Was ist neu

Lankowskis Träumereien

Seniors
Beitritt
24.04.2003
Beiträge
1.444
Zuletzt bearbeitet:

Lankowskis Träumereien

Peter Lankowski wühlte sich durch das enge Geäst, das ihm Arme und Beine aufschnitt.
Plötzlich fühlte er sich nicht mehr wie ein Abenteurer, sondern bloß noch wie ein Mann, der Hunger hatte.
Sein Magen verkrampfte sich, und wieder trieb der Darm dieses Spiel mit ihm, für das es bloß einen Ausweg gab, und der lag jenseits der Unterhose.
Lankowski hatte nicht viel gegessen an jenem Tag. Er aß überhaupt nicht mehr viel, seitdem sich diese Geisteskrankheit dort eingenistet hatte, wo nichtmals das Gehirn hinschauen konnte.
Er rang um ein Lächeln, schluckte aber bereits den Ansatz davon hinunter.
Nur wenige Meter von ihm entfernt befand sich der breite Weg des Parks. Die Leute beobachteten ihn von dort aus, während sie ihre Sonntagsspaziergänge abhakten.
Peter musste ein albernes Bild abgeben, wie er sich dort durch die Büsche kämpfte, ein Plastikmesser im Mund, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Er konnte seiner Verdauung nicht länger widerstehen. In seinem Inneren rumorte es. Sowohl auf psychischer Ebene, als auch auf materieller.
Ein nasser Furz bildete die Vorhut. Schnell zog sich Lankowski die Hot Pants runter und schiss auf die trockene Erde neben den Pflanzen.
Für ihn machte es ohnehin keinen Unterschied mehr. Höchstens für den Radfahrer, der in diesem Augenblick parallel zu ihm auf dem Weg entlangfuhr und erstaunt glotzte.
Dieser gewöhnliche Passant, mit seiner fellüberzogenen Mütze, mit den an den Seiten schlenkernden Wärmern, die wie gewaltige Hundeohren aussahen. Die riesigen Augen, die sich auf den schlammigen Haufen fixiert hatten, den Lankowski just in diesem Moment aus sich heraus quetschte.
Wie eine übergroße Mistfliege, die sich einen fahrbaren Untersatz besorgt hatte, verfolgte der Radfahrer das Geschehen, und kurz glaubte Peter, er würde kehrt machen, und um den Haufen herumfahren. Immer und immer wieder. Dann aber war der Radfahrer hinter eine Kurve verschwunden, und zurück blieb der Eindruck wackelnder, felliger Ohrwärmer.
Lankowski musste an den Witz denken, den er vor langer Zeit einmal gehört hatte.

Es ging um einen Bäcker, der arbeitslos geworden war, weil die Leute ihre Brötchen bloß noch in den Supermärkten kauften.
Dieser Bäcker jedenfalls sprach mit einem Mann vom Arbeitsamt, und der wollte ihm weiß machen, dass es doch jede Menge gute Jobs für Bäcker gab.
Schlussendlich ärgerte sich der arbeitslose Bäcker darüber, dem Mann vom Arbeitsamt einen Knochen mit viel Fleisch daran hingeschmissen zu haben, da er doch keinen Job bekommen hatte.

Lankowski dachte angestrengt nach. Das war doch nicht der eigentliche Witz gewesen.
Etwas fehlte.
Er kam einfach nicht mehr auf die gottverdammte Pointe, und dieser Knochen mit dem Fleisch gehörte auch gar nicht zu diesem Witz.
Er war eine Reliquie aus alter Zeit, die sich irgendwie in seine aktuelle Zeit geschlichen hatte, genauso, wie es das Plastikmesser zwischen seinen Zähnen ständig tat.

Er verließ das Gebüsch, und zog sich die kurze Hose hoch.
Obwohl dies ein schöner Park war, konnte man die laute Autobahn hören. Sie übernahm die akustische Regierung des Grüns; herrschte über das Summen von Hummeln und Wespen.
Ja, der monotone Gleichklang der Autobahn war ganz einfach da. Selbst dann, wenn man nach dem Sinn des Lebens suchte.

