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Leichen im Keller

Seniors
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04.08.2001
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Leichen im Keller

Das Heim der Familie Klein hatte eine saubere, makellose Fassade. Frisch gestrichen, in knalligem beherrschendem Gelb, stand das Haus inmitten anderer Einfamilienhäuser und war von einer auffallenden Sauberkeit.
Der Vorgarten war gepflegt und tadellos auf den kommenden Winter vorbereitet, der Jägerzaun, der in gewissem Sinne zu dem Bild dazugehörte, war frisch und in der passenden Farbe gestrichen und die Auffahrt in die angrenzende Garage war sauber gefegt und wies in ein ebenso sauberes Heim.
Gäbe es um diese abendliche Zeit, die novembermäßig abweisend und kalt erschien, einen Spaziergänger durch das Wohnviertel, er wäre ohne Zweifel angezogen gerade von der Wohnstätte der Familie Klein.
Das Haus selbst war dunkel, bis auf das Wohnzimmer, in dem sich das Ehepaar Klein um diese Zeit aufhielt, schweigend und jeweils der eigenen Tätigkeit nachhängend.
Wolfgang saß am Schreibtisch, der in einer Nische des Zimmers untergebracht war, die funktional und dem Zweck entsprechend eingerichtet und im hintersten Winkel des Raumes gelegen war, sein massiger Körper fand kaum Platz auf dem Stuhl, sein Gesicht allerdings zeigte trotz seiner 49 Jahre kaum Spuren des Alterns. Wolfgang wirkte wenigstens im Antlitz zumindest kindlich, fast babyhaft.
Er saß über Papiere gebeugt, Abrechnungen seiner Tätigkeit, und hatte auch die Anwesenheit seiner Frau verdrängt.
Petra lag auf dem Ledersofa in der anderen Ecke des Raumes, beschienen vom dumpfen Licht der Wandlampe, mit einer Illustrierten in der Hand. Ihre harten Gesichtszüge verwischten etwas den Eindruck, den ihr sportlicher Körper und ihre kontrollierten Bewegungen machten. Die Augen waren müde; die Krähenfüße in den Augenwinkeln und die Wangen, die einen Tic zu sehr herunterhingen, bewiesen, dass das Alter auch von dieser einstmals schönen Frau Besitz ergriffen hatte. Ab und zu blickte sie auf, als erwarte sie irgend etwas von ihrem Mann.
Das Schweigen in dem Zimmer, in dem selbst die Wanduhr stillzustehen schien, wurde von den Geräuschen, die Wolfgangs Stift auf den Papieren machte, nicht durchbrochen, sondern umschirmt. Petra schlug dann und wann eine Seite um, um danach wieder in Starre zu verfallen.
„Wie kommst du nur darauf, dass alles so weitergehen kann?“, war der Satz, mit der sie die Stille beendete.
Wolfgang schrieb zwei Sekunden weiter, ehe er reagierte. Er blickte sich um zu seiner Frau, fragte „Was?“ und strich sich eine Strähne aus seinem Gesicht. Die Haare waren fettig, klebten an der Kopfhaut, nur diese eine unwillige Strähne leistete Widerstand. Er blickte hinüber zu seiner Frau mit fragendem Blick.
„Es kann so nicht weitergehen“, antwortete Petra. „Nicht so wie bisher. Irgendetwas muss geschehen!“
„Was meinst du?“
Wolfgang drehte schwerfällig seinen Leib in die Richtung seiner Frau. Er hatte Mühe damit, in den letzten Jahren war der Körper immer breiter und der Antrieb zu jedweder Bewegung immer kleiner geworden.
Petra lachte auf und legte die Zeitschrift beiseite. Sie setzte sich und sagte: „Es spielt sich vor deiner Nase ab, Blödmann!“
Eine kleine Pause, die Wolfgang brauchte, um zu verdauen.
„Mach deine Augen verdammt!“, fuhr Petra fort und man spürte, dass sie voller Wut war. „Wir sind pleite. Die Rechnungen, die jetzt reinkommen, bleiben liegen bis zum nächsten Monat. Und wenn die bezahlt sind, bleiben die nächsten liegen. Irgendwann fliegt der ganze Schwindel auf. Wir sind pleite, das ist los.“
Wolfgang schluckte. Die seltsame Stille kehrte wieder zurück, zumindest für einige Augenblicke. Dann sagte er mit einer Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich: „Das ist nur vorrübergehend.“
Sie lachte freudlos. „Vorrübergehend? Wir sind blank! Wolfgang, verabschiede dich von deinen Träumereien. Wenn nicht ein Wunder geschieht, können wir in ein, zwei Monaten die Rate fürs Haus nicht mehr zahlen. Was bist du für ein Traumtänzer?“
„Ich werde Sonderschichten schieben.“
„Mit deinen Staubsaugern?“ Noch einmal das Lachen, diesmal versetzt mit etwas Boshaftigkeit. „Mach dich nicht lächerlich! Deine Tingelei bringt jetzt schon kaum was ein. Wenn du losziehst mit den Dingern, gibst du mehr fürs Essen aus, als du am Ende der Woche nach Hause bringst. Es war ein Fehler, sich selbstständig zu machen, sieh es ein!“
„Was?“ Er machte große Augen. „Du warst doch diejenige, die mir zugeredet hat! Als ich noch zögerte, hast du mich angestachelt. Tu es, hast du gesagt.“
„Weil ich angenommen habe, dass du dich etwas geschickter anstellen würdest in dem Beruf.“
„Das ist die Zeit, Petra. Denkst du vielleicht, die Leute kaufen Staubsauger reihenweise, wenn es ihnen schlecht geht?“
„Schlecht geht, das ist das Stichwort. Die einzigen, die mich wirklich interessieren, sind wir. Und uns geht es schlecht. Verstehst du, uns geht es wirklich mies. Du bist die ganze Woche außerhalb.“ Sie wies auf die Rechnungen und Verträge, die vor Wolfgang auf dem Schreibtisch lagen. „Morgen bist du wieder verschwunden und kommst frühestens Donnerstag zurück. Ich“ – sie klopfte sich gegen die Brust – „ich muss die Rechnungen bezahlen, die Versicherungspolicen, das Gas, den Strom. Monat für Monat. Und ich bin es, die zur Bank gehen muss und um Aufschub bettelt. Wieder mal. Du kommst nach Haus und der Tisch ist gedeckt.“
Wolfgang griff die Blätter auf dem Tisch und schichtete sie umständlich zu einem Stoß. Mit seinen Fingern durchfuhr er das Papier, nur um sofort den Stapel neu zu ordnen. Und immer mit dem Blick auf seine Frau.
