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Kochen mit Yvonne Catterfeld
Im Fernsehen schaue ich mir am liebsten Kochsendungen an. Am meisten gefallen mir jene, in denen Prominente Speisen zubereiten. Mein Bruder Miguel schüttelt über diese Angewohnheit den Kopf und eigentlich hat er damit recht, denn ich koche gar nicht gern. In meinem Kühlschrank befinden sich nur Dinge, die sich schnell und einfach zubereiten lassen. Tiefkühlpizzen, Fertiggerichte aller Art, vorgekochte Nudelgerichte, Joghurts und Puddinge. Ich mag es, wenn ich Dinge einfach nur in den Ofen zu tun brauche und nach 10 Minuten sind sie fertig. Das spart Zeit, die schon vor dem Fernseher verbringen kann. Kaffee kann ich gut kochen und dafür nehme ich mir auch richtig Zeit. Miguel sagt , mein Kaffee sei der Beste der Stadt. Er kommt gerne vorbei, um an meinem Küchentisch einen zu genießen. Die Bohnen mahle ich immer frisch. Ich liebe das Brodeln meiner alten Espressokanne aus Aluminium auf dem Herd. In der Zwischenzeit koche ich H-Milch im Topf und schäume sie anschließend mit einem Stab. Zum krönendem Abschluß streue ich Schokoflöckchen auf den Schaum. Miguel legt immer beide Hände um das warme Glas und guckt ganz versunken, bevor er den ersten Schluck nimmt.
Ich weiß nicht, warum ich Kochsendungen so mag. Vielleicht, weil es dort so ordentlich und beschwingt zugeht. Munteres Geplauder, während Hände geschickt Fleisch und Gemüse zerkleinern, saubere Töpfe und Pfannen, die glänzen. Ich betrachte gerne diese geschäftige Aufgeräumtheit. Noch nie habe ich beobachtet, daß einer der Prominenten sich bekleckert hat oder vollgespritzt wurde. Als ich selbst vor längerem mal einen der wenigen Versuche startete etwas nachzukochen, schnitt ich mir prombt in den Finger und die Küche war voller Blut. Ich habe die Sachen in den Mülleimer geworfen und mir eine Pizza bestellt.
Neulich war Yvonne Catterfeld in einer Sendung, das fand ich besonders schön. Diese junge Frau sieht aus, als würde sie stets nach reifen Pfirsichen duften, als könne sie niemals ins Schwitzen geraten, als gäbe es in ihrer Welt gar keinen Gestank. Ihr Seitenscheitel ist schnurgerade gezogen, kein Haar sitzt nicht an seinem Platz. Auf ihren Hüften befindet sich kein überflüssiges Pfund. Ich habe mich bemüht ein Staubkorn oder eine Fussel auf ihrer Kleidung zu entdecken, es ist mir nicht gelungen. Ihren Song habe ich mal im Radio gehört. Ich fand ihn etwas aufgesetzt, konnte mir nicht vorstellen, daß diese Frau jemals verlassen worden ist. Wer würde eine Frau verlassen, die derart vollkommen wirkt? Wer könnte einem Klimpern ihrer hübschgeschwungenen Wimpern widerstehen? Wer würde beim leichtem Öffnen ihres vollen Mundes nicht erstarren und ins Stottern geraten? Ihre Sendung mochte ich auch gern. Wie hieß sie noch gleich? Verbotene Liebe? Gute Zeiten, schlechte Zeiten? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls wurden dort Probleme immer angegangen und schnell gelöst und die Liebe kam auch nie zu kurz.
