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Kusslos
Ihr seht eine Frau - Rückansicht. Ihr Po, eingezwängt in hautengen Röhrenjeans, formvollendet und zum Reinbeißen einladend. Überhaupt eine Figur, die man sonst nur zweidimensional zu sehen bekommt. Und ihr wollt eigentlich gar nicht, aber eure Augen kullern ständig gierig in ihre Richtung. Ihr scannt das vor Weiblichkeit strotzende Geschöpf und sperrt sie ein in eure Phantasie. Ihre Kleidung schmilzt unter der Sonne eurer Lust. Ihr wollt sie, ihr wollt ihre Dreidimensionalität. Aber im Augenblick, da ihr nach ihr greift, fasst ihr ins Nichts. Ihr zerreißt eure Phantasie, die ohnehin von kurzer Haltbarkeit war, und kehrt zurück in die Wirklichkeit, zu jenem Ort der bitteren Wahrheiten. Zurück zu dem Ring an ihrem Finger, zurück zu dem Mann, der ihr gegenüber sitzt, zurück zum Strohhalm, der euch mit übereiswürfelter Coke versorgt.
Immer diese Blicke. Unauffällig gesandt und doch spürbar schwer, versehen mit einer Vorliebe für nackte Haut. Alex leiht mir selten seine Augen, ständig nach Fremdfleisch suchend, wie er ist, wie jeder ist. Im Moment jedoch gehören seine Sinne ganz dem synthetischen Geschmack importierten Fleisches. Seinen Genuss kann ich nicht nachvollziehen, ebenso wenig seinen Gesichtsausdruck. Als verstoffwechsle das Junkfood jeglichen Kummer in seinem Blut. Mir ist jeder Bissen zuwider. In einem Restaurant, das keines ist, in den man sich das Essen selbst holen muss und keine Sekunde länger bleibt als nötig, sind meine Erwartungen wahrlich nicht hoch. Aber der Perversling hinter mir schafft es, selbst die niedrigsten zu enttäuschen. Ich habe es satt!
Sie steht auf. Einen kurzen, aber schrecklichen Augenblick fürchte ich, sie hat mich gesehen. Mich und meine neugierig, lüsternen Augen. Ich verstecke sie hinter Lidervorhängen - Kopftheater: Ich sehe sie eine Ohrfeige transportieren zu mir gleiten, spüre ihre harte, strafende Haut auf meiner, gefolgt von einer beschämenden Erfrischung, die halb ausgetrunkene Coke in meinem Gesicht. Meine Augen öffnen sich. Natürlich nicht. Sie geht Richtung Toilette. Ich folge ihr. Ihr Mann mampft zufrieden und blickt teilnahmslos hinterher. Erst seiner Frau, dann mir.
Im Spiegel suche ich nach irgendetwas, das unangenehme Blicke auf sich zu ziehen vermag. Finde nichts, natürlich nichts. Ich zupfe mir eine Strähne aus dem Gesicht und versuche mir meine Bluse nach oben ziehend das Dekoltee zu verkleinern.
Selbst verliebt und verspielt. Ihr Seitenprofil ein S in Schönschrift, Brust und Po brechen großzügig aus. Ich wünschte, ich hätte mir einen Eiswürfel aus dem Becher gefischt - der Beule wegen. Ich will sie. Jetzt!
“Wie viel?”Jetzt höre ich schon Stimmen. Doch als ich jenen Blickjunkie sehe, die Beine überkreuzt im Türrahmen lehnend, scheint mir diese Befürchtung angenehm, ja nahezu willkommen. Immerhin kann dich eine Stimme nicht vergewaltigen. Beruhige dich, sage ich mir. Du kannst schreien. Jeder wird dich hören. Alex wird dich hören, diesen Bastard fertig machen.
Sie hat Angst. Ich sage ihr, sie braucht keine zu haben.
Sagen die das nicht immer? Dabei ist Angst keine Entscheidung, sondern ein Gefühl. Etwas, das zur Situation gehört, ja, sie überhaupt ausmacht. Erst jetzt erreichen mich seine Worte. Wie viel? Hat er mich tatsächlich nach meinem Preis gefragt? Will er mich kaufen?
Nervös dreht sie ihren Ehering.
Dieses Schwein will mich kaufen.
Lidzucken.
Okay. "6.000 €", sage ich, ohne zu wissen, wie es klingt. Der Klang ist mir auch einerlei. Die Summe soll wirken.
Hat sie 6.000 gesagt?
Ich nicke, gehe auf ihn zu, das Portemonnaie aus seiner Hose fischend. Als vollführe ich einen schlechten Zaubertrick streiche ich Scheine heraus und lasse sie wie herbstgestorbene Blätter zu Boden fallen.
Lippen lallen mir Dinge entgegen. Sie fordern meine Entblößung, sofort. Ich gehorche, verliere meinen Anzug wimperngleich, wünsche mir ihre Oberweite in die Hände.
Kalte Hände. Meine Brustwarzen erhärten, fälschlicherweise als Erregung interpretiert.
Ich fühle meinen Geist und meinen Körper darum ringen, wer sie mehr begehrt, und selbst will ich sie nur für mich allein. Denn im Anblick ihrer entkleideten Schönheit zieht sie mich an wie einen Satelliten, der zu lange schon um einen fernen Planeten kursiert, falsche Reize empfangend, immerfort vorbei fallend. Doch nun falle ich in sie, bedingungslos und alles scheint nur noch für diesen einen Moment, für diese eine Sache zu existieren ...
“Entschuldigung, aber Sie haben da Senf auf ihrem Sakko.”