Kinderglück
Kinderglück
Ich bin blind und das ist das Erste was mir auffällt. Die Luft ist warm und feucht. Irgendwie kann ich spüren, dass ich mich in einem kleinen Raum befinde, wahrscheinlich in einer Höhle unter der Erde, und ich bin nicht allein. Meine Brüder und Schwestern liegen dicht an dicht bei mir. Ich kann sie an meine nackte Haut gepresst spüren, auch sie sind nackt, und ihre kleinen Herzen schlagen mit meinem im Einklang. Sie atmen und murmeln leise. Nur soviel dringt zu mir durch, was weiter draußen passiert kann ich nicht erfassen. Meine Sinne scheinen wie taub, noch viel zu jung. Aber eindeutig stimmt etwas nicht. Es liegt knisternd in der Luft, eine bebende Spannung.
Die Mutter ist nicht da. Auch das ist mir sofort, wenn auch unterbewusst, aufgefallen. Leider bedeutet das nichts Gutes. Statt der Mutter spüre ich jetzt ein anderes Wesen ganz nah durch die engen Tunnel kriechend. Es hat die Höhle erreicht und starrt auf uns Jungen. Der Vater. Nie zuvor war er bei uns gewesen und doch habe ich ihn sofort erkannt. Ich weiß nicht weswegen er hier ist und was das zu bedeuten hat. Er beschnuppert einen meiner Brüder. Plötzlich schießt eine Welle brutaler Gewalt zu mir herüber und ich höre meine Geschwister allesamt panisch aufschreien. Einer meiner Brüder erleidet entsetzliche Qualen und verstummt.
Darauf schreit eine Schwester. Nun beginnen sie alle, einer nach dem anderen, vor wilder Angst und schrecklicher Schmerzen zu toben um darauf zu schweigen. Auch ich kann mich dem Schrecken nicht entziehen und beginne unwillkürlich Hilfelaute aus meiner jungen Kehle zu pressen, obwohl ich keinen Feind erkennen kann, nur den Vater.
Dann streichen seine Schurrhaare über mich. Für einen winzigen Moment wittere ich Sicherheit, und so kommt es auch. Er geht.
Wo ist nur die Mutter, frage ich mich. Ich bin allein und verstehe es nicht.