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Kirchenschatten

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09.06.2017
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Kirchenschatten

Teil 1

Freitag
Es ist nach fünf, und ich sitze immer noch im Büro. Ich verfasse Broschüren über chirurgisches Material und beantworte wissenschaftliche Anfragen von Ärzten. Neulich habe ich Tante Hella gegenüber das Wort Hotline verwendet. Seitdem ist sie alarmiert. Ich warte nur noch darauf, dass sie mich fragt, ob das was mit Telefonsex zu tun hätte. Dabei heißt es wissenschaftliche Hotline. Meine Kolleginnen Jessica und Sabrina schneiden hinter der Glasscheibe Grimassen. Alle wissen, dass ich immer noch Single bin.

Marco vom Außendienst meldet sich zum dritten Mal bei mir. Wieder geht es um die MT-36-2L Produktspezifikation.
„Du hast eben eine sexy Telefonstimme“, seufzt Sabrina.
„Also bitte“, sage ich und denke wieder an Tante Hella.
Marco gehört zu der Sorte Männer, die mir Angst machen. Beim letzten Meeting hat er sich viel zu dicht neben mich gesetzt. Mich obenrum gestreift, immer wieder wie zufällig angefasst. Mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich mich frage, wo nimmt er die eigentlich her? Ich könnte weinen, wenn ich daran denke.

„Jana, kommst du nachher mit ins Excelsior?“ Jessica steht mit ihrer überdimensionalen Glitzertasche in meiner Tür.
Ich winke ab. „Geht nicht. Hab' schon Tickets für die Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.“
„Du willst Freitagabend in die Kirche? Ist das wieder deine Uraltmusik?“
„Es heißt alte Musik, nicht Uraltmusik“, stelle ich klar. „Genauer gesagt geht es um iberische Madrigale und die Melancholie eines John Dowland.“
Jessica verdreht die Augen.

Wochenende. Ich stürme aus dem Büro und verpasse um Haaresbreite die Straßenbahn. In letzter Minute betrete ich das feuchte Halbdunkel der St. Anna-Kirche und sehe ein Meer aus grauen Haaren. Könnte ebenso gut ein Seniorentreffen sein. Es riecht nach Weihrauch, Moder und Kerzenwachs. Während ich noch auf dem Weg zu meinem Platz in der dritten Reihe bin, wird die Beleuchtung heruntergedimmt. Atemlos lasse ich mich nieder. Vorne leuchten Scheinwerfer auf. Das Ensemble Vlaamse Consort betritt unter Applaus die Bühne. Von rechts weht ein herber Duft in meine Nase. Quitte und etwas Maskulines, das ich nicht näher definieren kann. Ich linse rüber.
Neben mir sitzt ein Mann.
Überraschung, er ist nur ein paar Jahre älter als ich, so genau kann ich das nicht erkennen. Er trägt Jeans und einen beigen Strickpullover. Seine Augen sind geschlossen, so wie ich das auch oft in Konzerten mache. Aber nicht heute, denn die historischen Brokatgewänder der Flamen sind eine Augenweide. Anscheinend sind Männer dagegen immun.
„Gefallen Ihnen die Kostüme nicht?“, wispere ich in den Zwischenapplaus hinein nach rechts und kann selbst nicht glauben, dass ich mich das traue.
Er verzieht den Mund.

Hinter mir hustet jemand. Die Arie geht schon gefühlte zwei Minuten, und ich habe noch keinen einzigen Takt davon ohne Geröchel gehört. Mein Nebenmann dreht sich nach hinten und hält der Störquelle ein Hustenbonbon hin. Ein Papierchen wird ausgewickelt. Noch zwei Trompetenstöße aus den Tiefen einer gequälten Lunge. Dann ist Ruhe. Endlich.
Alt und Sopran verschmelzen mit dem silbernen Klang der Laute. Dazu erklingt sonor und keck die Trommel. Ich nehme mir vor, in der Pause ein Programmheft zu erstehen.

Am Ende des ersten Teils rufe ich laut Bravo. Die Flamen sind grandios, und dieses Methusalempublikum hier ist so lahm. Ich muss das ausgleichen. Zur Pause erhebt sich ein Großteil der Zuhörer und drängt forsch nach draußen. Ich überlege, ob ich an meinem Platz bleibe.

Mein Nebenmann macht auch keine Anstalten, aufzustehen. Er hat die Augen immer noch geschlossen. Vielleicht ist er müde.
„Hat es Ihnen gefallen?“, sagt er unvermittelt. Seine Stimme klingt tief und samtig. Die Plätze um uns herum sind verwaist.
„Was hätte ich Ihrer Meinung nach noch rufen sollen?“, erwidere ich, vielleicht ein wenig zu spitz.
„Die Altstimme ist so kraftvoll und unglaublich beweglich. Finden Sie nicht auch?“
„Er oder sie?“, frage ich, denn es gibt zwei Altisten in diesem Ensemble. Ein Mann und eine Frau.
Er zögert. „Der Alt aus der letzten Arie“, sagt er schließlich.
Das ist die rotblonde Sängerin, die in ihrer schwarzen Brokatkombination mit grünen Stickereien (Tunika und Schal) wie eine Göttin aussieht. An mir würde so etwas nach nichts aussehen. Wenn ich mich morgens ausstrecke, bin ich mit etwas gutem Willen 1,62 m klein. Okay, 1,55 m.

„Darf ich mal hineinschauen?“, frage ich und zeige auf sein Programmheft.
„Klar. Nur zu.“
Ich beuge mich über die Übersetzungen der Liedtexte und unterdrücke ein Lachen, als ich zur letzten Arie gelange. Sie ist deftig, fast vulgär. Nicht zu fassen.
„Was ist? Warum lachen Sie?“, erkundigt er sich.
Der Gong lässt uns beide zusammenfahren. Wir nehmen die Knie zur Seite, um die Konzertbesucher reinzulassen. Ich nervös, weil die in allerletzter Minute ankommen müssen. Mein Nachbar mit dem Anflug eines Lächelns.
Ich zeige stumm mit dem Zeigefinger auf den Text im Programmheft. Er schaut nicht hin.

Samstag
Heute komme ich schon zwanzig Minuten vor Konzertbeginn und erwerbe am Eingang ein Programmheft. Er ist wieder da.

Diesmal trägt er einen weißen Pulli. Eine kleine Begrüßung erscheint mir angemessen. „Hallo, Herr Nachbar“, sage ich.
Seine Miene hellt sich auf. „Ah. Hallo. So früh heute.“ Noch bevor ich richtig sitze, hält er mir sein Programmheft unter die Nase. „Möchten Sie mal reinschauen?“
Ich schüttele den Kopf. Irgendetwas kratzt in den Tiefen meines Halses. Ich beginne, mit dezentem Hüsteln in meinem eigenen Heftchen zu blättern, und entdecke das eingeschobene Blatt. Orgel statt Barockensemble. Ach Mensch. Ich mag keine Programmänderungen. Mein Hals brennt so dermaßen, das bringt mich um. Ich huste das jetzt ab.

Mein Nachbar hält mir etwas entgegen. „Hier. Eukalyptus für Ihren Hals.“
„Danke.“ Ich wickele das Bonbon aus dem Papierchen und stecke es brav in den Mund.
„Ist ziemlich scharf“, höre ich ihn noch sagen.
Dann geht es los mit dem Inferno in meinem Rachen. Ich überlege, ob es helfen könnte, jetzt die Atmung einzustellen. Andererseits. Sauerstoff ist auch etwas Schönes. Als die Orgel mit allen Registern einsetzt, fährt mein Nebenmann zusammen. Ich habe nichts gegen Orgelmusik, nur dass ich heute auf Flöte und Harfe eingestellt war. Ein Hauch von herber Quitte weht zu mir. Ich weiß immer noch nicht, ob ich ihm für dieses mörderische Bonbon, das er mir gegeben hat, dankbar sein soll.

Die heilige Jungfrau lächelt in golddurchwirktes Blau gehüllt vom Glasfenster herab. Die Musik ist zäh wie ein missratenes Baiser. Meinem Hals geht es besser, und während des Applauses am Ende des ersten Teils neige ich mich nach rechts. „Danke übrigens für das Eukalyptusbonbon.“
„Aber gerne doch, Frau Nachbarin. Und wie gefällt es Ihnen heute?“
„Na ja. Auf die Programmänderung hätte ich verzichten können.“
„Geht mir genauso ... Spielen Sie selbst ein Instrument?“
„CD-Player“, erwidere ich. „Aber ich nehme an, das zählt nicht. Und Sie?“
Er schmunzelt. „CD-Player spiele ich auch. Und außerdem Klavier. Aber nur für den Hausgebrauch.“
„Hausgebrauch. Aha. Und was braucht Ihr Haus? Klassik?“
„Hm, nein, mein Haus braucht Jazz.“
„Und das spielen Sie alles ohne Noten und so?“
„Genau. Aber wie gesagt, nichts Besonderes.“
Ich bin nicht sicher, ob ich ihm das „nichts Besonderes“ abnehme. Was daran liegen könnte, dass ich eine geheime Bewunderung für Jazzer hege. Und dafür, wie er das Wort Jazz ausspricht, so sanft und leicht gedehnt.

„Und was machen Sie sonst so? Ich meine, wenn Sie nicht Klavier spielen“, will ich wissen.
„Fremden Frauen in der Kirche Hustenbonbons zustecken?“, bietet er an.
Ich betrachte ihn zum ersten Mal genauer, schätze ihn auf Anfang, Mitte dreißig. Ein mokantes Lächeln umspielt seine Lippen. Er hat einen Dreitagebart und Lachfältchen um die Augen, und das steht ihm verdammt gut. Im Verlauf unseres heutigen Gespräches hat er die Augen geöffnet, aber er schaut immer an mir vorbei, und ich fange an, mir Sorgen zu machen. Ich sehe drei Möglichkeiten:
Erstens: Er findet mein Äußeres so unerträglich, dass er mich nicht ansieht, um sich nicht übergeben zu müssen.
Zweitens: Er hält mich für kreuzlangweilig und schlägt die Zeit damit tot, die bunten Glasfenster der St. Anna-Kirche zu betrachten.
Drittens: Er hat einen gewaltigen Knick in der Optik.

Ein paar Konzertgäste nutzen die Gelegenheit, um in der Pause das Weite zu suchen.
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er.
„Alle nennen mich Jana“, antworte ich. „Und Sie?“
„Jana … schöner Name. Ich heiße Lukas.“
In der Reihe vor uns setzt sich jemand schwungvoll auf seinen Platz. Unsere Programmhefte segeln von der Ablage und schlittern weit nach rechts ins Niemandsland. Lukas beugt sich nach unten und tastet mit der Hand über meine Schuhe.
Ganz sanft.

Ich nehme meine Füße zur Seite, und die Orgel setzt ein. Lukas richtet sich wieder auf. Im zweiten Teil wird es lyrisch. Gehauchte Orgeltupfer schweben wie silberne Schmetterlinge durch die St. Anna-Kirche. Etwas Harziges, Würziges steht in der Luft. Ich bin Lukas dankbar, weil sein Bonbon meine gereizte Kehle in Schach hält, und schließe die Augen. Es gibt keinerlei Zwischenapplaus.
Vielleicht hat Lukas Recht, und es lohnt sich nicht mehr, unsere Programmhefte vom Boden aufzuheben. Aber als der Schlussapplaus beginnt, wendet sich Lukas mir zu und sagt: „Jana, wären Sie so freundlich und würden mir helfen, mein Programmheft wiederzufinden? Es ist … Ich kann schlecht sehen.“
„Es liegt einen halben Meter weiter nach rechts. Von Ihnen aus gut zu erreichen“, antworte ich mechanisch. Ich sehe ihm zu, wie er sich nach unten beugt und wie ein Blinder den Boden entlangtastet. „Weiter rechts“, sage ich. „Bringen Sie mein Heft auch gleich mit. Es liegt direkt daneben.“
Er kommt zurück und hält es mir hin. Wir sagen beide gleichzeitig: „Danke.“
Mir liegen mehrere Fragen auf der Zunge. Keine von ihnen ist politisch korrekt. Zum Beispiel: Wenn Sie schlecht sehen können, warum tragen Sie dann keine Brille? Ich gebe mir gleich selbst die Antwort: Es gibt Sehprobleme, die sich nicht mit Gläsern lösen lassen. Nächste Frage: Was wollen Sie mit einem Programmheft, wenn Sie es nicht lesen können? Auf diese Frage habe ich keine Antwort.
„Haben Sie Lust, noch irgendwo ein Glas mit mir zu trinken? Gestern haben Sie von den Kostümen gesprochen …“, unterbricht Lukas meine Gedanken. Er sagt es leise.
Dieses Stechen hinter meinem Bauchnabel, wann hat das angefangen?
Dass ich nicht genau weiß, was mit seinen Augen los ist ... Ich meine, kann er überhaupt irgendetwas sehen?
„Wie fanden Sie es heute? Der zweite Teil war deutlich besser als der erste, oder?“, presse ich hervor.
Der Applaus geht zu Ende, und die Kirche leert sich. Lukas sagt nichts mehr.
„Ja dann. Schönen Abend“, murmele ich und gehe. Am Ausgang drehe ich mich noch einmal um. Lukas sitzt regungslos in der Kirchenbank.

