Kommissar Ferdinand
Es war einer dieser wunderschönen Sommertage. Ich liege gemütlich in meiner mit weichem Fell bezogenen Fensterschale und lasse mir die Sonnenstrahlen auf den Bauch scheinen. Mein Mensch hat mir diese Schale zu meinem letzten Geburtstag geschenkt, eine tolle Idee. Sie wird an der Fensterbank befestigt und ich kann mich gemütlich hineinkuscheln und habe trotzdem die gesamte Nachbarschaft im Blick. Ich heiße übrigens Ferdinand und bin ein stattlicher schwarzer Kater.
Ich lasse meinen Blick über das gegenüberliegende Haus streifen. Im ersten Stock hängen ganz furchtbare Gardinen mit Rüschen und überall auf der Fensterscheibe kleben bunte Bildchen. Was für ein Mensch dort wohl wohnen mag?! In meinen Gedanken habe ich diese Gardine schon oft zerfetzt… Plötzlich bemerke ich eine hektische Bewegung hinter dem oberen Fenster. Ich verenge meine Augen zu Schlitzen und versuche etwas zu erkennen, doch die Sonne blendet mich. Vorsichtig stehe ich auf und setze mich ganz dicht vor die Fensterscheibe. Konzentriert fixiere ich die wackelnde Gardine im obersten Stock. Da! Wieder diese Bewegung, die Gardine schaukelt wild umher. Meine Pfoten schwitzen, ich bin ganz aufgeregt. Eine Wolke schiebt sich an der Sonne vorbei und ich kann nun endlich etwas erkennen. Doch was ich in der gegenüberliegenden Wohnung erblicke beunruhigt mich sehr.
Ein großer Mann und eine zierliche Frau schupsen sich hin und her. Sie haben einen wütenden Gesichtsausdruck. Plötzlich schlägt die Frau den Mann mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Sonne kommt wieder hinter der Wolke hervor und strahlt mit voller Kraft auf die Fensterscheibe. Ich erkenne noch einen glänzenden Gegenstand, der im Schein der Sonne hell aufblinkt. Wie gebannt starre ich auf die Fensterscheibe und warte. Hoffentlich kommt gleich eine Wolke, denke ich. Im Leben einer Hauskatze passiert schließlich nicht jeden Tag so etwas Spannendes.
Ich habe Glück, eine kleine Wolke verdeckt die Sonne und ich kann wieder etwas erkennen. Der Mann steht starr da und ich sehe die Frau, die langsam zusammensackt. Plötzlich ist sie verschwunden und der Mann starrt auf den Boden. Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht erkennen. Die Sonne kommt wieder und strahlt mit voller Kraft auf das gegenüberliegende Haus. Ich sortiere meine Gedanken. Was habe ich da nur gesehen? War der glänzende Gegenstand ein Messer? Verwirrt blicke ich aus dem Fenster. Die Straße ist in der Mittagszeit immer menschenleer. Nur ein paar Vögel sitzen an den Mülltonnen, in der Hoffnung dass etwas Essbares daneben gefallen ist. Nanu, was ist denn das? Ein Mann eilt an den Mülltonnen vorbei, blickt sich mehrmals um und verschwindet hinter dem Haus. War das der Mann von der oberen Wohnung? Mein Herz rast. Schnell, ich muss ins Wohnzimmer laufen. Von dem Fenster aus, kann ich in den Garten des Hauses sehen. Hastig sprinte ich durch den Flur und springe auf die Fensterbank im Wohnzimmer. Ich kann den Mann sehen. Er hockt vor einer Steinfigur, die an einen Löwen erinnert und blickt sich mehrmals um. Dann hebt er die Statue an und schiebt einen Gegenstand darunter. Ob es das Messer ist? Mir sträubt sich das Nackenfell. Bin ich Augenzeuge eines Verbrechens geworden? Ganz ruhig, Ferdinand. denke ich und versuche ruhiger zu atmen.
Nach diesen Erlebnissen braucht auch ein Kater wie ich erstmal etwas Schlaf. Ich machte es mir gerade in meiner Fensterschale bequem, als ich lautes Geschrei auf der Straße höre. Einige Menschen rennen wild durcheinander und ich sehe wieder den Mann. Er hält seine Hände vor das Gesicht und wird von zwei Frauen gestützt. Plötzlich ertönt eine Sirene und zwei große Autos fahren in die Straße. Was ist hier nur passiert, fragte ich mich. Jetzt sehe ich auch die Frau, sie liegt auf einem weißen Bett mit Rädern und wird in eines der Autos gerollt. Ob sie noch lebt, kann ich nicht erkennen. Nach einigen Minuten fahren die Wagen mit lautem Geheule davon und auch der Mann ist nicht mehr da. Es kehrt wieder Ruhe ein. Erschöpft rolle ich mich zusammen und schlafe ein. Meine Träume kreisten um das Geschehen, ich sehe immer wieder die Frau und auch das Messer.
Als ich wieder aufwache, ist es bereits dunkel geworden. Die Straßenlaternen tauchen alles in gespenstisches Licht. Plötzlich sehe ich ein Auto, das langsam die Straße entlang rollt. Gott sei Dank! denke ich. Mein Mensch ist wieder zu Hause. Ich springe aus der Schale und setze mich neben die Eingangstür. Wie jeden Abend öffnete mein Mensch die Tür und lächelt mich an. „Hallo Ferdi.“ sagt er sanft und kraulte mein Nackenfell. Gewöhnlich werfe ich mich dann auf den Rücken und lasse ihn meinen Bauch kraulen, aber heute ist mir nicht danach. Die Bilder des heutigen Tages kann ich nicht so einfach loswerden. „Was ist denn los mit Dir?“ fragt mein Mensch besorgt und nimmt mich auf den Arm. „Ich habe meinem Lieblingskater auch was mitgebracht!“ Er wühlt in seiner Umhängetasche und holt ein kleines Schälchen hervor. Es ist mein Lieblingsessen. Ich schnurre. Mein Mensch schafft es immer wieder mich glücklich zu machen. Aber die Erlebnisse ließen mich trotzdem nicht mehr los.
Am nächsten Abend liege ich wie gewohnt neben meinem Mensch auf dem Sofa, als das Telefon klingelt. Normalerweise interessieren mich die Gespräche meines Menschen nicht, obwohl ich sie recht gut verstehen kann. In meinen 10 Jahren Menschenerfahrung habe ich diese Sprache schon recht gut gelernt. Aber heute erweckt ein Wort mein Interesse. MORD! Mein Mensch ist ganz aufgeregt. „ Und Frau Rasche ist wirklich ermordet worden?“ Er spielt nervös mit dem Telefonkabel. „ Hat die Polizei schon eine Spur?“ Mein Mensch lauscht interessiert am Telefonhörer. „ Es war also definitiv ein Einbrecher. Meine Güte, ich hätte nie gedacht, dass in dieser Gegend so etwas geschehen kann. Danke für die Info. Bis Morgen!“ Er legt langsam den Hörer auf und krault gedankenverloren meinen Rücken. „ Ach Ferdi, da haben wir aber Glück gehabt. Er hätte auch hier einbrechen können.“ Ein Einbrecher? denke ich. Das ist doch gar nicht wahr. Wahrscheinlich hat die Polizei die Tatwaffe nicht gefunden. Tief in mir fühle ich, dass ich etwas tun muß. Ich kann diesen Mörder nicht davon kommen lassen. Nur was soll ich tun?
In dieser Nacht schlafe ich sehr schlecht und so wandere ich in der Wohnung auf und ab. Gegen morgen habe ich eine Idee. Sie ist riskant, aber ich muss es versuchen. Der Morgen beginnt wie immer. Mein Mensch steht auf, steigt unter die Dusche und dann frühstücken wir zusammen. Er füllt meinen Napf mit frischem Futter und kocht sich wieder dieses braune Getränk. Mein Mensch schlägt die Zeitung auf und liest plötzlich laut vor. „ Frau erstochen aufgefunden! Am letzten Samstag wurde in der Mittagszeit eine Frau in ihrer Wohnung ermordet. Der Zustand der Wohnung und auch das fehlende Geld lässt die Polizei von einem Einbruch ausgehen. Eine Tatwaffe wurde nicht gefunden. Da in der letzten Zeit öfters Wohnungseinbrüche stattgefunden haben, geht die Polizei von einem Serientäter aus. Dass die Frau bei dem Einbruch ermordet wurde, war vermutlich nicht beabsichtigt. Vielleicht hatte sie den Täter überrascht. Augenzeugen gibt es bislang keine. Die Frau hinterlässt ihren Ehemann und 2 Kinder.“ Mit betroffenem Blick legt mein Mensch die Zeitung zusammen. „Ist das nicht schrecklich, Ferdi?“ Ich blicke ihn an und würde ihm so gerne sagen was ich weiß. Schließlich gibt es einen Augenzeugen. MICH!
„ Ich fahre jetzt, tschüß Ferdi.“ sagt mein Mensch und geht zur Haustür. Das ist meine Chance. Ich schleiche mich langsam an ihn heran. Ich bin hochkonzentriert. Hoffentlich ist die Eingangstür unten offen, bete ich in Gedanken. Mein Mensch drückt die Klinke nach unten und öffnet die Tür. Ich spurte durch den Türschlitz und haste die Treppen hinunter. „Ferdi!“ höre ich meinen Mensch rufen. Zum Glück ist die Eingangstür offen. Etwas Angst habe ich hier draußen schon, denn normalerweise beobachte ich das Geschen nur aus meiner Fensterlliege. Jetzt bin ich mitten drin und es kann gefährlich werden. Ich blicke mich mehrmals um, dann spurte ich über die Straße und setze mich vor das Nachbarhaus. Es dauert einen kurzen Moment, dann kommt mein Mensch mit besorgter Miene hinter mir her. Ich miaue kurz, damit er mich sieht. „Ferdi, komm her!“ sagt er mit sanfter Stimme. Es tut mir leid, dass ich ihm Sorgen bereiten muss, aber es geht nicht anders. Zielsicher laufe ich an den Mülltonnen vorbei und in den Garten hinein. Vor dem Steinlöwen bleibe ich stehen. Mein Mensch folgt mir.
„Ferdi, warum läufst du denn weg?“ fragt mein Mensch besorgt und hockt sich zu mir. Jetzt kommt es auf mich an. Ich drehe mich um, grabe mit meinen Vorderpfoten in der Erde vor dem Löwen. Außerdem begleite ich meine Aktion mit einem fordernden miauen. „Was ist denn da?“ fragt mein Mensch und steht auf. Bitte schau unter den Löwen, flehe ich in Gedanken. „ Hör auf damit, Ferdi. Ich muss jetzt zur Arbeit.“ Er beugt sich runter um mich auf den Arm zu nehmen. Ich reagiere blitzschnell und laufe einmal um die Statue. Verwirrt blickt er mich an. Ich nutze diesen Moment und springe zur Vorderseite des Löwen. Wieder grabe ich in der Erde und miaue. Ich blicke meinen Menschen zwischendurch immer wieder an und deute mit meiner Nase auf die Stelle. Begreif es doch endlich! denke ich. Endlich zeigt mein Mensch Interesse. „ Lass mich mal sehen.“ sagt er und schiebt mich zur Seite. „ Ist da eine Maus unter der Statue? Ferdi du kleiner Jäger“. sagt er lächelnd und hebt die Statue an. Ich blicke in seine Augen. Das freundliche Leuchten weicht einem erschrockenen Ausdruck. Mein Mensch starrt wie gebannt unter die Statue. Jetzt muss auch ich einen Blick darunter werfen. Der glänzende Gegenstand meiner Beobachtung ist tatsächlich ein Messer. Es ist zwar durch die Erde verschmutzt, aber man kann deutlich das getrocknete Blut daran erkennen. Mein Mensch setzt die Statue wieder ab und lässt sich auf den Rasen fallen. Wir blicken uns an. Plötzlich greift er in seine Tasche und holt sein Handy hervor. Mit zitternden Fingern wählt er eine Nummer. Nach einem kurzen Gespräch, von dem ich nur Fetzen verstehe, steckt er es wieder in die Tasche und beugt sich zu mir. „ Komm Ferdi. Wir gehen nach Hause.“
Ich liege gerade in meiner Schale, als ich die Sirene höre. Zwei Autos fahren in unsere Straße. Menschen in Uniform steigen aus und gehen zu der Statue im Garten. Aus dem zweiten Auto steigen zwei Menschen in dunkler Kleidung aus. Sie blicken sich kurz um und gehen dann auf unser Haus zu. Plötzlich klingelt es. Die Beiden bitten meinen Menschen zu ihnen runter zu kommen. Hoffentlich kommen sie dem richtigen Täter auf die Spur.
Zwei Tage vergehen, an denen ich nichts über den Fall in Erfahrung bringen kann. Mein Mensch ist etwas angespannt, ich gebe mein bestes um ihn fröhlich zu stimmen. Plötzlich klingelt das Telefon. „ Der eigene Ehemann hat das getan?“ fragt mein Mensch ungläubig in den Hörer. „ Ist ja schrecklich. Ja, ich bin sehr froh, dass ich ihnen helfen konnte. Danke für die Informationen, Herr Kommissar.“ Er legt den Hörer auf und blickt gedankenverloren durch den Raum.
Am nächsten Abend kommt mein Mensch überraschend früh nach Hause. Er tut ganz geheimnisvoll und verschwindet mit einem großen Karton im Büro. „Ferdi, komm mal!“ ruft er plötzlich und öffnet die Tür. Ich lasse nicht lange auf mich warten und spaziere freudig zu ihm. „Du bist ein ganz besonderer Kater. Ohne dich wäre dieser Mensch wahrscheinlich nie gefasst worden.“ sagt er feierlich und lächelt. Vor mir steht ein wunderschöner kuscheliger Schlafkorb mit einer Stickerei. Neben dem Korb stehen viele Schalen von meinem Lieblingsfutter. Ich lege mich sofort in den Korb und schnurre. „ Hast du die Stickerei gelesen, Ferdi?“ fragt mein Mensch und krault meinen Nacken. „Nach deiner Heldentat ist mir nur eine Innschrift eingefallen: „Kommissar Ferdinand“.“
- ENDE -