„Es wird wieder laufen.“
„Es wird wieder laufen“, äffte sie ihn nach. „Es muss etwas geschehen. Ich habe keine Lust mehr zu warten, bis es besser läuft. Wenn es besser läuft, bin ich vielleicht schon alt. Wir haben all die Jahre gewartet, bis es besser läuft.“
Sie hatte sich aufgesetzt. Die Wangen, die sie sich vorhin gecremt hatte, glänzten.
„Was willst du tun?“, fragte Wolfgang.
„Die Galinskis“, antwortete sie knapp.
Er wusste sofort, was sie meinte. „Nein“, sagte er entschieden.
„Sie sind zum Sonnabend eingeladen“, meinte Petra bestimmt. „Das ist die beste Gelegenheit. Wir werden sie fragen, das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie aufstehen, rausgehen und ihr Essen stehen lassen.“
„Genau das werden sie tun.“
„Du fragst ihn. Und wenn du es nicht tust, dann werde ich fragen. Sie sind unsere Freunde, sie werden uns verstehen.“
„Eben weil sie unsere Freunde sind, finde ich das keine gute Idee.“
„Du fragst!“ Sie legte sich nieder, nahm die Illustrierte wieder in die Hand und versteckte sich dahinter. „Du fragst, das ist die einzige Chance, die wir noch haben.“
Wolfgang blickte noch eine ganze Weile zu ihr hinüber, beobachtete, wie sie die Seiten blätterte und ihn nicht mehr beachtete. Er beugte sich über seine Rechnungen.

Das Wetter verschlechterte sich zunehmend über die Woche, die Temperaturen sanken und Regen setzte ein. So dass am Samstag schließlich bitteres, abweisendes Novemberwetter herrschte.
Galinskis kamen im Regen an.
Wolfgang und Petra warteten im erleuchteten Eingang auf das befreundete Ehepaar und bildeten mit ihrer Silhouette einen heimeligen Schattenriss, der sich in der unwirtlichen Nacht abhob.
Als zwei Lichter in die Einfahrt bogen und erkennbar war, dass es sich um die des BMWs der Galinskis handelte, spannte Wolfgang einen Schirm auf und ging hinunter zu der Auffahrt. Der Regen trommelte auf das Leinen und es hatte etwas Rührendes, wie er dastand in der Finsternis und auf die Lichter des Wagens wartete.
„Das ist mir ein Empfang“, rief Jacob Galinski, als er aus dem Auto stieg. Wolfgang kam mit Friede Galinski unterm Schirm zu ihm herum und gemeinsam – wie mit einem Führer in einem komplizierten Höhlensystem – gingen sie zum Haus, in dessen Eingangstür Petra mit verschränkten Armen wartete.
Jacob umarmte sie mit weitausholender Bewegung, Petra ließ es sich gefallen und Friede stand etwas unschlüssig daneben. Wolfgang empfand so etwas wie Eifersucht; allerdings währte das nicht lange. Er drückte Friede die Hand und hieß sie freundlich willkommen. Sie lächelte ihr eigentümliches verhuschtes Lächeln, von dem man nie wusste, ob sie es aus Freude tat, aus Angst oder aus Mitleid.
Jacob drehte sich um zu Wolfgang und einen Moment lang erwartete Wolfgang, er wolle ihn ebenfalls umarmen. Doch er packte nur kräftig zu und schüttelte seine Hand. Obwohl Jacob mindestens einen Kopf kleiner war als er und bedeutend schmächtiger, hatte Wolfgang doch den Eindruck, Jacob wolle seine Hand zerquetschen.
„Kumpel“, sagte Jacob wie nebenbei und ließ endlich ab. Sie drehten sich um und gingen ins Haus.
Jacob Galinski war genauso groß wie seine Frau Friede. Wahrscheinlich deshalb und wegen ihrer Zurückhaltung und ihrer Eigenart, stets ihrem Mann den Vortritt zu lassen, machten sie den Eindruck eines harmonischen Paares. Sie passten einfach gut zueinander.
Die goldgeränderte Brille und das goldene Armband machten Wolfgang seit jeher nervös, als wären sie die Eintrittskarten zu einer anderen Schicht, zu der er keinen Zutritt hatte.
Friede war blass, aber auf ihre Art schön. Es hatte einen gemeinsamen Ausflug gegeben, da waren Wolfgang und sie sich beinahe näher gekommen, doch es war gut möglich, dass er sich da nur etwas eingebildet hatte. Das Ganze war einige Jahre her, die Ehe der Kleins hatte damals kurz vor dem Zerbrechen gestanden.
