Kindertage
Draußen tobt ein Gewittersturm an meinem Fenster vorbei. Der Regen prasselt in kurzen Tropfen auf den Asphalt nieder. Blitz und Donner vollenden das Bild zu einem einmaligen Ereignis, das mich immer wieder aufs neue erschüttert und fasziniert. Ich stehe an einem Fenster in meiner Arbeitsstelle. Momentan habe ich gerade etwas Zeit. Ich atme durch das gekippte Fenster den frischen, moderigen Geruch der Erde, die aus dem benachbarten Garten in mein Zimmer strömt. Ein Auto fährt vorbei.
Es ist wie damals, als ich noch ein kleines Kind war. Zu gut erinnere ich mich noch an die großen Pflastersteine, über die ich mit meinen Eltern gelaufen bin. Ich schließe für eine Weile die Augen und träume mich in diese Zeit zurück:
In meinen Gedanken sehe ich den vom Smog vergrauten Himmel und die Sonne, die über die alten Häuser in die Hinterhöfe kriecht. Für mich als Kind waren sie immer eine geheimnisvolle Welt. Einerseits waren sie fremdartig, weil ich sie nicht oft betreten durfte. Andererseits rochen diese Ausflüge aus der alten vier Zimmer Wohnung nach Freiheit und Abenteuer. Ich kam mir manchmal wie ein Wanderer vor, der in unbekannte Welten eindringt. Im Dunklen waren diese Wege besonders aufregend. Aber es war nichts im Vergleich zu den Straßen...
Für mich gab es dort so viel zu sehen und zu entdecken wie nirgends sonst. Es roch nach alten Kaugummis, frischem Teer der zwischen die Pflastersteine gegossen worden war und nach meinen Lieblingsplätzen in dieser großen grauen Stadt mit der Mauer. Wenn ich mich von meinem Zimmer aus an das Fenster stellte, begann ich zu erahnen, wo der östliche Teil der Stadt begann. Meine Großeltern erzählten mir, daß es dort ganz anders sein sollte. Wie genau konnte ich mir nie wirklich vorstellen. Er war einfach da. Und es sollte für meinen kindlichen Verstand auch später, als ich erwachsen geworden war, ein besonderer Teil dieser Stadt bleiben.
Auf einen Abenteuerspielplatz waren wir Kinder zu Hause. Dort spielten wir manchmal mit den realen Grenzen und erleben wunderbare Dinge in unbekannten Ländern, die ich ganz einfach als ‚Abenteuerland’ bezeichnen möchte. Oder wir reisten mit unserem Leiterwagen durch die Wälder zu einem Meerschweinchengehege nahe einer Freilichtbühne. Manche Klänge machten mir Angst. Andere waren so wunderschön, das ich nicht weitergehen wollte...
Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Träumen. Der nächste Termin wartet auf mich. Mit einem sanften Lächeln begrüßt mich nach dem Unwetter der erste Sonnenstrahl während ich mich vom Fenster abwende. Gefühle der Freude und der Trauer wechseln sich ab. Selbst wenn die Stadt des Bären noch existiert. Meine Stadt, die ich als Kind gekannt und geliebt habe ist für immer hinter dem Glas einer unsichtbaren Schneekugel eingeschlossen. Ich kann heute noch den alten Holzschlitten erkennen, der von einem langhaarigen grau – weißen Hund durch die Straßen gezogen wird.
Leb’ wohl meine Stadt!
Auch wenn du stetig dein Gesicht veränderst wird sich dein Kind immer an dich erinnern.
(c) by C. 'Ryu - ki' S.