Sonntag
Zum letzten Konzert komme ich abermals rechtzeitig. Heute steht ein Mittelalterensemble namens Música Antigua auf dem Programm. Am Getränkestand neben dem Eingang stürze ich einen eiskalten Sekt hinunter. Acht Minuten vor Beginn nehme ich meinen Platz ein. Ich blättere im Programmheft vor, zurück und wieder vor. Überfliege flüchtig die brillanten Fotos und die launigen Texte.
Lukas ist nicht da.
Könnte es sein, er hat kein Ticket für dieses Konzert?
Ich bin enttäuscht und erleichtert zugleich. Enttäuscht deshalb, weil ich im Falle einer Hustenattacke hilflos sein werde. Ich habe vorhin nicht daran gedacht, ein Bonbon einzustecken.
Erleichtert, weil … keine Ahnung.

Plötzlich sehe ich ihn. Er steht praktisch neben mir, am Eingang zu unserer Bankreihe. Ein Mann flüstert ihm etwas ins Ohr. Lukas schiebt sich an mir vorbei - ohne mir auf die Füße zu treten - und findet seinen Platz. „Jana. Schön, dass Sie da sind.“
„Hallo, Lukas“, bringe ich heraus. Gefolgt von einem herzhaften Schluckauf. Ich möchte vor Scham in der Kirchenbank versinken.
Sein Mundwinkel zuckt, dann wendet er sich von mir ab, so dass ich sein Gesicht nicht mehr sehen kann. Ein weiterer Hickser durchfährt mich. Es war eine Scheißidee, den eiskalten Sekt auf ex zu trinken. Ich versuche ab jetzt, den Mund geschlossen zu halten, damit es nicht so laut nachhallt.
Es wird dunkel, und das Spektakel beginnt. Sopran und Bariton wetteifern mit Schellentrommel und Drehleier. Es gibt viel Spontanapplaus. Ich versuche, meinen Schluckauf damit zu synchronisieren.
Lukas neigt sich zu mir, und unsere Ellenbogen berühren sich. „Halten Sie die Luft an.“
„Wie bitte?“
„Das hilft gegen den Schluckauf. Luft anhalten.“
Ich befolge seinen Rat und höre auf zu atmen. Lukas sieht gut gelaunt aus. Vermutlich amüsiert er sich insgeheim königlich über den Tsunami in meinem Zwerchfell. Ab und zu berührt sein Strickpulli meinen Arm. Sein Stoff fühlt sich weich an.

Die Spanier tragen Kostüme in rotbraunen Farbschattierungen mit schillernden Kupfereinsprengseln. „Was genau sehen Sie?“, frage ich in die nächste Applaussalve hinein. „Können Sie es beschreiben?“
Die Musik geht weiter, ohne dass er meine Frage beantwortet hat. In der Pause bleiben wir wie immer auf unseren Plätzen.
„Extrem unscharf in der Mitte. Und dieses Halbdunkel hier ist fatal“, sagt er. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind, Jana?“
„Raten Sie einfach mal.“
Er zögert.
Ich denke an Tante Hella und bin gespannt, wie alt er meine Stimme schätzt.
„Hm, Sie klingen wie … Ende zwanzig?“
Damit liegt er richtig.
„Ist das ein Nicken? Also, Sie müssen schon mit mir reden.“
„Ja“, sage ich. „Achtundzwanzig.“
Es wird wieder dunkel. Eine Art Till Eulenspiegel betritt das Szenario und schlägt die Felltrommel.
Ich sehe abwechselnd nach vorne und zu Lukas. Seine Lippen bewegen sich stumm. Die spanischen Spielleute tanzen vor dem Altar. Fidel und Drehleier erklingen und dazu dieser Sopran, der bis zum Deckengewölbe der St. Anna-Kirche emporsteigt. Der Schlussapplaus ist ohrenbetäubend. Wir springen von den Sitzen. Ich höre auf, die Zugaben zu zählen.
Schließlich wird es etwas heller. Lukas dreht sich zu mir. „Nebenan ist ein Café. Wie sieht es aus, Jana? Kommen Sie mit? Ich schreibe an einem Zeitungsartikel über diese Konzertreihe und …“
Geht das schon wieder los. Ich bin zu fünfzig Prozent unentschlossen. Oder soll ich nur ganz kurz mitgehen? Meine Ohren sirren. Wir stehen gleichzeitig auf und verlassen die Bankreihe. Hicks, mein Schluckauf kehrt zurück. Lukas betastet meine Brust. Dann macht er einen Schritt nach hinten, prallt mit dem Rücken gegen die Kirchenbank. In meinem Unterleib zieht sich irgendetwas zusammen. Panik steigt wie eine weiße Wand vor mir auf. Ich dränge mich durch die Menschenmenge und ergreife grußlos die Flucht.

Dienstag
Ich stehe morgens am Kiosk und blättere durch die Zeitungen, um seinen Bericht über die Konzertreihe zu suchen. Nichts. Vielleicht hat Lukas gelogen. Oder es war schon in der Montagsausgabe.
In der Mittagspause recherchiere ich im Internet über Sehstörungen, die zu dem passen, was er mir beschrieben hat: Extrem unscharf in der Mitte. Und dieses Halbdunkel hier ist fatal. Ich finde heraus, dass Lukas sich bei guter Beleuchtung im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann.
Am Abend bin ich frustriert, dass die Konzertserie in der St. Anna-Kirche vorbei ist. Reichlich spät reift in mir die Vermutung, dass Lukas nur ein paar optische Eindrücke von mir abfragen wollte. Bühnenbild, Kostüme und so. Ich habe einen seltsamen Geschmack im Mund und gehe früh zu Bett.

Mittwoch
Um nicht aufzufallen, gehe ich heute morgen zu einem anderen Kiosk. Ich finde eine Konzertkritik. Darunter steht als Autorenkürzel „lmz“. Ich kaufe die Zeitung. Laut Website der Redaktion steht „lmz“ für Lukas Menz. Als ich seinen Artikel lese, geht die Sonne in meinem Bauch auf. Beim Vlaamse Consort vom Freitag hebt Lukas zu Recht ihren Sinn für Rhythmus hervor und die beiden Altisten. Bei den temperamentvollen Spaniern vom Sonntag beschreibt er liebevoll und im Detail den Klang jedes ihrer Instrumente. Die erste Hälfte vom Samstagskonzert lässt er unerwähnt. Ich schneide den Artikel aus und vernichte den Rest der Zeitung.

Donnerstag
Heute ist Feiertag, und ich habe frei. Auf der Website der Zeitung finde ich seine E-Mail-Adresse. Ich lese seinen Artikel noch einmal durch. Dann schreibe ich ihm:
Betreff: Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.
Hallo Lukas!
Ihre (deine?) Rezension war schön zu lesen.
Gruß, Jana.

Montag
Morgens um halb zehn erhalte ich eine E-Mail von „lmz“:
Betreff: Re: Konzertreihe in der St. Anna-Kirche.
Hallo Jana,
freut mich, dass dir mein Artikel gefallen hat.
Gruß, Lukas.

Eine Stunde später kommt die nächste E-Mail von ihm:
Betreff: Entschuldigung.
Jana, es war dunkel, und ich habe deine Körpergröße falsch eingeschätzt.
LG, Lukas.

Ich lehne mich zurück und lächle.

Teil 2

Montag
10:32 h
An: lmz
Betreff: Re: Entschuldigung.
angenommen!
Gruß, Janaleinklein
P.S. Wann erscheint deine nächste Konzertkritik?

10:55 h
An: jana89
Betreff: Konzertkritik
Hallo Jana,
so klein bist du nicht. Ich nenne dich weiter Jana.
Konzertkritik ist keine geplant.
In die Oper schicken sie mich nicht mehr. Seltsam.
Gruß, Lukas

11:21 h
An: lmz
Betreff: Re: Konzertkritik
Hallo Lukas,
das ist schade. Mich nervt nämlich, dass sie in den Opernkritiken über Bühnenbild und Kostüme schwafeln. Und im letzten Absatz: Ach ja, gesungen wurde auch. Viel zu wenige musikalische Details bringen sie, wenn du mich fragst!
Ich weiß immer noch nicht, was du machst, wenn du keine Hustenbonbons verteilst oder Konzertkritiken schreibst.
Gruß, Jana

21:07 h
An: jana89
Betreff: Was ich so mache …
Hallo Jana,
am Samstagmittag habe ich in der Stadt zu tun.
Danach setze ich mich ins Café an der St. Anna-Kirche. So gegen zwei.
Manchmal geschehen Zufälle, man trifft Leute wieder …
Gute Nacht, Lukas

Samstag
„Jana, ernsthaft. Nimm die hier.“ Sabrina hält mir die weiße Bluse hin. „Das ist ein Date und keine Beerdigung.“
„Du weißt, warum ich nur dunkle Oberteile trage.“
„Dann lass sie dir doch verkleinern.“
Ich schüttele den Kopf und schließe den Kleiderschrank. „Außerdem ist es kein Date.“

An der Wohnungstür pralle ich fast mit Frau Simoni zusammen.
„Gott sei Dank sind Sie da“, flüstert sie. "Meine Tochter geht nicht ans Telefon. Sir Henry ..."
„Was ist mit Sir Henry?“
„Der Doktor hat ihn heute …“ Sie hält sich am Türrahmen fest, aus ihrem Gesicht ist die Farbe gewichen. Wir gehen in ihre Wohnung.
Frau Simoni erzählt mir die Geschichte, wie ihr Zwergpudel eingeschläfert wurde, insgesamt dreimal. Ich mache ihr ein Butterbrot und sehe zu, wie sie in sich zusammengesunken auf ihrem geblümten Sofa sitzt und es verspeist. Mein Blick fällt auf das Holzkreuz an der Wand.
"Sir Henry ist jetzt von seinen Schmerzen erlöst", sage ich.
Frau Simonis Augen werden größer. "Denken Sie, er ist jetzt bei unserem Herrn Jesus?"
"Warum nicht?", sage ich, und noch während ich es ausspreche, wird es mir zur Gewissheit. "Ja, ich denke, Sir Henry ist jetzt bei unserem Herrn Jesus."
So unauffällig wie möglich sehe ich zur Uhr.
„Gehen Sie ruhig, Fräulein“, sagt sie. "Ich lege mich jetzt hin."
Ich versuche ein letztes Mal, die Tochter zu erreichen. Sie geht nicht ran.

Die Sonne bricht durch die Wolken. Draußen vorm Café sind alle Tische belegt. Der Springbrunnen plätschert und die Kirchturmuhr schlägt halb vier. Es sticht hinter meiner Stirn, während ich umhergehe und alles absuche. Lukas ist nicht da.

Ich betrete das Café. Zwei rothaarige Mädchen am Tisch in der Mitte baumeln unentwegt mit den Beinen. Ganz hinten in der Ecke neben der Vitrine sehe ich ihn sitzen. Er erinnert mich kaum noch an den Mann, der in der St. Anna-Kirche meinen Husten und meinen Schluckauf betreut hat. Sein Dreitagebart ist verschwunden. Er hat etwas Verletzliches an sich, wie er schräg vornübergebeugt über dem Tablet-PC hängt, mit seiner Brille, deren gelben Gläser die Augen auch von den Seiten umschließen.
Langsam schlängele ich mich zwischen den Tischen hindurch. Ein paar Schritte entfernt von ihm bleibe ich stehen. Er bemerkt mich nicht. Ich kann mich immer noch umdrehen und gehen.

Am Tisch in der Mitte schreit ein Mädchen und fegt eine Glaskaraffe klirrend zu Boden. Der Kellner und die Mutter brüllen sich an. Lukas hebt den Kopf.
„Hallo, Herr Nachbar.“
„Jana. Das ist aber schön!“ Er springt vom Stuhl auf. "Ich dachte schon, du kämst nicht mehr.“
„Bin rein zufällig hier“, murmele ich.
„Geben wir uns die Hand?“
„Klar“, sage ich und nehme seine Rechte. Wir setzen uns und bestellen Kaffee.

„Also, Frau Simoni, meine Nachbarin ... Ihr Hund ist heute gestorben.“
Lukas verstaut seinen Tablet-PC im Rucksack, fixiert mich aus dem Augenwinkel und sagt nichts.
"Deshalb bin ich so spät. Ich konnte sie nicht allein lassen. Nicht dass du denkst, ich wollte bei dir die Coole spielen.“
„Hm", macht er. „Wenn du wüsstest, wie ich mich geschämt habe, am letzten Sonntag.“
„Und ich hab dich stehengelassen. Das war nicht nett.“
Über sein Gesicht huscht ein Lächeln. „Du hättest mir auch eine knallen können.“

Der Kellner bringt unseren Kaffee. Lukas entleert den Inhalt eines Zuckersticks in seine Tasse, während er wie beiläufig an ihr vorbeisieht. „Du hast noch gar nichts zu meiner Brille gesagt.“
„Kannst du damit besser sehen?“
„Sagen wir, sie verstärkt die Kontraste und es blendet weniger.“
„Klingt doch gut.“
„Meine kleine Schwester meint, ich sähe damit aus wie ein Alien.“
„Da hat sie Recht“, erwidere ich.
Die Familie verlässt das Café. Das Sirren der Kühlvitrine wird intensiver. Wir sind mit unserem Kaffee fertig und rufen die Bedienung.
„Zusammen oder getrennt?“, will sie wissen.
„Getrennt“, antworte ich.
Lukas verzieht keine Miene.

„Wir könnten spazieren gehen, unten am Fluss.“
„Das mit dem Alien, hast du das ernstgemeint?“
„Ja sicher“, sage ich. „So eitel bist du doch nicht.“
Er stutzt, fährt sich mit der Hand übers Kinn.
Der Ventilator über uns wird langsamer und beginnt zu schnarren.
„Dann los. Lass uns zum Fluss gehen“, sagt er ruhig und schultert seinen Rucksack. Und jetzt - endlich - erinnert er mich wieder an den Lukas aus der St. Anna-Kirche.

