Klassenfahrt in Barcelona
Wir waren alle gemeinsam in Barcelona, auf der letzten Klassenfahrt meines Lebens, ich unterwegs mit 29 meiner Mitschüler. Alle miteinander sagten sie nach der Fahrt, dass dies die wohl beste Klassenfahrt ihrer Schulkarriere gewesen war. Sie bot einfach alles, angefangen mit harmlosen Schülerstreichen(man forme aus Streifen von Klopapier Kugeln, tränke sie anschließend mit Wasser und pfeffere diese in die stets belebte Gasse unterhalb des Hotels, in dem man untergebracht ist), bis hin zum hemmungslosen Besäufnis.
Klar, auch etwas Kultur wurde geboten, Besuche in Museen berühmter spanischer Künstler wie Gaudí oder Miró waren ebenso in die Fahrt integriert wie ein Besuch im Camp Nou, dem größten Fussballstadion Europas. Ebenso konnte man Bekanntschaft mit dem kühlen Nass des Meeres schließen, welche nach ständigem Alkoholzufluss und gleichzeitiger Stadterkundung einen wahren Segen für die hart beanspruchten Körper der Schüler darstellte.
Doch der Höhepunkt war natürlich das Abenteuer, in dem ich mitzuspielen die zweifelhafte Ehre hatte.
In ganz Barcelona gibt es Läden, in denen alle möglichen unnützen Dinge verkauft werden, in Deutschland nennt man sie Ramsch- oder, besonders originell, Tante-Emma-Läden. In einem solchen befanden wir uns am dritten von den fünf Tagen, die wir in Barcelona verbrachten. Wir schauten uns quietschbunte Regenschirme an, bewunderten kleine Porzellanfiguren und tummelten uns um sprechende Plastikfische. Obwohl der Laden recht geräumig war, waren doch derart viele Menschen, (hauptsächlich Touristen) darin, dass man sich kaum bewegen konnte. Von unserer Lehrerin vor
solchen Situationen gewarnt, achtete ich besonders auf die Gegenstände in meinen Taschen, in der linken Hosentasche mein Handy und in der rechten mein Portemornaie, beides sicherlich verlockende Trophäen für einen Taschendieb.
"Daniel, guck dir das mal an!" Mein Freund Lukas rief mich, ich zwängte mich zu ihm hinüber und schaute auf das Ding in seiner Hand. Es handelte sich um einen faustgroßen Glaswürfel, gefüllt mit dunkelbrauner Erde. Auf jeder Seite waren kleine Gänge zu sehen, durch die sich glibbrige, weiße Würmer schlängelten. "Was ist das denn?" Ich war verblüfft, kein Luftloch war zu sehen, wahrscheinlich würden die Würmer kurz nach dem Einkauf sterben. Den Sinn hinter dem Teil verstand ich nicht (gut, das war in dem Laden nicht ungewöhnlich), doch ich musste zugeben, dass es eine gewisse Faszination hatte, den Würmern bei ihren unermüdlichen Umherirren durch den Würfel zuzuschauen. An einer Ecke klebte ein kleines Preisschild: "15 Euro". Ich deutete darauf und Lukas und ich lachten, ob dieses hohen Betrages, lauthals los.
In diesem Moment wurde ich heftig angerempelt, der Würfel fiel zu Boden und zerprang. Sofort krochen überall Würmer aus den Überresten aus Glas und Erde hervor. "Scheisse..." Ich blickte mich um und sah eine große rothaarige Frau, die sich von uns entfernte. "Kann die nicht aufpassen?"
"Komm, lass uns schnell abhauen, bevor wir den Mist bezahlen müssen." Lukas schaute mich besorgt an.
"Wir können doch überhapt nichts dafür, die blöde Frau dahinten hat mich total weggeschubst."