Sie hatten für jeden ein Glas Champagner vorbereitet, den sie vor dem Kamin tranken.
„Champagner, nichts darunter“, hatte Petra gesagt, als Wolfgang sich über den Preis mokieren wollte.
Als sie ausgetrunken hatten – Jacob in einem Zug und nicht ohne den alten Scherz anzudeuten, das Glas gegen die Wand werfen zu wollen – sagte Petra: „Wir freuen uns, dass ihr kommen konntet.“ und sah Jacob dabei an.
„Ja“, setzte Wolfgang hinzu.
„Danke“, erwiderte Jacob und legte einen Arm um Friede, obwohl er immer noch Petra im Auge hatte.
Die beiden Damen gingen, wie auf ein geheimes Kommando, in die Küche und Wolfgang und Jacob setzten sich in zwei Sessel, die am Kamin standen. Jacob hielt dem Hausherrn eine Schachtel Zigaretten hin und gemeinsam rauchten sie.
„Alles in Ordnung, mein Bester?“, fragte Jacob, nachdem er den Qualm mit Wonne in Richtung Kamin ausgestoßen hatte. „Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen, was?“
„Ja“, antwortete Wolfgang. Er hatte seit einigen Jahren keine Zigarette mehr geraucht; er hatte Mühe, nicht zu husten. „Eine ganze Weile. Das Leben läuft so weiter, weißt du ja. Immer im Fluss.“
„Alles im Fluss, ja, ja natürlich.“ Er war ganz begeistert von dieser Redensart und Wolfgang war es peinlich, denn er wusste nicht, was so erheiternd an dem Spruch war.
Nachdem er sich beruhigt hatte, fragte Jacob: „Ganz im Vertrauen: Ihr hattet damals diese kleine Haushaltshilfe. Wo ist sie denn, arbeitet sie nicht mehr für euch?“
Wolfgang warf den Kippen in den Kamin.
„Die Haushaltshilfe meinst du?“, fragte er. „Da warst du aber lange nicht bei uns.“
„Was denn, ist sie nicht mehr?“ Jacob lachte, doch Wolfgang blickte ihn mit traurigem Blick an.
„Wir mussten sie schon lange entlassen. Wir sind...“
Als er stockte, sah Jacob auf und sein Lachen erstarb. Dafür lachte Wolfgang gequält auf, doch der heitere Ton wollte ihm nicht gelingen.
„Tja, du weißt ja, wie das ist“ fuhr er fort. „Alles wird teurer, überall wird draufgeschlagen.“
„Ihr könnt sie euch nicht mehr leisten?“ Wolfgang war froh über Jacobs Taktgefühl, das ihn die Frage einige Stufen leiser stellen ließ.
„Wir hatten Sonderausgaben, die waren nicht eingeplant. Und, na ja. Du weißt schon, wie das ist.“
Als Jacob nickte, hörten sie Petra rufen. Das Essen war gerichtet.
Sie hatten sich alle Mühe gegeben. Es war keine Frage, worauf es bei dem Abendessen ankam. Petra wie auch Wolfgang waren konzentriert bei der Sache.
Es gab Parmaschinken mit Melonenspalten als Vorspeise, dazu reichte Petra einen Rucola mit gebratenen Austernspitzen und Parmesanspänen.
Bei der Suppe hatten sie sich beide in die Haare gekriegt. Wolfgang wollte eine einfache klare Brühe mit Einlage. Doch setzte sich Petra durch mit ihrer Ingwersuppe mit Garnelen.
Als Hauptgericht trug Petra schließlich die Schweinelendchen herein, in Gorgonzolasoße, Wolfgang brachte seinen Auberginenauflauf in Nudeln, und beide waren stolz und sonnten sich im Lob ihrer Gäste.
Jacob lobte das Essen über die Maßen, Friede nickte lächelnd und tupfte sich die Mundwinkel ab.
Sie zogen sich, jeder ein Tässchen schwarzen Mokka in der Hand, vor den Kamin zurück. Jacob rauchte eine Zigarette, Friede und Petra unterhielten sich leise miteinander und Wolfgang war fast der Meinung, es wäre alles in Ordnung.
Im Kamin das Feuer schien heller zu flackern und gab den Gesichtern der davor Sitzenden etwas Geisterhaftes, Unstetes. Friede lachte auf, war sich im selben Moment dessen bewusst und lächelte beschämt. Ihr Mann sah sie an und niemand der Kleins konnte den Blick deuten.
In das Schweigen hinein sagte Petra: „Wolfgang hatte noch etwas zu fragen.“
Das Schweigen war jetzt noch fassbarer, die Blicke auf Wolfgang gerichtet.
„So“, fragte Jacob nicht unfreundlich. „Was denn nur?“
Wolfgang stellte vorsichtig seine Tasse auf das Teetischchen. Er rückte sie umständlich zurecht und blickte sie noch einige Momente an, als er damit fertig war.
Dann sah er Jacob direkt in die Augen und hielt dem Blick stand, obwohl es ihm Mühe bereitete. Friede sah zu ihm auf und Erwartung blitzte in ihren Augen und Petra schaute demonstrativ Richtung Kamin.
