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Kohlestaub

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20.10.2002
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Kohlestaub

Das Blatt ist leer. Zögernd beginnt er die ersten Striche, vorsichtig, als wäre das Papier verletzlich. Unsichere Linien aus schwarzem Kohlestaub.
Die letzten Sonnenstrahlen werfen ihr Licht auf seine Staffelei, das Fensterkreuz auf dem Papier, verschwommene Schlangen.
Staubteilchen schweben in der Luft, sichtbar in den schmalen Streifen des Lichts.

Die Striche werden kräftiger, die Bewegungen sicherer. Schattierungen entstehen. Wirre Haarsträhnen beginnen das Blatt zu füllen. Darunter Augenhöhlen, Brauen, ein Gesicht.
Er hält kurz inne, betrachtet diese Augen aus Kohle. Es sind vorwurfsvolle Augen, von Zorn und Trauer überschattet.
Seine Bewegungen werden nervöser, wollen diesen Ausdruck übermalen. Harte schwarze Striche. Dieses Mal wird er den Vorwurf auslöschen, die Trauer vom Blatt schmieren. Schneller, mehr Kohle über diese Augen, er will sie nicht mehr sehen!

Er steht vor der Staffelei, wilde Bewegungen, der Schweiß tritt auf seine Stirn. Das weiße Blatt vor ihm wird dunkel durch die groben, breiten Striche. Die fein geschwungenen Linien verschwinden unter dem Schwarz.

Doch die Augen, diese Augen, sie sind immer noch da! Starren ihn an, durch das Papier, hinter der Kohle, der Vorwurf steht im Raum. Rot dringt durch das Papier, leise Tropfen, lassen das Schwarz verschwimmen, immer mehr Rot! Die Augenhöhlen durchbohren ihn, das Rot bespritzt seine Hände, immer mehr, immer mehr…

Panik lässt ihn die Kohle immer stärker auf das Papier schmieren, das Rot überdecken, und diese Augen.

Sein eigener Schrei betäubt seine Ohren, heiser und schrill, überall Rot, überall Blut, das über das Schwarz fließt, über die Kohle, seine Hände, das seinen Kittel voll spritzt.
Bizarre Muster aus Rot formen sich auf dem Boden, gleich Adern, ein Netz entsteht zu seinen Füßen, breitet sich aus… Die Wand!
Es umhüllt auch die Wände, tropft zäh von der Decke, klebrig und süß… die Augen an den Wänden starren aus dem Schwarz, aus der Kohleschicht, die Münder lachen verächtlich, höhnen über ihn, der am Boden liegt und sich windet, den Blick an das Bild an der Staffelei geheftet.

Wieso nur kann er sie nicht überdecken, diese Augen… wieso kann er das rot nicht vergessen…

An den Wänden hängen unzählige Bilder. Schwarzer Kohlestaub ist auf allen, oft so dick, dass das Papier gerissen ist. Das Schwarz an der Staffelei unterscheidet sich in nichts davon.
Vor der Staffelei liegt ein Mann, seltsam verkrümmt, in seinen Augen stehen Entsetzen und Erkenntnis.

Er ist tot.

 

Hallo Echnaton!

Danke fürs Lesen und die Rückmeldung, wenns Dir gefallen hat, umso mehr :)

"Sie hat für mich eigentlich surrealen Charakter."... da hast Du eigentlich recht. ICh hab das selbst noch garnicht gesehen...

Ich freu mich besonders, dass Du sie lesen kannst und danach einfach selsbt für Dich interpreteren. Das ist doch eignetlich das wesentlich bei Texten! Danke.

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Boris!

Freut mich sehr, das Du aus der Geschichte doch so viel mitnehmen konntest, obwohl Du sie nciht kapiert hast... Danke für Deine Antwort :)
Und zum Verständnis: sie steht ja auch in seltsam... ;)

schöne Grüße
Anne

 

Hallo Maus,

Deine Geschichte kommt mir bekannt vor, ein Besessener, rote Augen, alles schwarz. (Zum Glück hast Du den Spiegel ausgelassen). Seine „Erkenntnis“ interessiert mich am meisten, doch hier bleibt die Geschichte ziemlich offen.
Gelungen ist die Dynamik der Geschichte, der Bogen (!) von „als wäre das Papier verletzlich“ zu „Schwarzer Kohlestaub ist auf allen, oft so dick, dass das Papier gerissen ist“.
Bei „schwarzer Kohlestaub“ könnte man auch `so schwarzer Kohlestaub´schreiben. (In der der Romantik hätte man wohl `Ach, so schwarzer Kohlestaub´geschrieben), um auszudrücken, dass die Schwärze als eine besondere Eigenschaft wahrgenommen wird. (Eine Tautologie ist also möglich, aber die braune Zeichenkohle `von´ schnee.eule hat Dich ja schon gerettet).

Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Wolotchinon!

