Kurzgeschichte #1
Als ich ausstieg sah ich nichts als blaue Leere. Fröstelnd schwankte ich über die holprige Straße und versuchte im Schnee nicht auszurutschen. Es war sehr kalt und mein Atem kondensierte stoßweise, als ich ihn hustend aus meiner Lunge an die Luft hinausschleuderte. Ich musste lächeln, als ich den Mann bemerkte, der unter einer düsteren Straßenlaterne scheinbar auf mich wartete. Er war in einen langen dämlichen Trenchcoat gekleidet und hatte den Kragen weit nach oben hin aufgeschlagen. Der Humphrey Bogart Hut war tief in das Gesicht gezogen, was der Gestalt eine mehr als mystische Aura verlieh. Eine Zigarette glomm in der nun eingetretenen Finsternis und als ich auf den Mann zuwankte, schnippte er sie in den Schnee und spuckte aus.
Aus dem tiefen Schatten seines Gesichtes schien er mich zu mustern und ich spürte körperlose Augen. Etwas Seltsames ergriff von mir Besitz und innerlich erschüttert umklammerte ich die Glock21, die ich bei mir in der Tasche trug. Doch die Angst, die ich fühlte, war nicht körperlich, sondern sehr subtil und das kalte Metall in der kalten Hand spürend trat ich näher und nickte steif zum Gruß.
Der Mann blieb regungslos, griff dann in eine seiner großen Taschen und zog eine Zigarettenschachtel hervor, die er mir entgegenstreckte. Dankend griff ich in das dunkle Paket und zog eine dieser schlanken Röhren hervor, steckte sie mir in den Mundwinkel und zündete sie an. Da ich immer noch die Pistole umklammert hielt, gestaltete sich dieser Handgriff als etwas umständlich und als die Zigarette wie ein krankes Glühwürmchen glomm und der Rauch aus zwei Mündern rhythmisch und sanft ausgestoßen wurde, fühlte ich mich wohl, trotz der Gefahr, der ich mich gegenüber sah und wusste.
Das Gespräch, welches nun folgte, war nüchtern und konturlos und die Informationen, die ich erhielt, enttäuschten mich. Ich wurde wütend und zeigte dies durch meine verschärfte Wortwahl, was den Mann scheinbar sehr zu verunsichern schien. Trotzdem übergab er mir den nichts sagenden Briefumschlag und ich konnte das Dokument spüren, das er enthielt und ich betastete das Papier vorsichtig mit meinen klammen Fingern.
Die Zigarette war abgebrannt und ich lehnte einen erneuten Griff in die dunkle Schachtel ab. Der Mann unter dem Hut starrte in den weißen Schnee. Alles, was gesagt werden musste, war gesagt und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass diesem identitätslosen Informanten so etwas wie Melancholie auf den Gesichtszügen lag.
Ich trat einen Schritt zurück. Der Schnee knirschte und er blickte auf. Mein Gesicht schmerzte wegen der Kälte und ich strich mir über meine rechte Wange und konnte die rauen Stoppeln des Dreitagebartes spüren. Auch der Mann hatte die ganze Zeit die rechte Hand in der Tasche behalten und ich wusste ganz genau, was sich dort verbarg. Mir brach Schweiß aus und ich spürte, dass es diesmal wohl schwieriger werden würde als sonst. Meine Hand verkrampfte sich um den Abzugshahn der Pistole als plötzlich der Mann in einer ruckartigen Bewegung seine rechte Hand und die andere in die Höhe riss und sie dort mit den nackten Handflächen zu mir nach vorne streckte. Er blieb so stehen und der Schnee fiel auf die Krempe seines Huts und blieb dort wie Puderzucker liegen.
„Lassen Sie mich gehen. Wir müssen das nicht tun.“
Seine Stimme war angenehm und beinahe hätte ich das Zittern überhört, welches in ihr lag und sie wie ein Wasserzeichen klassifizierte. Ich schaute ihn an und jetzt fiel das Licht der Straßenlaterne so, dass ich sein Gesicht sehen konnte.
Es war hager und grau, mit einem schwarzen Schnurrbart und tiefen Furchen um den Mundwinkel. Die Augen lagen tief in ihren dunklen Höhlen; schwarzes Haar fiel in seine Stirn und bedeckte die dünnen Augenbrauen. Seine Lippen, welche sich immer noch auf die abgestorbene Zigarette pressten, waren schmal und blutleer und wirklich lag ein trauriger, depressiver, frostiger Zug auf diesem Gesicht und ich konnte Schweiß erkennen, der die Schläfen herunter rann.
Aus dem Informanten war ein Mensch geworden.
Ich sah ihm in die Augen und wieder stieg diese subtile Angst in mir auf und zerquetschte meine Glieder und kochte mein Fleisch. Ich musste schlucken und wie Sirup kroch der Speichel meine Kehle hinunter und ein Schmerz wie von einer Rasierklinge durchzuckte meinen Rachen. Meine rechte Hand zitterte und langsam, ganz langsam löste sich mein Finger vom so sehr winzigen Abzugshahn und blieb nutzlos und schwach in der Tasche hängen.
Ich versuchte, so wenig wie nur möglich von meinem inneren Kampf zu zeigen und die Kälte war mein Verbündeter. Denn sie sterilisiert. Sie ist klar und rein und sie ist die Hülle, in die sich Menschen und alle zurückziehen können, wenn sie mit Dingen konfrontiert werden, die sie niemals aus eigener Kraft überwinden können. Mein Atem kondensierte und ich versuchte mir die tausend und abertausend Wassertröpfchen vorzustellen, die nun, jetzt, von der Kälte zusammengeschmolzen wurden und als Eispartikel auf den Boden fielen.
Meine Hand entkrampfte sich und erst jetzt bemerkte ich, wie abscheulich kalt die Pistole die ganze Zeit gewesen war. Ich nickte, kaum merklich.
„Gehen sie.“
Der Mann senkte die Arme tief in die Taschen und als ich sein Lächeln sah, verfluchte ich mich und der Schmerz der Kugel, als sie mich durchschlug, sprang wie ein Kugelblitz durch meinen ganzen Körper bis hin zum kleinen Finger, der einfach zu langsam war, als dass er so schnell hätte reagieren können.
Langsam, unendlich langsam sackte ich auf die Knie und fiel dann in den Schnee. Mein Atem strich warm über den gefrorenen Boden und kaltes Schmelzwasser benetzte meine Lippe.
Würde man mich jetzt suchen, ich wäre völlig von Raureif umgeben. Es war wirklich sehr kalt an diesem Abend.