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- 08.07.2012
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Lana, die Tochter des Königs
Ein Peitschenhieb riss Lana zurück aus den Nebeln, in denen ihre geschundene Seele für kurze Zeit Zuflucht gefunden hatte. Zurück auf den Tablar, jener Drehscheibe aus Lärchenkern, die man in jedem Bordell von Dargfrost fand. Zurück in die große Halle der Schneefeste, in der das Volk den Sieg über die Herren des Landes feierte.
Bariza, die Droge aus zerriebenem Gerstenkäfer, wirkte noch immer, doch endete jetzt die gnädige Stille des ersten, narkotischen Stadiums - mit einem sengenden Hieb über Lanas entblößte Brüste kam das plötzliche Erwachen in den Schrecken greller Wahnbilder und Visionen.
Tiergesichtige Gestalten glotzten auf sie herab - lüstern, geil, grimmig. Hinter ihnen und den baumhohen Fenstern der Halle tobte der Sturm. Wolken, von rötlichem Leuchten umspielt, trieben festgeballt dahin - ein unter dem Himmel schwebendes Gebirge. Krachenden Blitzschlägen folgte das Donnern unmittelbar. Die Gläser in den Fenstern klirrten, von überall her war ein Knirschen und Ächzen vernehmbar, so wütend warf sich der Sturm gegen die Mauern der Schneefeste.
Dem Getöse des Orkans draußen glich das Spektakel im Inneren der Burg. Nie zuvor hatte Lana in der großen Halle einen solchen Aufruhr erlebt. Überall drängten sich Menschen, aus den Winkeln quoll Stöhnen und Gekreische, die Luft vibrierte unter hämmernden Fasspauken, eine furchtbare Carnyx wurde geblasen, begleitet von Saitenschlägen verstimmter Jochlauten.
"Sie wird wach - die Runde ist eröffnet", brüllte der Zuchtmeister durch den Tumult, stieß mit einem Tritt den Tablar an und ließ erneut die Peitsche knallen. Die Treibschnur fetzte über Lanas Schenkel, zwischen denen in kreisendem Reigen die Gestalten der tiergesichtigen Männer auftauchten. "Packt sie! Leckt sie! Beißt sie!", war der Zuchtmeister zu hören. "Reitet sie!", fauchten im Chor die Stimmen der Tiermenschen, Männer mit Vogelköpfen, Hundeköpfen, Pferdeköpfen, und Lana spürte, wie harte Hände nach ihr griffen, ihre Schultern umklammerten, ihre Knie auseinanderzwangen, an ihren Brüsten zogen.
"Die königliche Hure wird nie wieder so frisch sein, wie heute Nacht!"
Lana zerrte an ihren Fesseln, zwei paar an den Füssen und Handgelenken und keuchte vor Übelkeit. Als sie den Rest des Barizatranks erbrach, drehte der Zuchtmeister schnell ihren Kopf, um zu verhindern, dass sich seine beste Ware selbst beschmutzte, und die Szene zersprang vor Lanas Augen wie das Glas eines Spiegels. Es war nun, als läge sie nicht mehr nur gefesselt auf dem Tablar, sondern stünde gleichzeitig auch neben dem Tisch und schwebte sogar über ihm. Das Geschehen zersplitterte in so viele und so unterschiedliche Perspektiven, dass sie die Orientierung verlor und eine Zeitlang nicht wusste, ob dies alles sich gegenwärtig abspielte oder lediglich Erinnerung war.
Ausgegossen wie Pech schimmerte ihr Haar auf dem silbrigen Lärchenholz. Als der Drehtisch mit einem Ruck zum Stehen kam, wurde das gefällte Los von den Tiermenschen mit Knurren, Zischen und Gegröle bedacht. Der Pferdekopfmensch reckte die Fäuste im Triumph in den Dunst, der die Halle erfüllte – ihm war durch Zufall das Privileg beschieden, die Frucht aufzubrechen.
Lana schrie, als sich der Pferdekopf zwischen ihre Beine senkte und die raue Zunge über die Innenseiten ihrer Schenkel rieb. Ein schwarzes Vogelgesicht hackte auf ihre Brüste nieder und eine verkrüppelte Pangestalt sprang auf den Tablar. Er reckte das Hinterteil in die Höhe, hob den pelzigen Schwanz und ließ seine schweren, warmen Hoden gegen Lanas Lippen klatschen.
"Du sollst sie nicht fressen, sondern ficken!", kläffte der Hundemensch, schlug nach dem Pferdemann und verspritzte – unfähig, seine Lust zu zügeln - Samen und Speichel über die umstehenden Gestalten. Gelächter, Fluchen und ein Handgemenge folgten.