"Trotzdem, die Verkäufer verstehen das doch sowieso nicht, wenn wir versuchen, denen das auf Spanisch erklären, die sehen nicht aus, als könnten sie Englisch." Mit einem Blick zum Eingang, wo ein paar Männer mittleren Alters an der Kasse standen und mit scheelen Lächeln Geld für die Artikel annahmen, stimmte ich Lukas zu. Wir machten uns also schnell auf den Weg nach draussen auf die Straße. Aus Gewohnheit legte ich meine Hände auf die Hosentaschen, um einen möglichen Diebstahl in dem engen Laden zu verhindern, doch meine linke Tasche war bereits entleert. Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus, als ich in der rechten Tasche nach meinem Handy tastete, doch auch da befand es nicht.
"Hey Lukas, warte mal kurz."
"Was ist?"
"Ich glaube, ich hab´ mein Handy verloren, oder so." Mein Blick fiel zurück zu der Stelle, an der Lukas und ich standen und huschte dabei beiläufig über die rothaarige Frau. Wegen ihr war es mir wahrscheinlich aus der Tasche gerutscht, die blöde Kuh. Ich ging zurück, kam auch an der Frau vorbei, der ich einen möglichst bösen Blick zuwarf. Komischerweise schien dieser sie tatsächlich zu beunruhigen, das überraschte mich, denn mir wird nachgesagt, dass ich immer ein freundliches, lächelndes Gesicht habe. Als ich das Handy dann nicht bei dem kaputten Würfel finden konnte, kam mir ein leiser Verdacht. Ich drehte mich um und suchte nach der Frau, die inzwischen schon fast am Ausgang war.
Ich quetschte mich so schnell ich konnte durch die vielen Besucher, Lukas stand am Ausgang, die Frau ging gerade an ihm vorbei.
"Lukas, halt die Frau mal bitte auf!"
Lukas sah mich verwirrt zu mir hinüber, sprach die Frau jedoch an, die daraufhin stehenblieb. Schließlich kam ich keuchend dazu und fragte die Dame auf Englisch:
"Kann es sein, dass Sie mein Handy haben mitgehen lassen?"
"Daniel!" Lukas sah mich vorwurfsvoll an und blickte dann peinlich berührt zur Frau. Diese drehte sich in dem Moment ruckartig um und versuchte zu fliehen, ich sprang jedoch hinterher und bekam sie am Arm zu fassen.
"Hey!", rief ich.
Die Frau sah mir genau in die Augen, die von ihr waren weit aufgerissen, von dunkelblauer Farbe, fast wie das Meer, in dem ich vor kurzem noch geschwommen bin, ihr Gesicht war rot, allerdings nicht vor Scham, wie ich zunächst annahm, sondern vor Zorn. Die Lippen bebten, als sie in glasklarem Englisch ausstießen:
"Sie werden Dich finden." Sie holte mein Handy aus ihrer Handtasche, drückte es mir in die Hand, machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon. Ich stand baff mit offenem Mund da.
"Was sollte das denn?" Lukas sah mich mit unsicherem Grinsen an.
"Keine Ahnung... Was meinte die mit 'Sie werden Dich finden'?"
"Weiß nicht, hauptsache du hast Dein Handy wieder, was? Komisch, dass die dir das auch einfach so gegeben hat."
Die Sache hatte sich sofort herumgesprochen und insgesamt fanden alle diese Erlebnis sehr lustig. Mich jedoch beunruhigten die Worte der Frau sehr. Ich konnte die restliche Zeit in Barcelona nicht mehr genießen. Ich bildete mir ein, ständig die selben Autos in meiner Nähe zu sehen.
("Sie werden Dich finden.")
Am vorletzten Tag waren wir abends in einer Kneipe. Als wir nachts zurück in unser Hotel gingen, sah ich mich ständig um, ich war mir sicher, dass der graue Mercedes, der an uns vorbeifuhr und seinen Motor laut aufheulen ließ, schon mindestens ein Dutzend mal an diesem Tag meinen Weg gekreuzt hatte.
