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Kindersegen
„Mutti, bitte nicht! Bitte nicht!“
Der kleine Junge hält seine Arme zum Schutz erhoben, Hiebe prasseln auf ihn nieder.
„Ich erschlag dich, ich bring dich um. Was hab ich verbrochen, so ein Kind zu haben?“ Die Frau schlägt mit wutverzerrtem Gesicht zu. Pfeifend zischt die Kunststoffgerte durch die Luft, trifft das Kind irgendwo, dicke Striemen bilden sich auf seiner Haut.
„Mutti, bitte nicht“, schluchzt der Junge tränenerstickt und senkt seine Arme. „Ich tu es nie wieder. Nie wieder! Bitte hör auf.“
Die Mutter holt zum Schlag aus, er reißt die Arme hoch - zu spät, seine Nase blutet. Die nächsten Hiebe kommen, sie treffen ihn am Bauch, an den Oberschenkeln. Sein Weinen geht in Wimmern über, er lässt sich fallen, krümmt sich.
Die Mutter prügelt weiter. Sie hört ihr Kind nicht, ist taub und blind vor Wut. Der Junge zittert am ganzen Leib, versucht, unter dem Küchentisch in Deckung zu gehen, sie zieht ihn hervor, schlägt weiter zu ...
Endlich erwacht sie aus ihrem Rausch und lässt die Gerte sinken. Der Junge schaut ängstlich unter seinen Händen hervor. Er weiß, es ist noch nicht vorbei.
„Warte nur, wenn Vater nach Hause kommt.“
Sie packt den Jungen am Kragen, zieht ihn hoch, stößt ihn vor sich her. „Du bist eine Strafe Gottes, ein böses, furchtbares Kind, ich würde dich am liebsten nicht mehr sehen.“
Am Ende des Ganges liegt der Abstellraum. „Da hinein mit dir und wenn ich noch einen Mucks hör‘ ...“, sie hebt drohend die Hand.
„Mutti, bitte lass das Licht brennen, ich hab Angst da drinnen“, wimmert der Junge.
Sie schüttelt den Kopf, stößt ihn in die dunkle Kammer.
„Mutti, bitte!“ Er trommelt von innen an die Tür. „Bitte lass mich raus, ich kann nichts sehen, ich tu es auch nie wieder!“
Sie reißt die Tür auf und gibt ihm eine Ohrfeige. „Einen Mucks noch, hab ich gesagt! Nur noch einen Mucks!“
Der Junge verkriecht sich in den hintersten Winkel des Abstellraums, dann schlägt seine Mutter die Türe zu.
Es ist so finster hier. Ich kann gar nichts sehen. Wie lange muss ich heute da drin bleiben? Bis Papa kommt? Aber Papa schlägt nicht so hart wie Mutti. Nein, er schlägt nicht so hart. Das letzte Mal hat er nur laut mit mir geschimpft. Aber Mutti wird ihn wieder zornig machen ... wenn ihn nur Mutti nicht wieder zornig macht ... vielleicht vergeht ihre Wut, bis er kommt.
Nach einiger Zeit in der Dunkelheit beruhigt sich der Junge etwas. Er betastet seine brennenden Striemen, eine schmerzt besonders, sie ist geschwollen und führt quer über beide Oberschenkel. Er wischt sich das Blut von der Nase und schleckt es von den Fingern ab.
Hoffentlich hab ich nicht das Hemd schmutzig gemacht, sonst regt sich Mutti wieder auf. Warum bin ich nur so ein böses Kind? Warum kann ich nicht auch brav sein, wie die anderen Kinder? Papa wird böse sein, wenn er hört, was ich getan hab. Sehr böse ... ich hab ihm doch versprochen, brav zu sein ... hoffentlich haut er mich nicht. Ich tu es auch nie wieder.
Erneut beginnt der Junge zu weinen, da hört er, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Wohnungstür dreht. Sein Mund wird trocken, der Körper starr, das Herz klopft ihm bis zum Hals. Wie gelähmt starrt er auf den dünnen Streifen Licht unter dem Türrand. Papa ist nach Hause gekommen!
Der Junge hört den schweren Schritt des Vaters, er führt am Abstellraum vorbei. „Maria, Dieter, wo seid ihr?“
Die Mutter kommt aus der Küche angerannt.
„Wie siehst du denn aus? Du Ärmste, bist ja ganz verheult. Hat der Rotzlöffel schon wieder was angestellt?“ Tröstend nimmt er seine Frau in die Arme.
„Ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Kind machen soll“, schluchzt sie los. „Ich halt das nicht mehr aus. Er hat mir Geld gestohlen und sich Schokolade gekauft.“
„Er hat Geld gestohlen?“
„Ja, Dieter hat Geld gestohlen“, heult sie. „Warum bin ich nur so gestraft mit diesem Kind? Warum gerade ich?“
„Wo steckt er?“, knurrt der Vater.
„Papa, hier bin ich!“, schreit der Junge. „Ich hab dich lieb, Papa. Bitte lass mich raus, es ist so finster hier drinnen. Bitte lass mich raus!“
Mit einem Ruck öffnet sich die Tür zum Abstellraum. Helles Licht flutet herein. Der Junge ist für einen Moment geblendet, beschattet mit dem Handrücken seine Augen. Verschwommen erkennt er die Umrisse seiner Eltern.
„Papa, ich tu´s nie wieder“, würgt er tränenerstickt hervor, da zieht der Vater den Hosenriemen ab.