Was ist neu

Kinetik

Mitglied
Beitritt
22.01.2006
Beiträge
65

Kinetik

Tunnel am Ende des Lichts

Der Wind zerzaust mein Haar. Es ist kalt. Ich habe die Augen geschlossen. Hinter mir liegt so viel. Vor mir ein Meer aus Nichts, nur noch Tiefe.
Nur drei große Schritte noch. Dann habe ich es geschafft. Hinter meinem Rücken tobt der alltägliche Kampf, Menschen in ihren kleinen und großen Blechdosen. Ohne mich, Freunde. Seit Wochen lächle ich mein erstes echtes Lächeln. Nur für mich.

Keine Reue. Mein Leben endet hier und jetzt.

Meine Rettung

Ich klettere auf das Geländer der Talbrücke. Breite meine Arme aus. Und will dem Tod entgegenspringen.
Naja, wenn da nicht noch dieses Gummiseil wäre, das mein rechtes Fußgelenk an eine Metallstrebe kettet. Ich bin doch kein Selbstmörder! Aber mal so tun als ob, das ist Freiheit, Abenteuer, ein Neuanfang, weg vom Scheißalltag!

Gerade als ich meinen Oberkörper nach vorne beugen will, um den Weg in die Tiefe anzutreten, höre ich hinter jemand rufen:
„Spring nicht! Oh Gott verdammt...“

Hektische Schritte nähern sich. Ich zögere einen Moment zulange, dann ziehen mich zwei Arme nach hinten.

„Ich hab dich, ich hab dich. Oh Mann, das war knapp, was...“
„Du Riesenarschloch!“ rufe ich, und versuche mich aus seiner Umklammerung zu lösen und mich über die Brüstung zu werfen.
„Ich will da jetzt runter!“
„Bist du völlig durchgeknallt? Na warte, Freundchen!“ keucht mein vermeintlicher Retter und zerrt mich nicht nur wieder vom Gitter weg, sondern auch noch weiter, hinein in seinen LKW, der einfach Unverantwortlicherweise mitten auf der Autobahn stand!

Ich bin sprachlos und verwirrt vor soviel Nächstenliebe. Zu verwirrt, um zu realisieren, dass der Plan des Brummifahrers einen kleinen Schönheitsfehler hat: Um mich zu retten, will er mich schnellstens mit seinem Laster aus der Absprungzone schaffen. Zum ersten Mal in meinem Leben wird mir dabei bewusst, dass es anscheinend auch in einem LKW eine Kindersicherung gibt. Schade eigentlich, denn hätte ich die Tür öffnen können, hätte ich verhindert, dass das Gummiband, welches sich immer noch an meinem Fuß und dem Geländer der Brücke befand, innerhalb kürzester Zeit bis an die Grenze seiner Dehnungsfähigkeit gebracht wurde.

Es bleibt nur eine Frage offen, die innerhalb kürzester Zeit beantwortet werden sollte: Was ist stärker – mein Fußgelenk oder das Metallgitter einer Autobahnbrücke?

On the Road Again

Eine halbe Stunde später kenne ich die Antwort auf diese Frage. Ich höre sie zusammen mit meinen neuen Freunden, zwei Rettungssanitätern namens Armin und Schorsch. Im Rettungswagen lassen die Jungs zu ihrer Belustigung gerne die Verkehrsmeldungen auf Mittelwelle laufen. Verlesen von einer nicht mal ansatzweise erotischen Damenstimme, höre ich zum bereits dritten Male folgende Durchsage:

„Achtung Autofahrer, ungesicherte Unfallstelle auf der A3 Düsseldorf Richtung Köln: Gefahr durch einen abgerissenen Fuss am Gummiband hinter der Autobahnbrücke Neanderthal. Der Fuss wird durch vorbeifahrende Autofahrer wiederholt in die Luft geschleudert und durch das Gummiband zurückgerissen.“

Armin und Schorsch gucken sich mit todernsten Mienen an. Dann beben mal wieder ihre Lippen als sie verstohlen auf meinen verbundenen Stumpf blicken und sie prusten und lachen, bis sie sich fast am Boden wälzen.

