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Laufen

Bas

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16.09.2018
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Laufen

Oben in der Zimmerecke sitzt die Spinne mit den sieben Beinen. Eines hat er ihr ausgerissen, aus Versehen. Als er sie einfangen und aussetzen wollte und dann brachte er es nicht mehr übers Herz.
Sonst sieht er kaum jemanden. Den Job in der Fabrik hat er gekündigt. Zu viel für zu wenig und der Kopf fast geplatzt. Keinen Kontakt zur Familie und auch Freunde hat er keine, und um sich davon abzulenken, davon und von den schrumpfenden Rücklagen, vor allem wohl, um bei Sinnen zu bleiben, hat er mit dem Laufen angefangen, auch wenn das Knie streikt. Er bemerkt ja selbst, dass das nicht gut klingt: Vor Problemen weglaufen. Und trotzdem.

Früher hat er mal Antidepressiva genommen. Und dazu gekifft. Oder andersrum, in erster Linie hat er gekifft und das Kiffen mit Antidepressiva kombiniert, jedenfalls fällt es deshalb schwer zu sagen, was davon wofür verantwortlich war, was für die Hochstimmungen und was für die Paranoia. Und ob das jetzt Nachwirkungen sind, diese ständige Angst vor dem Sterben und die Zeitgleichgültigkeit gegenüber dem Tod. Ein bisschen läuft er jetzt also wohl auch vor den Fragen davon. Rennt davor weg, je nachdem.

Seine Runden sind Begegnungen. Mit sich selbst. Mit der Natur, auch mit anderen. Heute mit dem zottelig-lockigen Hund, der ein Stück weit mitlief und mit seinem Frauchen, die ihn dann wieder zurückrief. Auch mit der Zeit. Mit der Zeit auf seiner Smartwatch, die ihm anzeigt, ob er es gut macht, zwei Schritte Vorsprung, ha, aber vor allem mit der Zeit an sich, auch mit den Jahreszeiten, fällt ihm auf.

Als er ein Kind war, machte seine Familie an Ostern Urlaub auf dem Bauernhof auf dem M.-Berg. Der Vater fuhr das Auto, den Renault, war noch am Leben und noch Teil der Familie. Die Streitereien mit der Mutter noch nicht so häufig, noch nicht Normalität. Die erhobene Faust gegen ihn selbst, Jahre später, als er da stand, in der Wohnung in der J.M.-Straße, an die raue Struktur der wachsgelben Wand gepresst und geblendet von der Lampe an der Decke, der hölzernen, in Form eines Flugzeugs, das schwere Schnaufen seines Vaters und das Zittern und das Wissen um seine Mutter, die im Wohnzimmer auf dem grauen Sofa saß, stumm, die Knie an die Brust gezogen und darüber die Decke, die olivgrüne mit den Seehunden drauf und den Bällen, die sie auf der spitzen Schnauze balancierten, der Wunsch, dass die Faust endlich sein Gesicht traf, seine Nase zertrümmerte, das Jochbein, der endgültige Beweis für den Hass, der Schlusspunkt, der Wendepunkt, der es dann auch war, wenn auch anders, all das war noch Zukunft, konnte noch warten.

Denn jetzt war es Ostern. Jetzt standen schöne Zeiten bevor. Morgens die Decke wegstrampeln, wenn draußen der Hahn krähte. Die frisch aufgebackenen, dampfenden Brötchen mit glühenden Fingerspitzen aufschneiden, den Teigkloß aus der Mitte zupfen und unzerkaut herunterschlucken. Keine Zeit, die schmelzende Butter zu verstreichen, Salami drauf, Klappe auf, zu und dann weg. Raus in die Welt.

Im Wald hinter der Kuhweide gibt es Blindschleichen, echte Schlangen. Wenn die Schafe rufen, klingt es wie gefangene Menschen. Der Wind macht das Gesicht rot und lässt die Rotze laufen, egal, Zungenspitze schleck-weg-weiter, die Pferde treten aus und die Schweine grunzen und der Esel hat einen Pimmel, der fast bis zum Boden reicht. Jonas hat auch einen Pimmel und ich auch und wir pissen gegen den Wind und der Bauer fährt auf dem Traktor vorbei und hupt und wir schämen uns, liegen später mit Fernglashänden auf dem Bauch und beobachten, wie er mit den Eltern spricht und wie sie lachen. Dann ist wohl alles gut. Dann also weiter. Verschwitzt durch den April und über Pfützen und durch die Wolken bricht die Sonne, jetzt ist es goldgrau bis weißgelb und als wir vom M.-Berg zurückkommen ist alles grün, bemerkt meine Mutter. Guckt mal, wie grün es jetzt ist. Vor zwei Wochen war doch noch alles kahl. Aber der Vater will nichts wissen, ihm tut das Knie weh, von der Fahrt. Setzt bloß den Blinker, biegt in die Siedlung, sieht kurz zum Schornstein von der Fabrik.

