
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Kinderaugen

Wie groß ihm doch das ganze Dorf damals vorgekommen war! Und dabei war es eigentlich mehr als winzig, wenn er es jetzt betrachtete. Nur wenige Straßen durchquerten den Ort, jede flankiert von einer Handvoll alter Häuser. Alles war so unbedeutend und klein. Doch für ihn verströmte dieser Anblick eine wunderbar warme Atmosphäre.

André war hierher gefahren, um das Haus seiner Großmutter zu besuchen, das Dorf, in dem er viele sonnige Ferientage verbracht hatte. Eine wichtige Stätte seiner Kindheit... Er hatte keine Erklärung dafür, warum er so viele Jahre nicht mehr hier gewesen war. Dabei war es nur eine halbstündige Autofahrt entfernt – eine Strecke, die ihm als Junge sicherlich wie eine halbe Weltreise vorgekommen wäre. Aber er hatte niemals einen Grund gehabt, das Dorf zu besuchen, nachdem man die Großmutter vor einigen Jahren in ein Heim geben musste... Auch jetzt gab er keinen besonderen Anlass, er hatte nur plötzlich den Wunsch verspürt, diesen kleinen Ausflug zu unternehmen.

Es war ein seltsames Gefühl, so vertraut und befremdlich zugleich. Er fühlte sich einige Momente lang zurückversetzt in seine Kindheit, aber dennoch war alles vollkommen anders, weil er die Welt jetzt aus einer ganz unterschiedlichen Perspektive betrachtete. Die Augen des zehnjährigen André hatten das Haus der Oma als große, gemütliche Heimstatt wahrgenommen, in der man mit großmütterlicher Liebe verwöhnt wurde, und in der es immer etwas zu entdecken gab – besonders der große Dachboden war ihm in lebhafter Erinnerung geblieben.
Nun, fünfzehn Jahre später, kam er nicht umhin zu bemerken, dass die Fassade des Gebäudes einen sehr sanierungsbedürftigen Eindruck machte. Die Farbe der Fensterrahmen blätterte ab. Und der Rest war nur noch eine Erinnerung, die sein Herz ein wenig wärmte. Hier hatte sich in den letzten Jahren wirklich nichts verändert.
Wie es von innen aussah, vermochte er nicht zu sagen. Die Räume seiner Kindheit bewohnte jetzt eine fremde Familie. Im Hof sah er Kinderspielzeug. Bunte Plastikbagger und Sandschaufeln lagen neben der Tür, und am Holzbalken, der den Eingang überspannte, hing eine Kinderschaukel. Die Tage, da er selbst an derselben Stelle im Sommerwind geschaukelt hatte, schienen ihm einen Augenblick lang so nah, als wären seitdem nur wenige Stunden vergangen.

André wandte sich vom Haus ab, betrat nun den Weg, den er als Junge so oft gegangen war, allein oder mit einem Spielkameraden. Vorbei an dem kleinen Laden, in dem seine Oma ihre Einkäufe erledigt hatte; vorbei an einem Grundstück, auf dem früher ein kläffender Hund den Kindern riesige Angst eingejagt hatte. Nur die mutigsten hatten sich näher als einen Meter an den Zaun getraut. An diesem Tag konnte er dort keinen Hund entdecken, dafür räkelte sich auf einem Zaunpfahl eine graue Katze träge in der Nachmittagssonne.

Die gepflasterte Straße machte eine Biegung, führte dann an einem kleinen Feld vorbei. Seine Erinnerung täuschte ihn erneut. Der ganze Weg schien so viel weniger abenteuerlich, weniger lebendig, als die Erinnerungen ihn glauben machen wollten. Vielleicht lag es daran, dass sich ihm nur die außergewöhnlichsten Eindrücke eingeprägt hatten. Und vielleicht lag es an der großartigen Phantasie, die seinen kindlichen Geist immer beflügelt hatte, die alle möglichen Dinge mit wildesten Vorstellungen ausgeschmückt hatte. Das Maisfeld, das er damals kaum hatte überblicken können, war ein endloses Labyrinth gewesen, das kleine Wäldchen am Ende der Straße ein unheimlicher, furchterregender Ort – besonders nach Einbruch des Abends. Und der dahinter liegende kleine Schrottplatz hatte als Abenteuerspielplatz und Schatzkammer gedient. Er erinnerte sich lebhaft daran, an dunklen Wintertagen mehr als einmal ängstlich hinter sich geschaut zu haben, als er ein verdächtiges Knacken im Wald oder ein heftiges Rauschen im Feld vernommen hatte. Heute musste er sich wundern, wie leicht sich ein Kinderherz von solch kleinen Dingen beeindrucken ließ. Ihm fiel es schwer, sich in die damalige Stimmung zurückzuversetzen. Vielleicht war es auch einfach nur zu sonnig an diesem Tag...

Langsam machte er sich auf den Rückweg zu seinem Wagen. Das Dorf wirkte so still auf ihn, kein Mensch war zu sehen, auch die Katze hatte sich offensichtlich einen besseren Platz gesucht. Die Einsamkeit des ausklingenden Sonntags stimmte ihn noch melancholischer als es der kurze Ausflug in die Vergangenheit ohnehin schon tat. Wie vergänglich ihm in diesem Moment das Leben schien.
Er bedauerte, dass er niemals ein Tagebuch geschrieben hatte. Zu gern hätte jetzt er darin gelesen, um ein Stück der Kindheit wieder aufleben zu lassen. Die Momente des Alltags kamen ihm auf einmal sehr kostbar vor.
So wenige Jahre waren vergangen, und so fremd war er sich selbst geworden, so wenig war ihm von der Kinderzeit geblieben. Nur ein paar verblassende Erinnerungen – und die erschienen ihm jetzt so viel mehr wert als noch vor einigen Stunden. Noch einmal mit den Augen eines Kindes sehen!

Er stieg in sein Auto, warf noch einen letzten Blick zurück zum Haus der Großmutter. Dann startete er den Motor und nahm Abschied von den vergangenen Kindertagen.

 

hallo christel,

du bist eine routinierte schreiberin, das kann ich sehen. der inhalt deiner geschichte ist so, dass ich kopfnickend zustimmen kann. ja, so erlebe ich es, wenn ich eine reise in die vergangenheit mache, und wie schnell bin ich dann wieder weg. trotz der routine und dem stimmigen inhalt ist deine geschichte nicht so toll. sie löst keine gefühle in mir aus. weder melancholie, was, we ich behaupte, deine absicht war, noch heiterkeit. der erzählstil ist für diese geschichte ungeeignet. es liegt daran, dass du orte mit ihren beschreibungen einfach nur angefügt hast. du hast beschrieben, DAS der protagonist sehnsüchtig in die vergangenheit blickt, aber du hast nicht erwähnt, wodurch! episoden täten dieser geschichte gut. an jedem ort, den du aufzählst, hätte eine episode leben und wehmut in die geschichte bringen können. keine begebenheiten hast du erzählt, dabei ist der abenteuerspielplatz doch ein dankbarer ort dafür. ein gutes beispiel ist der kläffende hund. nur der mutigste hat sicher näher herangetraut. das ist viel zu allgemein. gib den mutigen namen und charakter. lass den besucher sich erinnern, lass ihn auch gerne lächeln, wenn er sich erinnert.
eine variante wäre zum beispiel, dass du für jede begebenheit wörtliche rede einsetzt.
aber ohne irgendetwas ist deine geschichte so, wie sie da steht, leider langweilig.

sorry

bis dann

barde

 

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