"Disziplin, ihr Maden!", donnerte der Zuchtmeister, und mit einem Schnalzen ging der Lederriemen über die Köpfe von Geier, Hund und Pferd nieder. Der Pan hatte Lana das Quastenende seines Schwanzes zwischen die Lippen geschoben und spielte selig an seinem Glied.
Der Lärm am Tablar erregte das Interesse der feiernden Menge und immer mehr Menschen drängten an den Drehtisch. Polternd schob sich ein gewaltiger Krieger zwischen Hund und Pferdemann, hieb mit schwerer Faust auf die Drehplatte und verlangte das Vorrecht des ersten Stoßes.
"Einen Stoß kannst du haben", schrie die Pferdegestalt und Lana sah, wie der Krieger von einem Huftritt getroffen dem Hundemann in die Arme taumelte. Die Menge johlte, im Hintergrund blies die Carnyx zum Sturm und während der Pferdemann sich auf den Krieger warf, tauchte zu Lanas größtem Entsetzen der Kopf des Geiers mit seinem langen, kahlen Hals zwischen ihren Knien auf. Er starrte sie einen Moment lang an, mit seinen schwarzen, toten Vogelaugen.
Lanas Leib bäumte sich auf, ihre Zähne gruben sich in den Schwanz des Pan, dessen Kreischen durch die Halle jagte und noch mehr Neugierige an den Tablar lockte. Der Zuchtmeister lachte grimmig, öffnete mit einem Splint die verkrampften Kiefer und zog den lädierten Schwanz aus Lanas Mund. Der Pan stürmte jaulend davon und machte so einem fiebrig zitternden Fuchs Platz, der mit einem Satz auf den Tisch sprang und – als müsste er es nicht besser wissen – seinen buschigen roten Schwanz über Lanas Hals, Schultern und Brüste streichen ließ.
Lana schrie vor Angst, bis ihr die Luft ausging. In einem Kaleidoskop berstender Bilder verfolgte sie, wie der Geier - gerade in dem Moment, als er zum Stoß zwischen ihre Schenkel ausholte - vom Pferdemenschen wütend zur Seite gerissen wurde. Die Nüstern des Pferdemannes schäumten vor Zorn und vor Lust - man würde ihn nicht um sein Privileg bringen, als erster die Tochter des Königs zu besteigen. Er zog Lana an den Rand des Tablars und schwang sein mächtiges Glied über den Tisch.
An dem Tag, als der ganze Hof Lanas Volljährigkeit feierte, machte König Gelferich seiner Tochter das besondere Geschenk, Recht zu sprechen in einem schweren Fall von Untreue und Verrat. Angeklagt war ein alter Bauer, der nahe der Schneefeste etwas Land beackerte und den Eintreiber des Zehnten - und mithin den König selbst – um einen Sack Hirse betrogen hatte.
In der großen Halle der Schneefeste waren Adlige und Höflinge zusammengekommen und auch einige Dutzend Bauern, Handwerker und einfaches Volk aus der Umgebung. Die Menschen aller Stände sollten Gerechtigkeit in direkter Anschauung erfahren, bewirkt durch weisen Ratschluss und strenges Urteil, aus dem Munde der erblühenden, künftigen Königin.
Gelferich thronte auf seinem Herrscherstuhl und beobachtete angelegentlich seine Tochter, die vom Sitz des höchsten Richters herab den angeklagten Bauern scharf ins Auge fasste. Der alte Mann kauerte kläglich zu Lanas Füßen und hatte die Hände in einer Geste der Unterwerfung erhoben.
"Du gestehst also, dass du meinen Vater, den weisen König Gelferich, bestohlen hast", fasste Lana ihre Befragung zusammen. "Du hast deinen König und dein Land betrogen, im Stich gelassen und verraten. Welche Strafe wäre wohl der Schwere dieses Verbrechens angemessen?"
Der Bauer stammelte etwas Unverständliches.
"Es widerstrebt mir, deine morschen Knochen zerschmettern zu lassen, doch nicht aus Barmherzigkeit, das kannst du mir glauben", fuhr Lana fort. "Nein, das wäre viel zu milde."
Auf ihr Zeichen hin führten zwei Wachen unter dem Raunen der Menge einen jungen Burschen in die Halle.
"Nichts ist einem Vater unerträglicher, als Qual und Elend seines eigenen Kindes", sagte Lana. Gelferich hob anerkennend die Augenbrauen.
"Und deshalb verfüge ich, man soll - dir zur Strafe - deinem Sohn Arme und Beine brechen, auf dass er für immer als Krüppel und zur Mahnung aller Wankelmütigen sein Dasein friste." Lächelnd hob Gelferich die zarten Hände, um zu applaudieren, denn niemals zuvor hatte man in dieser Halle weiseren Ratschluss vernommen. Doch die noble Geste wurde unterbrochen, als ein Schrei den König zusammenfahren ließ: "Halte ein, Tochter des Königs!"