Und jetzt ist es genau andersrum. Letzten Monat, als ich anfing zu laufen, war noch alles grün. Wurde dann nach und nach gelb. Wurde dann gelbrot bis braungelb, wurde ocker bis matschbraun. Die Wege wurden nass und rutschig und ich sprang über Pfützen. Das erste Mal seit ewig. Und überall Nacktschnecken, überall Krähen, die ihre Schnäbel in das weiche Fleisch bohren und harte Nüsse, die aus Schnäbeln fallen und über den Asphalt rollen. Und ich würde ja gerne helfen: Lass mich deine Nuss knacken mit meinen gedämpften, matschbesprenkelten Laufschuhen, lass mich für dich da sein, geh nicht weg wie mein zottelig-lockiger Kumpel, aber Krähe und Nuss sind schon auf und davon.

Vor einem Monat konnte ich einen Kilometer laufen und hatte dann Schmerzen. Weniger, als erwartet. Vor einem Monat dachte ich, meine Knie würden wieder streiken, wie früher, mit vierzehn, als ich aus dem Bus aussteigen musste. Weil ich Panik bekam. Weil ich schwitzte. Oder schwitzte ich, weil ich Panik bekam, ich weiß es nicht, aber ich musste raus, ich drückte auf den roten Knopf und spürte die Blicke der anderen Menschen und muss hier raus aber der Bus bleibt stehen, irgendwas stimmt nicht, vielleicht nur eine rote Ampel. Aber irgendwas stimmt nicht, mein Herz schlägt zu schnell oder zu langsam und ich schwitze zu viel und mein Kopf ist zu leicht und zu schwer und ich platze gleich, wenn der Bus nicht gleich losfährt, wenn der Mann mit den haarigen Ohren mir noch näher kommt, wenn jetzt nichts passiert und auch wenn doch, ich platze, egal wie, ich kann nicht, krieg keine Luft mehr, fahr weiter, lass mich raus, von mir aus gleich hier auf einer Brücke von der ich springe ganz egal ich will tot sein und endlich lässt der Bus Luft ab. Zischt und senkt sich. Und ich laufe. Will nur nach Hause. Was viel zu weit ist. Und was erwartet mich schon zuhause, jetzt sind die Eltern ja geschieden, jetzt hat der Opa ja auch Demenz und jetzt ist der Onkel ja in der Klinik, ich werde schneller, das Knie blockiert, ich fühl mich falsch und allein.

Aber jetzt nicht mehr. Jetzt kann ich laufen, jetzt laufe ich zum ersten Mal fünf Kilometer und hänge noch einen dran und gestern hätte mein Vater Geburtstag gehabt. Ich schrieb ein Gedicht, das erste seit langem, und da fiel es mir auf. Ich schrieb […] zumindest saufen / tu ich nicht / hab einen Blick / für das Schöne / für die Krähe mit der Nuss / und hab noch Lust und gerade heute / gerade jetzt fällt mir auf / hätte mein Vater Geburtstag / also dann Prost / alles Gute, und ich gespannt, was mich erwartet, auf jeder Runde, vielleicht ein Drachen, das würde reichen. Das wäre Material für den Tag, würde mich ablenken von vielem und noch einigem sonst. Vielleicht sagt jemand hallo. Ein Mann mit Hund. Guten Morgen, eine Frau am Rollator. Jemand, von dem ich es nicht erwarte, denn oft sieht man den Menschen an, ob sie reden wollen oder nicht.
Mein Opa wollte nicht reden. Er war schüchtern auf seine Art, sprach mit Augen und Worten zu den Möbeln statt zu den Menschen. Besonders am Ende, als er die Worte nicht mehr fand, aber auch schon davor.

Und auch ich will oft nicht reden. Ich habe nichts zu erzählen, sage ich mir dann, und gehe dem Leben mit Absicht aus dem Weg. Komme außer Form. Die Zunge liegt da wie erwürgt.
Und ich sollte nie wieder schreiben, denn wen interessiert dieses Kreisen um mich selbst in der hundertundsiebten Variation, wen das Kaleidoskop meiner vertrackten, zerdachten Innenwelt.

