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23.06.2006
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Komm zurück!

Das Zittern erreichte meine Beine. Ich krümmte mich zusammen, um den letzten Rest Wärme meines Körpers zu bündeln. Warum tat ich mir das an? Ein paar Schritte wären nur nötig und ich würde in der geheizten Wohnung in meinem kuscheligen Bett liegen. Nein! Früher hat mir das nichts ausgemacht, da war ich sogar noch jünger, hatte keinen Thermoschlafsack und die Temperaturen waren um einiges tiefer.
Ich starrte in den Himmel. Bildete ich mir das nur ein oder blinzelte mir ein Stern immer wieder zu? Samira...? So ein Quatsch! Doch vorsichtshalber blinzelte ich zurück. Wo ist sie jetzt bloß? Im Paradies? Im Himmel? In der Hölle? ...Sie war ja keine Christin... Oder gab es einen Warteraum, in dem man sitzen musste, bis der jüngste Tag kam und alles entschieden werden würde? Was ist mit dem Fegefeuer? Aber das wurde schon abgeschafft, oder?
Passiert mit jedem nach dem Tod das, woran er geglaubt hat?
Dann würde Samira jetzt als Geist durch die Wüste fliegen, würde ihre ganze Familie um sich haben, die Lebenden und die anderen Geister. Alle wären vereint, alle außer mir. Ich hatte es auch nicht verdient. Gefreut habe ich mich, riesig gefreut, als ich erfahren habe, dass ich nach Deutschland ziehen könnte, dass eine Familie mich aufnehmen würde. Über meine alte Familie habe ich nicht viel nachgedacht. Ich gehörte sowieso nicht wirklich dazu. Meine Haut war zu hell, mein Aussehen zu europäisch. Ich dachte ich würde dorthin gehören. Der Mann vom Hilfswerk auch. Er mochte mich, das wusste ich.
Ich blickte wieder in den Himmel.
In König der Löwen sieht Simba seinen Vater und seine Großväter in den Sternen, ob das mit Müttern auch geht? Die Nacht war fast sternenklar. Trotzdem konnte ich Samira nicht erkennen. Zeig dich doch! Bitte! Ich will dir das alles erklären! Angestrengt suchte ich den Himmel ab. Was erwartete ich eigentlich? Das Samira aus dem Himmel kommt und ich mich bei ihr entschuldigen konnte?
Ich legte mich wieder zurück, wollte schlafen, schloss die Augen. Es ging nicht. Die Ruhe der Sahara fehlte. Immer wieder hörte ich Autos vorbeirattern, und das Klirren meiner Zähne weckte mich, sobald ich einzuschlafen drohte.
Ich beobachtete den Himmel weiter.
Vereinzelt huschten ein paar Wolken vorbei. Eine flog gerade über unseren Schornstein hinweg, sie hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einer Palme. Palmen. Hier gab es keine. Nur starke Bäume, wie Eichen, Kastanien und so. Ich liebte die Bäume. Alle. In Deutschland scheint alles perfekt zu sein. Damals dachte ich Deutschland, ja ganz Europa, wäre das Paradies, an das die Christen glauben. Europäer konnten alles. So dachten alle bei uns. Sie denken immer noch so. Ich nicht.
Eine Zeile des Briefes den Vater mir nach Samiras Tod geschrieben hatte, kam mir in den Sinn. „Bitte bring sie zurück. Setz dich in ein Flugzeug und hol sie vom Himmel, oder bring eine eurer Wunderkräuter mit. Wir können die Steine lösen.“ Er glaubte an die Allmacht der Europäer. Nach wie vor. Für ihn war ich eine Europäerin, also konnte ich seine Frau ins Leben zurückholen. Er war noch nie geflogen, hatte aber schon hoch fliegende Flugzeuge gesehen. Auch die Wirkung der Tabletten, die von europäischen Hilfswerken ausgeteilt wurden, bestärkte sein Vertrauen. Wie soll ich ihm erklären, dass ich das nicht kann? Dass das so nicht geht? Dass es keiner kann?
Ich würde es so gerne. Sie einmal noch sehen. Nur um ihr zu erklären, warum ich nie geschrieben habe, nie zu Besuch gekommen bin, nie geholfen habe. Sie hat es bestimmt nicht verstanden. Ich muss ihr sagen wie gern ich sie mochte, dass ich keine arrogante, selbstsüchtige Verräterin bin, sondern dass ihr Bild von den Europäern falsch war, dass mir jeder Kontakt verboten wurde, dass ich es selbst schwer hatte, nicht aufzufliegen, dass es mir wehtat ihnen nicht helfen zu können, dass ich mich dafür selbst hasste.
Einmal. Nur einmal noch in der Hoggar liegen, meine Gandura überziehen. Sie ist besser als dieser blöde Schlafsack.

 

Hallo maybe!!

Dein Text hat mir gefallen, da er trotz der Kürze ein nachdenkliches Gefühl in mir auslöste.
Der Konflikt ist anschaulich dargestellt, und auch die Traurigkeit deiner Protagonistin überzeugt.

Dein Schreibstil ist überraschend gut; wenn ich da an meine ersten Geschichten in deinem Alter zurückdenke ...:Pfeif:

Immer weiter so!

Salem

 

Hallo maybe!,

in aller Kürze sprichst du verschiedene Themen an, Sehnsucht, Schuldgefühle, Religion. („Passiert mit jedem nach dem Tod das, woran er geglaubt hat?“). Kindlich Naives (Abschaffung der Hölle) vermischt sich mit Schwerwiegendem, eine gute Mischung.
Alles zusammen ergibt eine (trotz der Anspannung der Protagonistin) ruhige Geschichte, die Andeutungen ergeben ein Gesamtbild. Es ist sicher nicht die ganz `große´ Geschichte, hat mir aber gefallen.

„Früher hat mir das nichts ausgemacht, da war ich sogar noch jünger“

- Klingt etwas seltsam - früher ist man immer jünger.


Hölle? ...Sie war ja keine Christin...

- Hölle? … Sie Christin … (neue Rechtschreibung)

bis der jüngste Tag

- Jüngste Tag (kann man als Gesamtbegriff auffassen)

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo maybe,

finde die Geschichte wirklich schön. Sie ist einfach gut geschrieben und zaubert eine melancholisch-schöne Stimmung. Mehr kann ich gar nicht schreiben, bin noch ganz verblendet vom klaren Sternenhimmel. ;)

lg

scribine

 

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