La variada Chochita
Heidenfeller war erfreut, dass der Platz neben dem Tätowierten noch frei war. Er mochte sie nicht besonders, die Stasi-Nachtrauerer und Altachtundsechziger, wie sie wieder einmal zahlreich an diesem Parteitag anzutreffen waren.
„Ich darf mich setzten?“, fragte er, und hatte den Stuhl schon zurück geschoben, bevor die Worte seinen Mund ganz verlassen hatten.
„Natürlich“, sagte sein Nachbar mit dem zu einem Zopf gebundenen blonden Haar und entblößte dabei eine Reihe gelber Zähne.
„Herbert Weidenfäller.“ Er streckte ihm die Hand entgegen und der Tätowierte ergriff sie. Angesichts der Muskelpakete, die das T-Shirt schlecht verbergen konnte, überraschte es Weidenfäller nicht sonderlich, dass allerlei Kraft in seinem Druck lag.
„Frank Richard. Sie sind spät dran, mh?“
Weidenfäller nickte. „Aber wie ich sehe, habe ich Glück gehabt, und die Veranstalter haben auf mich gewartet.“ Tatsächlich war noch niemand hinter das Pult auf dem Podest am gehgenüberliegenden Ende der Turnhalle getreten. Außer zwei jungen Männern, die sich am Mikrofon zu schaffen machten, war die Bühne leer.
In der Halle hatten sich um die 100 Zuhörer versammelt, die dem ersten Landesparteitag der neu geschaffenen Linkspartei in Hessen beiwohnen wollten, wie Weidenfäller wenig überrascht nach einem umschweifendem Blick registrierte. Dadurch, dass die Partei noch nicht lange existierte – jedenfalls in ihrer jetzigen Form – und die vergangene Bundestagswahl so viele Mandate gebracht hatte, war unter den Mitgliedern eine Begeisterung ausgebrochen, die sich noch nicht wieder gelegt hatte. Und auch sein Tischnachbar, Richard, machte einen Erwartungsvollen Eindruck. Jedenfalls zitterten seine klobigen Finger, die die Zeitung hielten, in der er las. Weidenfäller konnte sich dem Eindruck nicht erwehren, er säße neben einem kleinen Jungen, der am Heiligabend aufs Christkind wartete. Ein tätowierter, muskulöser zwei Meter kleiner Junge.
Die aufgeschlagene Seite der Narmheimer Rundschau, befasste sich zu Dreivierteln des Platzes mit dem Überfall fünf junger Rechtsradikaler auf einen älteren Mann, asiatischer Abstammung, in der Bahnhofsgegend.
„Schlimm nicht“, sagte er an Friedrich gewandt.
„Was?“, fragte dieser überrascht und Weidenfäller nickte zu dem Artikel.
„Ich meine, wie viel Scheiße muss durch die Köpfe von denen gelaufen sein, dass sie ein wehrloses, unschuldiges Opfer fast umbringen?“
Zu seiner Verdutzung setzte sein Nachbar keine betroffene Miene auf, sondern verzog seine rissigen Lippen zu einem Lächeln. Ein Lächeln, das dem eines aufgeklärten Kindes glich, dessen Vater ihm vom Nikolaus, vom Nordpol und Rentieren erzählen will, um bei diesem Vergleichen zu bleiben. Es war ein Lächeln, das besagte, er wisse mehr als andere, und es gefiel Weidenfäller ganz und gar nicht.
„Das Problem wird sich lösen“, antwortete Frank Richard. „Darauf können Sie sich verlassen.“ Dann schenkte er seine Aufmerksamkeit dem Rednerpult, hinter das gerade ein untersetzter Mann mittleren Alters im braunen Pullunder getreten war.
Frank hatte zwei Passionen aus seinem alten Leben behalten. Eine davon, war das Bedürfnis, seinen Körper mit Tätowierungen zu versehen. Sein neuestes Motiv, einen Adler, dessen Flügel in Federn aus Flammen übergingen, nahm einen Platz auf seiner linken Brust ein, umgeben von einem Totenschädel mit grün glimmenden Augenhöhlen, und den barbusigen Oberkörper einer Frau.
