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Komm mit!
Vor ungefähr zehn Minuten hatte Steve die Orientierung verloren. Es war so als ob die Zeit für ihn stehen geblieben war. Er schaute um sich. Die blinkenden Discolichter, die pochende Hausmusik, die tanzenden Menschen... Alles bewegte sich und trotzdem schien alles stillzustehen. Plötzlich merkte Steve, dass er noch immer ein Becks in seiner rechten Hand hielt. Er bertrachtete die Flasche. Sie war halb leer. Er musste sie sich vor Ewigkeiten gekauft haben. Die Etiketten uns Alumanschette hatte er, wohl unbewusst, schon längst mit seinen Fingernägeln abgekratzt. Er nahm einen Schluck. Das Bier war lauwarm und abgestanden. Erneut führte er die Flasche zum Mund, schluckte das Bier aber nicht sofort hinunter. Er ließ die lauwarme Flüssigkeit langsam über seine Zunge gleiten. Nach was schmeckt Bier eigentlich? Steve schmeckte nichts. Erst beim Schlucken regestrierte er einen bitteren, teilweise sauren Nachgeschmack. Was mach ich jetzt?, fragte sich Steve. Er fühlte sich leergesaugt. Vor gar nicht allzulanger Zeit war er noch ein stolzer Luftballon gewesen. Jetzt war er geplatzt. Steve konnte nicht ewig dort stehen bleiben, sich an der an Wand anlehnend und auf die Tanzfläche blickend. Irgendwie hatte er aber zu nichts anderem Lust. Ihm war jetzt alles egal. Kein Hunger, kein Durst, keine Müdigkeit, keine Idee, kein Plan. Nur blickende Lichter und laute Musik. Wohin hätte er gehen sollen?
„Komm mit“, sagte eine sanfte Stimme.
„Wer bist du“?, fragte Steve.
„Wer bist du“?, konterte ein junges Mädchen.
„Ich hab zuerst gefragt“.
„Das stimmt, aber ich bestimme hier die Regeln. Wie heißt du?“
Steve lächelte und schüttelte den Kopf. Dann schaute er genervt weg. Was geht jetzt eigentlich?
Das junge Mädchen lachte ihn an. „Jetzt tu‘ doch nicht so“, sagte sie und gab ihm einen bubenhaften Schlag auf die Schulter. „Du magst mich doch!“
Steve lachte ein wenig erstaunt: „Ich mag dich?“
„Natürlich“, sagte sie und strahlte ihn an. Dabei nickte sie ihr Kopf leicht zur Seite. „Wie sollte es auch anders sein?“
Steve ließ einmal seine Augen ganz frech über ihren gesamten Körper laufen. Sie war spärlich bekleidet, so wie die meisten Fauen in der Discothek. Aber an ihrer Figur war wirklich nichts auszusetzen. Steve schaute ihr in die Augen. Hübsch war sie auch: „Was willst du jetzt?“
„Ich will, dass du mitkommst“
„Nein.“, sagte Steve kalt.
Sie schaute ihn verletzt an. „Nein? Hast du etwa was Besseres zu tun? Du stehst seit einer halben Stunde an dieser Wand und spielst mit deiner Bierflasche. Ich bin viel spannender als das, glaube mir. Aber gut, du Lebensmüder, ich geh ja schon“. Und schon drehte sie sich enttäuscht um und lief Richtung Tanzfläche.
Steve zögerte nicht lange. Es war wie ein Instinkt. Er musste einfach hinterher. Depremiert oder nicht, er hatte keine Wahl.
„Stopp“, sagte er und packte sie an der Schulter nach zwei, drei flinken Schritten.
Sie drehte sich um: „Also doch nicht so kaputt, wie du aussiehst“, sagte sie, plötzlich wieder strahlend.
Fast schon bereute Steve seine Entscheidung.