„Wie machen wir das?“, frage ich.
„Geh du vor, und ich geh dir hinterher.“
Ich manövriere mich durch das Tischlabyrinth zum Ausgang und warte, bis Lukas wieder bei mir ist.
Um zum Fluss zu kommen, müssen wir den langgezogenen Platz vor der St. Anna-Kirche überqueren. Es gibt ein Kinderkarussell und einen Eisstand. Skater lungern auf der Halfpipe rum.
„Wir kommen schneller vorwärts, wenn ich deinen Arm nehme“, sagt Lukas.
Ich fasse seine Hand und platziere sie oberhalb meines Ellenbogens. Wir laufen dicht nebeneinander. Er riecht wieder nach herber Quitte.

Unten am Fluss, auf der breiten Uferpromenade scheint die Sonne durch die Kronen der Platanen. Blaue Holzboote schaukeln auf den Wellen. Fliegen umschwirren einen bärtigen Angler, der am Steg sitzt. Meine Haare wehen mir ständig ins Gesicht, es war keine gute Idee, den Zopf aufzumachen. Es sind wenige Spaziergänger unterwegs. Lukas lässt meinen Arm los und augenblicklich spüre ich den Wind an der Stelle, an der mich seine Hand wärmte. Ab hier geht unser Weg geradeaus.
„Schöne blonde Haare hast du", sagt er.
Den meisten Menschen fällt als erstes etwas anderes an mir auf.

„Deine kleine Schwester, wie alt ist die?“, frage ich.
„Dreiundzwanzig. Manchmal gehe ich mit Sonja am Ufer laufen. Frühmorgens, wenn es nicht so voll ist. Sie fährt Fahrrad und hält das Seil.“
„Wenn du möchtest, kann ich das auch mal übernehmen“, stottere ich.
„Fährst du gerne Fahrrad?“
„Ja, aber nur mit Stützrädern.“
Er gibt mir einen Klaps auf den Arm, und ich bin überrascht über seine Treffsicherheit.
„Beim Lauftraining auf mich aufzupassen, ist Arbeit, glaub mir. Lass uns lieber Tandem fahren. Dann hast du auch etwas davon.“
„Auf jeden Fall“, erwidere ich. „Ich übernehme das Lenken, und du trittst in die Pedale.“
Diesmal weiche ich seiner Hand rechtzeitig aus.

Bleigraue Wolken ziehen auf. Ich bin dabei, mir in den Stoffschuhen die Ferse wund zu scheuern.
„Wollen wir uns auf eine Bank setzen?“, fragt Lukas, so als könnte er meine Gedanken lesen.
„Oh ja“, seufze ich.
Wir schauen zum Fluss. Er hat die Ärmel seines Strickpullis hochgeschoben, und ich betrachte die goldenen Härchen auf seinen Armen.
"Das war gemein, dass du meine E-Mail nicht beantwortet hast. Weißt du das eigentlich?"
"Ich könnte sagen, dass ich mit meinem Notebook nicht ins Internet komme."
"Aber?"
"Aber, ehrlich gesagt, habe ich das Problem erst seit heute Mittag."
Lukas schüttelt lächelnd den Kopf.

Es fängt an zu nieseln. Wir stehen auf und gehen die Uferpromenade zurück.
"Kommst du klar mit deinem Notebook oder soll ich es mir ansehen?", fragt er.
In meinem Bauch kribbelt es wie Brausepulver. Ich versuche es mir vorzustellen: Lukas in meiner Wohnung. Der Regen wird intensiver. Wir erreichen die Steintreppe und er nimmt wieder meinen Arm.
"Ich würd mich freuen, wenn du nach meinem Notebook schaust. Bis zu mir sind es nur ein paar Stationen mit der Straßenbahn."
Durch den Regenvorhang, der sich vom Haltestellendach ergießt, sind wir vom Rest der Welt abgeschnitten. Tausende Tröpfchen glitzern auf Lukas´ Haaren und seiner blauen Jacke. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und lehne meinen Kopf an seinen Arm. Beinahe wäre ich mit ihm in die falsche Tram eingestiegen.

In meiner Wohnung führe ich Lukas zum Schreibtisch und fahre mein Notebook hoch. Er erklärt mir, wie ich Schriftgröße und Farbschema für ihn anpasse. Dann hängt er sich vor den Monitor und kopiert Dateien. Im Gegensatz zu mir arbeitet er hauptsächlich mit Tastaturbefehlen. Und das verdammt schnell.
"Sag mal, bist du Journalist oder Computerspezialist?"
"Ich sattle um auf Klavierlehrer", brummt er.
"Aber Konzertkritiken schreibst du weiter?"
"Ich hör auf."
"Schade. Warum denn?"
"Weil ich nicht darauf warten werde, bis sie die Geduld mit mir verlieren."
Er lehnt sich zurück. "Dein Internetzugang geht wieder."

Ich räume meine Kleidung vom Fußboden, und wir gehen rüber zum roten Sofa. Ich versuche, gleichmäßig weiterzuatmen, während ich Lukas betrachte, sein strubbeliges Haar, die hohen Wangenknochen. Seine Rechte tastet nach mir, ich umfasse sie sanft mit beiden Händen. Schweigend erwidert er die Geste.
"Verrätst du mir jetzt, warum du nicht auf meine E-Mail geantwortet hast?"
"Nein", erwidere ich kokett.
"Schade. Dann muss ich wohl raten. Mal sehn, du ..."
"Ich hatte Angst", unterbreche ich ihn.
"Angst? Vor mir?"
"Ich wollte nichts versprechen."
"Verstehe." Lukas lässt meine Hände los. "Angst davor, dich einzulassen auf jemanden wie mich."
"Warst du schon mal mit einer Frau zusammen?"
Er wendet sein Gesicht ab und sagt nichts mehr.
"Möchtest du etwas trinken?"
"Ja, ich hatte eine längere Beziehung. Liegt schon eine Weile zurück."
Lukas streckt mir seine geöffnete Hand wieder entgegen und zögernd lege ich meine hinein.
"Du musst mir nichts versprechen, und du musst auch keine Angst haben", sagt er sanft.
Ich rücke näher und lehne meinen Kopf an seine Schulter.

„Was muss ich tun, für einen Kuss von dir?“
„Deine Brille abnehmen.“
Er legt sie auf den Tisch. „Mehr nicht?“
„Mehr nicht.“
Zögernd streckt er mir seine Hände entgegen, damit ich sie an meine Wangen führe. Er beugt sich zu mir. Ich schließe die Augen und spüre seine Lippen auf meinen. Seine Zunge taumelt, erforscht ganz sacht. In mir explodiert eine Blütenwolke. Es durchrieselt mich.
Als ich meine Augen wieder öffne, sehe ich, dass seine smaragdgrün sind. Ich könnte darin ertrinken. Andächtig streichelt er mein Gesicht und fährt mit den Fingern an meinen langen Haaren entlang, immer weiter nach unten. Spätestens jetzt dürfte er meine Oberweite, für die ich mich so schäme, bemerkt haben.
Er hält inne. "Wenn dir das zu viel wird, dann sag es, ja?"
Was soll ich sagen, ich bin wie eine Verdurstende in der Wüste.
"Bitte, mach weiter", bringe ich atemlos hervor und lasse mich nach hinten in die Kissen sinken.
Meine schmerzhaften Erinnerungen an ordinäre Kommentare - sie entfernen sich ins Unendliche, zählen auf einmal nicht mehr.
Nur einer zählt. Lukas.
Er berührt mein Dekolleté und tastet über die Kante meines BHs. Behutsam fährt er mit seinen Händen an meiner Brust entlang, verweilt an der empfindlichsten Stelle. Ich atme scharf ein.
Seine Fingerkuppen liebkosen meine runde Fülle. Mein Atem geht schneller. Ich werde feucht. Das Zentrum meines Unterleibs zieht sich zusammen, süß und unerträglich. Und dann bin ich draußen, auf den Wellen, im silberglitzernden Meer. Mein schwereloser Körper pulsiert - ich bin mit ihm versöhnt.
Bin stolz. Mit einem Mal ganz Frau.
Ich liege keuchend in Lukas´ Armen, und was mich am meisten überrascht: Es ist mir nicht peinlich, kein bisschen. Er legt den Kopf schief und betrachtet mich mit einem stillen Lächeln auf den Lippen.

Die Take-Five-Melodie reißt mich raus. Lukas fischt sein Smartphone aus dem Rucksack.
"Hm, kein Problem. Kann ich machen."
Er nennt meine Adresse und beendet das Gespräch. "Sonja holt mich in einer Viertelstunde ab."
Ich knöpfe meine Bluse zu.
"Ich komm mit runter."
"Quatsch. Das geht schon."
"Ich muss. Um diese Zeit ist die Haustür abgeschlossen", lüge ich und nehme den Schlüsselbund vom Brett. Die schwache Lampe im Treppenhaus flackert. Lukas schiebt meine Hand beiseite und tastet nach dem Geländer. Ich schlüpfe an ihm vorbei, um einen Stapel Werbeprospekte und den Buggy von Heinemanns aus dem Weg zu räumen. Unten angekommen drehe ich den Schlüssel sinnlos im Schloss.
"Ist doch offen", bemerkt Lukas.
Sonja kommt um die Ecke. Sie hat rotes Haar, ist fast so groß wie er und wippt mit dem Fuß.
"Was machst du morgen Nachmittag?", frage ich ihn.
"Ab drei hab ich Zeit. Bachstraße 21."
"Kann ich vorbeikommen?"
"Klar."
Sonja schiebt ihn zur Beifahrertür.
"Hallo", sage ich mit belegter Stimme, während ich den grau gepflasterten Bürgersteig betrachte. Sie ignoriert mich und fährt mit Lukas davon.

Sonntag
Nach der heiligen Messe trinke ich einen Eckes Edelkirsch bei Frau Simoni. Dann gehe ich noch einmal los und kaufe in der Notdienstapotheke eine Packung Kondome.

Die Bachstraße 21 ist ein efeubewachsener Altbau mit Messingzaun und verwildertem Vorgarten.
"Es ist die Souterrainwohnung. Der Eingang ist auf der Rückseite", sagt Lukas durch die Sprechanlage.
Als ich ankomme, steht er schon in der Tür. Er beugt sich zu mir runter, und wir umarmen uns lange. Mit schnellen Schritten führt er mich durch den Flur. In seinem Wohnzimmer fällt mir als erstes das Klavier auf, dann das hohe Regal mit den Hörbüchern.
"Spielst du mir etwas vor?"
"Ich hab was komponiert", sagt er ernst. "Nur für dich."

Langsam kullern Samttöne heran, tänzeln, tun wie unbeholfen. Dazwischen glitzern Perlen. Lukas spielt mit konzentrierter Miene, seine Finger fliegen über die Tasten. Lässige Dissonanzen schleichen sich ein und rhythmische Verschiebungen. Irrlichter in Moll geistern umher, und gerade als mein Herz sich verkrampfen will, werden die Linien wieder klarer, gleite ich dahin in einem Sog aus tausend Sonnen. Zum Ziel. Stille. Ich applaudiere. Lukas deutet eine Verbeugung an und kommt zu mir, um mich in seine Arme zu schließen.
"Nur für den Hausgebrauch, soso."
Er verbeißt sich das Lachen wie ein kleiner Junge, der bei Mau-Mau beim Schummeln erwischt wird.

"Was hast du heute morgen gemacht?", will ich wissen.
"Ein paar Artikel für die Montagsausgabe geschrieben. Und du?"
"Ich war in der Messe."
"Wusste gar nicht, dass jetzt Messe ist. Welche denn?"
"Hättest du vielleicht einen Kaffee?"
"Na klar."
Lukas nimmt mich mit in seine Küche, hantiert an der Kaffeemaschine, holt Milch aus dem Kühlschrank. Sein Latte Macchiato ist stark, mit viel Milchschaum. Er stellt ein Schüsselchen Erdbeeren auf den Tisch, setzt sich und klopft mit der Hand auf seinen Schoß. Ich nehme Platz, lege meine Arme um seine Schultern.
"Mach die Augen zu."
Ich gehorche. Kurz darauf spüre ich die feuchte Frucht an meinem Kinn. Ich öffne den Mund, sie gleitet hinein. Ein kühler Tropfen fällt auf mein Dekolleté. Lukas' Finger verweilen an meinen Lippen, berühren meine Zunge und streichen in Zeitlupe an meinem Hals entlang. Ich spüre seine Erektion unter mir. Wir sind eins in einem Kosmos aus Lachen, Küssen und Erdbeeren, bis ich irgendwann von seinem Schoß gleite.

Auf dem Tisch liegen Broschüren verstreut, ganz obendrauf befindet sich eine elektronische Lupe. Ich beuge mich drüber: Klavierpädagogik, Jazz. Daneben liegt ein großer Briefumschlag, mit einer Adresse in den USA beschriftet.
"Was wird das?", frage ich.
Lukas beugt sich nach vorn. "Du, ich werd Klavierlehrer. Bei den Gigs im Jazzkeller haben die mich auf die Idee gebracht. Und ich hab endlich den Kurs gefunden, den ich gesucht habe."
"In den USA?"
"Genau. Aber jetzt erzähl du erstmal von deiner Messe." Lukas nimmt einen Schluck Kaffee. "Ich nehme kaum an, dass du heute morgen in der Kirche für mein Augenlicht gebetet hast."
Touché.