Zehn Minuten betrachtete er das Werk, für das er die letzten drei Monate Geld von der ihm zustehenden Sozialhilfe abgezweigt hatte, im Wandspiegel neben der Kommode, bevor er es schaffte, davon abzulassen und sich sein T-Shirt überzuziehen.
Die Sitzung war seit zwei Stunden vorüber und der Rest des Abends brachte keine Pflichten mehr mit sich. So würde er vor seinem alten Fernseher, auf seiner noch älteren Couch, der zweiten Passion frönen: Sitcoms. Amerikanische Sitcoms, für die deutschen hatte er sich nie erwärmen können, für ihn stellten sie nicht mehr als einen billigen Abklatsch dar. Aber die amerikanischen… Ja, die hatten was, ganz eindeutig.
Frank ging in die Küche, um sich eine Cola aus dem Kühlschrank zu holen (das Bier war eine Angewohnheit, der er in der Therapie abgeschworen hatte). Er hatte die Hand gerade auf den Griff gelegt, da hörte er ein Stöhnen aus dem Schlafzimmer. Sie war erwacht.
Er ging zurück in den Wohnungsflur und blieb vor der Schlafzimmertür stehen, um zu horchen. Einige Momente der Stille vergingen, dann ein erneutes Stöhnen.
Frank öffnete die Tür und trat in den abgedunkelten Raum. Das Licht, das vom Flur aus einfiel, zeigte ihm den verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht der, an das Bett gefesselten Frau. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten ihn an, ihr Körper zerrte in hektischen Bewegungen an dem Konstrukt aus Seilen, das sie auf der Matratze fixierte.
Frank hatte gehofft, die Betäubung würde bis zum Morgen anhalten. Er hatte ihr eine geringere Injektion, als den drei Frauen zuvor, verabreicht, da ihre Statur so zerbrechlich wirkte. Sie wog keine 50Kg, an ihrem Brustkorb konnte man die Rippen zählen; ließ man ihr Gesicht außer Acht, erinnerte sie an ein Mädchen am Anfang der Pubertät. Sie tat ihm leid, die Asiatin, deren Namen er nicht kannte und wahrscheinlich nie in Erfahrung bringen würde, und so beschloss er seine Müdigkeit und den geruhsamen Tagesausklang hinter sich lassen, und sich stattdessen sofort an die Arbeit zu machen. Bevor er das Zimmer verließ, um sein Instrument zu holen, schenkte er ihr ein Lächeln.
Die Nagelschere bewahrte er in der obersten Schublade des Schreibtisches im Wohnzimmer auf. Verpackt in einem zusammengefalteten Stofftaschentuch lag sie auf einem Din-A-4 großen Blatt mit einer Zeichnung, die Frank vor zwei Monaten begonnen hatte, als sein Plan sich verfestigt, von einer vagen Idee, zu einer Überzeugung geworden war.
Er wollte nicht viel Zeit verlieren, doch er kam nicht drum rum, die Zeichnung der Vagina hoch zu nehmen und sie ein paar Momente eingehend zu betrachten. Sie wollte beschaut werden, wie es seine Tättowierungen wollten.
Das Bild war mit Bleistift gezeichnet und mit vier verschiedenen Farben ausgemalt. Die linke Schamlippe war mit Hautfarbe bemalt, die gen Rosa tendierte. Ihre Nachbarin war schwarz. Frank erinnerte sich, wie er die dunkelhäutige Frau auf dem Straßenstrich entdeckt hatte, und welch ungewohnt schönes Gefühl sich in seiner Magengrube ausgebreitet hatte, als er das Skalpell an ihrem Unterleib angesetzt hatte, um mit dem ersten Schnitt, endlich sein theoretisches Vorhaben in die Praxis zu übertragen. Ähnlich musste sich Marx gefühlt haben, als er den ersten Satz seines in Gedanken lang gereiften Kapitals zu Papier gebracht hatte.