„Tja, also“, begann er und fragte sich, ob es besser wäre, im Ganzen mit dem Anliegen herauszuplatzen. „Petra und ich, wir haben uns in der letzten Zeit ein wenig übernommen.“
„Das Essen war ausgezeichnet“, fiel Jacob ein. „Wunderbarer Salat, und so. Wirklich ausgezeichnet!“
„Nein, das ist es nicht. Ich meine finanziell.“ Er lächelte nervös. „Verstehst du? Wir sind ein wenig klamm. Und nachdem wir uns beratschlagt haben – wir haben wirklich diskutiert! – fragen wir beide uns, ob ihr uns nicht ein wenig... etwas, nun ja, unter die Arme greifen könntet.“
Petra atmete hörbar aus. Ihre Miene, als sie den Blick vom Kamin wieder Wolfgang zuwandte, war versteinert.
Er lächelte noch immer unsicher.
Jacob schaute überrascht. Nun stellte auch er seine Mokkatasse auf den Tisch und warf mit kühnem Schwung den Zigarettenkippen in die Kaminglut. Als er sich wieder zurück zu Wolfgang wandte, war die Überraschung aus seinem Gesicht gewichen und er trug sein übliches Lächeln zur Schau.
„Natürlich helfen wir euch“, sagte er und setzte hinzu: „Gern. Ein paar hundert Euro können wir jederzeit locker machen, nicht wahr, Friede?“
Friede nickte; Wolfgang hatte fast den Eindruck, sie sei erschrocken.
„Nein“, wehrte er ab und es war ihm peinlicher, als die ursprüngliche Frage. „Nein, das war so nicht gemeint.“ Er schaute zu Petra und die wich seinem Blick aus.
„Wir hatten eigentlich an einige zehntausend Euro gedacht“, sagte er leise.
Jacob lachte laut auf. „Kommt gar nicht in Frage“, sagte er ohne zu überlegen. Damit drehte er sich um und wandte sich dem Feuer zu.
Das Schweigen, das sich nun zwischen den Anwesenden ausbreitete, war unangenehmer als zuvor. Die Worte Jacobs hingen noch im Raum, und Petra und Wolfgang schienen unfähig, darauf zu reagieren.
Wie um sich vor sich selbst zu entschuldigen, setzte Jacob leise hinzu: „Ich habe ja jetzt noch keinen Cent von den zwölftausend aus dem vergangenen Sommer.“
„Aber du kriegst sie sicher zurück“, versuchte es Wolfgang noch einmal.
Jacob stand unbeweglich vor dem Kamin, die Arme vor die Brust verschränkt, den Blick nach unten aufs Feuer gerichtet und stieß eher aus, als dass er es sagte: „Nein!“
Wolfgang wollte etwas erwidern, doch Petra sprang plötzlich auf und lief durchs Zimmer. „Ich hole uns erst mal einen Cognac“, rief sie, während sie hinauseilte.
Wolfgang setzte sich langsam in einen schweren Lehnsessel, der zusammen mit drei anderen um den kleinen Tisch platziert war. „Setzt euch doch!“, sagte er. „Setzt euch und macht es euch bequem.“ Er machte ein herzliches Gesicht und eine einladende Geste.
Widerwillig setzte Friede sich an seine Seite, Jacob ihr gegenüber.
„Was macht eure Tochter? Erzählt, ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.“
Petra betrat den Raum wieder. In der einen Hand hielt sie eine Flasche Dujardin, dazu zwei Schwenker. In der rechten trug sie die restlichen Cognac-Gläser.
Sie goss wortlos die vier Gläser voll. Schweigen herrschte währenddessen, andächtige Aufmerksamkeit eines Jeden auf diese Handlungen.
Nachdem sie eingegossen hatte, sah sie in die Gesichter und blieb mit ihrem Blick bei Jacob hängen. Sie stellte die Cognac-Flasche auf den Tisch, jedoch ohne Jacobs Antlitz aus den Augen zu verlieren. Der sah ihr aufmerksam zu und folgte jeder ihrer Bewegungen mit seinem Blick, ohne allerdings seinen Kopf zu drehen.
„Ich denke, du wirst uns das Geld doch geben“, sagte Petra leise, als sie sich neben ihren Mann gesetzt hatte. „Du wirst uns das Geld geben, und irgendwann, wenn es uns möglich ist, werden wir es dir zurückzahlen.“
„Ich glaube nicht, dass ich euch Geld borgen werde, bevor ihr die Schulden bezahlt habt“, erwiderte Jacob und es lag kein besonderer Ton in seiner Stimme.
„Ich denke doch“, entgegnete Petra und lächelte. Sie prostete den anderen zu und trank einen kleinen Schluck.
Niemand anderes wagte, sein Glas anzurühren; Wolfgang zwinkerte nervös, als er seine Frau anschaute und herauszufinden versuchte, was sie vorhatte.
Als sie die Spannung am höchsten wusste, die Augen geöffnet erwartungsvoll und fragend, fuhr sie leise, kaum hörbar, aber doch für alle verständlich, fort: „Jemand hat mir etwas erzählt, Jacob. Etwas, von dem du sicher nicht möchtest, dass es andere erfahren.“ Und schaute nun ihrerseits erwartungsvoll in die Runde.
Jacob starrte sie einige Sekunden sprachlos an und stieß dann hervor: „Red keinen Unsinn!“
„Kein Unsinn, Jacob! Das weißt du genau. In deiner Stellung, du bist Juwelier! Denke an das Gerede, die Leute.“ Sie lehnte sich zurück. „Du sollst uns das Geld ja nicht schenken.“
„Was erzählst du hier für einen Scheiß!“, platzte Jacob hervor und man sah es ihm an, dass er ernstlich erbost war. Er sah zu Wolfgang und beinahe hätte es den Anschein, als sende er eine stumme Frage: „Was hat sie?“, fragte er schließlich in diese Richtung. „Was hat sie nur?“
Und Wolfgang blickte hilflos und ein wenig ängstlich zurück, sah erst zu Jacob mit einem entschuldigenden und dann auf seine Frau mit einem fragenden Ausdruck.