"Wann würdest du denn in die USA gehen, und für wie lange?"
"Das geht in sechs Wochen los und dauert ein Dreivierteljahr."
"Und wem möchtest du damit etwas beweisen? Werden hier etwa keine Klavierlehrer ausgebildet, hm?"
Er atmet hörbar aus.
"Du hast es die ganze Zeit gewusst."
"Hätte es etwas geändert?"
"Nein", flüstere ich.
Mir laufen Tränen übers Gesicht. Das war der erste Mann, der in mir nicht die kleine Blondine mit dem Riesenbusen sah. Der Kuss meines Lebens.
Ich muss hier weg.
"Jana, warte", höre ich ihn rufen.
Ich stürze aus der Wohnung und nehme die Straßenbahn nach Hause. An meiner Haltstelle steige ich nicht aus, sondern fahre weiter zur St.-Anna-Kirche.

Seit meine Mama von uns gegangen ist, gehe ich seltener hierher. Ich bin keine gute Katholikin, neige zum Denken. Gleichwohl ist es ein guter Ort. Ich sinke auf die Knie und schließe die Augen. Wie froh ich bin, hier zu sein. Weihrauch umfängt mich, hüllt mich ein wie ein weicher Mantel. Ich bete den dreiundzwanzigsten Psalm.
Meine Gedanken wandern zu Lukas. Warum will er weg von der Zeitung? Was rede ich es mir schön? Er sieht furchtbar aus, wenn er vorm Monitor klebt. Ich habe die Augentropfen und die Tabletten in seinem Bad gesehen.
Bitte mach, dass er nicht nach Amerika geht, dass er mich auch liebt, dass ich ihm wichtiger bin als die Musik. Bitte ... Ich weiß nicht, um was ich noch bitten soll. Meine Knie tun weh.
Das ältere Paar zündet ein Opferlicht an und verlässt die Kirche.
Seit wann geht das mit Lukas und mir? War nicht ich diejenige, die ihn tagelang mit seiner E-Mail in der Luft hängen ließ?
Ich bete noch ein Ave Maria, dann erhebe ich mich. Die Küsterin kommt und hebt die Hand zum Gruß. Ich glaube, sie hat im Schatten auf mich gewartet.
Als ich die St. Anna-Kirche verlasse, hält ein Taxi am Bürgersteigrand. Der Fahrer steigt aus, öffnet die Beifahrertür. Ich eile zur Straßenbahn, drehe mich noch einmal um. Er packt einen hochgewachsenen Mann am Arm und zerrt ihn zur Kirchentreppe.

"Na sowas. Hallo Lukas", stoße ich atemlos hervor, als ich vor ihm stehe.
Er nickt knapp, als sei er wenig überrascht.
Der Taxifahrer schlägt ihm auf die Schulter und verschwindet.
"Nur damit das klar ist: Ich bin keine hysterische Betschwester."
"Schön. Dann lass uns reden. Und lauf mir nicht wieder davon. Ich hasse das."
"Mir ist kalt", sage ich und ziehe die Nase hoch. "Ich will heim."
Lukas holt ein Taschentuch aus seinem Rucksack und hält es mir hin. "Hier."
Ich schnäuze.
"Kann ich mitkommen?"
"Was ist mit deinen Medikamenten?"
"Hab ich dabei."
"Dann komm", sage ich und berühre seine Hand.

ENDE​

 
Zuletzt bearbeitet:

So, liebe Anne49, jetzt habe ich Zeit – wie versprochen – meine Eindrücke nochmal genauer zu benennen. Gleich am Anfang von Teil 2 gefällt mir der E-Mail-Austausch sehr, vielleicht erinnert er mich an was :-), ist jedenfalls realitätsnah und gut geschrieben! Und dann:

"Sir Henry ist jetzt von seinen Schmerzen erlöst", sage ich.
Frau Simonis Augen werden größer. "Denken Sie, er ist jetzt bei unserem Herrn Jesus?"
"Warum nicht?", sage ich, und noch während ich es ausspreche, wird es mir zur Gewissheit. "Ja, ich denke, Sir Henry ist jetzt bei unserem Herrn Jesus."
Ja, wenn schon religiös, dann richtig! Ganz meine Meinung, nicht nur als Abschiedstrost: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist, so denke ich, nur ein gradueller und keineswegs ein absoluter. Und wer ans Jenseits glaubt, der kann definitiv auch daran glauben, dass das keine rein Homo sapiens – Veranstaltung ist.
„Du hast noch gar nichts zu meiner Brille gesagt.“
„Kannst du damit besser sehen?“
„Sagen wir, sie verstärkt die Kontraste und es blendet weniger.“
„Klingt doch gut.“
„Meine kleine Schwester meint, ich sähe damit aus wie ein Alien.“
„Da hat sie Recht“, erwidere ich.
*
„Das mit dem Alien, hast du das ernstgemeint?“
„Ja sicher“, sage ich. „So eitel bist du doch nicht.“
Laut Duden darf man zwar beides, aber ich würde 'ernst gemeint' schreiben.

Ehrlich wärt am längsten, finde ich, er ist gut aufgebaut, dieser Dialog. Überhaupt, deine Dialoge wirken so natürlich, wie sorgsam belauscht :-).

„Schöne blonde Haare hast du", sagt er.
Den meisten Menschen fällt als erstes etwas anderes an mir auf.
Da war ich gespannt – hat sie einen Buckel oder so? Na, die Auflösung ist auch nicht rückenfreundlicher als meine Vermutung, aber – gilt zumindest für die meisten – männerfreundlicher. Aber ich kann gerade deshalb verstehen, dass sie es erholsam findet, wenn ein Mann endlich mal nicht darauf fixiert ist, sondern auf die berühmten inneren Werte anspricht.

Seine Zunge taumelt, erforscht ganz sacht. In mir explodiert eine Blütenwolke. Es durchrieselt mich.
* Hm, mit diesem Bild – einer explodierenden Blütenwolke – kann ich gar nichts anfangen. Dabei könnte dieser Moment doch so schön erotisch aufgeladen sein. Auch hier: *
Ich atme scharf ein.
* Ich weiß, was du meinst, aber das 'scharf' wirft mich raus, die Assoziationen (Messer, scharfer Tonfall …) zu diesem Begriff stören mich.

Du hast Recht, beim nochmal Lesen finde ich auch, dass es eine weitere Fortsetzung nicht braucht. Die zarte Annäherung am Ende reicht, um sich Hoffnungen für die Beiden zu machen. Das wirkt jetzt, beim zweiten Lesen, anders auf mich als beim ersten Durchgang.

Hat mir sehr gefallen!

Viele Grüße, Eva

P.S. Wieder mal die kopierbedingten Sternchen - haben keine Bedeutung, ich bin nur zu faul, alle rauszusuchen.

 

Hallo @Anne49,


Alle wissen, dass ich immer noch Single bin.

Das kommt mir zu sehr aus dem Nichts und mir scheint, als wolltest du diese Info an den Leser bringen.

Marco gehört zu der Sorte Männer, die mir Angst machen. Beim letzten Meeting hat er sich viel zu dicht neben mich gesetzt. Mich obenrum gestreift, immer wieder wie zufällig angefasst. Mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ich mich frage, wo nimmt er die eigentlich her? Ich könnte weinen, wenn ich daran zurückdenke.

Finde ich eine sehr schöne Charakterzeichnung.

In letzter Minute betrete ich das feuchte Halbdunkel der St. Anna-Kirche und sehe ein Meer aus grauen Haaren. Könnte ebenso gut ein Seniorentreffen sein.

Den letzten Satz bräuchte es mMn nicht. Ein Meer aus grauen Haaren reicht mir als Beschreibung aus, um eine Ahnung vom Alter der anderen Besucher zu bekommen.

„Gefallen Ihnen die Kostüme nicht?“, wispere ich in den Zwischenapplaus hinein nach rechts und kann selbst nicht glauben, dass ich mich das traue.

Hab mich eben auch gewundert :-)

Am Ende des ersten Teils rufe ich laut Bravo. Die Flamen sind grandios, und dieses Methusalempublikum hier ist so lahm. Ich muss das ausgleichen.

Sie gefällt mir gut, wächst über sich hinaus.

„Haben Sie Lust, noch irgendwo ein Glas mit mir zu trinken? Gestern haben Sie von den Kostümen gesprochen …“, unterbricht Lukas meine Gedanken. Er sagt es leise.

Hier blicke ich nicht ganz durch. Er will mit ihr etwas trinken gehen, sie registriert ein Stechen hinterm Bauchnabel – okay, Schmetterlinge vielleicht? Aber wieso ignoriert sie seine Frage und kommt mir mit:
Dass ich nicht genau weiß, was mit seinen Augen los ist ... Ich meine, kann er überhaupt irgendetwas sehen?
daher und fragt ihn dann, wie er das Konzert fand? Ist das ihre Schüchternheit? Entschuldige, wenn ich grad auf dem Schlauch stehe.

Es gibt viel Spontanapplaus. Ich versuche, meinen Schluckauf damit zu synchronisieren.

Ob das gelingt :-)

Geht das schon wieder los. Ich bin zu fünfzig Prozent unentschlossen. Oder soll ich nur ganz kurz mitgehen?

Jetzt hat´s bei mir gerattert: Sie kann nicht über ihren Schatten springen.

Und dann bin ich draußen, auf den Wellen, im silberglitzernden Meer. Mein schwereloser Körper pulsiert - ich bin mit ihm versöhnt.
Bin stolz. Mit einem Mal ganz Frau.

Mir wird erst hier klar, dass sie mit ihrem Körper nicht im Reinen war. Ich habe das, was anfangs angedeutet wurde, als Schüchternheit ausgelegt.

Was rede ich es mir schön?

Da stimmt etwas nicht.

Hat mir sehr gut gefallen, diese Liebesgeschichte. Ganz toll auch, wie du Lukas Klavierspiel beschreibst – das hat mich mitgerissen. Ich mochte die beiden Figuren und die Idee, sie über eine Konzertreihe zusammenfinden zu lassen. Ein sehbehinderte Mann und eine Frau, die ihren Körper nicht mag, ist eine interessante Zusammenstellung. Auch Jana, fand ich gelungen. Einerseits schüchtern aber irgendwie auch taff. Für mich wäre allerdings eine frühere Andeutung, dass die Protagonistin sich nicht wohl in ihrer Haut fühlt, wichtig gewesen. So kam mir das ein wenig 'out of the blue'.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

Hallo Eva Luise Groh,

ich danke dir ganz doll fürs erneute Vorbeischauen und Kommentieren!

Den meisten Menschen fällt als erstes etwas anderes an mir auf.
Da war ich gespannt – hat sie einen Buckel oder so? Na, die Auflösung ist auch nicht rückenfreundlicher als meine Vermutung, aber – gilt zumindest für die meisten – männerfreundlicher.

Rückenfreundlich, männerfreundlich - prust!!! :lol:

Am Anfang vom Samstag gibts den Dialog zwischen Sabrina und Jana:

„Du weißt, warum ich nur dunkle Oberteile trage.“
„Dann lass sie dir doch verkleinern.“

Ich hatte gehofft, damit würde ich Janas Oberweite schon andeuten.

Hm, mit diesem Bild – einer explodierenden Blütenwolke – kann ich gar nichts anfangen. Dabei könnte dieser Moment doch so schön erotisch aufgeladen sein.

Das find ich sehr interessant, dass du das sagst. Ich find explodierende Blütenwolken ja total erotisch, ernsthaft. Genauer gesagt, ich assoziiere das mit positiven Sinneseindrücken: Schöner Duft, bunte Farben, zarte Textur ... Ich wollte nicht das Übliche schreiben: Kribbeln im Bauch, Schmetterlinge im Bauch, bla bla.
Würdest du den Satz ersatzlos streichen oder stattdessen etwas anderes schreiben?

Auch hier: Ich weiß, was du meinst, aber das 'scharf' wirft mich raus, die Assoziationen (Messer, scharfer Tonfall …) zu diesem Begriff stören mich.

Auch hier: Danke für deine Rückmeldung, dass es dich rauswirft.
Also scharf hat ja viele Bedeutungen ... ;)
Ich meine dieses schnelle Lufteinziehen, wenn man von etwas überwältigt wird, zum Beispiel von plötzlicher sexueller Erregung.
Ich werd mal in mich gehen, ob ich den Satz streiche ...

Hat mir sehr gefallen!

Mir dein Kommentar auch! :D

LG, Anne

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Hallo Tintenfass,

ach, ich hab mich so gefreut über das, was du mir geschrieben hast! Vielen Dank!!! Ist nämlich meine erste Geschichte.

Alle wissen, dass ich immer noch Single bin.
Das kommt mir zu sehr aus dem Nichts und mir scheint, als wolltest du diese Info an den Leser bringen.

Hm, das hat schon mal jemand bemängelt. Könnte Peeperkorn gewesen sein, bin nicht mehr ganz sicher. In der ersten Fassung war es noch viel plumper. Da hat Jana den Leser direkt damit angequatscht.
Ja, meine Jana ist bei aller Schüchternheit auch ein Plappermäulchen. Sie ist achtundzwanzig. Also hat sie mittlerweile schon einen gewissen Leidensdruck aufgebaut.
Ich hab den Satz bewusst exponiert an das Ende eines Absatzes gesetzt. Der soll auffallen.

Könnte ebenso gut ein Seniorentreffen sein.
Den letzten Satz bräuchte es mMn nicht. Ein Meer aus grauen Haaren reicht mir als Beschreibung aus, um eine Ahnung vom Alter der anderen Besucher zu bekommen.

