Leben lassen!?
Ein kleiner, schüchterner Feldhase besuchte die Tiere auf dem Bauernhof. Er traf auf eine Gans, die – wie eine Diva posierend - ihr Spiegelbild in einer Wasserpfütze betrachtete. Der kleine Feldhase wusste nicht recht, was er davon halten sollte. Die Gans, die sich so eitel präsentierte, sah in ihrem zerrupften, teils kahlen Federkleid und dem glanzlosen Schnabel einfach nur erbärmlich aus.
Er bekam Mitleid mit dem Federvieh, und da er sich sehr einsam fühlte, begann er, die Gans zu umwerben. Diese lachte ihn jedoch nur aus und meinte: „ Geh mir aus den Augen, Kleiner, du hast mir doch nichts zu bieten“, und jagte ihn mit lautem Geschnatter vom Hof. Irritiert und mit gesenktem Kopf machte sich der Hase auf den Weg zurück in sein Wäldchen.
Viele Monate später hoppelte der Hase, inzwischen Ehemann und Vater, über die Felder. Dabei traf er auf die Gans, die erbärmlich schluchzte. „Warum weinst du denn, Gans?“, fragte der Hase anteilnehmend. „Ach, ich arme Gans“, jammerte sie, „die Tiere des Hofes haben mich verstoßen. Sie sagen, ich würde nicht in die Gemeinschaft passen. Jetzt bin ich ganz alleine.“ Sie flehte den Hasen an: „Kann ich nicht mit dir kommen?“
Der Hase verneinte bedauernd. Schließlich war er sehr damit beschäftigt, seine Familie zu ernähren und sie vor dem bösen Fuchs zu beschützen, der hier in der Gegend sein Unwesen trieb.
Daraufhin schluchzte die Gans: „Ach, wie töricht war ich doch“, schluchzte sie, „du hättest für mich gesorgt und mich beschützt. Jetzt bin ich alleine“. Und ganz leise fügte sie hinzu: „Mein Leben ist so ganz sinnlos“. „Aber nein“, versuchte der Hase die Gans zu trösten, „kein Leben ist sinnlos, du wirst schon sehen“, und hoppelte davon.
Am nächsten Morgen fand der Bauer nicht weit von seinem Hof entfernt am Wegrand einen toten Fuchs, umgeben von zahlreichen stumpfen und zerzausten Federn. Aus dem Maul des Fuchses hing noch ein Gänseflügel.
Als der Hase von dem Schicksal der beiden Tiere erfuhr, meinte er zu seiner Frau: „Siehst du, kein Leben ist sinnlos. Selbst die ungenießbare Gans hat ihre Aufgabe im Leben noch gefunden“.