„Jacob, erinnere dich dreißig Jahre zurück, das wird dir nicht schwer fallen, oder?“
Den kurzen, verhuschten Seitenblick Jacobs auf Wolfgang konnte nur erkennen, wer genau hinsah. Deutlich allerdings wurde, dass Jacob bleich wurde und seine Augen die Form von Schlitzen annahmen. Er starrte Petra an und überlegte.
„Ich glaube, du weißt, was ich meine“, fuhr Petra fort. Ihr Tonfall war sicherer geworden und hatte eine Spur Gleichgültigkeit angenommen. „Du warst gemeinsam mit Wolfgang beim Bund, nichtwahr?“ Eine kurze Pause. „Euer erster Ausgang, Jacob. Euer erster gemeinsamer Ausgang. Nach vier Monaten in dieser verdammten Kaserne, in der man euch geschliffen hatte wie Hunde. Kannst du dich erinnern?“
Lauernder Blick von Petra. Ohne ihn zu senken, griff ihre Hand nach dem Cognac-Glas, nach einigem blinden Tasten erfasste sie es, setzte an und stürzte den Inhalt in einem Zug herunter.
Jacob schaute abwechselnd zu Petra und Wolfgang. Ganz zum Schluss fasste er Friede in den Blick, die sofort wegsah.
„Das ist sehr interessant“, sagte er mit einem Ton, der seine Festigkeit noch suchte. „Du willst mich erpressen!“
„Keine Erpressung, Jacob. Nenn es eine Erinnerung an vergangene Fehltritte.“
Er lachte bitter.
Petra fuhr fort: „Eine Vergewaltigung, Jacob! Eine Vergewaltigung ist ein Verbrechen!“ Sie lehnte sich wieder zurück in ihrem Sessel und Wolfgang bemerkte, dass nicht einmal ihre Fingerspitzen mehr zitterten. Seine zitterten dafür umso mehr.
„Wolfgang hat mir alles erzählt“, fuhr Petra fort. „Von eurer gemeinsamen Ausbildung in der Kaserne, den Strapazen und dem ersten Ausgang nach vier Monaten.“
Im Kamin knackte ein Holzscheit. Er loderte auf und verbreitete für Sekunden gleißende Helligkeit im Zimmer. Es war dunkel geworden draußen und das Kaminfeuer war die einzige Lichtquelle hier.
„Ihr habt getrunken, beide, und in der Kneipe ein Mädchen kennen gelernt. Ein hübsches junges Ding, und ich kann dich verstehen, nach den vier Monaten hinter den Mauern. Du wurdest zudringlich und sie ließ dich abblitzen. Sie verließ das Lokal und du bist ihr gefolgt. Draußen passierte es dann. Wolfgang hat es gesehen, er ist dir nachgegangen und hat euch beobachtet. Er hat dir nie etwas erzählt, Jacob. Aber mir hat er sich anvertraut, über zehn Jahre, nachdem es passiert ist. Das Mädchen hat geschrieen und du hast ihr den Mund zugedrückt. Als du...als du fertig warst, bist du runter gestiegen von ihr und hast sie liegen lassen, wimmernd und schluchzend, wie einen jungen, geprügelten Hund. Es muss schrecklich gewesen sein.“
Als wäre nichts passiert, stand Petra auf, ging hinüber und schaltete eine Wandlampe an. Das Licht, das zu allen anderen Zeiten weich und warm strahlte, schien jetzt hart und gleißend. Es beleuchtete schonungslos Jacobs Gesicht, mit allen arbeitenden Muskeln darin.
Er starrte vor sich hin ins Leere und schien auch nicht zu bemerken, dass Petra sich wieder setzte. Seine Kiefern mahlten und einmal hatte es den Anschein, als lächele er kurz. Ein hässliches Grinsen, das im nächsten Moment wieder verschwunden war.
„So“, sagte er schließlich und sah dabei Wolfgang an. „Dein Mann hat es dir also erzählt.“ Er stand mit einem Ruck auf, streckte sich und wandte sich zu Friede um. „Nun, dann will ich dir sagen, liebe Petra, dass ich diesen Vorfall längst meiner Frau gebeichtet habe und sie mir verziehen hat. Nicht wahr, Friede?“
Friede zuckte erschrocken zusammen und nickte schließlich stumm, die Lippen fest zusammengepresst.
„Wir haben also beide unsere Schuldigkeit getan, Wolfgang und ich.“ Er verließ mit langsamen Bewegungen das Rund und als er sich an Wolfgang vorbeischob, war nicht zu entscheiden, ob das schmerzhafte Zusammenstoßen mit dessen Knie aus Absicht oder nur zufällig geschah. Wolfgang stöhnte auf.
„Gibt’s noch einen Cognac“, fragte er und reichte Petra sein Glas. Sie nahm es ihm ab und füllte es auf mit dem guten Weinbrand. Freundlich bedankte Jacob sich, als er das gefüllte Glas entgegennahm.
Und dann stand er vor der Sitzgruppe mit seinem Glas in der Hand und skandierte mit bedeutsamen Gesten seinen Text wie George Washington vor versammelter Menge.
„Und weiß Gott, es gab kaum einen Tag seit jenem verhängnisvollen Abend, an dem ich mein Tun nicht bitter bereut und um Verzeihung gebetet hätte.“
„Lass sein, Jacob! Dir nimmt diese Pose niemand ab“, warf Petra dazwischen. Auch sie hatte sich nachgeschenkt und der Alkohol machte sich in ihrem Gesicht bemerkbar, das eine durchgehende Röte angenommen hatte.