Da geb ich dir Recht. Die Funktion ist eher die einer ironischen Bemerkung.
In der ersten Fassung war es viel schlimmer. Da hat Jana etliche Anmerkungen über ältere Leute gemacht, und dadurch kam sie bei den Lesern unsympathisch rüber.
Okay, ich werd mal drüber nachdenken, ob ich diesen Satz auch noch kille. Mal schaun.

Hier blicke ich nicht ganz durch. Er will mit ihr etwas trinken gehen, sie registriert ein Stechen hinterm Bauchnabel – okay, Schmetterlinge vielleicht? Aber wieso ignoriert sie seine Frage und kommt mir mit:
Dass ich nicht genau weiß, was mit seinen Augen los ist ... Ich meine, kann er überhaupt irgendetwas sehen?
daher und fragt ihn dann, wie er das Konzert fand? Ist das ihre Schüchternheit? Entschuldige, wenn ich grad auf dem Schlauch stehe.

Jana agiert konfus und sozial ungeschickt. Ja. Definitiv.
(Wobei ich ihr zugestehen möchte, dass schon einige Menschen mit Verunsicherung reagieren, wenn sie jemandem mit Handicap begegnen.)

Es gibt viel Spontanapplaus. Ich versuche, meinen Schluckauf damit zu synchronisieren.
Ob das gelingt :-)

Nee, das gelingt garantiert nicht. :D Aber einen Versuch ist's wert.

Mir wird erst hier klar, dass sie mit ihrem Körper nicht im Reinen war. Ich habe das, was anfangs angedeutet wurde, als Schüchternheit ausgelegt.

Ich sehe beides in Jana: Die Schüchternheit und die Unzufriedenheit mit ihrem Körper. Und es lässt sich wohl auch nicht voneinander trennen. Durch ihre füllige Brust setzt sie bei vielen Männern die falschen Signale. (Vielleicht gibt es ja sogar einen gewissen gesellschaftlichen Druck, sie sich verkleinern zu lassen, wenn man nicht die Absicht hat, wie das Silikonbusenwunder Dolly Buster rüberzukommen?)

Was rede ich es mir schön?
Da stimmt etwas nicht.

Hier möchte ich zurückfragen: Was genau stimmt hier nicht? Ich verstehe deinen Kommentar nicht.
Janas Gedankenstrom ist der, dass sie hofft, dass Lukas bei der Zeitung bleibt und folglich nicht in die USA geht. Gleichzeitig muss sie zugestehen - und das meine ich mit 'Was rede ich es mir schön?' -, dass seine berufliche Zukunft als Journalist gefährdet sein könnte. Das Zeitungsgeschäft ist knallhart. Lukas sagt schon am Samstag, dass er nicht warten möchte, bis sie die Geduld mit ihm verlieren. Ich glaub, da ist er Realist.

Hat mir sehr gut gefallen, diese Liebesgeschichte. Ganz toll auch, wie du Lukas Klavierspiel beschreibst – das hat mich mitgerissen.

Das freut mich sehr. :) An den Sätzen über Lukas' Klavierspiel hab ich ganz schön rumgefrickelt. Hab schon befürchtet, dass mir das jemand um die Ohren haut.

Ich mochte die beiden Figuren und die Idee, sie über eine Konzertreihe zusammenfinden zu lassen. Ein sehbehinderte Mann und eine Frau, die ihren Körper nicht mag, ist eine interessante Zusammenstellung. Auch Jana, fand ich gelungen. Einerseits schüchtern aber irgendwie auch taff. Für mich wäre allerdings eine frühere Andeutung, dass die Protagonistin sich nicht wohl in ihrer Haut fühlt, wichtig gewesen. So kam mir das ein wenig 'out of the blue'.

Die frühere Andeutung ... puh, wie mach ich das?
Ich hab gehofft, dass das indirekt so ein bisschen rüberkommt. Über ihr (Flucht-)Verhalten und vielleicht auch ihre Wortwahl. Dieses "mich obenrum gestreift" am Anfang: Da haben zwei Wortkrieger kommentiert: Wer sagt denn sowas? Die Formulierung klingt ja schon seltsam.
Mit dem Holzhammer will ich's nicht erklären, das muss sich der Leser irgendwie erschließen.
Also, ich lass deinen Kommentar mal auf mich wirken. Vielleicht fällt mir noch etwas ein ...

LG, Anne

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Bas: Über deinen Kommentar hab ich mich total gefreut! :) Den beantworte ich natürlich auch noch ...

 

Hallo @Anne49, ich noch mal,

Alle wissen, dass ich immer noch Single bin
.
Das kommt mir zu sehr aus dem Nichts und mir scheint, als wolltest du diese Info an den Leser bringen.
Ich hab den Satz bewusst exponiert an das Ende eines Absatzes gesetzt. Der soll auffallen.

Ja, das ist dann schon okay für mich.
Vielleicht, so habe ich mir eben überlegt, könntest du ihn aber auch an den vorherigen dranhängen, nur mit einem Gedankenstrich getrennt:
Meine Kolleginnen Jessica und Sabrina schneiden hinter der Glasscheibe Grimassen – alle wissen, dass ich immer noch Single bin.
Das würde mMn auch gehen, so hätte er mehr Bezug zu der aktuellen Büroszene, weil ja auch gleich der Kerl vom Außendienst schon wieder anruft und die Kollegin sie bisschen damit aufzieht – ja er käme (für mich) dann nicht so 'gewollt' daher.

Was rede ich es mir schön?
Da stimmt etwas nicht.
Hier möchte ich zurückfragen: Was genau stimmt hier nicht? Ich verstehe deinen Kommentar nicht.

Hm, mich hat da gestern das 'es' gestört. Klang irgendwie komisch, der Satz und ich dachte, das 'es' wird wohl so ein Überbleibsel vom Überarbeiten gewesen sein.
'Was rede ich mir da schön', dachte ich hätte es heißen müssen – Mist, ich finde die Stelle grad nicht im Text. Aber so, wie du es mir in deiner Antwort geschrieben hast, passt das natürlich. Entschuldige, wenn ich dich damit gaga gemacht habe.

Die frühere Andeutung ... puh, wie mach ich das?
Ich hab gehofft, dass das indirekt so ein bisschen rüberkommt.

Hat bei mir leider nicht funktioniert. Auch jetzt nicht, da ich es weiß.
'mich obenrum gestreift' – ist mir auch aufgefallen, diese Beschreibung, doch das bring ich nicht mit dem in Einklang, was du gemeint hast. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie man es rüberbringen könnt, ohne dass es im Text steht. Andeuten, heißt ja das Zauberwort. Vielleicht, sie einen Blick in den Spiegel werfen lassen – mit angeekeltem Blick, oder so? Oder an der Stelle, wo sie Klamotten aussucht? Da gibts doch eine Szene mit der Freundin.
Wenn mir was besseres einfällt, melde ich mich noch mal. Aber am Ende soll es für dich passen. War nur ein Leseeindruck von mir und sowas ist ja irgendwie auch kritisch zu betrachten.

Gruß
Tintenfass

 

Hallo Bas,

was wär ich nur ohne deine Kommentare? :)

deren gelbe Gläser

Hatte ich zuerst auch. Ich zitier mal Friedrichard aus #60:

Es geht eigentlich nur um die Beugung des Farbadjektivs zu der Genitivform des Demonstrativ-, Possessiv- und Relativpronomens. In einem älteren Duden (Duden Bd. 4, 5. Aufl., 1995 unter Ziffer 500) wird stark dekliniert (also "gelbe" korrekt), Duden Bd. 4, 8. Aufl., 2009, Ziffern 375 und 402) lässt die schwache zu, wie sie eine eindeutiges Possessivpronomen verlangt, etwa der Form "Ihre (der Brille) gelben Gläser ..."

Wenn ich ihn richtig verstehe, geht also beides.

Was ist das denn für eine hässliche Brille? Ist er mit dem Rennrad gekommen?

Rennrad fahren liegt wohl außerhalb von Lukas' Möglichkeiten. Eine Kantenfilterbrille ist das, wie sie bei bestimmten Augenerkrankungen getragen wird. Filtert die blauen Anteile (und damit Reflektionen) raus und schont die Netzhaut. Nein, nicht besonders chic. Jetzt wo du es sagst: Einige Rennradbrillen haben tatsächlich Ähnlichkeit damit.

Ich hab schon gesehen, dass der gute Friedrichard dir hier den Konjunktiv ans Herz gelegt hat [...] Ich finde, das klingt komisch. Vielleicht verkehre ich nicht mit so gebildeten Menschen, kann schon sein, aber ich kenne niemanden, der das so sagen würde. Zumindest nicht, ohne dass ich sehr grinsen müssten. Ich würde denken, er hat zu viel Shakespeare gelesen.

... er hätte zu viel Shakespeare gelesen! :D

Dank dir für die Rückmeldung! Und, ach Gott, ja, was sind gebildete Menschen?! Ich war/bin auch hin- und hergerissen. Ich finds hier speziell nicht so gruselig wie an anderen Stellen, wo mir schon mal der Konjunktiv ans Herz gelegt wurde und ich es letztlich nicht umgesetzt hab, weil ich's unerträglich fand. Aber ich geb's zu: Ich selbst würd auch nicht so reden.

Das hat mich irgendwie gestört, obwohl es mit Sicherheit nicht falsch ist. Die Skater, die ich kenne ... ich würde es nicht trainieren nennen, was die da machen. Die hängen rum und probieren Tricks aus.

Stimmt, super Hinweis. Danke!!!
Und du nennst sie Skater und nicht Skateboarder. Ich glaub, das übernehm ich so. Ist auch schön kurz.
Aber welches Verb würde Jana nehmen? Die erzählt es ja.
Die Intention dahinter ist klar: eine schnell bewegte Szenerie, die jemanden wie Lukas - mit stark eingeschränktem Gesichtsfeld - überfordert.
Also, Rumhängen allein reicht schon mal nicht.
"... fahren auf einer Halfpipe" - klingt irgendwie sch...
"... probieren Tricks auf einer Halfpipe" - argh ...
Ich geh noch mal in mich ...

Komma nach Uferpromenade?

Ich hatte mich dagegen entschieden, weil ich es nicht als Einschub, sondern als Aufzählung sehe.

Du bewegst dich hier hart an der Grenze zwischen Knistern und Schmalz, aber hier [...] ist es mir dann eindeutig zu schmalzig. Liebkosen? Runde Fülle? Really?

Äh. Ja. Hüstel ... Danke für die Rückmeldung. Ich hatte dich vorm Kitsch gewarnt ... :shy:

Was ist denn los mit ihr? Hätte es schön gefunden, wenn sie ein bisschen netter gewesen wäre. Sie verhält sich ja wie eine Verflossene, nicht wie die kleine Schwester.

Das war Absicht. Wenn Jana sofort beim ersten Zusammentreffen beste Freundin mit Sonja würde, dann müsst ich brechen. Außerdem denk ich, dass Jana sich das nur einbildet. Sie verhält sich selbst total schüchtern, redet zu leise. Für mich ist immer noch genug Raum da, dass die beiden sich letztlich gut verstehen. Ich glaub, die Sonja ist schon in Ordnung, sie begleitet Lukas beim Lauftraining, holt ihn mit dem Auto ab und alles.
(Ich hatte auch mal in einer längeren Fassung noch eine Szene mit ihr drin, wo sie einen freundlichen Auftritt hatte, aber das fiel dann dem Streichkonzert zum Opfer.)

Schon wieder dir dreiundzwanzig ... Klar, den kennt man, den Psalm, auch als ... Nichtchrist. Aber ich habe mich schon darüber gewundert, dass Sonja dreiundzwanzig ist - vielleicht doch Illuminaten am Werk?

Also, die Iluminaten und den Film " 23 – Nichts ist so wie es scheint" hab ich jetzt tatsächlich googlen müssen. Und Lukas wohnt übrigens in der Bachstraße einundzwanzig. :D
Ich hatte anfangs die Psalmen wegen Alternativen durchgeblättert, aber es geht doch nix über den dreiundzwanzigsten. Der ist einfach stark, vor allem in der Übersetzung Luthers.

Auch wenn ich diese Kirchenthematik etwas befremdlich fand - gibbet ja nicht allzu oft, aber das ist kein Grund, sie nicht zu nutzen.

Es war zunächst nur als Location für die Konzerte gedacht, und da ist es bei alter Musik gang und gäbe. Die Idee, Jana ein bisschen religiös zu machen, kam mir erst vor wenigen Wochen.
Aber schau dir an, wie viele Menschen - gerade auch junge - auf den Kirchentag gehen. Sind nicht alles Buddhisten ...

ich finde die Geschichte unheimlich sauber. Nicht inhaltlich, sondern vom Aufbau - vor allem, wenn man beachtet, dass du gerade erst angefangen hast mit dem Schreiben.

Jetzt sach bitte bitte nicht, dass ich dir wieder die Worte im Mund rumdrehe, aber das provoziert zum Nachfragen, was du denn inhaltlich nicht sauber fandest ...

Lukas finde ich hier und da ein bisschen komisch, ehrlich gesagt, in so bestimmten Momenten, da wirkt er ein wenig blass, nimmt sich sehr zurück, aber vielleicht ist er einfach so. Muss mir ja nicht gefallen, ist ja Janas.