Peter Langowski spuckte das Messer aus und lauschte.
In seinem Traum hatte eine Flutwelle einen Modeladen überflutet, der als quadratisches Schiff im Wasser geschwommen war. Niemand hatte das Unglück überlebt.
Doch jetzt glaubte Peter einen Sinn hinter alledem zu erkennen.
Die Autobahn!
Sie lag auf der gegenüberliegenden Seite, ebenso hinter Büschen versteckt, wie der gesamte Park.
Hohe, schallisolierende Wände spiehen die Laute der Autos gen Himmel, und hunderte Meter weiter fielen die Geräusche wieder runter, und landeten dort, wo man das Verkehrstreiben am lautesten hören konnte.
Ein auf und ab.
Wenn dies nicht der Sinn des Lebens war, wonach sollte man dann noch suchen?

Peter Lankowski stieg einen schmalen Hügel hinauf, und setzte den Rucksack ab, aus dem er sein Mobiltelefon empor zog.
"Ja Hallo, spreche ich da mit der Autobahnpolizei? Da ist diese Tür in den Schallmauern, oder wie man die Dinger auch nennt. Sie ist jedenfalls nicht abgeschlossen. Grad haben da noch Kinder gespielt, sie wären beinahe auf die Fahrbahn gelaufen. Ja ... ich warte."

Als der Mann von den Stadtwerken kam, schlug Peter ihn nieder.
Er nahm den Schlüssel und schloss die Tür auf, die in die riesige, sterile Wand eingelassen war.
Dahinter sollte nach gewöhnlichen Maßstäben die Autobahn liegen.

Lankowski wusste es besser.

Als er auf den Seitenstreifen trat, sah er keine Autos. Er roch nicht die Abgase.
Er befand sich dort, wo er immer schon hingewollt hatte.
Im Wunderland.

Peter ging einen Schritt nach vorn, und wurde von einer wundervollen, grauen Fee mitgerissen, die sein Leben beendete, während sie mit ihm im Schlepptau gen Himmel flog.

Er hatte einen furchtbaren Verkehrsunfall verursacht.

Doch sein Sinn des Lebens war gefunden.

Einige hundert Meter weiter schlug er auf. Dort, wo man ihn am lautesten hören konnte.

 

Hi Cerberus!

Gut!

Hat mir gefallen, der Stil ist abgedreht, aber er passt, meistens zumindest (Ausnahmen siehe unten).
Und der Inhalt: ist ebenfalls abgedreht. Komischerweise ist es aber an sich schlüssig.
Wie gesagt: hat mir gefallen.

Details:

rieb der Darm dieses Spiel mit ihm, für das es bloß einen Ausweg gab, und der lag jenseits der Unterhose.
Wirkt sehr komisch, Absicht?

seitdem sich diese Geisteskrankheit dort eingenistet hatte, wo nichtmals das Gehirn hinschauen konnte.
"diese Geisteskrankheit" - plump!
"nichtmals" - merkwürdig!

dem Mann vom Arbeitsamt einen Knochen mit viel Fleisch daran hingeschmissen zu haben, da er doch keinen Job bekommen hatte.
Fleisch daran - liest sich holprig
Zudem würde ich den Witz richtig erzählen... also so in etwa:
"Ein Bäcker war arbeitslos geworden..."
Das wäre stilistisch besser, denke ich.

Sie übernahm die akustische Regierung des Grüns
Sehr gut.

In diesem Sinne
c

 

Hey Cerberus!

Ja, hat mir auch wieder gefallen. Sehr krass erzählt, stilistisch gut und dazupassend.
Unten nur ein paar Anmerkungen.

Er rang um ein Lächeln, schluckte aber bereits den Ansatz davon hinunter.
Gut!
Wie eine übergroße Mistfliege, die sich einen fahrbaren Untersatz besorgt hatte, verfolgte der Radfahrer das Geschehen, und kurz glaubte Peter, er würde kehrt machen, und um den Haufen herumfahren.
:rotfl:
Hohe, schallisolierende Wände spiehen die Laute der Autos gen Himmel...
Ich glaub es gehört "spien". Bin mir aber ned sicher.
Einige hundert Meter weiter schlug er auf. Dort, wo man ihn am lautesten hören konnte.
Starkes Ende!