„Allerdings gibt es da einen Zwiespalt zwischen Wolfgangs Erzählung und meiner Version. Nicht wahr, Wolfgang, du hast nicht die ganze Wahrheit erzählt, du hast einiges weggelassen.“
Der Angesprochene antwortete nicht, seine Finger arbeiteten unablässig, der Blick war starr auf Jacob gerichtet, der Ausdruck in den Augen schwankte vom flehenden Bitten zum harten Trotz. Wolfgang begann zu schwitzen.
„Denn der gute Wolfgang“, fuhr Jacob fort, nachdem er einen weiteren Schluck aus dem Glas genommen hatte. „Der gute Wolfgang war an der Vergewaltigung genauso beteiligt wie ich. Ich gebe meine Schuld zu, aber er hier, der da sitzt und zittert, hat genauso Verantwortung am Geschehen.“
Er baute sich vor Wolfgang auf, der in der Tat zu ihm aufblickte, mit Angst und Feigheit im Blick.
„Kannst du dich erinnern?“ Jacob war kleiner als Wolfgang, und jetzt, wie er vor dem Sitzenden stand, überragter er ihn gerade um eine Kopfeslänge. „Du hast sie festgehalten.“ Jacob unterbrach sich, dachte nach, fuhr dann fort. „Das Mädchen. Du hast sie gehalten und hernach, Wolfgang – du warst genauso geil wie ich – musste ich sie für dich halten, damit du deine Lust stillen konntest.“
Wolfgang gab ein Stöhnen von sich, bewegte sich aber nicht. Er schaute immer noch zu Jakob auf, der sich langsam zum Tisch hinabbeugte und seine Zigaretten griff. Vorsichtig, behutsam, jede einzelne Bewegung auskostend, zündete er sich eine an, inhalierte tief und legte die Schachtel schließlich zurück auf den Tisch. Dann sah er jeden einzelnen an und als er Petra ins Auge gefasst hatte, begann er zu lächeln.
„Ich glaube, damit haben wir einige Unstimmigkeiten beseitigt, meinst du nicht auch?“
Petra antwortete nicht, obwohl Jacob demonstrativ vor ihr stehen blieb und sie anstarrte. Sie drehte sich weg und ihr Blick ging zu Wolfgang. Der starrte vor sich hin und atmete laut und geräuschvoll.
Jacob schnipste den Zigarettenstummel in den Kamin und setzte sich wieder in seinen Sessel neben seine Frau.
Friede vermied jeden Blickkontakt mit ihm. Sie hielt sich krampfhaft an ihrem Glas fest.
„Nun sind wir also beides Halunken“, sagte Jacob in die Stille hinein. „Zwei Vergewaltiger, die mit ihrer Schuld leben müssen.“
„Was ist mit dem Mädchen geworden“, fragte Friede leise aber unüberhörbar.
„Nie wieder etwas gehört. Was meinst du, wir waren vollkommen fertig am anderen Morgen. Jede Minute rechneten wir damit, dass sich jemand nach uns erkundigen würde. Aber es geschah nichts, der Alltag ging weiter. Die Kleine wird keine Anzeige gemacht haben. Hat sich geschämt oder was. Wir haben jedenfalls nie wieder etwas zu Hören bekommen von ihr. Nicht wahr, Wolfgang.“
Das Kopfschütteln war kaum zu bemerken.
„Ich muss raus!“
Mit einer heftigen Bewegung sprang Petra auf. „Ich muss in die Küche“, setzte sie hinzu und eilte hinaus. Als sie an Wolfgang vorbeikam, zischte sie ihm zu: „Du bist nicht nur dämlich, du bist auch ein Schwein.“
Wolfgang blickte ihr kurz hinterher, wie sie den Raum verließ.
Friede stand auf und folgte ihr wortlos.
Sie trugen das Geschirr in die Küche, säuberten es und räumten es schließlich in den Spüler. Alles taten sie schweigend.
Schließlich standen die beiden Frauen in der Küche, lehnten an den Schränken und unterhielten sich zaghaft.
„Was muss man tun, um Männer zu verstehen?“, fragte Petra und es war mehr als eine rhetorische Frage. „Es scheinen alles Schweine zu sein. Alles. Schwanzgesteuert und ab einem bestimmten Punkt nicht mehr in der Lage, zu denken.“
Friede nickte nur und nippte an ihrem Glas.
„Hast du etwas gewusst, von dem Vorfall?“
Friede nickte wieder, sagte aber nichts.
„Wolfgang ist so dämlich. Ich hätte nie davon anfangen sollen.“
„Wie viel braucht ihr denn?“
Petra sah sie an. „Mindestens fünfzigtausend.“
„Jacob wird sie euch niemals geben. Nicht, nach dem, was vorgefallen ist.“
„Das fürchte ich auch.“
Die beiden Frauen standen sich wieder schweigend gegenüber. Friede war etwas kleiner als die Gastgeberin. Petra stand vor ihr, musterte die andere Frau und Friede hielt ihrem Blick stand. Sie war verunsichert und wusste ums Verrecken nicht, wie sie Friede einschätzen sollte.
Und Friedes Ausdruck war von Gelassenheit kaum zu unterscheiden.
„Ich werde mich von ihm scheiden lassen“, sagte Petra, um die Stille zu unterbrechen. Ich bin mir fast sicher, dass es so, wie es jetzt läuft, nicht weiter gehen kann.“
„Das tut mir Leid.“ Friedes Ausdruck änderte sich nur unwesentlich.