Sehr interessanter Kommentar! Also, DER Kommentar überhaupt!
Hmpf.
Ich könnte es mir ja leicht machen und behaupten, dass du als Mann eher auf Jana achtest. Oder dass sie uns als Erzählerin ihre Innenansichten zugänglich macht, während wir nicht so genau wissen, was in Lukas vorgeht.
Falls du magst, dann nenn mir doch mal eine Szene, in der er blass wirkt und sich zu sehr zurücknimmt. Dann könnte ich mir überlegen, wie ich sie besser mache.
Ich hätt jetzt to-tal Lust, dir stun-den-lang zu erklären, was für'n toller Typ der Lukas ist. Aber das lass ich. Die eigene Geschichte toterklären zu wollen, ist nicht gut. Es muss im Text stehen.
So ein bisschen bringt mich das jetzt wieder zu der Frage, die wir auch bei Aatos' Traum mal hatten: Was kann man im Format der Kurzgeschichte überhaupt leisten? Die Romanzen, die ich zum Niederknien schön fand, die mich so richtig getroffen haben, waren alle mehrere hundert Seiten lang. Hier hab ich wenig Raum, Lukas und Jana zu beschreiben.
Aber irgendwie muss das doch auch in einer Kurzgeschichte möglich sein, grübel ... :confused:
Okay, freut mich sehr, dass du Jana inzwischen ein bisschen magst. Das' ja schon mal etwas.

Yoh, ich brech jetzt nicht sofort in Aktionismus aus. Ich lass es erst mal sacken. Mit ein bisschen Abstand geh ich dann noch mal an die Geschichte ran. Und: DANKE für deinen Kommentar!

So, jetzt wünsch ich dir noch ein schönes Wochenende,
und auf ein baldiges Wiedersehen - vermutlich in der Stadt N.!
Anne

 

Hallo Tintenfass,

schön, dass du dich nochmal gemeldet hast. Da will ich auch mal drauf antworten. :)

Vielleicht [...] könntest du ihn aber auch an den vorherigen dranhängen, nur mit einem Gedankenstrich getrennt:
Meine Kolleginnen Jessica und Sabrina schneiden hinter der Glasscheibe Grimassen – alle wissen, dass ich immer noch Single bin.
Das würde mMn auch gehen, so hätte er mehr Bezug zu der aktuellen Büroszene

Hm, keine schlechte Idee! Ich lass es mal sacken.

Hat bei mir leider nicht funktioniert. Auch jetzt nicht, da ich es weiß.
'mich obenrum gestreift' – ist mir auch aufgefallen, diese Beschreibung, doch das bring ich nicht mit dem in Einklang, was du gemeint hast. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie man es rüberbringen könnt, ohne dass es im Text steht. Andeuten, heißt ja das Zauberwort. Vielleicht, sie einen Blick in den Spiegel werfen lassen – mit angeekeltem Blick, oder so?

Da muss ich jetzt ein bisschen ausholen:
Zunächst gab es nur Teil 1. Das war hier meine allererste Geschichte. Die erste Fassung war rund 1000 Wörter länger und na ja ... Sagen wir mal so: Die Wortkrieger hatten unendlich viel Geduld mit mir.

Beim Schreiben von Teil 1 hab ich sie mir nur als schüchternes, unsicheres - aber gleichzeitg vorlaut plapperndes - Mäuschen vorgestellt. Das Herz auf dem rechten Fleck. Aber definitiv ungeschickt im Umgang mit ihren Mitmenschen. (Also, ich stell ihr den Lukas mit seinem Handicap zur Seite und irgendeine, ich nenn's jetzt mal Macke sollte sie auch haben.)

Und dann kam mir der Gedanke, einen Teil 2 zu schreiben.
Weil ich Lukas und Jana liebgewonnen habe und sie am Ende von Teil 1 ja noch nicht so arg weit gekommen sind. Da hab ich dann versucht, noch ein bisschen Erklärung nachzuliefern. Erst dann kam das mit der Oberweite dazu. Aber ich seh das mit der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper tatsächlich gar nicht so sehr im Vordergrund wie du das anscheinend siehst. Sondern eher das, was ich schon bei Teil 1 in ihr gesehen habe.

Will sagen: Da möchte ich keine Schippe drauflegen. Ich hab nicht die Vorstellung, dass sie von ihrem eigenen Spiegelbild angeekelt ist.

Und wenn es so wäre, das mit dem Spiegel, ich glaub, damit würd ich es mir zu einfach machen. Ist das nicht der klassische Anfängerfehler, den Prota in den Spiegel schauen und über sein Aussehen sinnieren zu lassen?
(Whoopie Goldberg hat mal in einem Interview gesagt: Ich schaue doch nicht jeden Morgen in den Spiegel und denke: Oh Mann, was bin ich heute wieder schwarz.)

Auf jeden Fall hab ich mich über deinen Kommentar sehr gefreut und ich find es sehr spannend, wie du Jana wahrnimmst! Gerade weil du in deiner eigenen Geschichte "Geile Zeit" eine ähnliche Thematik behandelst.

LG, Anne

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Bonsoir Bas,

danke, ich glaub, dann nehm ich das Rumfahren auf der Halfpipe. Die Tüten lass ich mal weg.

Inhaltlich zu sauber wäre es vielleicht gewesen, wenn es bei einem keuschen Küsschen geblieben wäre – aber hier wurde ja sogar runde Fülle liebkost!

C'est bon. Damit darfst du mich ab jetzt immer aufziehen. :p

Warum geht er denn gar nicht auf das von Jana Gesagte ein? Er muss ja kein Interesse an der fremden Frau Simoni heucheln, aber vielleicht zumindest fragen, ob die Sache Jana mitgenommen hat, irgendwas …

Mit Distanz schau ich mir irgendwann noch mal die Dialoge an. Vielleicht füg ich an der Stelle noch etwas ein. Nur, momentan geht da nix, merk ich gerade.

Aber versetz dich mal in den Lukas hinein: Die ganze Woche hat er nichts von Jana gehört. Er hatte eineinhalb Stunden Zeit, darüber nachzudenken, was sie davon abhalten könnte, sich noch mal mit ihm zu treffen. Ich glaub, er hat wenig Bedürfnis, über ihre Nachbarin, den toten Köter und was das mit Jana macht zu reden. Der will herausfinden, was sie über ihn denkt und ob er eine Chance bei ihr hat.

LG, Anne

P.S. Den Capote schau ich mir im Dezember an. Mir is gerad nicht so weihnachtlich, muss an mir liegen. :xmas:

 

Hi Anne49,

mir hat das Konzept der Story gut gefallen. Sie ist unterhaltsam geschrieben und abwechslungsreich durch die episodische Erzählung. Die Idee mit der Konzertreihe, in der man immer wieder die gleichen Leute um sich hat (ähnlich wie bei einem Workshop oder einer Seminar-Reihe) war für mich was Neues.
Schöne Verwendung der wörtlichen Rede, hat das Ganze lebendig und kurzweilig gemacht.
Hab mich als Leser stets angesprochen gefühlt ;)

Ein paar Kritikpunkte habe ich dir unten noch aufgeführt. Generell fand ich deinen Schreibstil jedoch ziemlich gut und zum Konzept passend.

„Alle nennen mich Jana“, antworte ich.
Alle nennen sie Jana? Das hört sich an, als wäre Jana ein Spitzname oder so.. Auf die Frage "Wie heißen sie eigentlich?" hätte sie genauso gut einfach nur "Jana. Und Sie?" antworten können.

Könnte es sein, er hat kein Ticket für dieses Konzert?
Finde ich von der Grammatik her störend, würde ich drehen.

Lukas betastet meine Brust.
Kurze Zwischenfrage(n): warum? Warum hat er in diesem Moment überhaupt einen Grund zu tasten? Denkt er, dass es ihr Rücken ist? Er muss doch wissen, dass sie dort steht.

Das waren auch schon alle Stolperfallen, die mir untergekommen sind. Letzten Endes hast du dem kleinen Tast-Unfall einen größeren Sinn gegeben, sodass er seine Berechtigung hat, nur ist mir noch immer nicht klar, wie es eigentlich dazu kommen konnte..

Trotzdem eine witzige und schön umgesetzte Geschichte!

Liebe Grüße,

Jana

 

Hi Rosamunde P. Jana Retlow,

na sowas! Du hier? :D

Jana kann eine Abkürzung für Johanna sein. Du weißt das wahrscheinlich besser als ich! ;) Ich wollte meine Heldin an der Stelle nicht so einsilbig reden lassen, sie neigt ein wenig zum Plappern.

Könnte es sein, er hat kein Ticket für dieses Konzert?
Du bist die Dritte, die diesen Satz bemängelt. Ich mag ihn. Er steht immer noch so da. :Pfeif:

Der "Unfall" am Sonntagabend: Jana ist 1,55 m klein und hat eine ziemliche Oberweite. Lukas ist deutlich größer als sie. Ich denk mal, wahrscheinlich hat er ihre Hände gesucht und ist sozusagen in der falschen Etage gelandet. Es war ein Versehen. Solche Dinge passieren. (Die Welt ist nicht perfekt, sonst wären alle Geschichten langweilig.)
Aber Lukas hat daraus gelernt. Als sie sich im Teil 2 im Café wiedersehen, fragt er vorsichtig "Geben wir uns die Hand?"

Noch einen schönen Sonntagabend wünsch ich dir!
Anne

 

„Was muss ich tun, für einen Kuss von dir?“
„Deine Brille abnehmen.“
Er legt sie auf den Tisch. „Mehr nicht?“
„Mehr nicht.“

Ich mag keine Programmänderungen.

So Eye do,

dear Anne -

sorry, Eye'm Bingo on cloud nine, freatle's favorite dog ever. He's now occupied by Juergen Klopp, you may say "he's- Freatle, bekloppt", and so it's right, but so Eye came back to shortstories.de in place of my master - a hound dog, Eye'll warned ye right in time - but will you please call Lady Simoni, Sir Henry's new adressed on "Wolke sieben", right next to me, my, mine.

Shut up, Bingo!,

nicht erschrecken, ich noch mal, liebe Anne!

Dein kleines Lustspiel gefällt dem alten Hund eben, trotz oder gerade wegen einer kleinen Schwäche. Aber manches fällt einem erst beim x-ten Durchgang auf (oder wurde es geändert?), darum ganz direkt die Frage, was die Punkte am Ende der Zwischentitel bedeuten. Üblich ist bei Titeln bestenfalls ein Satzzeichen am Ende von Frage oder Ausruf oder ein Komma, wenn ein vollständiger Satz als Titel eben regelkonform danach verlangt. Oder eben (z. B.) Wochentag + Ordinalzahl wie "Freitag, der 13."

Aber im Einzelnen!

Ich weiß, dass man so spricht

Ich könnte weinen, wenn ich daran zurückdenke.
aber ist eine Erinnerung "daran" nicht immer rückwärtsgewandt? (ahd."ze rucke"= nach dem .../auf den .../im Rücken, mhd. ebenso, aber auch schon zusammen "zerucke" = rückwärts)? "Denken" erfüllt die Bedingung.

und ich weiß auch, dass ich jetzt pingelig wirk

Aber nicht heute, denn die historischen Brokatgewänder, die die Flamen tragen, sind eine Augenweide.
Die Gewänder werden doch von den Flamen getragen (passiv) und nicht die Flamen von den ...

Keine bange, ich weiß ja, wie man spricht und will nur die unschöne Doppelung "die die" weghaben (hatte mal spaßeshalber an einem Wettbewerb teilgenommen, wo es um die meisten "die" hintereinander ging. Das Meisterstück sah dann ungefähr so aus "die, die die, die die Die-nstvereinbarung missachten, verraten, werden belohnt), was ja nix mit diesem wundervollen Erstling zu tun hat.

Hier

Die Spanier tragen Kostüme in rotbraunen Farbschattierungen, mit schillernden Kupfereinsprengseln.
dann doch die lästige Frage nach dem Komma ... Entbehrlich!

Hier nun

Ich bringe in Erfahrung, dass Lukas sich bei guter Beleuchtung möglicherweise im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann.
gibt's "möglicherweise" eine Anfrage nach dem Konjunktiv ...

Man, man, man - ohne Kommenkatharr

Am Abend bin ich frustiert, ...

Und ich dann auch ein wenig - liegt nicht die Kunst in der Andeutung und nicht beim feuchten Gemächte? Da fürcht' ich dann, dass ein bisschen Holly- oder Bollywood und deren Ästhetik mitspielt ...

an sich entbehrlich ..., was dem außergewöhnlichen Erstling keinen Abbruch tut.

Tschüss

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Friedrichard

Lieber Friedel,

hab mich sehr gefreut und den Text aktualisiert! :)

Die Punkte hinter den Wochentagsüberschriften sind weg, ebenso das entbehrliche Komma.
Jana sagt: "Ich könnte weinen, wenn ich daran denke" (statt "zurückdenke").
Es heißt "die Brokatgewänder der Flamen" (statt "die die Flamen tragen").*

Ich bringe in Erfahrung, dass Lukas sich bei guter Beleuchtung möglicherweise im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann.
Hier nun gibt's "möglicherweise" eine Anfrage nach dem Konjunktiv ...

Es widerstrebt mir sehr, hier aus dem "kann" ein "könnte" zu machen. Wie immer bringe ich das (lahme?) Argument vor, dass Jana nicht so sprechen bzw. denken würde.

Frustiert
Und ich dann auch ein wenig - liegt nicht die Kunst in der Andeutung und nicht beim feuchten Gemächte? Da fürcht' ich dann, dass ein bisschen Holly- oder Bollywood und deren Ästhetik mitspielt ...

Oh, dieser Kommentar von dir hat mich frustRiert!
Was genau stört dich? Die Feuchtigkeit am Samstag, die Erektion am Sonntag oder alles zusammen? Findest du, es passt nicht zum Rest der Geschichte?
Die Kunst der Andeutung - was schwebt dir da vor?

ENDE
an sich entbehrlich ..., was dem außergewöhnlichen Erstling keinen Abbruch tut.