Selten hatte er sich so entspannt auf der Couch zum Schlafen gelegt, wie in dieser Nacht vor sechs Tagen, während die schwarze Schamlippe in einem Glas Formalin schwamm; sozusagen als erster Pinselstrich eines Gemäldes, das für großes Aufsehen in der Welt sorgen würde.
Er ging zurück ins Schlafzimmer und hielt dabei die Schere vor den geweihteten Augen des Mädchens geschützt, hinter dem Rücken verborgen. Er wollte, dass ihr nur das nötigste an Leid bei dem Akt widerfuhr.
In der anderen Hand hielt er eine zu recht geschnittene Edika-Tasche, die sie wieder wild an ihren Fesseln zerren ließ. Er legte die Schere hinter einen Stapel Bücher auf dem Nachtschränkchen und zog ihr dann die Tasche über den Kopf. Sie musste annehmen, dass er sie nun ersticken wollte, und das Stöhnen gegen den Knebel wurde abgehakter und lauter. Er drehte die Tüte, so dass das Loch, das er hinein geschnitten hatte, über ihrer Nase lag.
„Gutes Mädchen“, murmelte er und streichelte ihr dabei über den Bauch. „Bist ein gutes…“ Er setzte sich neben sie aufs Bett, beugte sich und küsste sanft ihren Bauchnachnabel. „ …ein gutes Mädchen.“
Wieder spürte er in sich den Drang aufkommen, sie zu betäuben, ihr den Schlaf zu schenken. Er sah die Augen der Araberin vor sich, als er ihr die inneren Schamlippen entfernt hatte. Das war vor drei Tagen gewesen.
Wie weit sie hervor getreten waren, wie das Weiße ihrer Augäpfel rote Linien durchzogen hatten, weil die Äderchen geplatzt waren. Er war kurz davor gewesen, das Betäubungsmittel zu holen, und…
…und hätte damit alles zunichte gemacht. Es hatte einen viertelstündigen Weinkrampf gebraucht, um seine Nerven so weit beruhigen zu können, dass er der Frau – eine Iranerin namens Mio, die als Bedienung in einer kleinen Eckkneipe, in der Frank in unregelmäßigen Abständen seine Abende bei Cola und Pool-Billard verbrachte, tätig gewesen war – wieder ins Gesicht sehen konnte. Nach dem er diesen Schritt über sich gebracht hatte, war er ins Wohnzimmer gegangen und hatte seine Box hervorgeholt. Die Box war ein alter Schuhkarton, in dem mehrere Videokassetten und darunter eine Klarsichtmappe mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln lagerten.
Eines der Videos war beschriftet mit GESELLSCHAFT AM ABGRUND. Der Titel klang kitschig, doch war Frank nichts Besseres eingefallen. Darauf zu sehen waren Berichte aus Fernsehsendungen (das meiste stammte aus Politmagazinen wie Frontal21 oder Spiegel TV) die Straftaten Rechtsextremer zeigten; zwei Vietnamesen, die ihn Lübeck auf ihrem Nachhauseweg von einer Horde in Springerstiefeln und Bomberjacken unter dem Rufen von Naziparolen mit Bierflaschen malträtiert wurden; ein Schwarzafrikaner, der in Abschiebehaft scheinbar an Herzversagen gestorben war, in Wirklichkeit aber Polizeiwillkür zum Opfer gefallen war; Brennende Asylantenheime, Hakenkreuz-Graffiti auf jüdischen Grabsteinen.