Mir fiel es schwer einzuschlafen, als wir alle in unserem 5er-Zimmer lagen, also ging ich hinaus auf unseren winzigen Balkon, der direkt über der engen Gasse nahe der Hauptstraße lag, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Ich lehnte mich auf das kühle Gitter, das den Balkon umschloss und schaute auf die auch in der Nacht sehr belebte Gasse.
Ein Mann in einem schicken, schwarzen Designermantel,stand dort unten und rauchte eine Zigarre. Er sah zu mir nach oben, lächelte und winkte mit der freien Hand. Sofort begab ich mich zurück in unser Zimmer und verriegelte die Balkontür. Als einer meiner Zimmerkameraden stöhnte und etwas Unverständliches brummelte, fuhr ich zusammen. Ich glaubte, ich wurde langsam paranoid.
("Sie werden Dich finden.")
Diese Worte gingen mir nicht aus dem Kopf.
Als ich meinen Freunden am nächsten Morgen von dem Mann erzählte, wurde ich nicht ernstgenommen, meine Freunde überlegten sich die verrücktesten Verschwörungstheorien und lachten darüber. Ich lachte mit, doch in meinem Innern herrschte nur Furcht, keine Spur von Belustigung.
Ich war darum im Gegensatz zu den Anderen nicht unbedingt traurig, als der Tag der Abreise kam. Wenn wir erstmal im Flugzeug nach Deutschland saßen, würde ich meine Verfolgungsangst schon verlieren.
"Das war die geilste Klassenfahrt meines Lebens!" rief Lukas begeistert. Ich stimmte ihm zu. Scheinbar hatte ich gar kein übles schauspielerisches Talent, zum wiederholten Male bemerkte niemand meinen inneren Geisteszustand. Doch es wurde zunächst wirklich besser um meine Situation, mir begegneten bis zum Flughafen keine mysteriösen Autos oder Menschen mehr, und als wir endlich ins Flugzeug stiegen, fühlte ich mich fast wie neugeboren. Ich konnte endlich wieder mit aller Ehrlichkeit über die Witze meiner Freunde lachen und die Fahrt Revue passieren lassen.
Nach zwei Stunden in der Luft setzte unsere Maschine schließlich auf der riesigen Landebahn auf dem Düsseldorfer Flughafen auf. Viele freuten sich, dass alles gut gegangen war und sie nun wieder den festen, sicheren Boden der Heimat unter den Füßen hatten. Auch ich genoß den Blick auf vertrautere Umgebung, vor allem aber die Vielzahl der Kilometer, die nun zwischen mir und meinen vermeintlichen Verfolgern lagen.
Im Wartebereich des Flughafens standen wir noch eine Zeit, warteten auf einige, die sich auf dem Klo erleichtern oder sich noch einen letzten kleinen Snack gönnen wollten, bevor es endgültig nach Hause ging. Diese Zeit wurde uns angenehm verkürzt, der Flug nach Mallorca, der in 10 Minuten abgehen sollte, verzögerte sich mehr und mehr, da sich ein Fluggast namens "Klaus" nicht auffinden ließ. Es gab mehrere Durchsagen, dass dieser nun schnellsten kommen sollte, falls er nicht den Flug verpassen wolle und nach dem "letzten Aufruf" (der Flug hätte bereits abgehen sollen) kam Klaus dann doch, dick bepackt mit Süssigkeiten und schwitzend, angelaufen. Unsere Gruppe bildete eine Gasse, die Klaus durchschreiten musste und wir klatschten und johlten.
