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Kurz und strichig
"Was soll das sein?"
"Das, Herr Quakkel, ist der Entwurf für Ihre neue Haustür."
"Es ist ein Strich."
"Aber doch nur auf dem Papier. Die eigentliche Tür wird dann selbstverständlich ..."
"Sie haben den Entwurf vergessen, richtig?"
"Herr Quakkel, aber nein! Vielmehr habe ich mir zwei Nächte mit der Gestaltung um die Ohren geschlagen. Und herausgekommen ist dabei dieser ..."
"Strich."
"... dieser fantastische Mix aus sanfter Schlichtheit und deterministischer Eleganz. Die geneigte Querhaltung des Entwurfs ..."
"Wo ist da was geneigt?"
"Hm? Wie meinen Sie ... darf ich bitte mal kurz ... Herr Quakkel, ein Missverständnis. Sie halten den falschen Entwurf in Händen. Dieser hier zeigt die Rohfassung für die Spezialanfertigung Ihrer neuen Couch. Da fällts der Fantasie natürlich schwer, aufs richtige Gleis zu kommen."
"Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder?"
"Aber ganz gewiss nicht. Warten Sie ... hier ist der korrekte Entwurf. Und ... was sagen Sie?"
"Es ist wieder nur ein Strich."
"Aber ein geneigter mit Querhaltung. Das ist doch mal ein Unterschied ... und zwar ein ganz bedeutender, wenn ich dies hervorheben dürfte. Eine nach innen öffnende Tür mit verkehrtem Horizontalverhältnis optimiert den Lichteinfall um 30 Prozent und sieht dabei einfach ober schnuffig aus."
"Ich möchte weder eine Tür haben, die ober schnuffig aussieht, noch bin ich bereit, Ihnen fünftausend Euro für das Abliefern eines Striches zu bezahlen. Und Licht habe ich hier ohnehin genug."
"Oh ... das tut weh. Das schmerzt richtig. Tagelange, harte Arbeit, und dann hat man es mit einem Banausen ... einem Stümper zu tun. Ich spucke auf Ihr Geld."
"Nun hören Sie mir mal gut zu, mein Freund: Ich habe viel Geduld geübt mit Ihren exzentrischen Redeschwalleskapaden. Ich habe alle Ihre - teils äußerst persönlichen - Fragen zur Erstellung des so genannten Charakter-Wohlfühldiagrams beantwortet. Und ich habe Sie letzte Woche Mittwoch sogar meine Toilette benutzen lassen. Aber irgendwann ist Schluss. Verlassen Sie jetzt auf der Stelle mein Haus, oder ich alarmiere die Polizei. Ich will Sie und Ihre Striche nie wieder sehen."
"Bitte ... aber meine Entwürfe nehme ich mit. Ich kenne nämlich solche Leute wie Sie. Lassen sich teure Einzelstücke entwerfen, feuern dann den Designer und wenden sich anschließend an den nächstbesten Konstrukteur, der die Sachen dann für sie baut. Eine ganz schäbige Angelegenheit ist das."
"Wissen Sie was? Um Ihre geistigen Ergüsse in die Tat umzusetzen, bedarf es wirklich keiner Entwürfe. Ich meine, Mann, diesen Scheißdreck kennt man doch schon nach einmal kurz draufgucken in und auswendig. Das einzige, wessen es hier bedarf, ist bodenloser Dummheit, wenn man solche im Delirium entstandenen, absolut lächerlichen ..."
"Ich werde mir das nicht länger anhören."
"Brauchen Sie auch nicht. Sie sollten eh längst weg sein."
"Bin so gut wie weg."
"Gut, denn Ihr nächster Kunde wartet sicher schon. Vielleicht ist es ja der Nikolaus, der mal wieder ein neues Haus benötigt."
"Also ... das ist ja die Höhe. Zumindest lebt der Nikolaus nicht in so einer geschmacklosen Bruchbude wie dieser billigen Kopie einer viktorianischen Landhausscheune."
"Und Sie können mich mal gnädigerweise am Arsch lecken."
"Pah! Mit heruntergelassener Hose stehen Sie hier ja ohnehin schon da, bei dieser peinlichen Verachtung der Kunst."
"Raus jetzt. Und nehmen Sie Ihre Striche mit."
"Und weg bin ich. Auf nimmer Wiedersehen."
"Endlich. Was für ein hartnäckiger Kerl.
Harald ... ja, ich bins. Du weißt doch, dass ich dringend eine neue Tür und eine Couch für den Salon brauche. Halt dich fest, ich hab da eben was gesehen, das ist genial!"