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Löwenzahn

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22.10.2020
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Löwenzahn


Die Wärme der Angst durchströmte meinen Körper wie billiger Tequila, samt dem Gefühl im Magen, das Sekunden später immer versuchte mich brechen zu lassen. Da ich mich nicht traute zu zittern, kribbelten meine Extremitäten. In solchen Situationen spielt man alle möglichen Optionen im Kopf durch, in Sekundenschnelle. Nur leider gab es keine Optionen, außer zu warten. Es gab keine Fenster, die Tür war verschlossen. Ein ungefähr 5x5 Meter großer Raum mit einem Tisch, vier Stühlen und meinem beißenden Schweißgeruch war der Mikrokosmos meines Schicksals. Die Torturen der Kriminalbeamten taten weh, aber ich wollte es nicht zeigen.

Seit 20 Minuten saß ich nun schon alleine im Verhörraum und wartete darauf was folgen sollte. Wahrscheinlich wollten sie mich ungeduldig werden lassen, damit ich endlich anfing zu kooperieren. Ich fragte mich was wohl schlimmer wäre, zu sterben oder sein Dasein in einem spanischen Gefängnis zu fristen, während das Leben an einem vorbeizieht, ohne dass man daran teilhaben kann. Kurz bevor man abkatzt, zieht das Leben auch an einem vorbei, sagt man und ich wurde unweigerlich in eine Zeit zurückversetzt, in der uns noch nicht eingetrichtert wurde wer wir waren. Was wir waren.

Als wir Essen klauen gingen, waren wir frei. Wir waren keine vom Krieg gezeichneten Kinder, die vergessen wurden. Wir waren Helden in einem epischen Abenteuer voller harmloser Gefahren. Wir waren der Löwenzahn, der zwischen den Betonplatten des Asylantenwohnheimes spross. Halid sagte immer: "Scheiß di ned an, oida. I mach den Teil mit Muskel und du den mit Kopf." Wir hatten uns nämlich sorgfältig vorbereitet. Die Filme, die wir im Fernsehen gesehen hatten und langsam auch verstanden, lehrten uns das Handwerk der Diebe. Vorbereitung war immer das A und O, darin waren wir uns einig. Wir spionierten vorher tagelang den potenziellen Tatort aus und hatten uns Ersatzpläne für alle Eventualitäten ausgedacht. Plan A war aber immer derselbe. Wir zogen es immer um zehn Uhr morgens durch, da zu der Zeit am wenigsten los war und Halid lenkte immer das Personal ab, indem er in gebrochenem Deutsch energisch protestierte, dass er zwar mit seinem Auto einem anderen auf dem Parkplatz aufgefahren wäre, aber es nicht seine Schuld sei, da man dort nicht parken dürfe, während ich so viele Semmeln schnappte wie ich tragen konnte und wir elegant davonrannten wie George Clooney und Brad Pitt in „Oceans Eleven“.

Rückblickend betrachtet waren unsere Diebeskünste vielleicht gar nicht so ausgereift wie wir dachten. Die Tatsache, dass wir sichtlich erst acht Jahre alt waren und uns immer die selbe Bäckerei für unsere Coups ausgesucht hatten, hat uns wahrscheinlich recht früh die Glaubwürdigkeit gekostet, aber das war uns egal. Wenn einem die Tristesse eine Auszeit bietet, sei es auch nur eine kurze, nimmt man was man kriegen kann. Wir waren Helden in einem epischen Abenteuer voller harmloser Gefahren. Unsere Diebeszüge funktionierten immer. Ich weiß noch wie wir uns wunderten, weil sie nach einigen Tagen die Semmeln sogar direkt neben dem Eingang platzierten, was es natürlich leichter für uns machte. HA, dachten wir. Was für Idioten. Halid war immer der Mutige von uns. Er war derjenige, der die Dinge ins Rollen brachte. Gab es Probleme, löste er sie. Ich bewunderte ihn immer für seinen Mut. Halid sagte immer nach unseren Raubzügen: "Hab i dir gesagt, nix gierig werden und alles ist passt."