Als Fräulein Catterfeld dort im Studio stand, hatte ich erst Angst, sie könne sich vielleicht schneiden oder ihren schönen Pullover versauen.Denn, wenn ich ehrlich bin, sieht sie auch nicht gerade aus, als hätte sie in ihrem Leben schon viele Gerichte selbst zubereitet, doch sie erwies sich, als überaus geschickt. Ihre schmalen Hände schnitten flink Zucchini in feine Scheiben. Sie brauchte dafür nicht länger als der ihr zur Seite gestellte Koch. Ich bewunderte ihre Fähigkeiten und lauschte ihrem Geplauder. Während ich auf dem Sofa saß, Chips knabberte und Bier trank, sah ich mit wachsender Begeisterung der Fertigstellung des Auflaufes zu. Es versprach ein schöner Abend zu werden, als es an der Tür klingelte. Komisch, ich erwartete überhaupt niemanden. Vor der Tür stand Miguel. Er sagte, er habe nicht viel Zeit müsse bald zur Arbeit, aber auf einen Kaffee wollte er noch reinschauen. Im Wohnzimmer maulte er sofort über das Programm, während ich in der Küche den Kaffee mahlte. Was für einen Scheiß ich mir da wieder anschauen würde, die blonde Schnepfe könne doch kein Mensch ohne den vorherigen Genuß von Drogen ertragen. Auf Pro 7 liefe doch ein toller Actionstreifen. Ich schrie von der Küche aus, er solle die Glotze ausmachen und in die Küche kommen. Einwenig bedauerte ich den Abend nun ohne Yvonne verbringen zu müssen, aber Miguel ist mein 18-jähriger Bruder und ich liebe ihn, schließlich ist er der Einzige, den ich noch habe auf der Welt seit unsere Mutter vor zwei Jahren verstarb. Auch wenn ich mit vielem in Miguels Leben nicht einverstanden bin, dem zum Beispiel, was er seinen Beruf nennt. Ich habe Sorge, daß er meinen Bruder kaputtmacht. Das kann nicht gut sein mit den vielen Männern. Er sagt, es mache ihm nichts, er würde einfach an was anderes denken, er könne seine Seele gut auf Reise schicken und die Bezahlung sei schließlich nicht schlecht. Immerhin habe er sich eine schicke Wohnung davon einrichten können und sei letztes Jahr nach Thailand geflogen. Ich solle doch mal schauen, wo ich immer noch sei mit meinem klapprigem Fahrrad und meinem Verkäuferingehalt.
Zumeist vermeiden wir es darüber zu sprechen, was er so macht. Nur meine Furcht, er könne eines Tages tot im Strassengraben gefunden werden, will nicht verschwinden. Das wird sie wohl nie. Wenn wir Kaffetrinken reden wir meist wenig und wenn dann über unverfängliche Themen. Wie wir als Kinder immer auf die höchsten Bäume geklettert sind , wie wir Comics geklaut haben im Supermarkt und sie dann heimlich mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen haben und welche Filme wir uns angeschaut haben. Wir sitzen uns am Küchentisch gegenüber. Miguel umklammert die Kaffeetasse, löffelt den Schaum genüßlich ab. Neulich am Catterfeld-Abend sah er blass aus und noch dünner. Ich suchte nach Schatten unter seinen Augen und ertappte mich dabei ebenfalls nach Einstichwunden an seinen Armen zu suchen, fand aber keine. Während wir schwiegen, mußte ich an den Abend vor 3 Wochen denken, wo ich mit einer Freundin am Bahnhofsviertel lang lief. Wir wollten uns im Kino den neuen Meg Ryan- Streifen anschauen. Da erblickte ich ihn auf der anderen Strassenseite an eine Strassenlaterne gelehnt rauchend. Scham trieb mir die Röte ins Gesicht und ich bekam Angst meine Freundin könne ihn bemerken. Schnell griff ich sie am Arm und zerrte sie in eine andere Richtung. Sie sah Miguel nicht und ich war erleichert. Den gesamten Film über hasste ich mich selbst und nachher täuschte ich Übelkeit vor, um mit meiner Freundin nichts mehr trinkengehen zu müssen.
Ich betrachtete am Küchentisch sein hübsches Gesicht. Wenn er wüßte, daß ich ihn verleugnete, würde er mich dann hassen? Miguel schlürfte den Rest seines Kaffees und stand auf. „So, ich muß jetzt los! Danke für den Kaffee!“ sagte er und war auch schon zu Tür raus. Ich ging hastig zurück ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein, wo Yvonne Catterfeld ein letztes Mal in die Kamera lächelte, bevor der Abspann kam. Ob sie wohl auch einen Bruder hatte? Sicher nicht! Ich schnappte mir das Fernsehprogramm und blätterte, ob irgendwo noch eine andere Kochsendung lief. Ich hatte Glück und lächelte selig.