Gelferich fuhr herum. Ein düsterer Mann, ein Fremder in der Kleidung eines Jägers, war aus der Menge getreten und forderte das Recht der Anhörung. Zwar galt ein solcher Einspruch als gesetzmäßig, doch war seit vielen Jahren kein Gebrauch davon gemacht worden.
Lana wahrte die Fassung. "Sprich, Jäger, oder was immer dein Beruf sein mag. Welche Einwände gegen mein Urteil hast du vorzubringen?"
Der Fremde verneigte sich und sprach: "Die Untertanen des Königs müssen dem Willen ihres obersten Herrn gehorchen. Die Abgabe des Zehnten ist gerecht, denn sie ernährt das gesamte Land. Jeder Mann und jede Frau in Dargfrost müssen ihren Teil zu Wohl und Heil des Reiches leisten."
Lana nickte. "Dann siehst du es wohl ebenso und forderst demnach eine strengere Strafe?"
Der Fremde erwiderte: "Dem gerechten Willen des Königs zu folgen ist die Pflicht aller. Doch ebenso verpflichtet ist jeder Mann und jede Frau, wenn närrischer Willkür Einhalt geboten werden muss."
Unruhe erfasste die Menge. "Das ist ungeheuerlich", schrie einer der Höflinge.
Der Fremde fuhr fort: "Die Abgabe des Zehnten in diesem Jahr ist nicht gerecht, denn der Winter war hart und die Ernte karg. Die Menschen hungern. Die Abgabe muss halbiert werden."
Lanas Kiefern mahlten, als der Fremde zum Schluss kam: "Und da dieser Bauer dem königlichen Eintreiber des Zehnten einen Sack Hirse übergeben und einen zweiten vor ihm versteckt hat, solltest du Lana, Tochter des weisen Königs Gelferich, es dabei belassen und die Schuld als beglichen betrachten."
Stille trat ein. Alle Blicke waren auf Lana gerichtet, die den Fremden mit strenger Miene taxierte.
"Halbieren, sagst du", erwiderte sie schließlich. "Ich werde deinen Einwand berücksichtigen und mein Urteil revidieren."
In den Reihen der Höflinge wurde gezischelt und geflüstert.
"Die Weisheit des Volkes besagt, gemeinsam getragenes Leid sei geringeres Leid." Lanas kalter Blick strich über die Versammelten. "Und da ich dir zwar darin zustimme, dass mein Urteil zu streng ausfiel, nicht jedoch in dem Punkt, dass die Strafe ganz erlassen werden möge, lautet mein endgültiges Urteil, gegen das kein weiterer Einspruch statthaft ist …"
König Gelferich hielt den Atem an. Der Bauer und sein Sohn schauten erwartungsvoll herauf zur schönen Prinzessin. Nur der Jäger starrte finster drein, als wüsste er, dass von diesen lieblichen Lippen keine Gnade zu erwarten war.
"… man soll beiden, Vater und Sohn, die Gliedmaßen brechen, auf dass sie - in ihrem Elend vereint - sich gegenseitig trösten und ihr Leid halbieren mögen."
Entzückt applaudierte der König. Ja, das war ganz und gar seine Tochter. Und auch in der Menge der Adligen und Höflinge rauschte der Beifall. Ja, in dieser Halle wurde Recht gesprochen.
Der Fremde jedoch, halb schon abgewandt, sprach mit lauter Stimme: "Solltest du, Tochter des Königs, es nicht besser wissen? Lehrten Erfahrung und Weisheit dich nicht, den Zorn des Volkes zu fürchten?"
Lana stand auf dem Grabhügel unweit der Schneefeste. Ihr eisiger Blick bohrte sich in die untergehende Sonne, und sie roch das Feuer. Als ihre Füße sich von dem Boden abstießen, in dem die Gebeine ihrer Vorfahren ruhten, lachte die Prinzessin – es war das Lachen der Herrscher von Dargfrost. Lana setzte über einen verwitterten Leichenstein und eilte den Hang hinab, hinein in den Wald. Sie lief durch die Finsternis, zwischen Fichten und Birken hindurch.
Lana kannte das letzte Stadium des Rausches. Es lag ein Fluch auf dem Barizatrank. Die herrlichen Visionen, die erregenden Abenteuer und Ekstasen endeten stets in einem düsteren Traum. So, wie all die lustvollen Gesänge des Lebens schließlich im großen Schweigen verstummten, so wurde Lana vom Gerstenkäfer unweigerlich in die Stille gelockt.
Die Prinzessin fuhr hoch, als der eiserne Handschuh des Hofmarschalls an die Tür ihres Gemachs hämmerte.
"Erhebe dich, Tochter des Königs! Dies ist ein großer Tag. Du wirst Recht sprechen!"