Mich interessiert die Spinne mit den sieben Beinen und ob sie von dem fehlenden Bein weiß. Mich interessiert die Nachbarin drei Häuser weiter, sie ist alt, sie läuft im rechten Winkel, der Oberkörper steht vom Rumpf waagrecht ab und deshalb habe ich ihr Gesicht noch nie gesehen, sie schaut auf den Boden und wenn man sie umstößt liegt sie da wie ein L. Dann lege ich mich daneben und schaue ihr endlich ins Gesicht, ich I. Dann sind wir LI. Und wir warten, was noch kommt.

Bei meinem Opa kam nichts mehr nach dem Wasser in der Lunge und bei seinem Sohn nach der Depression und den Tabletten und dem Rest. Bei meinem Vater nach den Metastasen in fast sämtlichen Organen und schon deshalb laufe ich weg vor den Fragen, auf die ich die Antwort schon weiß.

Doch ich möchte nicht nur laufen, sondern auch schreiben, aber was soll man schreiben ohne Gedanken und deshalb denke ich noch mal zurück an den Bauernhof auf dem M.-Berg und an Jonas, an das Turnier auf der Weide, an die Erwachsenen und die Kinder und an meinen Vater, der in vollem Tempo rannte, auf der furchigen Wiese, direkt auf das Tor zu mit dem Ball und wie alle jubelten und kreischten und schauten auf den Stier, breites Kreuz, kaputtes Knie und wie er trotzdem so rannte, als hänge etwas Großes davon ab, etwas, das er selbst nicht verstand, aber spürte und er wusste, jetzt, genau jetzt, muss ich rennen, denn guck doch, wie sie schauen und wie sie kreischen und wie sie jubeln und irgendetwas tief in mir treibt mich an und gibt mir Kraft, vielleicht mein Sohn und meine Frau, mit der ich streite, ganz bestimmt, in der Zukunft, viel zu heftig, und worüber, aber jetzt, jetzt muss ich rennen denn zuhause ist wieder Arbeit in der Fabrik und mein Knie ist jetzt egal und dass ich tot bin in fünfzehn Jahren, davon weiß ich ja jetzt nichts und da im Tor steht ein Kind, gerade mal zehn und alles vor sich und hier renne ich und dort laufe ich, Jahre später, als mein Vater schon lange tot ist und sehe vor mir, wie er rennt, mit breitem Kreuz und der Glatze und dem Knie und ich weiß nicht, ob er traf oder nicht, aber ich weiß noch, wie er lief, immer weiter und wie er sprang über den Zaun von der Weide, auf dem wahrscheinlich noch Strom war, für die Kühe, und er sprang und in meinen Gedanken springt er hoch wie ein Baum und schlägt dann Saltos und Schrauben und rollt sich ab auf dem braungrünen Gras und läuft dann weiter, immer weiter, dass man die Tränen nicht sieht.

Wie man meine nicht sah, als er starb. Weil es keine gab. Weil ich nicht glaubte, dass er damals rannte, weil da eine göttliche Kraft war, mein Vater war kein Heiliger, er rannte weg vor Problemen und ich bin der Sohn meines Vaters und bin ich selbst, woran ich denke, während ich laufe, wovon ich schreibe, immer im Kreis, Schritt für Schritt, Satz für Satz, so lang ich kann.

 

Moin @Bas ,
das ist jetzt ein Fall für Ene, mene muh, ... Ich kann mich nach wie vor nicht entscheiden, ob der Text von @jimmysalaryman oder Deiner mir schwer fällt beim kommentieren und ich wollte mit dem schwereren anfangen. Für mich ist es wohl Deiner! Warum ich das so erwähne? Gefühlt laufen/fahren in euren beiden, so extrem unterschiedlichen Texten die Protagonisten vor etwas weg oder hinterher, sehnen sich und hoffen. Ich empfinde die beiden Texte als sehr nahe vom Thema her und erfreue mich daher umso mehr der Umsetzungen. Nur tue ich mich als Leserin halt schwer, ich dicke so völlig anders, will mich aber sehr gerne darauf einlassen.