Die Mickey Mouse und Bravo Hefte die wir aus einem nahegelegenen Gebäude klauten, brachten mir das geschriebene Wort näher und schon bald verliebte ich mich in Geschichten aller Art. Die Bücher die ich las, wurden zur Flucht die mich nach Hause brachte. Ich hatte vorher kein zu Hause gekannt, egal wo ich sonst war, ich hatte mich immer fremd gefühlt. Das Grau meiner Sicht erkrankte an einer mir bis dahin unbekannten Vielzahl an Farben und Schriftsteller wurden mehr und mehr zu meinen Rittern, die in linguistischen Rüstungen und Schwertern, geschmiedet aus Wortgewalt, die Welt vor dem Untergang bewahrten. Zumindest meine.
Halid sagte immer: „Du mit deine schwule Gedichte, mit des macht ma kein Geld.“

Ich muss streben
Nach Wahn, nach Hoffnung
Verwegen, ergeben
Das Ego hoch, die Wahrheit eben
All das neben
Dir
Nach Wünschen, die mir nicht vergeben
Vor Erdbeben
Dem Puls der Erde
Weil ich nicht das bin, was ich werde

Als wir zerstritten waren, wieder mal, zog er sein Ding durch und ich meines und wie immer landete ich in einer Situation, aus der ich mich nicht mehr selbst befreien konnte. Nicht mit meinem Wissen, nicht mit Diplomatie oder Vernunft. Wieder einmal kam er und löste meine Probleme, nicht mit Wissen, nicht mit Diplomatie oder Vernunft. Er löste sie mit roher Gewalt, wie immer, und ich würde lügen wenn ich behaupten würde, dass ich mich nicht darüber gefreut hätte, dass er nicht dafür gesorgt hätte, dass ich mich in diesen Momenten groß und stark gefühlt habe, auch wenn ich wusste, dass ich das nur an seiner Seite war.

Braun waren seine Augen
Markant sein Gesicht
Ich musste ihn lieben
Ob ich wollte oder nicht
Die Jahre zogen ins Land und uns immer weiter auseinander, doch zerreißen konnten sie uns nie. Immer öfter schwiegen wir uns an, aber auf verschiedenen Sprachen. Ich verstand sein Schweigen nicht und ihm war meine Stille fremd. Wir waren immer noch die selben Freunde, die für einander töten würden, ohne Bedingungen, ohne Worte oder Versprechen, aber das was uns verband, änderte sich, unser Wir änderte sich.

Die Kriminalbeamten betraten wieder den Raum, dieses Mal auch wieder mit dem Dolmetscher, der Blonde warf die Akte auf den Tisch als wollte er seinem Hund etwas zu fressen geben und sie setzten sich. Anfangs waren sie freundlich. Der Blonde versuchte mir zu erklären, mit Hilfe des nervös wirkenden Dolmetschers, dass er mein Freund sei und er mir nur helfen wolle. Alles was ich machen müsse, wäre die Wahrheit zu sagen. Seine Kollegin, die immer nur hinter ihm stand, die Arme verschränkt, mit konstantem Lächeln auf den Lippen, war wohl die obligatorische Zeugin, als ob das relevant gewesen wäre. Sie hatte riesige Brüste, einen schlanken, in Jeans gepressten Hintern, und eine Ausstrahlung, die mir sofort vermittelte, wer dort das Sagen hatte. „Wir haben weitere Zeugen vernommen.“ teilte mir der Dolmetscher mit, ohne mir dabei in die Augen zu sehen.