Das hab ich deshalb so plakativ da hingeschrieben, weil die Frage aufkam, ob ich noch einen dritten Teil schreiben würde (was ich nicht vorhabe).
Nachdem du nun von Holly- oder Bollywood geschrieben hast und wenn ich mir die anderen Geschichten hier so anschaue, finde ich es mittlerweile herrlich ironisch. Jetzt hab ich so richtig Spaß daran. Wenn ich könnte, würd ich es noch rosa einfärben. :Pfeif:
(Wenn ich mit Spaß haben fertig bin, werd ich es irgendwann still und leise entfernen ...)

Ich wünsch dir was!
Anne

P.S. Dein Hund heißt Jürgen Klopp?!

EDIT - * Mit dem neuen Satz bin ich superglücklich, weil das doppelte "die" weg ist. Aber dein Argument, dass die Gewänder die Flamen getragen hätten: Stimmt das denn wirklich? Oder war nicht die alte Fassung nur zweideutig, weil "die" beides sein kann: Nominativ und Akkusativ. Also wer da wen trug, blieb offen?

 

Luja,
sag ich,

liebe Anne,

aber Du musst mir keine Rechenschaft ablegen, was Du tust - interessanter ist da natürlich, was Du unterlässt. Da würd ich dann mal ein bisschen mit Jana plaudern über Konjunk- und Indikatiefen oder Höhen, je nach Standpunkt. Lukas kann da gar nicht stören, nehm ich mal an. Klären wir vorher die Frage nach dem Bier ...

Oh, dieser Kommentar von dir hat mich frustiert!
Muss er aber nicht. Bin halt ein Mensch, der's biblisch kurz bei Andeutungen belässt - Du weißt, wenn eine/r halt eine/n andere/n erkennt. Es ist mein Abscheu vor Feuchtgebeten und Schoßgebieten, die selbst an kleinsten Stellen mich übermannt. Im Grunde stört es niemand. Und es ist ja auch nicht das beherrschende Thema ... gelle?

P.S. Dein Hund heißt Jürgen Klopp?!
Nein, wäre ja eine Silbe zu viel ... Anne ginge aber, zweisilbig verkraften die lieben Tierchen.

Schönen Gruß aus Ironien vom

Friedel
und vorsorglich ein schönes Wochenende (ist nun April oder schon Herbst?)

 
Zuletzt bearbeitet:

Friedrichard

aber Du musst mir keine Rechenschaft ablegen, was Du tust - interessanter ist da natürlich, was Du unterlässt. Da würd ich dann mal ein bisschen mit Jana plaudern über Konjunk- und Indikatiefen oder Höhen, je nach Standpunkt. Lukas kann da gar nicht stören, nehm ich mal an. Klären wir vorher die Frage nach dem Bier ...

Hallo Friedel!

Sehr gerne! Dann plauder doch mal bitte. So wie es aussieht, kann ich dir nur ein virtuelles Bierchen nach Ironien schicken. Also, zum Wohl! :bier:

Hast du einen Lösungsvorschlag für die Konjunk- und Indikatiefen? Das Wort "möglicherweise" streichen/ersetzen, hilft das?

Dir auch ein wunderschönes Wochenende!
Anne (die sich hier auch wie im April fühlt)

 
Zuletzt bearbeitet:

Muttertext:
Ich bringe in Erfahrung, dass Lukas sich bei guter Beleuchtung möglicherweise im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann.
dazu ich:
Hier nun gibt's "möglicherweise" eine Anfrage nach dem Konjunktiv ...
Hierzu Anne49
Hast du einen Lösungsvorschlag für die Konjunk- und Indikatiefen? Das Wort "möglicherweise" streichen/ersetzen, hilft das?

Alle mit -weise endenden Adjektive sind wahrscheinlich-er-weise nicht ganz so dolle,

liebe Anne,

aber man neigt halt zu unnötigen Zusammensetzungen - aber wie schon an anderer Stelle dargestellt, man kann Konjunktiefen durch Brücken überwinden, damals - vor ungezählten Beiträgen - half eine schlichte Frage Jana aus der Patsche, womit wir gleich ein bisschen entsubstantivieren könne: "Ich erfahre (zufällig), dass Lukas sich bei guter Beleuchtung im Raum orientieren und mit einer Lupe lesen kann."

Warum? Das Verb "können" ist nicht nur Mutter der Kunst, die sich übers Handwerk erhebt, aber zugleich sowas wie ein Vorläufer der boolschen Algebra (Computer-Fuzzys meinen, sie hätten ihre Sprache erfunden, was aber nicht stimmt. Wie jeder ordentliche Mathematiker hätte B. dem "Rechner" aufwendige Operationen überlassen, aber nicht geglaubt, was ihm danach angedient würde und eine Gegenrechnung angestellt).

Mann/Frau kann entweder oder eben nicht - und dazwischen spielt sich gleich noch die ganze Wahrscheinlichkeitstheorie im mehr oder weniger guten Können ab, denn 1 erreicht da nur die Wahrheit).

Tschüss, schönen Sonntag (hier ist wieder April) und bis bald

Friedel

 

Hallo Ronnie,

Huch, der Text ist ja ellenlang.

Stimmt! Ist ja auch in zwei Etappen enstanden.
Umso mehr freut es mich, dass du bis zum Ende durchgehalten hast.

Inhaltlich liegt die Spannung wohl darin begründet, ob Jana sich mit Lukas einlässt (trotz seiner schlechten Augen)

Hm, ja, das ist eine Lesart. Interessant ... So scharf hat das außer dir noch niemand formuliert.

Deine Geschichte hat Charme, das muss man ihr lassen. Habe es am Ende nicht bereut, sie gelesen zu haben. :thumbsup:

Dankeschön, das hör ich gern! :) Mehr wollt ich (bei diesem Text) gar nicht erreichen.

LG, Anne

-----
Friedrichard

Wenn ich wollte, wie ich könnte, wisst ihr, was ich täte?
Alle Freunde, die ich habe, lüd ich zu mir ein,
Äß mit ihnen Knabberkram, tränk mit ihnen Wein,
Läß ihnen Geschichten vor, oder heißt es "läse"?
Säß mit ihnen vor dem Tisch, bei Rotwein, Bier und Käse.

Gegen Abend wird es doll, wir stünden oder lägen,
Schlügen uns die Bäuche voll, stopften uns die Mägen,
Später hingen wir dann rum, oder heißt es "hüngen"?
Meine Freundin bät ich drüm, mir das Hirn zu düngen.
Recht und Wahrheit böge ich, ohne dass ich löge,
Auf dass mich der liebe Gott wohl beschützen möge,

All dazu hätte ich größte Lust, der Champagner flösse,
Ohne Rücksicht auf Verlust, wie ich das genösse.
Ich denke, ihr wisst, um wen es geht,
Jeder der ihn liebt, der ist froh, der ist froh
Froh dass es ihn gibt.

Gelobet sei der Konjunktiv, ich frage mich, was wohl würde,
Wenn dieser schöne Konjunktiv,
Morgen plötzlich stürbe.


[SUB] (Johann König, Deutschbox)​
[/SUB]

Hallo Friedel,

merci! Fein fein, einfach ist meistens gut! :)
Hab's entsubstantiviert und entmöglicherweist.

LG, Anne (heute sonnig)

 
Zuletzt bearbeitet:

Seid so nett!

Es lädt zu einer sehr späten Stunde
Präsens in seine bescheid’ne Hütte ein.
Alle Zeitformen wollen geladen sein
Zu dieser weisen und gelehrten Runde.

Geladen ist, - die Reihenfolge muss sein, -
Vor all den anderen das Plusquamperfekt.
Das streit’ herrlich sich und laut mit dem Perfekt.
Wer mag denn da von beiden vollendeter sein?

’s meldet sich, - recht ruppig, - das Präteritum
Als längstens bestätigte gräuliche Zeit
Und bringt selbst den Gastgeber, das Präsens um

In seinem bunten futuristischen Kleid. –
Keine Zukunft seh’n wir für ein Futurum,
Exaktums Vollendung tut niemand mehr leid!

Exkurs:

Hier spricht das Konjunktief
Niemandes Zukunft sei heute mehr sicher
Nicht einmal die des Futurs, ob I, ob II!
Real würd Konjunktiv zwo im Hintergrund kichern,
Wär er, - wenn überhaupt, - noch dabei.

Het windje​

 

Hi Anne49,

bevor ich auf deinen liebenswürdigen neuen Kommentar antworte, schreibe ich mal erst noch ein paar Zeilen zu deiner Geschichte. Ich wollte mich nämlich vor ein paar Tagen schon beschweren, dass du sie so stark ausgeweitet hast und dazu nicht einen zweites Thema aufgemacht hast, so dass die Erweiterung im Verborgenen geblieben ist. Allerdings hab ich dann doch noch rechtzeitig eingesehen, warum man das so machen kann, und die Zahl der Kommentare hat ja auch nahegelegt, dass sich da immer noch manches getan hat.

Nur zum ersten Teil wollte ich aber trotzdem ganz gerne sagen, dass ich auch finde, dass der sich ordentlich gemacht hat. Eine ganz runde Sache ist das jetzt. Die Fortsetzung finde ich noch ein bisschen befremdlich. Nicht für sich genommen, sondern weil ich mich daran gewöhnt hatte, dass die Geschichte eben früher endet. Für sich genommen finde ich den weiten Teil dagegen eigentlich ähnlich rund wie den ersten.

Ich komm trotzdem noch mit ein paar Kleinigkeiten, und ich fange sogar mit einer alten an:

„Hm, nein, mein Haus braucht Jazz.“
„Und das spielen Sie alles ohne Noten und so?“
Warum vermutet die das? Meine Erklärung wäre: Weil er schlecht sieht. Aber das weiß sie noch nicht. Und noch früher hatte ich die Assoziation, dass eben zum Jazz das Improvisieren gehöre. Sollte das der Grund sein, fänd ich die Frage trotzdem komisch, warum sollte er denn "alles" ohne Noten spielen?

Mich nervt nämlich, dass sie in den Opernkritiken über Bühnenbild und Kostüme schwafeln.
Gehört halt dazu, ist ja letztlich auch Theater. Aber wem sag ich das, mögen muss man es ja trotzdem nicht.

Die Flapsigkeit in den Dialogen finde ich übrigens überzeugend. Das fand ich im ersten Teil ja nicht immer gleich so, aber jetzt sehe ich eigentlich nirgends Grund zur Beschwerde.

„Du weißt, warum ich nur dunkle Oberteile trage.“
„Dann lass sie dir doch verkleinern.“
Hübsch angedeutet.

"Ich hab was komponiert", sagt er ernst. "Nur für dich."
"Nur" könne vielleicht auch weg?

"Wusste gar nicht, dass jetzt Messe ist. Welche denn?"
Bisschen platt, der Witz, weil es ja sonst wohl auch "auf der Messe" heißen würde, aber ich find's trotzdem lustig.

Bitte mach, dass er nicht nach Amerika geht, dass er mich auch liebt, dass ich ihm wichtiger bin als die Musik. Bitte ...
Das könnte für mich eventuell auch gerne etwas dezenter sein. Klingt nicht unrichtig, aber trotzdem ziemlich phrasenhaft.

"Dann komm", sage ich und berühre seine Hand.
Und trotzdem noch ein offenes Ende.

So, das war jetzt ein etwas dünner Kommentar, aber ich wollte ja hauptsächlich eine kleine Nachbemerkung zum ersten Teil dalassen. Den zweiten finde ich auch nicht schlecht, er bringt genug Neues, da wird nicht nur ausgewalzt, was im ersten schon klar war. Vor allem auch schön mit anzuschauen, wie du an dem Text immer weitergewerkelt hast.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Anne49,

dank der Empfehlung habe ich den überarbeiteten Text wie versprochen gelesen und muss sagen, dass er mir mittlerweile deutlich besser gefällt. Die Charaktere strecken sich mir entgegen, sodass ich sie greifen und verstehen kann. Die Unsicherheit der beiden wird greifbar, die Gründe sichtbar (der Riesenbusen, die nicht verarbeitete Beziehung bei ihr, seine Behinderung). Auch die aufkeimende Liebe kann ich nachvollziehen. Dafür war der zweite Teil wirklich nötig. Was die Entwicklung anbetrifft, rund und geschmeidig.

Dennoch ließe sich an dem Text weiterarbeiten. Die Dialoge finde ich nur teilweise realistisch und an der Humor wirft mich an einzelnen Stellen raus. Du hast eine Menge Füllwörter drin und da ist noch die Erdbeerszene, die ist verdammt klischeebehaftet, viel zu oft Ähnliches gelesen.

Aber sonst: :thumbsup:

Textstellen:

Quitte und etwas Maskulines, das ich nicht näher definieren kann. Ich linse rüber.
Neben mir sitzt ein Mann.
aha, das ist komisch, reicht maskulin (was immer das sein soll: Schweiß?) und dann ist es, ach ja, ein Mann.

Am Ende des ersten Teils rufe ich laut Bravo. Die Flamen sind grandios, und dieses Methusalempublikum hier ist so lahm.
was macht die so grandios und die Alten so lahm?

Das ist die rotblonde Sängerin, die in ihrer schwarzen Brokatkombination mit grünen Stickereien (Tunika und Schal) wie eine Göttin aussieht.
für was all die Farben?