„Wir gehen jetzt. Komm, wir gehen raus.“ Sie ergriff seine Hand und führte ihn auf den Parkplatz.
Auf dem Weg dorthin fragte sich Steve, was er eigentlich erhoffte. Irgendwas an ihr faszinierte ihn. Möglicherweise war es einfach das Gefühl gewollt zu werden, das ihm wohltat. Jedenfalls hatte es dieses junge Mädchen in kürzester Zeit geschafft, wieder ein Gefühl in ihm zu erwecken, das er lange nicht gespürt hatte.
Kaum draußen, spürte Steve ein starker Wind. Es war warm und es sah nach Gewitter aus.
„Es wir bald regnen“, sagte er. „Es donnert“
„Hoffentlich. Hast du ein Auto?“
„Nein.
„Dann müssen wir eins klauen.“
„Du scherzt, oder?“, fragte Steve und hatte doch das komische Gefühl, dass sie es ernst meint.
„Nein, ich scherze nicht“, antwortete sie und nahm sogleich einen Schlüsselbund aus der Tasche.
Steve konnte es nicht glauben. „Woher hast du die?“
„Jetzt frag‘ nicht so blöd. Es ist viel einfacher als du denkst“, erklärte sie. Der Autoschlüssel gehörte scheinbar einem Daimlerfahrer. Es war einer dieser elektronischen Schlüssel mit der man ein Auto bloß anzappen muss, um es zu öffnen.
Steve fasste sich an den Kopf. „Oh mein Gott... nein, nein das kann ich nicht. Ich glaube, wir sollten das lassen“
Das junge Mädchen hörte nicht hin. Sie drehte sich im Kreis und drückte immer wieder auf ihren Schlüssel. Plötzlich blinkten die Lichter eines schwarzen Autos in zwanzig Meter Entfernung.
Schon fielen die ersten Regentropfen.
„Komm jetzt!“
Am Auto angekommen staunten beide. Es war ein nagelneuer, richtig dicker Benz. Vor allem aber staunte Steve aber über die Gelassenheit seiner neuen Bekanntschaft. Sie wirkte wie beim Einkaufen. Er dagegen hatte richtig Angst. Sein Herz pochte.
„ Das ist ja ein geiles Ding. Auf geht‘s!“, sagte das junge Mädchen.
„Ich geh nicht“, sagte Steve.
„Was?“
„Ich kann das nicht. Ich... ich weiß nicht einmal wie du heißt. Aber ich werd‘ dich nicht verraten. Geh du. Bitte lass mich.“
Es regnete jetzt richtig heftig. Das junge Mädchen breitete ihre Arme aus und drehte sich einmal im Kreis, scheinbar den Regen geniessend. Dann fasste sie Steve ins Gesicht.
„Ich heiße Sonja und wie heißt du?“
„Ich bin Steve.“
„Hör mal zu Steve. Wir haben jetzt 1:51. Du stehst vor einem Disco auf einem Parkplatz. Du bist klatschnass und es regnet. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder verlässt du mich jetzt und gehst nach Hause, wo auch immer du wohnst... wenn du jetzt gehst, sehen wir uns nie wieder. Du führst dann dein ödes Leben weiter und wirst vielleicht irgendwann glücklich oder vielleicht auch nicht. Oder du kommst jetzt mit und dein Leben wird sich für immer verändern“.
„Woher weiß du, dass diese Veränderung helfen wird?“, fragte Steve.
„Das weiß niemand Steve. Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber ich weiß, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll“.
„Warum hast du mich ausgesucht?“
Sonja schaute ihm lange in die Augen bevor sie antwortete. „Du bist anders als die anderen Menschen. Das sehe ich dir an. Darum wusstest du nicht wohin. Darum kommst du jetzt mit.“
„Du weiß nichts über mich“, protestierte Steve.
Sonja zog ihn zu sich her und küsste ihn. Dann schaute sie ihn lange in die Augen.
„Gehen wir“, sagte Steve.