Wieder mal saß ich in der Scheiße. Wieder mal wusste ich nicht wie ich mich daraus befreien sollte und wieder mal bat ich Halid um Hilfe. Wieder mal machte er keine Faxen, wieder mal kam er mit einer Lösung an und wieder mal hatte ich Angst vor dem was folgen sollte. Aber so fing es immer an. Letzten Endes wäre ich froh über seine Hilfe und würde mich wieder groß und unbesiegbar fühlen. Spanien, sagte er, er habe es schon hundert mal gemacht und es könne nichts schief gehen.
Es passiert immer zu schnell, als dass man es erfassen könnte. Ein Schuss. Schreie. Blut. So viel Blut. Mein Onkel erklärte mir als Kind, dass man, wenn man einem Menschen beim Sterben zusieht, kurz bevor er aufhört zu leben, sein wahres Ich sehen kann. Egal ob im Krieg, bei einem Unfall oder unter anderen Umständen, das spielt keine Rolle. Wenn ein Mensch stirbt, bekommt er noch ein letztes Geschenk des Lebens, zu sein, für einen kurzen Augenblick. All die Masken, die Fassade, die nötig war, um zu überleben, wird vom Tod hinfort gefegt wie ein Staubkorn. Während Halid, nach Luft schnappend, in meinen Armen lag und versuchte zu sprechen, woran er immer wieder scheiterte, sah ich nur eines in seinen Augen: Angst. Mittlerweile hörte ich Sirenen, gefühlte 1000 Menschen die schrien, weinten, Fotos machten und tuschelten. Es war zu laut um zu begreifen, was passiert war. Nichtsdestotrotz hallten seine Worte in meinem Kopf, als ob es nur noch uns zwei gab: “Lauf. Geh nach Hause.“

„Hallo?“
Der Dolmetscher versuchte mit mir zu sprechen, aber das war mir egal. Alles war mir egal. Ich hörte ihn, aber wollte ihn nicht beachten.
Vielleicht komme ich im Gefängnis endlich wieder zum Lesen und Schreiben, so wie ich es immer wollte, dachte ich.
„Hey!“ schrie der Blonde.
Vielleicht schlitze ich mir im Knast einfach meine Pulsadern auf, dachte ich.
Der Dolmetscher schnippte vor meinem Gesicht, um zu sehen ob ich noch anwesend war.
Vielleicht halte ich einfach durch und versuche es nochmal, nachdem ich entlassen werde, dachte ich.
Die Vollbusige gab mir eine Ohrfeige und verhinderte, die Idioten weiterhin ignorieren zu können.
„Es gibt Zeugen“ sagte der Dolmetscher „Zeugen, die Ihre Aussage bestätigen“
Vielleicht gehe ich auch wieder zur Schule, dachte ich.
Wer weiß.

 

Guten Morgen lieber @Isaac Madow

ich habe Deine Geschichte gerne gelesen. Sie ist flüssig geschrieben, ich bin nah bei dem Protagonisten und kann mir das Setting bildlich vorstellen. An der einen oder anderen Stelle hakt es, könnte man sprachlich verbessern. Auch benutzt Du sehr viel Tell. Das finde ich schade. Im Show würden viele Szenen sehr viel lebendiger wirken.

Hier einige Anmerkungen:

Die Torturen der Kriminalbeamten taten weh, aber ich wollte es nicht zeigen.

Warum Torturen? Du schreibst von Diebstählen. Hat er denn etwas schimmeres gemacht? Und in Spanien werden beim Verhör die Leute eigentlich nicht verprügelt. Oder sind wir weit zurück in der Vergangenheit. Mir wird nicht klar, wie alt der Protagonist ist, als er in Haft kommt. Und mir wird nicht klar, in welcher Zeit die Geschichte spielt.

Ich fragte mich was wohl schlimmer wäre, zu sterben oder sein Dasein in einem spanischen Gefängnis zu fristen, während das Leben an einem vorbeizieht, ohne dass man daran teilhaben kann.

Könntest Du streichen, da logisch.

Ich fragte mich was wohl schlimmer wäre, zu sterben oder sein Dasein in einem spanischen Gefängnis zu fristen, während das Leben an einem vorbeizieht, ohne dass man daran teilhaben kann. Kurz bevor man abkatzt, zieht das Leben auch an einem vorbei, sagt man und ich wurde unweigerlich in eine Zeit zurückversetzt, in der uns noch nicht eingetrichtert wurde wer wir waren. Was wir waren.

Da hast Du den selben Ausdruck 2 x benutzt

Wir zogen es immer um zehn Uhr morgens durch, da zu der Zeit am wenigsten los war und Halid lenkte immer das Personal ab, indem er in gebrochenem Deutsch energisch protestierte, dass er zwar mit seinem Auto einem anderen auf dem Parkplatz aufgefahren wäre, aber es nicht seine Schuld sei, da man dort nicht parken dürfe, während ich so viele Semmeln schnappte wie ich tragen konnte und wir elegant davonrannten wie George Clooney und Brad Pitt in „Oceans Eleven“.

Ich würde den Satz kürzen.
Vorschlag: Wir zogen es immer um zehn Uhr morgens durch, da war am wenigsten los. Während Halid das Personal ablenkte, indem ... schnappte ich so viele ....

Hier frage ich mich, warum in gebrochenem Deutsch, wenn der Protagonist in Spanien in Haft ist.

Halid war immer der Mutige von uns. Er war derjenige, der die Dinge ins Rollen brachte. Gab es Probleme, löste er sie. Ich bewunderte ihn immer für seinen Mut.

Das mit dem Mut im zweiten Satz kannst Du streichen, da ja schon erklärt.

Die Bücher die ich las, wurden zur Flucht, die mich nach Hause brachte.

Komma nach Flucht

Ich hatte vorher kein zu Hause gekannt, egal wo ich sonst war, ich hatte mich immer fremd gefühlt.

Hier würde ich mir eine genauere Erklärung wünschen. Ist er ein Flüchtlingskind? Im Heim aufgewachsen? Auf der Straße? Was ist mit seiner Familie?

Nicht mit meinem Wissen, nicht mit Diplomatie oder Vernunft. Wieder einmal kam er und löste meine Probleme, nicht mit Wissen, nicht mit Diplomatie oder Vernunft. Er löste sie mit roher Gewalt, wie immer, und ich würde lügen wenn ich behaupten würde, dass ich mich nicht darüber gefreut hätte, dass er nicht dafür gesorgt hätte, dass ich mich in diesen Momenten groß und stark gefühlt habe, auch wenn ich wusste, dass ich das nur an seiner Seite war.

Ausdruckswiederholung.
Vorschlag: Nicht mit meinem Wissen, nicht mit Diplomatie oder Vernunft. Er kam und löste meine Probleme auf seine Art, mit roher Gewalt.

Hier frage ich mich, wie Halid informiert wurde, wenn er im Verhörraum sitzt. Durfte er seinen Anruf machen? Ich würde mir wünschen, dass Du die Szene im Show schreibst. Lass den Leser dran teilhaben.

Die Kriminalbeamten betraten wieder den Raum, dieses Mal auch wieder mit dem Dolmetscher, der Blonde warf die Akte auf den Tisch als wollte er seinem Hund etwas zu fressen geben und sie setzten sich.

Vorschlag: Die Kriminalbeamten betraten den Raum erneut. Auch der Dolmetscher war wieder dabei. Der Blonde warf ....

Wieder mal saß ich in der Scheiße. Wieder mal wusste ich nicht wie ich mich daraus befreien sollte und wieder mal bat ich Halid um Hilfe. Wieder mal machte er keine Faxen, wieder mal kam er mit einer Lösung an und wieder mal hatte ich Angst vor dem was folgen sollte.

Eindeutig zu viel "wieder mal" :)
An dieser Stelle kommt mir Dein Protagonist sehr unselbständig vor. Er braucht immer Halids Hilfe, ist abhängig von ihm. Es wäre schön, wenn er während der Geschichte sein eigenes Ich entwickeln würde und sich selbst hilft.

„Es gibt Zeugen“ sagte der Dolmetscher „Zeugen, die Ihre Aussage bestätigen“
Vielleicht gehe ich auch wieder zur Schule, dachte ich.
Wer weiß.

Das Ende finde ich sehr interessant.
Allerdings würde ich gerne wissen, was er denn für eine Aussage gemacht hat. Was ist passiert? Und wie alt ist er? Während ich lese, kommt er mir wie ein Erwachsener vor, außer an der Stelle, an der die Diebstähle beschrieben wurden.

Ich hoffe, Du kannst mit meinem Feedback etwas anfangen.

Liebe Grüße und einen schönen Freitag,
Silvita

 

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