Noch immer grinsend ging ich ebenfalls noch schnell auf die Toilette. Als ich hineinging, drang mir der starke Geruch von Reinigungsmitteln in die Nase. Ich konnte diesen Geruch noch nie leiden, aber er war sicherlich besser als das Aroma der Körperinhalte, derer sich die Leute auf den Klos entledigen. Ich stellte mich an eines der Klos an der Wand und genoss das befreiende Gefühl, als ich laufen ließ. Ein Mann trat an das Klo neben mich. Eine Weile hörte man nur die ins Wasser einschlagenden Urinstrahlen, dann plötzlich sagte der Mann:
"Na, wie geht es dir?" Ich ließ meinen Strahl versiegen und knöpfte meine Hose wieder zu. Der Mann folgte meinem Beispiel und drehte sich zu mir um. Er trug einen schwarzen Designermantel, aus dessen Brusttasche ein Zigarrenetui schaute. Mir wurde eiskalt, dieser Mann hatte mich ständig beschattet und war mir sogar bis nach Deutschland gefolgt.
"Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, würde ich sagen, momentan nicht sehr gut. Pass auf, du brauchst keine Angst zu haben. Momentan jedenfalls nicht. Ich werde dir jetzt einen netten Vorschlag machen. Alles klar?"
"Ja." Mehr brachte ich nicht heraus. Momentan brauchte ich also keine Angst zu haben. Sehr erfreulich, vielen Dank, guter Mann.
"Gut. Ich empfehle dir stark, mir 50 Euro zu geben, das dürfte ungefähr der Wert deines Handys sein. Anschließend wirst du mich nie wieder sehen, das verspreche ich dir, aber zur Zeit sind einige Leute sehr sauer darüber, dass du deine Gebühr nicht bezahlt hast."
"Welche Gebühr?"
"Nun, wozu genau sie dient, darf ich dir nicht sagen. Ich jedenfalls muss diese Gebühr eintreiben. Verschiedene Leute überall auf der Welt werden willkürlich ausgewählt, diese Gebühr zahlen zu müssen, du hast das Pech, dass du dazu zählst. Die Gebühr dient zur Ausführung eines Projekts, welches für meine Vorgesetzten von äußerster Wichtigkeit ist. Normalerweise dürfen das die Zahler gar nicht bemerken, sondern denken, dass sie bestohlen wurden. Wir nehmen von jedem Zahler nur soviel, dass es nicht wirklich schmerzhaft für ihn ist, du bist noch ein Schüler, von daher steuerst du nur 50 Euro bei. Leider weißt du jetzt von dem Projekt und von den Gebühren, da unsere Diebin sich sehr ungeschickt anstellte. Das ist aber nicht deine Schuld. Von daher stößt dir nichts zu, wenn du jetzt auf der Stelle bezahlst. Ich hoffe für dich, dass du genug dabei hast. Dein Handy will ich nicht, das hätten wir verkauft und so über Umwege das Geld bekommen, wie gesagt, wir wollen die Existens des Projekts und der Gebühren so geheim wie möglich halten. Und wer wird bei einem Handyraub schon an eine solche Geschichte denken?"
"Ich hab nur noch 20 Euro übrig." Es brodelte in mir, ich wusste nicht, was ich tun sollte.
"Das ist schlecht. Als kleine Motivation, falls du mich anlügen solltest, zeige ich dir eben etwas." Der Mann griff in die Innentaschen seines Mantels und zog ein Foto hervor.
"Das, was du da siehst, ist die Frau, die dir das Handy stehlen sollte. Wie gesagt, einige Leute waren sehr wütend."
Mir war, als bliebe mein Herz stehen. Auf dem Foto war ein Raum mit komplett weißer Tapete zu sehen. In seiner Mitte hing ein Galgenstrick, an dem eine Frau aufgehängt war, rotes Haar hing blutverkrustet an ihrem nicht mehr ganz vorhandenem Gesicht herunter. Offenbar hatte man ihr die Gesichtshaut abgezogen, bevor man sie am Strang aufknüpfte, an dem sie qualvoll erstickte. Die Augen stachen wie zwei große, weiße Murmeln aus dem Gesicht hervor, spiegelten immer noch das Leid wieder, welches die Frau vor ihrem Tod erleiden musste.