„Kann man denn gar nichts machen?“
„Er ist so ein verdammtes Weichei“, wetterte Petra. „Er kann sich einfach nicht durchsetzen. Er kümmert sich um gar nichts in unserem Leben. Ich wette, er weiß nicht mal, dass wir Schulden haben. Er ist so...naiv.“
Sie sah Friede erwartungsvoll an, doch diese kam noch immer nicht aus ihrer Rolle heraus. Sie erwiderte den Blick stoisch und murmelte etwas von „Da kann man nichts machen.“

Im Rauchzimmer währenddessen hatten sich Jacob und Wolfgang Sachen zu sagen, die sie nicht für Frauenohren gut wähnten. Kaum hatte sich die Tür hinter Petra geschlossen, zischte Jacob: „Bist du völlig bescheuert, sag mal!“ Er stellte das Cognacglas aus der Hand; er zitterte.
„Wie viele wahnsinnig gewordenen Teufel haben dich geritten, deiner Frau von dieser alten Kamelle zu erzählen“, fluchte er.
Wolfgang saß noch immer zusammengesunken in seinem Sessel und blickte auf zu Jacob.
Hilflos begann er: „Ich wollte...“
„Ich wollte!“, unterbrach ihn Jacob lauthals. Sein Gesicht war plötzlich puterrot, eine Ader wurde sichtbar auf seiner Stirn, er steigerte sich geradewegs in einen cholerischen Anfall hinein. „Du bist zu dämlich, auch nur zwei Zeilen für dich zu behalten! Ich hätte es damals wissen müssen.“
„Ich war betrunken, als ich es ihr erzählt habe.“
„Du Trottel! Wenn du betrunken bist, gibst du alles preis, was? Hier!“ Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn, dass ein heller Abdruck zurückblieb. „Nachdenken sollst du, nachdenken! Ist das noch nicht durchgedrungen zu dir?“
Jetzt schlug er Wolfgang gegen die Stirn, dass es klatschte. Der bullige Mann zuckte zurück, senkte seinen Blick und wich aus. „Lass das bitte“, murmelte er.
„Nachdenken, Klein“, wütete Jacob und Wolfgangs Augen weiteten sich. Er lehnte sich in seinem Sessel noch weiter zurück, aber die Grenze war erreicht. „Nachdenken, du Spinner. Das Weib ist abgezogen und hat sich nie wieder gemeldet. Nichts wäre rausgekommen, nichts! Und da kommst du Idiot und tratschst alles aus. Die ganze Geschichte! Hat man Worte.“
Mit einem Schlag beruhigte er sich wieder, ging zwei Schritte zurück und starrte Wolfgang an.
„Und erzählt dann nicht einmal die richtige Version, die miese, feige Sau“, zischte er. „Diese Memme. Erzählt seiner Frau, er sei die Jungfrau Maria. Nur zugeschaut, was?“
Wieder ein Schritt auf Wolfgang zu. Der zuckte zurück.
„Hör auf mit dem Scheiß“, flüsterte er.
„Aufhören?“, schrie Jacob. „Hör du auf! Sei endlich ein Mann, du Flasche. Was dein Weib mit dir macht, ist peinlich. Zeig endlich Widerstand!“
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Petra stand in der Tür, hinter ihr Friede und sie starrten die beiden Männer an.
„Kommt ruhig rein“, rief Jacob, nachdem er geschluckt hatte. „Wir unterhalten uns gerade nett.“
Petra kam ins Zimmer hinein und setzte sich auf den Stuhl, der dem am entferntesten war, auf dem Wolfgang saß.
„Tatsächlich“, fragte sie. „Lasst euch durch uns nicht stören.“ Dann blieb sie stumm sitzen und blickte Jacob erwartungsvoll an.
Nachdem einige Minuten sich niemand etwas zu sagen traute, nur das tiefe Atmen von Wolfgang und das Rascheln des Anzuges von Jacob zu hören gewesen waren, sagte Petra: „Ich frage mich ernsthaft, warum du nicht gewillt bist, uns die paar Piepen zu borgen. Jacob, du schwimmst im Geld und bist nicht fähig, uns unter die Arme zu greifen?“
Jacob lachte auf. „Das Geld, in dem ich schwimme, habe ich mit meinen Händen erarbeitet. Niemand anderes als er selbst ist Schuld, dass dein Mann ein billiger Staubsaugervertreter ist.“
Ein Strich im Gesicht Petras war ihr Mund. Jetzt sah man hässliche Falten in diesem Bereich, jetzt wo sie die Lippen aufeinander presste. Ein kurzer Seitenblick zu Wolfgang, der immer noch starr in seinem Sessel saß, dann sagte sie: „Du bist ein Arschloch.“
„Ich habe das Geld.“ Er grinste. „Und den da“ er zeigte auf Wolfgang „den hast du dir gut erzogen. Du hast was besseres verdient, als diesen Schlappschwanz.“
„Jacob!“ Wolfgang war wieder zu Leben erwacht. „Lass den Scheiß! Wir werden noch einen trinken.“
Damit wuchtete er sich aus dem Sessel auf und griff sich die Cognacflasche.
„Schau ihn dir an, deinen Staubsaugervertreter!“ keifte Jacob weiter. „Ich wette, er kriegt keinen mehr hoch.“
„Jacob!“ Friede versuchte zu protestieren. Sie stand noch immer in der Tür, unfähig, sich zu bewegen.
„Es ist so! Sieh ihn dir an, der ist zeugungsunfähig.“ Er lachte und trank.
