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Klitzekleine Weihnachtsgeschichte

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23.02.2025
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Anmerkungen zum Text

Kursive Wörter sind dänische Wörter. Mor bedeutet Mutter.

Klitzekleine Weihnachtsgeschichte

Nu er det jul igen. Es ist wieder Weihnachten, den klitzekleinen Weihnachtsabend (lille bitte juleaften) am 22. Dezember haben wir mit Freunden gefeiert und nun wir sind auf dem Weg zu meiner dänischen Mutter. Traditionell feiern wir am 23. Dezember den lille jule aften. Dann gibt es aebleskiver, glög und viele Freunde. Die Vorbereitungen für Heiligabend laufen schon längst. Mor hat schon die leverpostej fertig, der roedkoed ist eingekocht und der fleskesteg steht bereit. Die Gans, gefüllt mit Äpfeln und Pflaumen kommt Stunden vorher in den Ofen. Wir „Kinder“ machen die traditionellen Weihnachtssüßigkeiten aus Marzipan und Datteln. Alle warten auf den frühen Nachmittag des 24. Dezember, jetzt wird nämlich der Weihnachtsbaum aufgestellt, am besten so, dass wir singend um ihn herumtanzen können. Erst danach beginnen die Vorbereitungen für das Weihnachtsessen. Die Heiligkeit des Abends, die karamellierten Süßkartoffeln, bleiben meiner Mutter oder meiner großen Schwester überlassen. Ich, 44, kann das noch nicht. Der risalamande steht auch schon fast fertig bereit, die Mandeln sind gehackt, nur die eine Mandel, die den Finder zum Beschenkten macht, liegt separat in einer Kaffeetasse. Das Verstecken ist ausschließlich unserer Mutter vorbehalten. Der Finder der ganzen Mandel bekommt das erste Geschenk des Abends. Versehentliches Zerkauen gilt nicht.

Am nächsten Tag geht es weiter mit dem traditionellen frokost, eine Art Brunch. Auch hier gilt es, eine genaue Reihenfolge einzuhalten. Erst kommt das Graubrot mit vielerlei Heringsköstlichkeiten. Gästen, die mit den skandinavischen Traditionen nicht vertraut sind, bleibt der erste Bissen verwehrt, denn noch bevor man genüsslich zubeißen darf, ruft der Erste in der Runde „skaal“ und es wird mit dem ersten Schluck eiskalten Jubiläumsakvavit angestoßen. Reihum wird das Schnapsglas mit einem lauten skaal gehoben, und wenn viele Gäste am Tisch sitzen, dann ist schon nach der Vorspeise niemand mehr nüchtern. Dann kommt Weißbrot mit Lachs, Krabben und manchmal Aal, natürlich in Begleitung von Bier und Akvavit. So mancher Unkundiger ist erstaunt über diese jähe Anstoßen. Wikingersitten gehen eben nicht verloren. Doch jedes Jahr möchten die Gäste gerne wieder mit uns feiern, mit uns Lieder singen, deren Texte sie nicht verstehen, mit uns um den Weihnachtsbaum tanzen.

Diese schönen Traditionen, die so urdänisch sind, sie bleiben, sie überdauern alles, was diese wunderschönen Erinnerungen überschattet. Unsere Mor hat uns so vieles mitgegeben, so schöne Traditionen übermittelt und uns so herrlich in diese wunderschöne, urtümliche Kultur eingebettet.

Tusind tak kaere Mor.

 

Hej @Nete

Eine sehr warme, stimmungsvolle Miniatur, die vor allem durch ihr Brauchtum lebt. Die dänischen Weihnachtstraditionen – lille juleaften, risalamande, das Tanzen um den Baum, der obligatorische skaal – sind liebevoll und kenntnisreich geschildert und geben dem Text eine klare kulturelle Identität. Man spürt, dass hier nicht recherchiert, sondern gelebt wird.



Gerade für Leser:innen, die diese Traditionen nicht kennen, entfaltet der Text einen besonderen Reiz. Er lädt ein, mitzufeiern, mitzutrinken, mitzusingen. Das funktioniert atmosphärisch sehr gut.



Was dem Text noch fehlt, ist allerdings ein sichtbarer erzählerischer Konflikt. Im Moment bleibt es bei einer Abfolge von Ritualen und Erinnerungen, die zwar schön sind, aber eher beschreibend als erzählend wirken. Ein kleiner Bruch, etwas, das nicht ganz gelingt, ein innerer Zweifel, ein Generationenkonflikt oder eine Irritation zwischen Tradition und Gegenwart, könnte dem Ganzen deutlich mehr Spannung verleihen, ohne die ruhige Grundstimmung zu zerstören.



Weil die Bindung zur Mutter (Mor) so stark ist, liegt hier mMn erzählerisches Potenzial. Ein Abschied, eine Veränderung, ein leiser Verlust oder auch nur das Bewusstsein, dass diese Rituale nicht ewig so bleiben werden.



Als Weihnachtsmomentaufnahme funktioniert der Text sehr gut, als Geschichte dürfte er noch mutiger werden. Das Gespür für Atmosphäre und Ton ist auf jeden Fall vorhanden

Ich bin gespannt, was von dir noch zu lesen sein wird.

Viele Weihnachtsgrüße sendet
Isegrims

 

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