"Du brauchst jetzt nicht zu reden, ich kann verstehen, wenn du das zum jetzigen Zeitpunkt nicht kannst. Nicke einfach nur, wenn du jetzt auf der Stelle genug Geld hast, oder schüttele den Kopf, wenn das nicht der Fall ist."
Langsam schüttelte ich den Kopf.
"Tja, das ist schade, ich fürchte, ich werde dich nun mitnehmen müssen und das hast du selbst zu verantworten" Der Mann lächelte und blinzelte mir zu. Durch meinen Kopf schossen unendlich viele Gedanken. 'Hau schnell ab!', 'Schlag den Typen nieder!, 'Ruf um Hilfe!'. Doch ich war zu keiner Handlung fähig. Ich war wie gefangen in einem bösen Traum.
Ruckartig sprang der Mann auf mich zu, packte mich, drückte mir ein seltsam duftendes Tuch auch Mund und Nase und zog mich eine der Kabinen des Klos. Kurz darauf hüllte tiefe Dunkelheit mich ein.
Ich habe keine Ahnung, wie lange ich ohnmächtig war, allerdings kam ich niemals nach Hause und sah auch meine Barcelona-Gruppe nie wieder, auch in Zukunft würden wohl keine der beiden Dinge eintreffen, denn, dessen war ich mir sicher, meine Zukunft bestand nur noch aus wenigen Stunden. Ich wachte auf, unfähig, mich zu bewegen, ich lag auf dem Rücken und war mit Kettenschnallen auf einem Tisch festgeschnallt. Der Ort, an dem ich lag, war fernab von jedem Licht, ich sah rein gar nichts und konnte nur abwarten.
Nach langer Zeit, es müssen viele Stunden gewesen sein, an die ich mich kaum errinnern kann, ging schließlich das Licht an und ein großgewachsener, junger Mann mit langen, blonden Haaren, die offen auf seine Schultern fielen, kam herein. Leicht lächelnd sah er auf mich hinab.
"Hi, du bist also eines dieser seltenen Exemplare, die von dem Projekt erfahren haben?"
Ich antwortete nicht.
"Nun, mir solls egal sein. Leider wirst du nicht mehr besonders lange leben, aber ich versichere dir, du stirbst für einen guten Zweck. Da du, wie gesagt, bald tot bist und dich somit für unser Projekt opferst, hast du ein Recht darauf, zu erfahren, was es damit auf sich hat. Ich bin ein Professor für Heilmedizin, wir erforschen Krankheiten, die bisher als unheilbar gelten. Außer mir arbeiten hier noch eine ganze Reihe andere Wissenschaftler, aber die gängigen Methoden von Krankheitserforschung bringen die Menscheit nicht weiter. Es gibt viel zu wenig Geld, man kann nicht alle Krankheitsheilungsversuche an Ratten durchführen, teilweise muss auch mal ein Mensch herhalten. So haben wir unsere Organisation gegründet, wir holen uns genug Geld für unsere Forschungen von den Zahlern, diejenigen, die wiederspenstig sind, so wie du, nutzen wir als Versuchsobjekte. Du tust der Menschheit langfristig also einen enormen Gefallen, mein Guter."
Eigentlich verspürte ich den heftigen Drang, etwas zu erwidern, den Mann anzubrüllen und zu beschimpfen, gleichzeitig wollte ich um Gnade bitten, doch ich konnte keinen Laut von mir geben. Ich musste unter Schock stehen, denn ich fühlte mich wie gelähmt, ich nahm die Welt zwar sehr genau wahr, allerdings war monotones Rauschen ein ständiger Gast.
"Wir fangen ganz harmlos an", sagte der Mann, der inzwischen mit dem Rücken zu mir stand und an einem Labortisch zur Rechten von mir herumfuchtelte, der voll mit seltsamen Sachen war. Viele gläserne Gefäße mit bunten Flüssigkeiten gefüllt standen dort herum, manche dieser Flüssigkeiten blubberten leicht vor sich hin, andere wiederrum liefen in Schläuchen zu anderen Gefäßen und ergaben vermischt mit deren Inhalt ein andersfarbiges Serum. Als der Mann sich umdrehte, hielt er eine lange Spritze mit neongrünem Inhalt in der Hand.
