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Lebensplanung

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18.04.2002
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Lebensplanung

Ich bin jetzt alt. Ein Greis, schwerfällig, wie eingerostet. Schon lange habe ich
die weinberankten Klostermauern nicht mehr verlassen. Warum auch? Um mich von dem Treiben der Welt da draußen verärgern zu lassen, um Unbequemlichkeiten zu ertragen? Konfrontiert zu werden mit all der Habgier, dem Betrug, der Bosheit vieler Menschen? „Denn sie sind allzumal Sünder ...“
Heute Abend muss ich mich entscheiden: Welche Bitte kann dem jungen Pater Centrego gewährt werden, wenn er dafür auf einen unbestimmten Tag seines Lebens verzichtet? Oder hat sein Begehren den Preis von mehreren Lebenstagen? Seit es die neue Möglichkeit der Lebensplanung gibt, hat sich noch nie ein Bruder aus unseren Reihen mit der Bitte einer Wunscherfüllung an die Klosterleitung gewandt.
Viele der verehrten Padres hier im Kloster halten das Ansinnen von Centrego für Frevel. Doch wie können diese Menschen so urteilen? Handeln wir nicht immer derart - entscheiden wir nicht ständig, für welche Art von Tätigkeit wir einen Tag unserer kostbaren Lebenszeit verwenden? Dies geschieht außerdem oft gedankenlos, nicht verantwortungsvoll, als ob wir ewig existieren würden. Und was ist mit denjenigen, die den Tod vorzeitig suchen, ihn als Erlösung aus ihrer vergeblichen Sinnsuche begehren? Eine unbekannt große Zeitspanne ihres Lebens wollen diese Menschen aufgeben, ohne die Konsequenzen vollständig zu kennen. Noch nie konnte im Tod jemand genießen, was er zu erringen trachtete! Woher kommt diese Selbstaufgabe? Wer hat das Recht, eifrig Suchenden jegliches Ziel über den schwarzen, ewigen Feind hinaus zu nehmen, ohne Alternativen zu bieten? Methodische Skepsis, diese große Kraft des Geistes, führt oft zu Hoffnungslosigkeit. Sollte man deshalb nicht über die aus Forscherdrang geborenen Zweifel schweigen? Aber Wahrheit ist ein hohes Gut. Auch unbequeme Erkenntnisse müssen ausgesprochen werden. Wer kennt schon die Wahrheit?
Während ich einige neue Dateien öffne, Informationen validiere, kann ich nebenbei meine geliebten Kakteen gießen. Der Echinocereus coccineus bekommt am äußersten Rand des Zellenfensters das meiste Licht und belohnt mich mit einer reichen, rosigen Blütenpracht.
Begrenztheit von Lebenszeit - gut, es gibt natürlich die Liebe. Man hat mich informiert, sie kann sogar über den Tod hinausgehen. Wirklich? Wie soll ich das überprüfen, für mich gilt ‚res verae solae res verae sunt’. Dann existiert noch dieser immer wiederkehrende Funken beharrlicher Hoffnung, das altruistische Verhalten, trotz aller Schlechtigkeit der Menschen. Ist es nicht ein erstrebenswertes Gut, bedeutender als vordergründiger Erfolg?
Meine Gedanken verlieren ihr Ziel in verwirrenden Rinnsalen meiner begrenzten Erkenntnis.
Bei dem vorliegenden Problem habe ich mich jedoch entschieden: Der Weg zu einem Ziel muss beschritten werden, Abkürzungen sind ein Verlust. Kein Wunsch, den sich Pater Centrego für einen Tag seines Lebens erfüllen will, ist einen Tag s e i n e s Lebens wert. „Denn alles ist eitel und Haschen nach Wind ...“ Ich kann das auch für diesen Menschen ohne Sentimentalität beurteilen.
Schließlich bin ich strukturell ein vollkommen rationaler Roboter.

 

Hallo Wolto!

So, die größere Auszeit, die ich benötigt habe, um über das Thema nachzudenken, ist beendet.

Glauben heißt - nicht wissen. Der Verstand kann noch so verbissen nach Beweisen für die Existenz Gottes suchen, er wird keinen Erfolg haben, weil der Mensch höchstens Hinweise auf ein Wirken des großen "Vaters" in die Waagschale werfen kann.