Musik ist zäh wie ein missratenes Baiser.
gutes Bild :Pfeif:

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er.
„Alle nennen mich Jana“, antworte ich. „Und Sie?“
„Jana … schöner Name. Ich heiße Lukas.“
hier so ein unrealistischer Dialog

„Jana. Schön, dass Sie da sind.“
wieder so was Formelhaftes

Danach setze ich mich ins Café an der St. Anna-Kirche. So gegen zwei.
Manchmal geschehen Zufälle, man trifft Leute wieder …
haha :D

"Sir Henry ist jetzt von seinen Schmerzen erlöst", sage ich.
Frau Simonis Augen werden größer. "Denken Sie, er ist jetzt bei unserem Herrn Jesus?"
"Warum nicht?", sage ich, und noch während ich es ausspreche, wird es mir zur Gewissheit. "Ja, ich denke, Sir Henry ist jetzt bei unserem Herrn Jesus."
o je, wenn ich das höre: unser Herr Jesus :hmm:

wie er schräg vornübergebeugt über dem Tablet-PC hängt, mit seiner Brille, deren gelben Gläser die Augen auch von den Seiten umschließen.
gelbe Gläser, warum?

„Meine kleine Schwester meint, ich sähe damit aus wie ein Alien.“
„Da hat sie Recht“, erwidere ich.
:D

„Fährst du gerne Fahrrad?“
„Ja, aber nur mit Stützrädern.“
komischer Gag

"Verstehe." Lukas lässt meine Hände los. "Angst davor, dich einzulassen auf jemanden wie mich."
"Warst du schon mal mit einer Frau zusammen?"
was ne Frage, die stellt doch keiner?

In mir explodiert eine Blütenwolke. Es durchrieselt mich.
hübsches Bild

Sonntag
Nach der heiligen Messe trinke ich einen Eckes Edelkirsch bei Frau Simoni. Dann gehe ich noch einmal los und kaufe in der Notdienstapotheke eine Packung Kondome.
passt naüprlich, die Reihenfolge:D

Langsam kullern Samttöne heran, tänzeln, tun wie unbeholfen. Dazwischen glitzern Perlen.
hübsch romantisch

Er stellt ein Schüsselchen Erdbeeren auf den Tisch, setzt sich und klopft mit der Hand auf seinen Schoß. Ich nehme Platz, lege meine Arme um seine Schultern.
"Mach die Augen zu."
Ich gehorche. Kurz darauf spüre ich die feuchte Frucht an meinem Kinn. Ich öffne den Mund, sie gleitet hinein.
schwer zu ertragen, klingt nach Alter-Leute-70erJahre-Sex-Fantasien

Ich bin keine gute Katholikin, neige zum Denken.
:Dstimme ich zu

"Kann ich mitkommen?"
"Was ist mit deinen Medikamenten?"
"Hab ich dabei."
"Dann komm", sage ich und berühre seine Hand.
süßes Ende, echt:thumbsup:

liebe Grüße
Isegrims

 

Hallo erdbeerschorsch,

schön, dass du hergefunden hast! Zumal ich - vielleicht ist dir das aufgefallen - Jana und Lukas im Teil 2 Erdbeeren essen lasse. :Pfeif:

Ich könnt nicht sagen, dass ich Teil 2 freiwillig in denselben Thread wie Teil 1 geschrieben hätte. Das sind die Forenregeln. Serie durfe nicht sein, weil man Teil 2 nicht ohne Teil 1 versteht.

Ja, dass du dieses Zweigeteilte etwas befremdlich findest, das kann ich sehr gut verstehen. Das geht mir im Grunde nicht anders und ist der Entstehungsgeschichte geschuldet, Erstling und so. Nach Teil 1 taten mir die beiden doch ein wenig leid, da war es mir noch zu offen. So würde ich insgesamt wohl nicht noch einmal plotten.

Du siehst es als offenes Ende? Da bist du nicht allein. Für mich persönlich sieht es nach Teil 2 recht positiv aus für die beiden. Anscheinend mehr in meiner Phantasie als im Text, aber ich hab so ein Gefühl, ach was: die Gewissheit!, dass die beiden gut zusammenpassen und auch genug Energie in sich haben, die verbleibenden Hindernisse gemeinsam zu überwinden.

„Hm, nein, mein Haus braucht Jazz.“
„Und das spielen Sie alles ohne Noten und so?“
Warum vermutet die das? Meine Erklärung wäre: Weil er schlecht sieht. Aber das weiß sie noch nicht. Und noch früher hatte ich die Assoziation, dass eben zum Jazz das Improvisieren gehöre. Sollte das der Grund sein, fänd ich die Frage trotzdem komisch, warum sollte er denn "alles" ohne Noten spielen?

Mit deiner ersten Assoziation lagst du richtig. Ich stell mir vor, dass Jana so eine Bewunderung für Musiker empfindet, die nicht vom Blatt spielen, sondern improvisieren. Und da gibt es ja durchaus eine Parallele zwischen der alten Musik (etwa der vom Orient beeinflussten mittelalterlichen Musik Europas) und dem Jazz. Freies Spiel scheint mir ein wesentliches Merkmal des Jazz zu sein. Insofern find ich Janas Frage nicht abwegig. Natürlich ist sie im Teil 1 das Plappermäulchen, das den Dialog vorantreibt. Irgendeiner von beiden muss ja mal was sagen, sonst wird das nix.

(Exkurs: Dass der sehbehinderte Lukas nun ausgerechnet Talent und Neigung zum Jazz hat, da bin ich mir schon bewusst, dass man das der Story als klischeehaft anlasten kann. Da hat er bei mir natürlich Glück im Unglück.)

Zurück zum Text: Ich könnte es abmildern zu "Spielen Sie auch ohne Noten und so?" Weiß nicht, ob es das für dich besser macht.

Zu den Rezensionen in den Zeitungen: Klar ist Oper Musiktheater. Trotzdem nervt es Anne49, äh Jana bisweilen, wenn die Feuilletons die Inszenierung einer Oper (im Einzelfall) viel ausführlicher besprechen als den musikalischen Part. Das musste einfach mal raus. Praktisch, wenn man's einer Figur in den Mund legen kann.

"Ich hab was komponiert", sagt er ernst. "Nur für dich."
"Nur" könne vielleicht auch weg?

Wenn es kein Dialog ist (herrje, wie nennt man das denn, im narrativen Teil, reiner Prosafließtext?), da überleg ich mir mittlerweile jedes Füllwort sehr genau. Was nicht sein muss, fliegt. Aber beim Dialog, da lausch ich so ein bisschen dem Rhythmus. Und dann hab ich diese Marotte entwickelt, den Redebegleitsatz in die Mitte zu platzieren. Wenn ich da jetzt das "nur" streiche, dann gefällts mir vom Rhythmus her nicht mehr.
Dann würd ich wohl eher sagen:
"Ich hab was komponiert für dich", sagt er ernst.
Ist das besser? Hm ja, könnte gehen.

Bitte mach, dass er nicht nach Amerika geht, dass er mich auch liebt, dass ich ihm wichtiger bin als die Musik. Bitte ...
Das könnte für mich eventuell auch gerne etwas dezenter sein. Klingt nicht unrichtig, aber trotzdem ziemlich phrasenhaft.

In der Geschichte könnte vermutlich so einiges dezenter sein.

An der Stelle, da hast du Recht, da lass ich Jana beten wie ein kleines Kind: "Bitte, lieber Gott, mach, dass ..." Okay, "lieber Gott" steht da nicht. Ich weiß nicht, ob du es nur als Gedankenfluss identifiziert hast oder als Gebet.

Aber machen das nicht manchmal auch wir Großen, wenn die Not am größten ist? Einerseits haben wir die Poesie der schön ausformulierten Psalmen (oder anderer Gebete/Mantren, je nach Bekenntnis). Und dann wieder im stillen freien Gebet/der Meditation/einer Extremsituation, ich stell mir vor, da wird manch einer doch sehr direkt und sagt dem da oben, was er sich sehnlichst erbittet.

Es gefällt mir auch, Jana explizit ihre Liebe zu Lukas ausformulieren zu lassen. Er ist derjenige, der in der ganzen Geschichte mehr einstecken muss, der (so stell ich ihn mir vor) von Selbstzweifeln geplagt wird. Also, du merkst es schon, mir fällt für die Stelle nichts Dezenteres ein.

Es freut mich sehr, dass du vorbeigeschaut und sogar lobende Worte für meine Geschichte gefunden hast. Muss gestehen, dass ich ab und zu an dich gedacht habe und mir dann vorgestellt hab, wie du dich in höfliches Schweigen hüllst - aber so gefällt es mir natürlich besser. :D

Und weil ich gerade deine Antwort unter Saint-Jacques gelesen habe: Du kannst mich mit jedem Tag ködern: Mundart+Horror+Science Fiction oder so.

LG, Anne

-------
Huhu Isegrims, dich bitte ich noch um ein wenig Geduld. Den Grund für die klischeebehaftete Szene mit der roten Frucht hast du ja zumindest schon erfahren, siehe ganz oben ...

 

Hallo Isegrims,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!

Dennoch ließe sich an dem Text weiterarbeiten.

Ja, werd ich auch. Aber nicht sofort. Ich brauch mal ein bisschen Distanz zu dieser Geschichte. Ich hab deinen Kommentar gerade ausgedruckt, der geht mir nicht verloren.

Die Dialoge finde ich nur teilweise realistisch und an der Humor wirft mich an einzelnen Stellen raus.

Ohne mich jetzt damit rausreden zu wollen: Ich denke, wir beide haben da definitiv unterschiedliche Vorstellungen.

die Gründe sichtbar (der Riesenbusen, die nicht verarbeitete Beziehung bei ihr

Nicht verarbeitete Beziehung von Jana? Das steht so nicht drin ...

aha, das ist komisch, reicht maskulin (was immer das sein soll: Schweiß?) und dann ist es, ach ja, ein Mann.

Kommt auf die To-Do-Liste: Mal sehen, ob mir dazu was einfällt, wie ich das entwirre.

was macht die so grandios und die Alten so lahm?

Kommt auf die To-Do-Liste: Noch einen beschreibenden Satz über die Musiker aus Flandern einfügen!

„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er.
„Alle nennen mich Jana“, antworte ich. „Und Sie?“
„Jana … schöner Name. Ich heiße Lukas.“
hier so ein unrealistischer Dialog
Ich darf mal zitieren aus "Inna, Ikarus und ich":
„Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“
„Ich heiße Inna Iwanovna.“
„Freut mich! Mein Name ist Viktor Sänger.“​

„Jana. Schön, dass Sie da sind.“
wieder so was Formelhaftes

Mir gefällts ... :Pfeif:

o je, wenn ich das höre: unser Herr Jesus :hmm:

Ich leg es nicht auf Teufel komm raus darauf an, Jana zur hundertprozentigen Identifikationsfigur des Lesers zu machen. Das muss ich hier mal klarstellen.

gelbe Gläser, warum?

Die gelben Brillengläser von Lukas, das sind Kantenfiltergläser, die bei bestimmten Augenerkrankungen (z.B. degenerativen Netzhauterkrankungen) getragen werden. Die filtern Blautöne weg, schonen die Netzhaut, verbessern Kontraste und reduzieren blendende Reflexe.

"Verstehe." Lukas lässt meine Hände los. "Angst davor, dich einzulassen auf jemanden wie mich."
"Warst du schon mal mit einer Frau zusammen?"
was ne Frage, die stellt doch keiner?

Ja, das ist schon echt krass, oder? Das schafft nur Jana, so etwas daherzuplappern. Und nur wenn sie supernervös und angespannt ist.

Er stellt ein Schüsselchen Erdbeeren auf den Tisch, setzt sich und klopft mit der Hand auf seinen Schoß. Ich nehme Platz, lege meine Arme um seine Schultern.
"Mach die Augen zu."
Ich gehorche. Kurz darauf spüre ich die feuchte Frucht an meinem Kinn. Ich öffne den Mund, sie gleitet hinein.
schwer zu ertragen, klingt nach Alter-Leute-70erJahre-Sex-Fantasien

Na warte, meine Liebe, wenn ich deinen nächsten Text in die Finger kriege ... :D

Also, ich weiß es sehr zu schätzen, dass du noch mal reingeschaut hast. Ich hab dich schon deutlich mit den Zähnen knirschen gehört. Das ist nicht dein Ding.

Aber eine meiner Lieblingsstellen (dass die Musik zäh wie ein missratenes Baiser ist), die verdank ich dir (deinem ersten Kommentar zu dem Schuhleder), das ist doch schon mal etwas! :)

Ich wünsch dir was, bis bald!
Anne

 

Zitat von Isegrims Beitrag anzeigen
„Wie heißen Sie eigentlich?“, fragt er.
„Alle nennen mich Jana“, antworte ich. „Und Sie?“
„Jana … schöner Name. Ich heiße Lukas.“
hier so ein unrealistischer Dialog
Ich darf mal zitieren aus "Inna, Ikarus und ich":
„Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“
„Ich heiße Inna Iwanovna.“
„Freut mich! Mein Name ist Viktor Sänger.“
ich will jetzt nicht sagen, dass man eine Begrüßungsformel richtig locker hin bekommt, wenn man Personen zeigt, die eher steif sind. Aber: schöner Name oder so was Lustig-klingen-sollendes wie: alle nennen mich..., ne, klingt für mich unrund, wobei, wie gesagt, mein Fetzendialog kann man auch kritisieren.

Na warte, meine Liebe, wenn ich deinen nächsten Text in die Finger kriege ...
oh je, ich zittere und freu mich drauf :D

Ich hab dich schon deutlich mit den Zähnen knirschen gehört. Das ist nicht dein Ding.
"nicht mein Ding": nee Zähneknirschen hasse und den Text habe ich zweimal intensiv gelesen - und gerne :thumbsup:

viele Grüße
Isegrims

 

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