"Keine Angst, die wird dich nicht töten. Im Gegenteil, sie wird dich wieder aufpäppeln, sie wird dich glücklich machen. Kennst du dieses Serum aus Harry Potter, welches die Wahrheit aus dir herauspresst? War Veritaserum sein Name? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls wird jenes Serum hier, außer dass es dich aufpäppelt, ebenfalls die Wahrheit aus dir sprechen lassen. Wir müssen alles über die letzten Tage wissen, um auszuschließen, dass weitere Personen von unserem Projekt wissen."
Und so kam er mit der Spritze auf mich zu, stach die lange silberne Spitze in eine Vene meines Oberarms und drückte den grünen Inhalt langsam in meinen Blutkreislauf. Zunächst spürte ich nichts, der Mann befreite mich von meiner Gefangenschaft auf dem Aufbahrungstisch, führte mich aus dem Raum hinaus durch lange Gänge mit weißen Wänden dunkelblauem Kunststoffboden, an der Decke leuchteten Neonröhren uns den Weg. Während wir gingen, wurde ich immer wacher, doch bezog sich das leider nur auf meinen Geist, mein Körper war immer noch langsam und träge, so dass ich an erste Fluchtpläne gar nicht erst zu denken brauchte.
An einer blaugestrichenen Tür blieben wir schließlich stehen. Der Mann schloß sie auf und schob mich in den Raum, der sich farblich nicht von den Gängen unterschied, fensterlos war und lediglich mit einem weißen Kunstoffstisch mit dazu passendem Stuhl ausgestattet war. Auf dem Tisch lagen ein Kugelschreiber und ein dicher Block Papier. Zudem stand eine Flasche Wasser daneben und auf einem Teller lag ein Käsesandwich.
"Hier wirst du nun deine nächsten Stunden verbringen, bis wir mit dem Experimentieren anfangen. Schreib alles auf, was während eurer Fahrt in Barcelona bis heute passiert ist, wenn du fertig bist, drückst du bitte auf diesen Knopf."
Der Mann deutete auf einen neben der Tür angebrachten Schalter, der aussah wie ein Lichtschalter (der auf der anderen Seite der Tür hing), aber nicht weiß, sondern blau gefärbt war.
Ich nickte und der Mann verließ den Raum. Ich hörte das knackende Geräsuch, als der Mann die Tür abschloß. Ich dachte, dass ich eigentlich weinen sollte, schließlich würde ich weder Familie noch Freunde jemals wieder sehen und bald tot sein. Doch ich war in dem Moment vollkommen gefühlsneutral, wahrscheinlich wirkte die Substanz aus der Spritze sich schon auf meine Zufriedenheit aus.
Nun werde ich gleich aufhören zu schreiben und mich meinem Schicksal hingeben. Ich bin wirklich sehr gespannt, welche Krankheit sie an mir austesten werden. Vielleicht werden sie mir einen Tumor ins Hirn setzen oder Leukämie in meinem Blut entfachen. Vielleicht werden sie mich auch ertränken und dann versuchen, mich mit neuartigen Methoden wiederzubeleben. Ich freue mich jedenfalls sehr, dass ich der Menschheit meine Dienste erweisen kann und bin gerne bereit mich dafür zu quälen und zu sterben. Ich kann nicht verstehen, wie ich vorhin noch ansatzweise an Flucht denken konnte. Oder an meinen persönlichen Verlust wie Familie und Freunde. Hier geht es nicht um mich, sondern um die Menschheit.
Hiermit beende ich meine Niederschrift und werde sogleich den Knopf drücken.
Irgendwann wird man mir dafür einmal sehr dankbar sein.