Oben in der Zimmerecke sitzt die Spinne mit den sieben Beinen. Eines hat er ihr ausgerissen, aus Versehen. Als er sie einfangen und aussetzen wollte und dann brachte er es nicht mehr übers Herz.
Ich mag den Einstieg! Der charakterisiert schon ganz viel über eine alltägliche und doch besondere Szene. Da ich gerade mit positiv oder negativ wirkenden Charakteren hadere, merke ich mir das mal als gute Variante: ich mag Deinen Protagonisten fürs Erste.

Sonst sieht er kaum jemanden. Den Job in der Fabrik hat er gekündigt. Zu viel für zu wenig und der Kopf fast geplatzt. Die Familie trifft er selten, Freunde hat er keine und um sich davon abzulenken, davon und von den schrumpfenden Rücklagen, vor allem wohl, um bei Sinnen zu bleiben, hat er mit dem Laufen angefangen. Er bemerkt ja selbst, dass das nicht gut klingt: Vor Problemen weglaufen. Und trotzdem.
Ich hadere in Deiner Geschichte diesmal mit Deinem Sound, mit den Sätzen irgendwie. Es wirkt uneinheitlich! Jetzt, beim schreiben, überlege ich, ob das seinen springenden, uneinheitlichen Gefühlen, dem inneren Chaos geschuldet ist. Dann wäre das sowas wie spiegeln.
In dem hier zitierten Absatz, verkürzt Du, da fehlen gefühlt sogar Worte, auch wenn es aufgeht. Nur gut das ich Dank der Spinne positiv eingestellt bin, denn hier möchte ich ihn nehemn und schütteln. Woher kommt nur diese negative Haltung? Das Laufen ist was tolles, gesund, glücklich machend, Gesellschaft ... und er benennt es als weglaufen. Ich glaube, das ist etwas, was der Text mir (vielleicht nur mir) nicht einlöst - warum ist er so geworden?

Und ob das jetzt Nachwirkungen sind, diese ständige Angst vor dem Sterben und die Zeit-gleich-gültigkeit gegenüber dem Tod, seines eigenen und dem der Männer, die mal waren: Opa, Onkel, Vater. Ein bisschen läuft er jetzt also wohl auch vor den Fragen davon und vor dem Tod. Rennt vor ihm weg, je nachdem.
Mal was anderes! Oft sind die Männer stark auf die Frauen Ihrer Familein geprägt, hier ein reiner Männerreigen, der ihn nicht loslässt, irgendwie in eine Rolle zwingt, die nicht für ihn passt. Warum? Vielleicht hinterfrage ich das auch wirklich nur, weil ich abgrundtief positiv bin, ich kann so gar nicht denken. das macht mich neugierig, aber auch zum teil ratlos.
Ah, ich vergaß: Ich würde die Zeitgleichgültigkeit als eine Wortschöpfung schreiben, so zerreißt es.

Seine Runden sind Begegnungen. Mit sich selbst. Mit der Natur, auch mit anderen.
Das ist doch mal positiv erlebt, das müsste ihn doch weiter bringen. Aber irgendwie klappt es nicht. Er bleibt in seiner Rolle gefangen.

Mit der Zeit auf seiner Uhr, die anzeigt, wenn er sich verbessert, zwei Schritte Vorsprung, ha, aber vor allem mit der Zeit an sich, auch mit den Jahreszeiten, fällt ihm auf.
Ich komme nicht dahinter warum, aber der Satz geht für mich nicht rund oder schlüssig auf. Denn eigentlich bezog sich ja auch mit der Zeit auf - es sind Begegnungen! Da kriege ich den Einschub der Verbesserung nicht unter.

Als er ein Kind war, machte seine Familie an Ostern Urlaub auf dem Bauernhof auf dem M.-Berg. Der Vater Vater fuhr das Auto, den Renault, war noch am Leben und noch Teil der Familie. Die Streitereien mit der Mutter noch nicht so häufig, noch nicht Normalität. Die erhobene Faust gegen ihn selbst, Jahre später, als er da stand, in der Wohnung in der J.M.-Straße, an die raue Struktur der wachsgelben Wand gepresst und geblendet von der Lampe an der Decke, der hölzernen, in Form eines Flugzeugs, das schwere Schnaufen seines Vaters und das Zittern und das Wissen um seine Mutter, die im Wohnzimmer auf dem grauen Sofa saß, stumm, die Knie an die Brust gezogen und darüber die Decke, die olivgrüne mit den Seehunden drauf und den Bällen, die sie auf der spitzen Schnauze balancierten, der Wunsch, dass die Faust endlich sein Gesicht traf, seine Nase zertrümmerte, das Jochbein, der endgültige Beweis für den Hass, der Schlusspunkt, der Wendepunkt, der es dann auch war, wenn auch anders, all das war noch Zukunft, konnte noch warten.
Und hier das Kontrastprogramm zu den Verkürzungen, knappen, fast umgangsprachlichen Sätzen. Verstehe mich bite nicht falsch. Natürlich ist das korrekt, aber es liest sich diesmal für meine Lesart nicht flüssig, nicht als eine Erzählstimme.
In dem fetten Satz liegt wahrscheinlich Dein angelegtes Motiv für seinen Kummer, sein Verhalten, seinen Lebensstil. Aber dadurch, das es hier so im Rattenschanz angehängt getellt wird, nimmt es mich nicht mir, sorry.