Methodische Skepsis, diese große Kraft des Geistes, führt oft zu Hoffnungslosigkeit. Sollte man deshalb nicht über die aus Forscherdrang geborenen Zweifel schweigen?
Ist es nicht besser, bedingungslos an Gott zu glauben, sich zu ergeben, anstatt sich das Leben schwer zu machen durch ständiges Hinterfragen? Glauben ist m. E. der leichtere Weg. Ist ein Atheist freier? In seiner Art des Denkens sicherlich ungebundener, vielleicht aber auch um einige (unbegründete?) Hoffnung ärmer.
Ich denke, es ist auch eine Frage der inneren Stärke, in wie weit sich der Einzelne von vorgegebenen Glaubens-Modellen lösen kann.

Zu den Märtyrern: Ja und nein. Einerseits ist das, was sie erdulden, eine Form von verbotenem Selbstmord, andererseits tun sie dies ausschließlich, um Gott zu ehren.


Lieben Gruß
Antonia

 

Hallo Antonia,

es ist schon beachtlich, wie tiefgründig Du die einzelnen Aussagen betrachtest. Leider tun dies nur wenige Leser, vielleicht muß ich meinen Stil ändern...

„es ist auch eine Frage der Stärke, in wie weit sich der Einzelne von vorgegebenen Glaubens- Modellen lösen kann“ - oder eine Frage der Bindungsfähigkeit und des Nichtverdrängens der Todesgewissheit.
Märtyrer sind Gott treu bis zum Tod, beweisen ihre Erlösungsgewissheit, `Centrego´ hat aber eher egoistische Motive. Aber das weißt Du ja schon...

Liebe Grüße,

tschüß ... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon!

Nein, Du solltest Deinen Stil auf keinen Fall ändern! Er ist genau so, wie er sein sollte und hebt sich wohltuend von so manch anderem Text ab. Und das Tiefgründige darin zu entdecken, ist immer wieder eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle.

Zum Thema "Nichtverdrängung der Todesgewissheit":
Diese Art der Verdrängung ist m. E. einer der Hauptkonflikte, die ein Mensch von Geburt an mit sich selbst ausmachen muss und der ihm das Leben oft unnötig schwer macht. Die Angst vor dem Tod, der auf jeden von uns wartet, in den Griff zu bekommen, würde uns von einer großen Last befreien, ist aber nicht immer zu schaffen. Ich für meinen Teil versuche, jeden Tag so zu sehen, als wäre es mein letzter. Das verschafft mir einen gewissen Frieden.


Lieben Gruß
Antonia

 

Hallo Antonia,

wenn man so lebt, als wenn der jetzige Tag der letzte ist, dann lebt man sicher bewußter, aber auch mit mehr Verantwortung. Über manchen Dingen kann man dann wohl auch leichter ´drüberstehen, eine schöne Art von Freiheit...
(Wahrscheinlich ist Centrego unfrei, weil er den Zwang hat, alles zu wollen).

Also bis dann,

tschüß... Woltochinon

 

Lieber Woltochinon

Ich denke nun seid vielen Tagen über Deine Geschichte nach. Sieht man es mit den Augen eines Christen mögen diese Gedanken wohl zutreffen, wie aber interpretieren Buddisten diese Geschichte?


Trippelball

Morpheus

 

Hallo Morpheus,

ein toller Gedanke- `Vier- Punkte-Wurf´!

Natürlich bezieht sich die Geschichte auf die Kultur des Abendlandes, doch gibt es ja auch buddhistische Mönche...

Ich denke, für den bud. Mönch ist so ein `Handel´ auch ein Frevel, da sein Ziel die Aufgabe des `Nach-Etwas-Streben- Wollens´ ist, so ein Handel aber ein erzwingendes Streben ist. Außerdem gibt der indische Mönch mit der Aufgabe von Lebenszeit die Möglichkeit Karma anzusammeln auf.
So richtig `Handeln´ kann er wohl auch nicht, er würde Leben gegen Karma, bzw. das `Erleuchtet-Sein´ eintauschen wollen, das Leben an sich ist aber kein adequates Handelsgut. (Natürlich bleibt die Frage, ob es beim christl. Mönch ein angemesseneres `Handelsgut´ wäre, aber schließlich wird der Frevel abgelehnt...).
Ein Buddhist würde vielleicht den Aspekt der Geschichte herausstellen, dass unser Dinge erzwingendes Streben belanglos, einfach der falsche Weg zur Glückseligkeit ist.

Im christl. Glauben gibt es auch den Aspekt der `Seeligkeit nur durch Gnade´, allerdings immer unter der Voraussetzung der Anerkennung der Erlöserfunktion von Jesus.