Vielen Dank fürs Lesen und die Rückmeldung.
Fruet mich, wenn der Text für Dich dynamisch war, auch wenn er keine Erkenntnis in dem Sinn vermittelt...
"Oh so schwarzer Kohlestaub" hört sich zimlich dramatisch an... ;)

Danke und liebe Grüße
Anne

 

Hallo Maus

Ich habe deine Geschichte gelesen und sie auf Anhieb so verstanden, wie du sie meintest. Dennoch hat sie mir nicht gefallen, auch wenn sie einige schöne Passagen besitzt.
Die Idee an sich gefällt mir. Ein Maler, der eine Schuld begangen hat und diese ihn soweit beschäftigt, dass es seine Berufung vernichtet bzw. nichtig macht. Noch besser hätte ich es gefunden, wenn du nicht so flach geschlossen hättest "und stirbt eben...", sondern ihn zB hättest Suizid begehen lassen, weil er eben keinen Sinn mehr im Leben sieht. Sicher, eine Geschichte in Seltsam, da kann der Maler auch vom reinen Schock her umfallen, aber es hinterlässt Fragen, die für die Geschichte eigentlich keine sonderliche Bedeutung haben.
Desweiteren kritisiere ich die klischeehafte Darstellung des Malers (verrückt-genial) weiter auszuarbeiten. Das Bild kommt 1000mal in vergleichbaren Erzählungen vor und ist wenig individuell. Gerade weil du hier einen Sonderfall darstellst, empfehle ich, besonderen Wert auf eine ganz eigene Charakterisierung zu legen. Da gibt es viele Möglichkeiten. Lass ihn zB nur ansätzlich professionell sein und seinen größten Gegenspieler, den Italiener da Vinci, umgebracht haben. :)
Ein weiteres Manko des Textes sehe ich in der Erzählperspektive. Du verwendest einen auctorialen Erzähler. Das eigentliche Problem daran besteht meiner Meinung nach in den Emotionen, die du versuchst überzubringen. Irgendwie eröffnet sich da eine Diskrepanz. Auf der einen Seite ist es dein Ziel möglichst gefühlsnah und -echt zu berichten, auf der anderen Seite verwendest du eine externe Perspektive. Die dritte Person wirkte für mich befremdent. Viel näher wirkte der Text, verwendetest du den personalen Erzähler. Theoretisch könntest du auch einen Rahmen aus betrachtender Erzählung verwenden, um den Tod darzustellen, aber eigentlich bedarf es dem gar nicht.
Es lässt sich auch so erschließen.

Insgesamt ein Text, den ich als zu einfach zu verstehen empfand. Hätte mir mehr Chiffrierungen gewünscht, mehr abstrakte Bilder und ein wenig mehr Dramatik (das Verhängnis, dass der Maler seine Kunst verliert), so dass man auch im Nachhinein mehr über den Text nachdenken kann. So bleibt er zumindest bei mir nirgendwo hängen.

Wenn du möchtest, können wir uns noch einmal über Details der Geschichte unterhalten. Wenn du Interesse hast sag mir einfach bescheid.

Liebe Grüße

Frederik

 

Hi Anne, werd noch zum Maus-fan, wenn das so weiter geht... Aber was mich seeeehrrr! Interessieren würde ist, warum machst du nicht mehr aus dieser Augen.-Vision???
Da steckt noch sooo viel drin, was du bis jetzt nur angekratzt hast... Ne Erklärung zu diesen omnipräsenten Augen würde m.E. auch noch gut reinpassen.
Ich bin sicher, du schaffst das, mit deinem Talent...
l.G. Lord

 

Hm, ich würde von einer weiteren Verdeutlichung abraten, wie ich schon schrieb. Aber ebenso denke ich, dass es nicht falsch wäre Andeutungen zu machen, wem diese Augen gehören, warum sie ihn verfolgen, welche Tat er begangen hat. Alles dezent und untergründig. Ich denke, dass Arion das gemeint hat. Momentan wirkt das Ganze noch weit hergeholt. Die Augen könntem jedem gehören, warum verfolgen sie ihn aber? Der persönliche, individuelle Bezug ist in solch einer Geschichte ist meiner Meinung nach recht wichtig, wie ich schon schrieb.
Naja, hierzu genug...für heute :)

Gruß, Frederik

yuhuu, mein 1111 Beitrag trotz global crash

 

Hallo Fred, hallo Lord!

Vielen Dank für Eure Auseinandersetzung mit dem Text, das Feedback hat mich echt gefreut. Fred: vor allem Dir danke für die intensive Beschäftigung. Du hast schon recht, momentan ist das alles noch recht simpel... der Text hat eine ziemliche Umarbeitung nötig, wenn er in diesem Sinn hintergründiger werden soll, das kann etwas länger dauern. Aber ich wird mich nochmal dransetzen, vor allem, nachdem Du Dir so viel Zeit für die Kritik genommen hast. Über Detailsachen freu ich mich ebenfalls immer...grad Kleinigkeiten können ja sehr wichtig sein. Danke!

Liebe Grüße, Anne

 

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