Jetzt standen schöne Zeiten bevor. Morgens die Decke wegstrampeln
Hier habe ich mich zweimal iritieren lassen, erst beim dritten Lesen ist mir klar geworden, das er immer noch in der Vergangenheit ist. Das "Jetzt" habe ich als Gegenwartsmarker gelesen und wollte mich wirklich über das "Strampel" als zu kindlich beschweren. Wahrscheinlich stehe da nur ich auf dm Schlauch, warten bitte ab.

Der Wind macht das Gesicht rot und lässt die Rotze laufen, egal, Zungenspitze schleck-weg-weiter, die Pferde treten aus und die Schweine grunzen und der Esel hat einen Pimmel, der fast bis zum Boden reicht.
Ich mag diesen Sound (in Ermangelung eines besseren Wortes). So viele gute Beobachtungen, Bilder malend und mich mitziehend.

Dann also weiter. Verschwitzt durch den April und über Pfützen und durch die Wolken bricht die Sonne, jetzt ist es goldgrau bis weißgelb und als wir vom M.-Berg zurückkommen ist alles grün, bemerkt meine Mutter.
Das Dann am Satzanfang klingt für mich immer wie eine Aufzählung. Wofür steht der Satz hier?

Und ich würde ja gerne helfen: Lass mich deine Nuss knacken mit meinen gedämpften, matschbesprenkelten Laufschuhen, lass mich für dich da sein, geh nicht weg wie mein zottelig-lockiger Kumpel, aber Krähe und Nuss sind schon auf und davon.
Das hier ist aus meiner Lesart ein großer Schritt für ihn, er kommt aus seiner Ich-Betrachtung raus und will helfen (ich hatte grinsen düberlegt, ob er auch beim Schnecken matschen helfen würde), gestet sich ein, das er die anderen gerne länger um sich hätte ...

Ich hätte auch euch gerne geholfen, die ihr jetzt weg seid. Opa und Onkel und Vater.
Hier bin ich zwiegespalten. Nach meiner Lesart hätte er die Männer seines Lebens also auch gerne um sich behalten (wie die meisten von uns). Aber warum verlangt er von sich so übermenschlich viel? Gegen nichts/bei nichts der aufgezählten Probleme wäre Hilfe seinerseits möglich gewesen. Was treibt ihn an?

Was, wenn man in Gesichtern nur noch den Schädel sieht, den freiliegenden Knochen, schon den Wind hört, der durch die Augenhöhlen rauscht, dumpf pfeifend, wenn da keine Rotze mehr ist und keine Nase, durch die die Rotze dann tropft, nur ein Loch. Man denkt nicht nach und läuft weg.
Der Satz ist gut, aber ich komme nicht dahinter, was er mir sagt. Wann und warum hat er die Männer seiner Familie so gesehen?

Weil ich nicht mehr konnte, aber die Erleichterung setzt noch immer nicht ein, ich werde verfolgt, von den haarigen Ohren oder dem hupenden Bauern oder irgendwem sonst, ich werde schneller, das Knie blockiert, das Schienbein schreit, ich wäre so gerne tot.
Puh, das geht für mich zu schnell. Von der Panikattake im engen Raum oder zu viel Menschen zum Todeswunsch. Wie alt soll ich mir den Protagonisten hier denken? Für einen sehr jungen Menschen/Pupertät könnte ich mir dieses extreme Denken vorstellen, für einen Erwachsenen nicht so wirklich.
Für mich kommt es hier aus dem Nichts, da es ja nur eine Erinnerung ohne zeitliche Verortung ist.

Aber jetzt nicht mehr. Jetzt kann ich laufen, jetzt laufe ich das erste Mal fünf Kilometer und hänge noch einen dran und gestern hätte mein Vater Geburtstag gehabt.
Ja, er schafft es, er arbeitete dran, findet eine Weg für sich.

Das würde reichen. Das wäre Material für den restlichen Tag, würde mich ablenken von vielem und noch einigem sonst. Vielleicht sagt jemand hallo
Gefühlt ist hier der "Sound" schon wieder anders. Aber damit ist es dann wohl wirklich der Spiegel seiner Stimmungen? Das liest sich unheimlich traurig, einsam und so allmählich verliere ich den Glauebn an ihn.

Mein Opa wollte nicht reden. Er war schüchtern auf seine Art, sprach mit Augen und Worten zu den Möbeln statt zu den Menschen. Besonders am Ende, als er die Worte nicht mehr fand, aber auch schon davor. Er hat viel erlebt, hatte viel zu erzählen, doch wozu.
Ich bin wohl einfach die falsche Leserin. Opa wollte nicht reden/schüchtern: kann ich akzeptieren, wir sind alle verschieden
Aber dann kommt: hatte viel zu erzählen/erlebt - wozu erzählen? Das geht aber direkt gegen potenzielle Zuhörer? Es lohnt nicht ihne etwas zu erzählen? oder wie soll ich das lesen?

Manchmal denke ich, ich habe nichts zu erzählen und wie auch, ich gehe dem Leben mit Absicht aus dem Weg, bin außer Form, meine Zunge liegt da wie tot, denn wer hört mir zu? Ich sollte nie wieder schreiben, denn wen interessiert dieses Kreisen um mich selbst in der hundertundsiebten Variation, wen das Kaleidoskop meiner vertrackten, zerdachten Innenwelt.
Und hier hat der Protagonist aus meiner Lesart das selbe Problem: Er hat ganz viel im Kopf, denkt, variert und will schreiben und beschneidet sich selbst. Vertrackt, ja!

Mich interessiert die Spinne mit den sieben Beinen und ob sie von dem fehlenden Bein weiß. Mich interessiert die Nachbarin drei Häuser weiter, sie ist alt, sie läuft im rechten Winkel, der Oberkörper steht vom Rumpf waagrecht ab und deshalb habe ich ihr Gesicht noch nie gesehen, sie schaut auf den Boden und wenn man sie umstößt liegt sie da wie ein L
Dann ist er ja doch zu einer Erkenntnis gekommen, wenn leider auch wieder sehr ich-bezogen. Er erkennt, was ihn interessiert! Leider spricht er allen anderen dieses Interesse ab. Warum? Ich würde ihn so gerne verstehen, erahnen, wo seine Denke herkommt, aber da sehe ich hier einfach nicht die Hinweise.

Doch ich möchte nicht nur laufen, sondern auch schreiben, aber was soll man schreiben ohne Gedanken und deshalb denke ich noch mal zurück an den Bauernhof
Nimmt er sich selbst nicht für voll oder legt er an sich weiterhin einen sooo hohen Maßstab?

Weil ich nicht glaubte, dass er damals rannte, weil er irgendeine göttliche Kraft spürte, mein Vater war kein Heiliger, er rannte weg vor seinen Problemen und ich weiß, dass er uns deshalb verließ.
Hier bin ich unsicher? Meinst Du den Lauf zum Tot oder ein symbolisches Laufen während der Krankheit?

Und ich laufe und ich atme, ob auf zwei Beinen oder sieben, ob als I oder L oder X im Quadrat. Ob es Sinn macht oder nicht und ob es irgendwo hinführt, verrat’s mir gerne, würd’s gern wissen, würd mir helfen, ganz bestimmt.
Tja, Glück gehabt! (oder auch nicht) der Satz hätte mich zum Abbrechen der Geschichte gebracht.
Ich sehe in dieser direkten Anrede des Lesers hier wirklich eine Bruch. Es macht mich unzufrieden, denn ich kann ihm nicht antworten (mal davon ab, das ich ihm eh lieber einen Kaffee und eine Stunde Zeit hinhalten würde)
Das ist aus meiner Sicht eine tieftraurige Geschichte, die mich zum nachdenken bringt und darin bestärkt noch offener für Menschen zu sein, die mir alleine begegnen. Ich bin gespannt auf andere Kommentare und Deine Antworten, denn sicher binn ich meiner Lesart überhaupt nicht.
Auch wenn es sich vielleicht so liest, eigentlich hatte ich nichts zu meckern.
Liebe Grüße
witch

 

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