Eigentlich müßte man noch die einzelnen Sparten des Buddhismus berücksichtigen...

Vielen Dank für Deine Anregung!

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,
Ich sehe du hast auch diese Geschichte überarbeitet. :)
Ich lese von einem Roboter, einer Maschine, die kühl rechnet, emotionslos Für und Wider abwägt. Ich habe beim Lesen den Aspekt des christlichen Gaubens ausgeklammert, die Geschichte auf den Roboterplot reduziert.
Welchen Vorteil hat es für den Menschen, Emotionen aus der Entscheidungsfindung für sein Tun herauszunehmen? Ist eine Entscheidung möglich ohne Emotionen? Zuversicht, Hoffnung, Glaube,... sind das nicht Bewußtseinszustände, hervorgerufen durch bioelektrische Impulse unseres Gehirns, die unwillkürlich, also im Gegensatz zum Roboter nicht gesteuert ablaufen?


Meine Gedanken verlieren ihr Ziel in verwirrenden Rinnsalen meiner begrenzten Erkenntnis
.

Wenn ein Roboter nach seinen Entscheidungslogarithmen (be)wertet, wer hat sie definiert und programmiert? Wenn ich es bin, der einen Roboter programieren kann, dabei entscheide, wonach das Programm abzulaufen hat, kann ich mich nicht auch umprogramieren? Benötige ich den Roboter? Ist er nicht nur eine Krücke? Schlimmer noch: Die eigentliche Erkenntnis umprogramierbar zu sein, indem ich mein Dasein auf die Steuerung von (un)willkürlichen elektronischen Impulsen reduziere und nach Belieben Bewußtseinszustände kreiere (oder glaube), steuert doch auf immer wieder auf ein Paradox zu.
I c h kann mich nicht entscheiden.

Der Roboter formuliert das Paradox so:

Bei dem vorliegenden Problem habe ich mich jedoch entschieden: Der Weg zu einem Ziel muss beschritten werden, Abkürzungen sind ein Verlust. Kein Wunsch, den sich Pater Centrego für einen Tag seines Lebens erfüllen will, ist einen Tag s e i n e s Lebens wert. „Denn alles ist eitel und haschen nach Wind... .“ Ich kann das auch für diesen Menschen ohne Sentimentalität beurteilen.
Schließlich bin ich strukturell ein vollkommen rationaler Roboter.

Mein Fazit:
Augen zu und durch, ;) auch wenn mein Streben quasi zum Scheitern verurteilt ist. Um daran nicht zu verzweifeln glaube ich fest an meine Vollkommenheit.:shy:

Lieben Gruß
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

du sprichst ja einige grundlegende Probleme an, sehr interessant, darüber nachzudenken.

„Welchen Vorteil hat es für den Menschen, Emotionen aus der Entscheidungsfindung für sein Tun herauszunehmen? Ist eine Entscheidung möglich ohne Emotionen?“

Eine schwierige Frage: Ein pragmatisch programmierter Roboter würde nach dem Nutzen einer Handlung urteilen. Da es für den zu beurteilenden Menschen auch ein Nutzen sein könnte, einen Lustgewinn zu erzielen, wäre nicht ausgeschlossen, dass der Roboter rational entscheidet, dass der Mensch etwas tun darf, was seine emotionalen Bedürfnisse zufrieden stellt.

„Wenn ein Roboter nach seinen Entscheidungslogarithmen (be)wertet, wer hat sie definiert und programmiert? Wenn ich es bin, der einen Roboter programieren kann, dabei entscheide, wonach das Programm abzulaufen hat, kann ich mich nicht auch umprogramieren? Benötige ich den Roboter? Ist er nicht nur eine Krücke?“

Wer die Algorithmen des Roboters programmiert hat, bleibt offen, das Ziel de Roboterwissenschaft ist durchaus, dass sie sich selbst `höher´ programmieren, sogar neue Roboter entwerfen und bauen. „Ist er nicht nur eine Krücke?“ - diese Frage war mit der Grund den Roboter einzuführen: Wir machen uns immer mehr abhängig von Expertensystemen, werden abhängig, kriegen andererseits aber viele komplexe Systeme (zeitweilig?) in den Griff.

„I c h kann mich nicht entscheiden.“

Das sehe ich nicht so: Der Roboter kann, wie ein Mensch auch, nicht absolut entscheiden. Aber auf der Basis (für ihn) wahrer Dinge schon, das sagt er auch. Auf dieser Basis entscheidet er - Centrego bekommt seinen (frevelhaften) Wunsch nicht erfüllt.