Zwei Monate nach seiner Entlassung hatte Frank damit angefangen, nach diesen Berichten zu suchen und sie aufzuzeichnen. Zu dieser Zeit war der Plan zur Lösung all dieser Probleme längst ausgereift gewesen. Sein Anfang ließ sich nicht genau fest machen. Der Plan war gewachsen, vielleicht lagen seine Wurzeln bereits in seiner Kindheit, vielleicht war die Saat in einer der einsamen Nächte in der Psychiatrischen Klinik aufgegangen. Nächten, in denen er sich gefragt hatte, wieso er als Opfer diese Strafe auferlegt bekommen hatte. Nächte, in denen er wegen des Unverständnisses darüber, wie Gott einen Menschen mit dem Verlangen zu Töten ausstatten konnte und auf eine Welt brachte, die dafür Konsequenzen verlangte. Sarah hatte sie geheißen, war ein paar Monate jünger als er gewesen. Und ihr Haar...
Er hatte ihr immer wieder die ins Gesicht fallende schwitzige Haarsträhne weg gestrichen, während er mit der Nagelschere...
„Ich weiß, ich weiß ja“, murmelte er als Antwort auf das Wimmern des Mädchens in ihren Slip, der mit Hilfe von Klebeband zum Knebel umfunktioniert worden war. Unwillkürlich musste Frank sie sich im Kreise einer Familie – Mutter, Vater, vielleicht eine jüngere Schwester mit ebensolchen kastanienbraunen Augen, die mit Bewunderung zu ihr aufblickte – vorstellen. Vor seinem inneren Auge sah er sie zwischen Papa und Mama auf dem Sofa sitzen. Das Mädchen war etwas jünger, als jetzt, aber ebenso schön. Die Mutter… sie hielt die Hand des Mädchens und streichelte mit der anderen mit solcher Sanftheit über den Handrücken...
Er konnte die Tränen, die sich in seinen Augen gesammelt hatten, nicht mehr zurück halten. Die Dämme der Selbstbeherrschung brachen, und der Schmerz packte mit seinen widerlichen Händen zu. In diesem Augenblick verfluchte er sein Schicksal, verfluchte, dass er es war, den Gott auf die Lösung des Rassismus hatte stoßen lassen.
Große Männer sind einsam. Sie müssen Leid ertragen. Die Genies waren dem Wahnsinn ihres eigenen Verstandes ausgesetzt. Große Taten lassen sich nur mit Opfern vollbringen.
Mit diesem Gedanken betrat Frank die Toilette eine Stunde später erneut. Beim vorrangegangenen Mal hatte er es gerade noch hier her geschafft und in die Badewanne gekotzt. Das Einmachglas, das im Waschbecken stand, hatte er vor Kummer und Schmerz nicht anschauen können. Nun wendete er sich genau ihm zu.
Die Flüssigkeit war leicht getrübt, die Fleischstücke die darin lagen erschienen wie hinter Nebelschlieren. Was für ein Gefühl würde es sein, wenn die Sammlung vervollständigt war, und er die Einzelstücke aus der Flüssigkeit entnehmen würde, um sie mit Nadel und Nylonfäden wieder zu einem weiblichen Geschlechtsteil zu vereinen?
Ein Teil fehlte noch zur Vollendung: Die Klitoris. Eine asiatische Klitoris, und das Mädchen im Nebenzimmer würde sie geben.
Er erinnerte sich an die Hoffnungslosigkeit, die ihn nach dem dritten oder vierten Jahr in dem Klinikkomplex mit all seinen mehrfach gesicherten Metalltüren und den hohen Drahtzäunen gepackt hatte, nachdem die erste Zeit in einem Zustand der Lethargie vorrüber gezogen war. Und wie absurd ihm da der Gedanke an ein Zögern vorgekommen war, sollte er je eine Chance sehen, mit dem Leben Schluss zu machen. Die hatte es nicht gegeben. Das Personal konnte sich allein aus Eigennutz keine Nachlässigkeit leisten - über 80 Geistesgestörte Gewaltverbrecher ließ das Land Hessen in der Anstalt verwahren. Es wäre nicht schlau gewesen auch nur eine der beim Essen ausgegebenen Plastikmesser unachtsam irgendwo liegen zu lassen.
Schließlich war die Therapie bei Frank angeschlagen und hatte ihn einsehen lassen, was er getan hatte. Da war bereits ein Jahrzehnt vergangen. Anstelle ihn weiter in die Verzweiflung zu treiben, hatten die täglichen zwei Stunden Schuldeingeständsnis vor einem Psychologen bewirkt, dass er wieder einen Sinn im Leben fand. Er hatte beschlossen, seine Tat wieder wett zu machen. Fünf Jahre vor seiner Entlassung, also um die Jahrtausendwende, war ihm der Einfall gekommen, wie man den Rassismus und Fremdenhass in der Welt vernichten konnte. Da war er 41 Jahre alt gewesen, hatte zwanzig davon in Gefangenschaft verbracht. Und jetzt, nach diesem beschwerlichen Weg, war die Erfüllung seines Lebens so nahe - dieser Gedanke ließ Wehmut in ihm aufkommen. Nur noch ein Schnitt mit der Schere...
Ein Schnitt mit ihr hatte vor etlichen Jahren alles in Gang gesetzt, ein Schnitt mit ihr, würde ihn nun ans Ziel bringen. Danach konnte das beginnen, was Frank Tolerasierung nannte. Eine Wortschöpfung, die ihm eingefallen war, während er im Flur des Arbeitsamts darauf gewartet hatte, aufgerufen zu werden, um von einem Berater Jobangebote präsentiert zu bekommen. Nicht, dass man mit seiner Geschichte ein hoffnungsvoller Kandidat wäre. Doch seine Tage in kalten Fluren des hässlichen Hochhauses der Arbeitsagentur waren Geschichte. Die Tolerasierung würde dies nicht mehr nötig machen.
Doch Geld oder Ansehen (von Beidem würde er mehr als genug bekommen, da war er sich sicher) war nicht der Pulsschlag, der ihn antrieb. Er war gereift, hatte seine Tat bereut und die Jahrzehnte in gesicherten Einrichtungen als gerecht akzeptiert. Er wollte der Gesellschaft etwas geben, was seine Schuld verblassen lassen würde.
Das gedämpfte Stöhnen des Mädchens waren nicht mehr in der Lage ihn missmutig zu stimmen, als er das Badezimmer verließ.
Er drückte auf Play und wartete, bis Beethovens 9te zur entsprechenden Lautstärke angeschwollen war. Müsse er eine Komposition nennen, die ihn auf eine einsame Insel begleitet, hatte der Dirigent des Narmheimer Symphonie-Orchesters in der Dienstagsausgabe der Rundschau in einem Interview gesagt, würde er sich für die 9te von Beethoven entscheiden. Das bedeutendste und schönste Werk der Musikgeschichte in den Augen der meisten Musiker.
Frank selbst war der Klassik nicht abgeneigt, doch Bands wie Pink Floyd oder The Who entsprachen mehr seinem Geschmack. Doch gleich würde ein bedeutender Akt beginnen, und Rock Musik erschien ihn unpassend.
Er ging zum Bett, auf dessen Laken sich trotz der schwachen Beleuchtung, deutlich Schweißflecken rund um den Körper der jungen Frau abzeichneten. Er hatte sich sein T-Shirt ausgezogen und kniete sich nun mit nacktem Oberkörper auf die Matratze. Er wusste nicht wieso, doch er wollte, dass sie seine Tätowierungen zu Gesicht bekam. Der Adler mit den Flammenflügeln, das Gesicht auf seinem Innenarm, das einer Abbildung der Jungfrau Maria nachempfunden war. Und den Schriftzug, der sich quer über die Schulterblätter zog: La variada Chochita - Die verschiedenartige Muschi. Den Namen, den Frank seinem Werk gegeben hatte.
Er wusste, dass dieser Anblick das Mädchen wahrscheinlich nur noch mehr ängstigte, doch es war ihm ein dringliches Bedürfnis. Vielleicht wollte er damit eine nähere Verbindung zwischen ihr und ihm herstellen, wie auch immer…
Mit einer Hand wischte er den Schweiß von ihrer wunderbar glatten Stirn. Sie zuckte unter der Berührung. Sie versuchte Worte durch den Knebel zu vermitteln. Er verstand nicht welche, doch das war jetzt nicht mehr wichtig. Er sah ihr in die großen Augen, deren Röte durch das viele Weinen hervorgebracht, ihnen eine traurige Schönheit verlieh, während die andere Hand die aufgeklappte Nagelschere über ihren rechten Oberschenkel ihrem Einsatzort näher brachte.
„Ich wüsste gerne deinen Namen“, flüsterte er und brachte seine Lippen dabei so nah an ihr Ohr, dass die Stoppeln seines Barts über ihre Wange kratzten.
„Deine Mama und dein Papa werden stolz auf dich sein. Ich werde sie suchen, wenn alles seinen Lauf genommen hat, und ich verspreche dir, ich werde ihnen sagen, wie viel Angst du gehabt hast.“
Die Schere hatte die Schamlippen erreicht.
„Sie werden dich vermissen. Ich werde dich auch vermissen. Aber wenn ich ihnen das erzählt habe, werden sie wahnsinnig stolz auf dich sein. Ich werde ihnen sagen, dass du eine Heldin bist.“
Frank gab dem Mädchen einen Kuss auf die Schläfe. Dann wandte er sich von ihrem Kopf ab und der unteren Region ihres zierlichen Körpers zu. Sie musste sich den Schambereich kurz bevor er sie in seine Gewalt gebracht hatte rasiert haben. Die Stoppeln wuchsen nur wenige Millimeter aus ihrer Haut. Er streichelte mit dem Handrücken mehrmals darüber. Das leichte Pieksen fühlte sich gut an.
„Eine Heldin“, sagte er so leise, dass seine Worte im Gemisch aus Beethoven und flehentlichem Stöhnen untergingen. Mit zwei Fingern spreizte er ihre Schamlippen und legte so den Kitzler frei. Er stand weiter hervor, als bei den drei vorangegangenen Frauen und gerne hätte er mit der Zunge darüber gelegt. Er schämte sich, in einem solch epochalen Moment an Sex zu denken, doch er konnte nicht verhindern, dass sich sein Schwanz bei diesem Anblick versteifte. Das Reißen an den Fesseln wurde kräftiger; Zweifellos musste sie denken, er würde sie nun vergewaltigen.
„Ich bin kein Schwein“, sagte er. Er hatte noch nie einer Frau sexuelle Gewalt angetan. Auch Sarah nicht, dem Mädchen, das im falschen Moment vor über zwanzig Jahren auf ihn getroffen war.
Frank legte die Schere so an, dass die gekrümmten, spitz zulaufenden Klingen den Kitzler zu beiden Seiten flankierten.
„Hast es gleich überstanden.“ Er drückte zu und trennte den Fleischknubbel vom Geschlecht.
„Tapferes Mädchen…“
Ronnie schloss die Tür des Jugendclubs hinter sich und verfluchte den elenden Biergestank, der sich trotz mehrstündigem Lüften am gestrigen Tag nicht ganz verzogen hatte. Es war Sonntagmorgen und noch immer fühlte er sich nicht ganz wohl. Nachwehen vom Freitag, als keiner der Anwesenden die Geburtstagsfeier unter zwei Promille verlassen hatte. Dementsprechend war das Aufräumen verlaufen; es war schon faszinierend welche Stellen sich manche Leute zum Kotzen aussuchten.
Nun ja, jetzt war der Raum sauber, keine Bierflaschen auf der Theke, keine Chips verteilt auf dem Boden.
Ronnie war so etwas, wie das gute Gewissen des Jugendclubs, manche nannten ihn (nicht nur scherzhaft) den Vorsitzenden. Er hatte einen Schlüssel vom zuständigen Stadtabgeordneten erhalten, er war für die Finanzen zuständig, also dafür, dass jeder seine Getränke einigermaßen zügig bezahlte. Und mit ihm setzten sich die Vertreter der Partei in Verbindung, wenn es darum ging, genügend Leute für eine Demo zusammen zu kriegen.
