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Lankowskis Träumereien
Peter Lankowski wühlte sich durch das enge Geäst, das ihm Arme und Beine aufschnitt.
Plötzlich fühlte er sich nicht mehr wie ein Abenteurer, sondern bloß noch wie ein Mann, der Hunger hatte.
Sein Magen verkrampfte sich, und wieder trieb der Darm dieses Spiel mit ihm, für das es bloß einen Ausweg gab, und der lag jenseits der Unterhose.
Lankowski hatte nicht viel gegessen an jenem Tag. Er aß überhaupt nicht mehr viel, seitdem sich diese Geisteskrankheit dort eingenistet hatte, wo nichtmals das Gehirn hinschauen konnte.
Er rang um ein Lächeln, schluckte aber bereits den Ansatz davon hinunter.
Nur wenige Meter von ihm entfernt befand sich der breite Weg des Parks. Die Leute beobachteten ihn von dort aus, während sie ihre Sonntagsspaziergänge abhakten.
Peter musste ein albernes Bild abgeben, wie er sich dort durch die Büsche kämpfte, ein Plastikmesser im Mund, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Er konnte seiner Verdauung nicht länger widerstehen. In seinem Inneren rumorte es. Sowohl auf psychischer Ebene, als auch auf materieller.
Ein nasser Furz bildete die Vorhut. Schnell zog sich Lankowski die Hot Pants runter und schiss auf die trockene Erde neben den Pflanzen.
Für ihn machte es ohnehin keinen Unterschied mehr. Höchstens für den Radfahrer, der in diesem Augenblick parallel zu ihm auf dem Weg entlangfuhr und erstaunt glotzte.
Dieser gewöhnliche Passant, mit seiner fellüberzogenen Mütze, mit den an den Seiten schlenkernden Wärmern, die wie gewaltige Hundeohren aussahen. Die riesigen Augen, die sich auf den schlammigen Haufen fixiert hatten, den Lankowski just in diesem Moment aus sich heraus quetschte.
Wie eine übergroße Mistfliege, die sich einen fahrbaren Untersatz besorgt hatte, verfolgte der Radfahrer das Geschehen, und kurz glaubte Peter, er würde kehrt machen, und um den Haufen herumfahren. Immer und immer wieder. Dann aber war der Radfahrer hinter eine Kurve verschwunden, und zurück blieb der Eindruck wackelnder, felliger Ohrwärmer.
Lankowski musste an den Witz denken, den er vor langer Zeit einmal gehört hatte.
Es ging um einen Bäcker, der arbeitslos geworden war, weil die Leute ihre Brötchen bloß noch in den Supermärkten kauften.
Dieser Bäcker jedenfalls sprach mit einem Mann vom Arbeitsamt, und der wollte ihm weiß machen, dass es doch jede Menge gute Jobs für Bäcker gab.
Schlussendlich ärgerte sich der arbeitslose Bäcker darüber, dem Mann vom Arbeitsamt einen Knochen mit viel Fleisch daran hingeschmissen zu haben, da er doch keinen Job bekommen hatte.
Lankowski dachte angestrengt nach. Das war doch nicht der eigentliche Witz gewesen.
Etwas fehlte.
Er kam einfach nicht mehr auf die gottverdammte Pointe, und dieser Knochen mit dem Fleisch gehörte auch gar nicht zu diesem Witz.
Er war eine Reliquie aus alter Zeit, die sich irgendwie in seine aktuelle Zeit geschlichen hatte, genauso, wie es das Plastikmesser zwischen seinen Zähnen ständig tat.
Er verließ das Gebüsch, und zog sich die kurze Hose hoch.
Obwohl dies ein schöner Park war, konnte man die laute Autobahn hören. Sie übernahm die akustische Regierung des Grüns; herrschte über das Summen von Hummeln und Wespen.
Ja, der monotone Gleichklang der Autobahn war ganz einfach da. Selbst dann, wenn man nach dem Sinn des Lebens suchte.
Peter Langowski spuckte das Messer aus und lauschte.
In seinem Traum hatte eine Flutwelle einen Modeladen überflutet, der als quadratisches Schiff im Wasser geschwommen war. Niemand hatte das Unglück überlebt.
Doch jetzt glaubte Peter einen Sinn hinter alledem zu erkennen.
Die Autobahn!
Sie lag auf der gegenüberliegenden Seite, ebenso hinter Büschen versteckt, wie der gesamte Park.
Hohe, schallisolierende Wände spiehen die Laute der Autos gen Himmel, und hunderte Meter weiter fielen die Geräusche wieder runter, und landeten dort, wo man das Verkehrstreiben am lautesten hören konnte.
Ein auf und ab.
Wenn dies nicht der Sinn des Lebens war, wonach sollte man dann noch suchen?
Peter Lankowski stieg einen schmalen Hügel hinauf, und setzte den Rucksack ab, aus dem er sein Mobiltelefon empor zog.
"Ja Hallo, spreche ich da mit der Autobahnpolizei? Da ist diese Tür in den Schallmauern, oder wie man die Dinger auch nennt. Sie ist jedenfalls nicht abgeschlossen. Grad haben da noch Kinder gespielt, sie wären beinahe auf die Fahrbahn gelaufen. Ja ... ich warte."
Als der Mann von den Stadtwerken kam, schlug Peter ihn nieder.
Er nahm den Schlüssel und schloss die Tür auf, die in die riesige, sterile Wand eingelassen war.
Dahinter sollte nach gewöhnlichen Maßstäben die Autobahn liegen.
Lankowski wusste es besser.
Als er auf den Seitenstreifen trat, sah er keine Autos. Er roch nicht die Abgase.
Er befand sich dort, wo er immer schon hingewollt hatte.
Im Wunderland.
Peter ging einen Schritt nach vorn, und wurde von einer wundervollen, grauen Fee mitgerissen, die sein Leben beendete, während sie mit ihm im Schlepptau gen Himmel flog.
Er hatte einen furchtbaren Verkehrsunfall verursacht.
Doch sein Sinn des Lebens war gefunden.
Einige hundert Meter weiter schlug er auf. Dort, wo man ihn am lautesten hören konnte.