„Mein Fazit:
Augen zu und durch“

Bei dieser Aussage muss man unterscheiden: Was die Bitte Centregos angeht, trifft sie nicht zu, er will schließlich, dass sich der Mönch dem Leben stellt, keine `Abkürzung´ geht.
Anders sieht es hier aus (was deinem Nachsatz „auch wenn mein Streben quasi zum Scheitern verurteilt ist“ entspricht):

„Kein Wunsch, den sich Pater Centrego für einen Tag seines Lebens erfüllen will, ist einen Tag s e i n e s Lebens wert. „Denn alles ist eitel und haschen nach Wind... .“

Jeder Wunsch Centregos ist aufgrund der menschlichen Vergänglichkeit nur `haschen nach Wind´, das muss man akzeptieren, gewissermaßen „Augen zu und durch“. Die Kunst des Lebens besteht halt darin, „daran nicht zu verzweifeln“, wie du richtig sagst.

Vielen Dank für das Herausangeln der Geschichte aus den Tiefen des Kg-Ozeans und die wichtigen Überlegungen.

L G,

tschüß… Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Woltochinon,

wow, dein Ballwechsel mit Antonia hat mir nochmal einiges nahegebracht. Was alles drin steckt in dieser kleinen Geschichte!

Die Idee, für etwas Lebenszeit zu opfern, kommt mir aus Geschichten über Teufelspakte bekannt vor. Hier ist es aber ein ganz anderer Zwiespalt, und der Zusammenhang zum alltäglichen Vergeuden von Lebenszeit hat gesessen (ist eh ein Thema für mich. EDIT: Und deshalb gehe ich jetzt schwimmen).

Eine kleine Unstimmigkeit finde ich, dass der Computer den Kaktus "lieben" kann. Wieso ist er zu Gefühlen fähig?

Dann existiert noch dieser immer wiederkehrende[n] Funken beharrlicher Hoffnung,

Gruß, Elisha

 

Sieht nach einem philosophischen Oldie-Festival aus...:)

Um mir ein Gesamtbild von der Geschichte zu machen, habe ich mir ein paar Daten angeschaut: Deine sechste Geschichte hier drin, verfasst bzw. eingestellt im März 2003, zuletzt überarbeitet im Mai dieses Jahres. Sagt nix aus, nur irgendwie interessant ;)

Mich hat beeindruckt an der Geschichte, wie allein die Ankündigung einer Anfrage zu solch komplexen Überlegungen führen kann und diese Überlegungen bereits zu einer Antwort kommen, ohne dass der Inhalt der Anfrage bekannt ist. Andere nennen so etwas "Weisheit"...

Besten Gruß
nic

 

Hallo nictita,

"Sieht nach einem philosophischen Oldie-Festival aus..."

Ja - keine schlechte Idee ...

Danke für deine anerkennenden Kommentar, ist sehr motivierend!
Die Anfrage bleibt offen, vielleicht wird da jeder Leser etwas seiner Person entsprechendes einsetzen. Aber die Richtung, in die die Anfrage geht kann man (bei einem Pater, der Centrego heißt) erahnen, davon wurde schon einmal gesprochen.

Besten Dank,

l G.

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Elisha,


„der Zusammenhang zum alltäglichen Vergeuden von Lebenszeit hat gesessen“

Ist es nicht seltsam: Das mit der Lebenszeit ist so ein wesentlicher Aspekt, trotzdem leben wir (meistens), als ob die Zeit beliebig zu nutzen sei. Dann besteht auch noch ein großer Unterschied in dem, was der Einzelne tut und welche `Zeitphilosophie´ eine Gesellschaft hat.

Als rationaler Roboter kann er nicht so lieben, wie ein Mensch, doch als Expertensystem weiß er, dass es Liebe gibt (es heißt: "... die Liebe. Man hat mich informiert...") und kann sie seinem Verhalten zuordnen. Ob künstliche Intelligenz wirklich einmal zu echten Emotionen fähig sein wird, muss sich zeigen, Roboter (z. B. Pflegeroboter) können durchaus ein zuneigungsähnliches Verhalten aufweisen, dieses dann als Zuneigung bezeichnen.

Vielen Dank, dass du vorbei geschaut hast und für das Finden des Fehlers, super!


L G,

tschüß Woltochinon

 

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