Heute stand wieder eine an, und zwölf seiner Freunde hatten zugesagt. Gegen 16 Uhr wollten sie sich hier treffen, um dann gemeinsam nach Rötelthal zu fahren, wo sie auf die anderen Teilnehmer treffen würden – die meisten von ihnen aus dem NPD Lager – um durch die Straßen des heruntergekommenen Narmheimer Stadtteils zu ziehen. Gegendemonstranten würden die Straßen flankieren und ihnen Bildzeitungsparolen entgegen rufen, die lokale Presse würde die Initiative der Bürger preisen und die Demonstrierenden mit Schlagzeilen wie Brauner Sumpf bombadieren und Artikeln, deren Essenz war, dass sie ein Haufen asozialer, dummer Arbeitsloser waren, dessen Gedanken sich nur ums nächste Besäufnis drehten.
Es war immer dasselbe, entschied Ronnie, während er sich in der Sitzecke niederließ, seine Jacke auszog und den Fernseher einschaltete. Doch es ging darum Präsenz zu zeigen. Er hasste die Heuchler, mit ihrem Scheuklappen-Wirklichkeitsverständnis, und auch wenn er und seine Jungs daran nichts ändern konnten, so war es doch wichtig zu zeigen, dass es noch Menschen in diesem Land gab, die sich mit dem ganzen Haufen nicht zufrieden gaben.
Er überlegte, ob er die Stereoanlage einschalten sollte, entschied sich aber dagegen. Ein leichtes aber beständiges Pochen hatte seinen Schädel besetzt. Wieso war er überhaupt hier her gekommen? Das Letzte, was er wollte, war ein Bier, und die ersten Kollegen würden erst am frühen Nachmittag eintreffen. Außerdem sollte er noch einmal in die Bücher schauen, um den Stoff der letzten Vorlesung des Biologiekurses nach zu arbeiten. Dieses scheiß Studium…
Er hasste es und wünschte sich nicht zum ersten Mal, er wäre mit irgendeiner handwerklichen Begabung auf die Welt gekommen. So wie Reuter, für den jeder Arbeitstag in seiner Autowerkstatt mehr eine Freude als Stress darstellte.
Nein, Ronnie wünschte sich nicht ein handwerkliches Geschick wie es Reuter besaß. Er wünschte sich, so zu sein wie Reuter. Ein ständig gutgelaunter kräftig gewachsener Typ, der bestimmt nicht morgens vor dem Spiegel stand, und sich schwor bald die nächste Diät in Angriff zu nehmen.
Verdammt, Ronnie liebte den Kerl. Alle liebten den Kerl. Für die Jüngeren war er sogar so etwas wie ein Idol. Aber in diesem Moment verfluchte Ronnie ihn. Das würde nachher vergessen sein, wenn Reuter ihm mit einem Händedruck und einem zustimmendem Nicken begrüßte. Doch jetzt verfluchte er ihn.
Ronnie war gerade dabei sich die Jacke überzuziehen, um dann den Club zu verlassen, als die Tür hinter ihm aufging und ein Typ mit langem blonden Haar und tätowierten Armen den Raum betrat.
„Das mach ich nicht, scheiße! Ich… Ich kann… Hören Sie mir zu, ja! Ich…“
„Fick sie“, sagte der Mann der in der Toilettentür stand zum wiederholten Mal. Ronnies Kopf dröhnte von den Schlägen, mit denen der Typ ihn traktiert hatte, noch bevor Ronnie ein Wer-sind-Sie über die Lippen gebracht hatte. Seine Nase stand in einem widerlichen Winkel von seinem Gesicht ab und noch immer lief Blut daraus. Doch das war nichts gegen den Schmerz in seinem Arsch. Der Wahnsinnige hatte ihn zu den Toiletten geschleift, als Ronnie halb bewusstlos von der Prügel gewesen war, dann hatte er eine Pistole zum Vorschein geholt, und wieder hatte Ronnie keine Möglichkeit gehabt irgendetwas zu sagen. Schon hatte der Typ geschossen und eine Kugel in seinen Arsch gejagt. Ronnie hatte geschrieen und gleichzeitig war ein Schwall Pisse in seine Jeans gelaufen. Es tat so gottverdammt weh…
„Fick sie, dann lass ich dich laufen“, sagte der Mann. Ronnie wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte: Die Waffe, die auf ihn gerichtet und keine dreißig Zentimeter von seinem Körper entfernt war, oder die völlig unnervöse Art, mit der der Typ das Unbegreifbare verlangte. Tränen liefen über seine Wangen, und ihm war klar, dass der Wahnsinnige sich nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen würde.
Sein Vorhaben… Es klebte mit gelbem Isolierband an der gegenüberliegenden Klowand. Es war zu absurd, um einen nicht am eigenen Verstand zweifeln zu lassen. Ronnie konnte kaum den Blick auf das Gebilde (etwas in ihm weigerte sich mit aller Vehemenz, diesen Fleischklumpen Muschi, Vagina oder Fotze zu nennen, obwohl es sich eindeutig darum handelte) richten, so widerwärtig waren die verschieden farbigen Stücke, die durch Fäden zusammen gehalten wurden.
„Los doch!“
Der Typ musste den Fleischklumpen hier angebracht haben, während sich Ronnie im Dämmerzustand befunden hatte. Hinter den Fleischstücken hatte er Hackfleisch angebracht. Klebeband hielt das ganze zusammen, auch wenn sich an den Seiten einzelne rot-weiße Hackfleischteilchen gerade daran machten, die Sperrholzplattenwand hinunter zu rutschen.
Er hatte ein Loch in die Wand geschlagen, gerade groß genug, um… um einen Schwanz durch zu stecken.
„Bitte nicht! Bitte tun Sie das nicht… Ich… Ich…“, seine Worte gingen in einem erneuten Weinkrampf unter. Er versuchte still zu stehen, weil jede noch so kleine Bewegung einen grässlichen Schmerz in seinem Arsch verursachte. Doch die Panik hatte längst die Oberhand gewonnen, und er konnte nicht verhindern, dass die Muskeln in Armen und Beinen immer wieder zuckten.
„Fick sie!“ Klar und unmissverständlich.
Ein Schuss ertönte und der Knall hallte fürchterlich in dem kleinen Raum. Ronnie schrie auf und knallte vor Schreck gegen das Klo. Er stürzte und stützte sich dabei ungünstig mit der Hand ab, so dass ein lautes Knacken und eine erneute Schmerzwelle von dem Gelenk ausgingen. Mit rot unterlaufenen Augen sah er zu seinem Peiniger auf. Aus dem Lauf des Revolvers stieg eine Rauchfahne auf. Über dem Kopf des Typen rieselte Putz von der Decke.
„Deine letzte Chance“, sagte er. „Der nächste trifft deine Brust.“
„Bitte nicht… Bitte nicht… Bitte nicht…“, flehte Ronnie und kam unter Qualen auf die Beine. Seine Augen fixierten den Fleischklumpen, der weniger als einen Meter vor ihm auf Höhe des Beckens an der Wand hing. Ein Knuppel stach am oberen Ende hervor (der Kitzler!) und starrte ihn als bösartiges Auge an.
„Du wirst in die Geschichte eingehen. Mit dir nimmt es seinen Anfang.“ Ronnie verstand nicht, was ihm da gesagt wurde. Und es war ihm egal. Er wollte nur am Leben bleiben, wollte nur noch, dass diese verschissenen Schmerzen aufhörten. Was für ein Wahnsinn.
Er öffnete die Gürtelschnalle mit verkrampften Fingern und zog sich die Jeans samt Boxershorts mit einer Bewegung herunter. Dann warf er einen Blick zu dem Mann in der Tür. Dieser nickte nur.
„Nein, nein, nein“, schluchzte Ronnie immer wieder leise, als er sich vor dem Fleischklumpen (der Muschi, Vagina, Fotze) in Stellung brachte und seinen Schwanz in die Hand nahm.