Grüße,
One

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo ihr beiden!

Um es gleich vorneweg zu sagen:

Diese Geschichte ist tatsächlich etwas, was ich vorgestern Nacht geträumt habe. Ein wenig ausgeschmückt zwar, aber im Groben und Ganzen ...
Als ich irgendwann um vier Uhr morgens wach wurde, wollte ich den Traum unbedingt behalten, also habe ich mir einiges eingeprägt.
Am nächsten Tag war ich mir dann überhaupt nicht mehr sicher, ob ich ihn überhaupt noch niederschreiben sollte, da mir einiges, vor allem der Radfahrer, plötzlich ziemlich dämlich vorkam. Aber der rollende Smile zeigt mir, dass die Stelle wohl doch ganz gut ankommt.
Viel kann ich sonst eigentlich nicht über die Geschichte erzählen. Es geht um einen armen Irren, der auf der Suche nach dem Wunderland ist, und sich dabei in seinem Wahn verliert.

Danke auch für die Verbesserungsvorschläge.

Grüße

Cerberus

EDIT: Diese Türen in den Isolierwänden von Autobahnen finde ich wirklich unheimlich faszinierend. Da ist so eine riesige, mehr als zehn Meter hohe Wand, und mittendrin plötzlich eine Tür. Diese Türen befinden sich tatsächlich oft in Parkanlagen, oder Grünanlagen, die neben der Autobahn verlaufen, damit sie gut zu erreichen sind. Und hinter ihnen liegt ja tatsächlich so etwas wie eine andere Welt. In einer Sekunde steht man noch im Grünen, und plötzlich mitten auf der Autobahn.

 

Hallo Cerberus,

ja, hat mir auch ganz gut gefallen. Abgedreht, aber gut. So surreal, dass man förmlich spürt, dass der Ursprung ein Traum ist.

Zwei Anregungen:

Es geht in der Geschichte ja um zwei Perspektiven - die "normale" Realität einerseits, die abgedreht Sicht von Lankowski andererseits. Mal darüber nachgedacht, die Geschichte aus Lankowskis Sicht in Ich-Perspektive zu erzählen? Stelle ich mir gerade gut vor, da sie so abgedreht ist. Ich gebe allerdings zu, dass das ein massiver Eingriff in deine Geschichte ist. ;)

Zweiter stilistischer Hinweis:

Sein Magen verkrampfte sich, und wieder trieb der Darm dieses Spiel mit ihm, für das es bloß einen Ausweg gab, und der lag jenseits der Unterhose.
Du verknüpfst in deiner Geschichte sehr oft Hauptsätze durch das "und". Ist Geschmackssache, aber für mich etwas zu oft.

Eins noch:

Peter Langowski spuckte das Messer aus und lauschte.
Der Cousin von Peter Lankowski? :D

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo cerberus,

du träumst vielleich tschräg. ;)
Mir hat die Geschichte auch gut gefallen. Dein Protagonist hat etwas wehmütiges in seiner verzerrten Realität. Die Sinnsuche als Lebensantrieb hat er nicht verloren. Dadurch bleibt er in Kindlichkeit oder Jugend gefangen, auch wenn er es vielleicht nich t mehr ist. Irgendwann wird von ihm erwartet, dass er Antworten hat oder funktionierend ignoriert, dass er sie nicht hat.
Für diese Kindlichkeit spricht zum Beispiel seine Schamlosigkeit. Erwachsene würden darauf achten, dass niemand sie bei beim Entladen beobachtet und sich die Hose erst hochziehen und dann das Gebüsch verlassen. Kindern ist das egal.

Ob das Ende, dass der Sinn des Lebens nur im Sterben liegt so teilen kann, weiß ich nicht. Aber es ist auf alle Fälle eine Aussage, die zum Weiterdenken provoziert.

Lieben Gruß, sim

Für ihn machte es ohnehin keinen Unterschied mehr.
Zwiebelfisch

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom