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Lead-form

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12.07.2002
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Lead-form

Da ich mir seit längerer Zeit Sorgen um meinen einzigen Sohn machte, kam mir die Werbung, die auf den Schreibtisch flatterte, wie gerufen: Ein elegant aufgemachter Prospekt, gedruckt auf erstklassigem Hochglanzpapier, warb für die Dienstleistungen der amerikanischen Firma Lead-form. Blumige Worte und raffiniert aufgemachte Bilder transportierten die Werbebotschaft 'Wir machen aus Menschen Macher!'

Und ausgerechnet diese kraftvolle Eigenschaft des Machers versäumte unser Sprössling von mir zu erben! Ich schaffte es, in kurzer Zeit ein florierendes Unternehmen aufzubauen und er hatte bisher nur bewiesen, dass er es verstand, gut zu Lasten seines Vaters zu leben. Eigeninitiative und Disziplin blieben Fremdworte für ihn. Charisma strahlte er höchstens am Stammtisch bei seinen Kumpels aus, und das auch nur nachdem er einige Bierchen intus hatte. Chuzpe bewies er nicht einmal im Umgang mit jungen Damen.

Dafür hatte er das Glück, einen aktiven Vater zu haben.

Lead-form reagierte schnell auf meine Anfrage. Das kurze Kontaktgespräch diente dazu, einen ausführlichen Fragebogen auszufüllen und einige Worte mit meinem Sohn zu wechseln. Mehr benötigten die Spezialisten nicht, um eine Strategie auszuarbeiten, die zum Ziel hatte, aus einem schwachen einen erfolgreichen Menschen zu machen. Schon wenige Tage danach lag sie mir in Form einer E-Mail vor: kurz, knapp - amerikanisch eben!

Am Anfang stand das Fazit der durchgeführten Persönlichkeitsanalyse, danach folgten die empfohlenen Schritte, die meinen Sohn formen sollten:

„Fazit: Felix Baumann ist ein fauler Hund, hat keine Ausstrahlung, weder Energie noch Durchsetzungsvermögen - und auch sein Aussehen ist unterdurchschnittlich.“ Dies ist eine verkürzte Version, die ich aus dem Englischen übersetzte. Aber sie enthält alle wesentliche Aussagen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich eingestehen, dass die Amerikaner den Nagel auf den Kopf getroffen hatten! Mein Sohn war ein Versager auf der ganzen Linie.

War - denn in der Zwischenzeit hat sich einiges verändert. Lead-form sei Dank. Mein Sohn ist heute eine Führer-Natur. Nein, nicht was Sie denken. Mit einem gewissen Menschen aus Braunau hat er einzig und allein gemein, dass er auch in der Politik gelandet ist.

Und welche Schritte führten ihn zum Ziel? Exakt die Maßnahmen, die von den Amerikanern vorgeschlagen wurden, nämlich:

Charakter:
Charaktere können nicht grundlegend verändert werden. Einzig möglich und erfolgversprechend ist ein Hervorheben und Verstärken existierender Charakterzüge. Denkfaule Personen ohne eigenen Antrieb und bar aller Überzeugungskraft sind daher in der Politik gut aufgehoben. Warum? Einzelne Persönlichkeiten haben in diesen Kreisen nur dann etwas zu sagen, wenn sie ganz oben angesiedelt sind - und auch dort nur sehr eingeschränkt. Eine Position in der zweiten, oder dritten Ebene – und hier sehen wir vorerst Felix Baumann - wirkt bestenfalls als Sprachrohr für Strategien, die andere ausarbeiten, durchdenken und verbreiten. Argumente müssen nicht vorgebracht, höchsten wiederholt werden. Die Parteistruktur wirkt wie ein Korsett, das den morschen Rücken von Felix Baumann stärkt. Die offizielle Parteilinie dient als Mauer, an die er sich anlehnen kann, die aber auch genügend Schlupflöcher hat, durch die er im Notfall bei Bedarf abtauchen kann. Eine große Volkspartei ist idealer für Felix Baumann, denn dort ist die graue Masse, hinter der er sich verstecken kann und soll mächtiger als in einer Splittergruppe. Außerdem gibt es dort mehr Lehrmeister, die ihm die Kunst des „Was kümmert mich das, was ich gestern sagte? - Heute ist heute!“ effizient beibringen können.

Aussehen:
Sein Kopf ist ideal für die Funktion des Politikers geeignet: Die Haare sind voll und können nach Wunsch jedes beliebigen Partei-Stylisten geföhnt und gelegt werden. Die unauffällige Farbe der Haartracht harmoniert exakt mit der Blässe des ausdrucklosen Gesichtes und passt somit zur modernen Ansicht sämtlicher politischer Parteien, man solle zuviel Sonne, in Zeiten des wachsenden Ozonlochs, tunlichst meiden. Selbst kosmetische Anfänger in den lokalen Aktionsgruppen sind in der Lage diesem 0815-Gesicht jeden von der Parteilinie geforderten Ausdruck zu verleihen - von „grimmig“ bis „gütiger Opa“.

Das Marketing in der Politik verlangt imperativ einen hohen Wiedererkennungswert für agierenden Protagonisten. Nachdem das Gesicht nichtssagend ist, schlägt Team-form das permanente Tragen eines großen, gut sichtbaren Abzeichens auf der linken Brustseite (am Herz!) vor. Empfohlen wird ein großer Marienkäfer. Er symbolisiert Glück und strahlt Sympathie aus. Sein Anblick erfreut die Kinder und außerdem können die klaren Farben optimal von der Fernsehkamera erfasst werden. Alternativ könnte der Politiker auch ein Amulett tragen. Woodoo-Symbole sind momentan sehr en Vogue. Sie vermitteln einen Hauch von Exotischem und Geheimnisvollem, was den Amulett-Träger über die Masse erhebt und ihn zu etwas Besonderem stempelt.

Aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fallen die Füße; mit Größe sechsundvierzig müssen die Schuhe profitabel zum gut sichtbaren Werbeträger mutieren. Spendable Sponsoren dürften in der Modebranche leicht zu finden sein. Bei Auftritten ist auf eine entsprechende Position der Kamera zu achten, damit dieses Juwel zentral ins Bild gebracht wird. Insbesondere bei Talkshows, die im politischen Alltag die meiste Zeit beanspruchen, ist dieser Aspekt von nicht zu vernachlässigender Bedeutung für den Erfolg!

Sein relativ schmächtiger Körperbau verlangt eine hohe Position des Protagonisten, wenn er im Rampenlicht steht. Das impliziert bei Zuschauern, dass der Politiker „den Überblick“, und somit das Wesentliche im Griff hat


Der Name:
Eine Namensänderung muss umgehend durchgeführt werden: Baumann könnte mit „Baum“, also mit Stärke, Standfestigkeit, Schutz, usw. in Verbindung gebracht werden, genauso wie „Mann“. Alles Eigenschaften, die mit Felix Baumann nicht im Entferntesten zu tun haben.

Auf den Wahlplakaten muss unter seinem Bild der neue Name Felix Wald stehen. ‚Wald’ steht für ‚Natur’, ‚Gesundheit’ und ‚Wohlbefinden’; alles positiv besetzte Begriffe, die dazu beitragen, die Publikumsadhäsion zu erzeugen und zu verstärken. Für den Träger dieses Namens stellt er aber keinerlei Verpflichtung dar, der DER Kandidat ohnehin nicht gewachsen wäre. Ein weiterer Vorteil: Die Memorisierungsqualität nimmt deutlich zu.

Wie schon gesagt: Heute ist mein Sohn wie ein umgedrehter Handschuh. Er ist bei einer der großen lokalen Parteien von den Pflichten des Plakateklebens längst enthoben worden und somit für jedermann sichtbar in der Hierarchie höher gerückt. Mit Energie und Zähigkeit kämpft er jetzt für höhere Diäten und mehr Freizeit in der Gesellschaft, wobei es für ihn kein ‚entweder oder’ gibt. Nur die konsequente Erreichung beider Ziele gemeinsam ist nach seinem Verständnis sinnvoll. Anders hätte er keinen richtigen Nutzen davon.

In kurzer Zeit gedieh also meinem Sohn zu einer Persönlichkeit. Auch wenn das Ganze nicht in meinem Sinne endete, musste ich neidlos eingestehen, dass Lead-form ganze Arbeit geleistet hatte.

 

Hallo Ernst Clemens,

zunächst dachte ich mir "schon wieder ein Englischer Titel", innerhalb der ersten Zeilen ist er jedoch erklärt und die Sache geht in Ordnung

Womit ich Schwierigkeiten habe sind zwei Dinge:

Das erste ist sprachlicher Natur. Formal ist nichts einzuwenden, Du hast flüssig und korrekt formuliert, durchweg präzise. Aber irgendwie wurde ich nicht warm mit der Geschichte und ihren Protagonisten. Die recht ausgedehnten "lead-form" Teile sind sprachlich noch trockener und steriler, was natürlich Absicht ist. Insgesamt konnte ich keine Sympathie aufbauen, das Gefallen an der Thematik ist rein akademischer Natur.

Das zweite hat mit der Grundidee und der Form der Geschichte zu tun. Du zielst in Richtung Satire, das wird schon aus den ersten Absätzen deutlich. Dennoch fehlt es im Weiteren an der konsequenten Bissigkeit, um die Geschichte als Satire durchgehen zu lassen. Und es fehlt an Spannung. Nach dem "Charakter" Abschnitt ist irgendwie alles gesagt und "Aussehen" und "Name" sind nur noch 2. und 3. Aufguss. Insgesamt fehlt damit über weite Strecken auch HANDLUNG.

Fazit: Die Geschichte konnte leider nicht halten, was der erste Abschnitt versprochen hat. Danach hatte ich mir gedacht: "Wow, tolle Idee."

LG,

N


Textkram:

Eine große Volkspartei ist idealer für Felix Baumann

ist ideal für Felix Baumann

 

Hallo :)

Ich bin mir meiner Meinung noch nicht recht sicher :shy:
Mir gefällt der Ansatz - basteln wir uns einen "Macher" nach amerikanischem Prinzip :) Die aufgeführten Punkte sind auch nicht schlecht, aber so ganz springt der Funke nicht über. Seitenstiche gegen Politiker wie "Argumente müssen nicht vorgebracht, höchsten wiederholt werden" sind nicht mehr ganz neu, daran mag's liegen.
Den Marienkäfer fand ich dagegen nicht schlecht - was Manche nicht alles tun, um beim Publikum anzukommen :)

Ich hab noch ein paar Textstellen für dich:

Am Anfang stand das Fazit der durchgeführten Persönlichkeitsanalyse, danach folgten die empfohlenen Schritte, die aus meinen Sohn einen Macher fabrizieren sollten:

Die Wiederholung kannst du streichen - das wurde schon so oft erwähnt, das reicht.

Argumente müssen nicht vorgebracht werden, höchsten wiederholt werden
Das erste "werden" streichen, wird auch wiederholt ;)

Eine große Volkspartei ist idealer für Felix Baumann, denn dort ist die graue Masse, hinter der er sich verstecken kann und soll, (Komma) mächtiger (Komma weg)als in einer Splittergruppe. Außerdem gibt es dort mehr Lehrmeister, die ihm die Kunst des „Was kümmert mich das, was ich gestern sagte? - Heute ist heute!“ effizient beibringen können.

Nachdem das Gesicht nichtssagend ist, schlägt Team-form schlägt das permanente Tragen eines großen, gut sichtbaren Abzeichens auf der linken Brustseite (am Herz!) vor.

Sein relativ schmächtiger Körperbau verlangt eine hohe Position des Protagonisten, wenn er im Rampenlicht steht. Das impliziert bei Zuschauern, dass der Politiker „den Überblick“, und somit das Wesentliche im Griff hat. (Punkt)

Für den Träger dieses Namens stellt er aber keinerlei Verpflichtung dar, der ein Mann wie mein Sohn ohnehin nicht gewachsen wäre.
Ich dachte, all diese Anweisungen bez. Charakter/Aussehen etc. wären von der Firma so geschrieben? Das sagt zum Beispiel auch:
und hier sehen wir vorerst Felix Baumann
An dieser Passage aber sprichst du von "mein Sohn" und wechselst somit vom Brief zum Vater.

Wie schon gesagt: Heute ist mein Sohn wie ein umgedrehter Handschuh
Wenn nach einem Doppelpunkt ein eigenständiger Satz folgt, wird groß weitergeschrieben.

Er ist bei einer der großen lokalen Parteien von den Pflichten des Plakateklebens längst enthoben worden und somit für jedermann sichtbar in der Hierarchie eine (Stufe?) höher gerückt

Auch wenn das Ganze nicht in meinem Sinne endete, musste ich neidlos eingestehen, dass Lead-form ganze Arbeit geleistet hatte.
Du erzählst in der Vergangenheit, aber Lead-form hat schon davor ganze Arbeit geleistet: Also Plusquamperfekt, leistete --> geleistet hatte.

Liebe Grüße,
Leseratte

 

hallo nicole,

danke für deine einschätzung. mir war klar, dass die geschichte für eine satire zuwenig biss hat - deshalb habe ich sie in dieser rubrik untergebracht.

handlung gibt es naturgemäß wenig - es ist ja mehr eine beschreibung.

dass du zu "meinem sohn" keine sympathien aufbauen kannst, beruhigt mich, denn ich mag diese aalglatten polit-fuzzis, die im wesentlichen für ihr eigenes ansehen arbeiten, statt für das "volk", auch nicht.

herzliche grüße
ernst

 

leseratte, auch dir vielen dank für deine hinweise. ich habe den text entsprechend korrigiert - und dabei hoffentlich keinen fehler übersehen!

herzliche grüße
ernst

 

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