Ich wünsche mir, ich wäre wirklich tot.

 

Hallo StBSchwarz!

Ähm, also wirklich lustig war das jetzt nicht. Dieser Trick mit dem unfreiwilligen Lebensretter ist echt ... naja, billig. Was ich mich gefragt hab: Wenn man die Autotür schließt, dann ist das Gummiseil eingeklemmt. Wenn der Brummifahrer losfährt, dehnt sich das Seil, klar. Wie zur Hölle soll da ein Fuß abreißen? Da ist doch die Tür dazwischen! Ich hoffe du kannst mir folgen. Und gibt es sowas wie Hobby-Bungee-Seile? Was für ein Seil soll das sein mit dem er da runterspringen will? Okay, vielleicht sollte ich aufhören, mir über die Logik in der Geschichte Gedanken zu machen, wie auch immer. Für mich war das nichts, sorry.

Grüße,
apfelstrudel

 

Seltsam, wirklich. Auch die Durchsage der Sprecherin ist nicht ganz.. wahrheitsgetreu. Glaubst Du, man würde soetwas im Radio hören?
Was mich besonders stört ist das Lachen der Sanitäter, selbst wenn sie betreffenden Verletzten im Wagen haben. Sehr taktlos.

Trotzallem sehr gut geschrieben, detailreich, angenehm zum Lesen.

[Vorschlag: Eher "Seltsam" oder "Sonstige" statt Humor?]

Schattenwelpe

 

Hallo Steuerberater,

in einer kurzen Geschichte Patricia Highsmith’ bittet ein junger Mann bei seinem potentiellen Schwiegervater um die Hand einer jungen Frau und kurze Zeit darauf wird sie dem Bewerber in einem Päckchen zugestellt: der Vater der Umworbenen hatte den Wunsch wörtlich genommen. Ich weiß den Titel nicht mehr und auch nicht, ob es die rechte oder linke Hand war, die der junge Mann vorfindet. Die Geschichte hat sich vor langer Zeit in meinem Hirn eingenistet, denn sie ist gut und –

Deine Geschichte ist es von der Idee her auch bis auf die Schwächen, die bereits erwähnt wurden – aber schwächeln könn’n wir alle schon mal ganz gut.

Da wird zunächst der Eindruck einer (versuchten) Selbsttötung erweckt, die sich aber als rheinländisches Männlichkeitsritual (Bungeejumping [bʌndʒidʒʌmpiŋ]) über einer Autobahn herausstellt. Extremsport, wie er in dieser oder einer anderen Weise von immer mehr vom Alltag gelangweilten Menschen betrieben werden will („…das ist Freiheit, Abenteuer, ein Neuanfang, weg vom Scheißalltag!“). Aber der Mann wird an der Ausführung des Rituals gehindert und entweder reißt das Seil während der Rettungsaktion (lt. Lexikoneintrag kann es bis nicht einmal 40 m gespannt werden) oder der Fuß geht auf dem Weg zum LKW schon verloren: es kommt darauf an, wo der LKW halt steht, was sind schon 40 m? Aber ansonsten hat’s mir gefallen, denn auch Sanitäter machen während des Einsatzes Witze mit mehr oder weniger schwarzem Humor.

In jedem Fall solltestu bei der wörtlichen Rede die Zeichensetzung üben, denn grundsätzlich wird das Komma vergessen:
„Du Riesenarschloch!“KOMMA rufe ich, …
„ … Na warte, Freundchen!“KOMMA keucht mein vermeintlicher Retter …
Als Steuerberater weißtu ja, dass die Gesetzgebung auch nicht immer sehr logisch ist, aber § 93 der „amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung“ sieht’s so vor.

Ein gutes neues Jahr wünscht

FRD

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom