Hallo Jaylow,
Eine interessante Geschichte über Frauenbilder und stille Wut. Du orientierst dich am lakonischen Stil der Trümmerliteratur, radikalisierst es aber in eine minimalistische Flashfiction und setzt sie in einen zeitgenössischen Kontext. Das ist eine interessante Idee, jedoch in der Praxis sehr schwer umzusetzen, da durch wenig Text viel Bedeutung vermitelt werden muss.
Ich interpretiere die Geschichte so, dass es um eine Lehrerin geht, die zur Beerdigung ihrer heimlichen Affäre gehen muss. Ich gehe auch davon aus, dass die Hauptfigur eine Frau ist, da sonst der Bezug zu "Das Brot" weniger Sinn machen würde. Ich gehe den Text mit dieser Interpretation im Hinterkopf durch.
Ich weine ihm keine Träne hinterher. Maria ruft an, ich gehe nicht ran. Sie lässt nicht locker und schreibt: „Gehst du hin?“ Ich antworte nicht.
Du beginnst den Text mit drei Erwartungen, die alle von der Hauptfigur nicht erfüllt werden. Sie ist keine trauernde Geliebte, sie ist keine tröstende Freundin und sie hilft nicht einmal organisatorisch. Ihr gegenüber stellst du Maria. Sie trägt den Namen des christlichen, unschuldigen Idealbilds einer Frau. Gleichzeitig zeichnest du indirekt das Bild einer Pietà: Maria darf im öffentlichen Raum ihre Liebe für den verstorbenen Mann demonstrieren. Dieses Privileg hat unsere Hauptfigur nicht.
Borchert, das Brot. Schon wieder.
Hier stellst du das zweite Frauenideal vor: Jemand, der sich für die Gesellschaft aufopfert und sich andere Menschen sorgt.
Drei Arbeiten sind korrigiert, dreimal Desaster.
Aber auch an diesem Ideal scheitert die Hauptfigur. Selbst wenn sie versucht, sich Emotional in die Arbeit zurückzuziehen, selbst dann wird sie mit Erwartungen konfrontiert, die es ihr leid sind. Es versteht doch trotzdem niemand Borchert.
Ich weiß, wann die Beerdigung ist. Die schwarze Hose, Bluse und der anthrazitfarbene Mantel liegen auf dem Bett. Seit gestern schon.
Das "seit gestern schon" gefällt mir. Fast wie ein Seufzer.
Du hast es ihr nie gesagt. Ich muss korrigieren.
Die Korrektur ist ein offenes Ende und schlussendlich Interpretationssache. Entweder korrigiert sie die Erwartungen, mit denen die Hauptfigur konfrontiert ist, akzeptiert ihren Fehler und lebt weiter ihr Leben. Oder sie korrigiert die Rolle der Maria. Konfrontiert sie mit dem Ehebruch und nimmt ihr "ihre Unschuld weg".
Also insgesamt: Du zeichnest das Portrait einer zutiefst verletzten Person. Die Sprache ist absichtlich lakonisch und kurz gestaltet. Das wahre Ausmaß der Tragödie steht zwischen den Zeilen. Die muss der Leser selber ausfüllen/"korrigieren", wodurch der Text nochmal eine ganz besondere, persönlich emotionale Note bekommt.
Als Kritik würde ich persönlich anmerken: Das Motiv (heimliche Affäre geht zur Beerdigung) wirkt auf mich im Vergleich zur innovativen Sprache fast schon "abgedroschen". Die Themen, die du in der Geschichte ansprichst, sind universell, aber die Handlung selber ist nicht besonders ungewöhnlich. Vor allem wenn man bedenkt, dass das der größte Handlungsstrang der Geschichte ist.
Aber natürlich kann man da sagen, dass dein Fokus bei der Geschichte eher auf dem "Wie" liegt und nicht auf das "Was".