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Kunstraub im Teigmantel
Es war spät geworden letzte Nacht. Zuviel Wein und zuviel Spaß. Zumindest, wenn man für den nächsten Tag den spektakulärsten Kunstraub der jüngeren Vergangenheit geplant hatte. Es hatte wirklich lange gedauert, alles zu planen, aber es hatte sich gelohnt – hatte er bislang gedacht. Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Das lag natürlich vor allem an seinem gehörigen Brummschädel. Je stärker der Kopfschmerz, desto pessimistischer die Brezel. Diese einfache Formel hatte ihm seine Mutter schon vor vielen Jahren beigebracht. Seltsam eigentlich. Wie hatte seine Mutter bloß wissen können, dass er eines Tages eine Laugenbrezel sein würde? War ihr diese wunderliche christliche Vorstellung eines allmächtigen Überwesens erschienen, um ihr den Lebensweg ihres Zweitgeborenen zu erleuchten? Dann sollte er seine buddhistische Gesinnung vielleicht nochmal überdenken. Aber er wusste es nicht. Und eigentlich kümmerte es ihn auch nicht weiter.
Vor wenigen Wochen war er noch ein Mensch gewesen – bis dieser Tag im fernen Japan sein Sein auf den Kopf gestellt hatte. Er hatte die Worte seiner Mutter im Ohr, als er sich zu Hause von ihr verabschiedet hatte: „Findest du nicht auch, dass Japan aussieht wie eine große Brezel?“ Spätestens dann hatte er mal wieder die Flucht ergriffen vor der Frau, die sich stets so rührend um ihn sorgte. Das war zwar klasse, aber meist war es des Guten zuviel. Sein Bruder war eines Tages Chorleiter für Goldfische geworden, seine Schwester hatte sich der Erforschung von tanzenden Mücken zugewandt. Die alte Sache.
So war er als einziges Kind für sie erreichbar – auch weil Handys im Wasser nicht funktionierten und die begabtesten Mücken im Regenwald lebten. Also war er das Ziel der mütterlichen Zuneigung geworden und es zeitlebens geblieben. Ihre Worte hallten noch in seinem Kopf nach, als er in Tokio in eine fremde Kultur vordrang. Bislang hatte er angenommen, Sushi sei ein Mädchenname. Und Origami ein italienisches Gewürz. Das war es, was ihm an jenem schicksalsträchtigen Tag das Genick brach, als er sich eine Pizza bestellte. An den Tumult, den er mit seinem Jähzorn auslöste, konnte er sich nur noch vage erinnern. Auf jeden Fall war seine Wahl bei der Wiedergeburt, seiner Mutter sei Dank, auf eine Brezel gefallen. Er war einfach in Tokios Börse gestürzt (und hatte, zu seiner großen Freude, einen veritablen Börsencrash ausgelöst). Seit jenem Tag war er böse. Böse und mächtig, wie es nur eine Brezel sein kann.
Auf jeden Fall hatte es jetzt schon einige Male an der Tür geklingelt und er war sich nicht sicher, ob die bolivianische Folkloregruppe, die sich dazu bereit erklärt hatte, ihm bei seinem Vorhaben zu helfen, noch lange warten würde. Schließlich hatten sie ja was Besseres zu tun. Aber als er einen Blick durch den Spion geworfen hatte, wusste er, dass auf seine Männer Verlass war. Entschlossen startete er die Aktion „Mona Lisa“.
Als eine Laugenbrezel war es natürlich keine große Sache, unbemerkt in den Louvre zu gelangen. Und auch was sonst noch zu tun sein würde, um da Vincis Meisterwerk an sich zu bringen, wäre kein Problem – nicht für ihn. Spätestens seit seinem Besuch beim Tanzenden Derwisch von Timbuktu war er eine Laugenbrezel sui generis. Wie groß war seine Freude gewesen, als er erfahren hatte, dass jener Derwisch jedem Wesen Superkräfte verleihen konnte! Wer hatte jemals von einer Laugenbrezel mit Superkräften gehört? Er konnte sich jetzt mit Überschallgeschwindigkeit fortbewegen, konnte seine natürlichen Feinde mit Salzkörnern torpedieren, konnte jederzeit ein Sekret absondern, dem nachgesagt wurde, schlüpfriger als Schmierseife zu sein. Das zu überprüfen, hatte ihm viel Freude gemacht. Anderen weniger.
Er hatte kaum Zeit gehabt, einen Kamillentee zu trinken (heiß und dampfend), als seine Bolivianer ihren Job auch schon erledigten. Und das ging schnell - der Neid der tanzenden Mücken wäre ihnen gewiss gewesen. Kein Platz war sicher vor ihnen und ihren Darbietungen. Sie trugen die Musik in die heiligen Hallen, zur Empörung aller Anwesenden natürlich. Aber für ihn war das die Chance. Die Wächter waren einen Moment abgelenkt und er schnappte sich blitzschnell das Bild. Ehe sie heran waren, hatte er es schon vertilgt, um es endoplasmatisch zu verwahren. Und wer würde jemals eine Brezel verdächtigen?
Zufrieden kehrte er nach Hause zurück. Doch dort wartete die Ernüchterung – niemand anderer als sein Erzfeind Gupf, die stets fröhliche Bratpfanne aus dem Libanon, stand vor ihm.
„Hallo. Nett geräubert?“
„Gupf! Du Schatten meiner Schritte! Fischfänger aus dem Osten! Ewiger Feind des Internationalen Währungsfonds!“
„Gut gebrüllt, Löwe. Aber zur Sache. Ich will meinen Anteil.“
„Welchen Anteil, Gupf? Mein Raub ist mein.“
„Bist du dir da ganz sicher?“ Bei diesen Worten trat die bolivianische Folkloregruppe neben Gupf. „Jeder braucht Schnitzel.“
Die Pfanne feuerte eine Salve extra verbrannter Zwiebelwürfel ab und traf genau. Lachend wandte sie sich der Brezel zu und entriss ihr die Mona Lisa, um sie ein wenig anzubraten.
Seine Seele waberte wieder durch die weiten Weiten des Nirvana. Langsam wurde es ihm langweilig.