Bevor Petra den nächsten Satz sprach, herrschte eine aufgeladene, knisternde Stille. Für einen kurzen Moment verband die vier in dem Raum eine Atmosphäre der Elektrizität, eine Spannung, die Atome zum vibrieren bringen konnte.
Dann sagte Petra: „Woher weißt du das?“
Entgeistert starrte Jacob sie einen Moment an. Dann lachte er hemmungslos. Doch plötzlich erstarb sein Lachen, das Gesicht wurde zu einer Maske und er fragte: „Von wem war dann das Kind?“
„Welches Kind?“, kam es von Wolfgang.
Und alle Blicke lagen auf Petra.
Sie hatte mit dem kurzen Satz ihren Mann demütigen wollen, doch mit einem Schlag wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
„Von welchem Kind redet er?“, hakte Wolfgang jetzt nach. Er erhob sich und stand unsicher vor dem Kamin, als sei er gerade erst aus einem tiefen Schlaf erwacht.
„Wir fahren, komm!“, sagte Friede plötzlich in die Stille hinein. „Gib mir den Autoschlüssel!“
„Ich will, verdammt noch mal wissen, welches Kind er gemeint hat“, kreischte Wolfgang nun. Er war puterrot im Gesicht.
„Du Supermann hast nicht einmal gemerkt, dass deine Frau schwanger war“, blaffte Jacob ihn an. „So kümmerst du dich um sie. Sie kriegt ein Kind und du schnallst nicht mal das.“
Petra zog scharf die Luft ein und stöhnte auf.
Wolfgang verlor jede Farbe aus dem Gesicht und starrte Jacob mit leerem Blick an.
„Was soll das heißen?“, fragte er leise. „Meine Frau – schwanger? Das kann nicht sein.“ Langsam, als fiele ihm selbst das schwer, hob er den Blick und sah zu Petra hinüber. „Das kann gar nicht sein.“
„Und doch ist es so“, sagte Jacob und trank mit einem tiefen Schluck sein Glas aus. Er war betrunken, man sah, dass er Schwierigkeiten hatte, die Balance zu halten und überdies fiel es ihm schwer, die Worte deutlich zu formulieren. Er lallte, doch plötzlich war eine tiefe Traurigkeit in ihm.
„Doch ist es so. Sie wurde schwanger und sagte mir, das Kind sei von dir. Deshalb wollte sie es wegmachen lassen. Es ist von meinem Mann, sagte sie, ich will es nicht haben.“ Er wischte sich übers Gesicht. „Und ich glaubte ihr.“ Er sah zu Petra. „Auch ich bin dir aufgesessen, du Hexe.“
„Mach dich nicht lächerlich, Jacob“, sagte Petra und blickte ihn kalt an. „Du hattest deinen Spaß und der war irgendwann vorbei. Punkt. Mach kein Drama draus!“
„Ich hätte ein Kind haben können“, flüsterte Jacob, sofort war es still im Raum, so dass die Worte deutlich und klar zu verstehen waren. Eine Träne lief über seine Wange und tropfte schließlich vom Kind auf sein Hemd. „Ein Kind, du weißt, wie wichtig das wäre. Friede ist unfruchtbar, wir können keine Kinder haben. Und du, du enthältst mir mein Kind, meinen Sohn vor?“
Er schaute Petra wieder an. „Du bist eine Hexe.“
Wolfgang stürzte sich mit nicht zugetrauter Energie auf Jacob , dem von dem Stoß sofort die goldene Brille von der Nase gerissen wurde. Beide fielen in den schweren Sessel – Jacob rücklings, mit wirklichem Entsetzen in den Augen und Wolfgang mit seiner ganzen körperlichen Wucht auf ihm.
„Du Schwein“, presste er hervor. „Du Schwein hast meine Frau geschwängert.“
Es war offensichtlich, dass er nicht wusste, wie er weiter verfahren sollte, nie hatte es eine ähnliche Situation für ihn gegeben. Die Alternative, die er durchzuführen die Kraft aufbringen würde, wollte ihm nicht einfallen.
Eben wollte er halbherzig seinen Freund schlagen, als dieser ihn mit einer kraftvollen Bewegung von sich stieß und sich damit befreite. Wolfgang rollte haltlos zu Boden und blieb schwer atmend liegen.
Jacob sprang auf und bevor er sich irgend jemand anderem zuwandte, hob er seine Brille vom Boden auf und setzte sie behutsam auf die Nase.
„Denkst du, ich hätte nicht dein Techtelmechtel mit Friede bei unserem Radausflug bemerkt“, spie er zu Wolfgang hinunter. „Ich bin nicht dumm! Arschloch.“
„Lass uns gehen, Jacob.“
Es war kein bittender Tonfall, den Friede anschlug, auch kein fordernder. Eher war es so, dass jeglicher Ausdruck in ihrer Stimme fehlte. Der Satz klang blass und ohne Konsistenz.
„Gib mir die Autoschlüssel!“
Ohne Widerworte griff Jacob in seine Hosentasche und zog den Schlüssel hervor. Er reichte ihn Friede, die nahm ihn und drehte sich sofort um.
Im Eingangsbereich, als die Galinskis ihre Mäntel überzogen, kamen Kleins mit dazu: Wolfgang mit scheinbar geschrumpfter Statur und hängenden Schultern und Petra trotzig, aber nicht weniger deprimiert in ihrem Blick.
Friede reichte Petra und Wolfgang die Hand, ohne sie anzusehen und sagte leise: „Danke für alles.“ Dann ging sie vorsichtig die Treppe hinunter zu ihrem Wagen.
Jacob gab niemandem die Hand, sah aber nacheinander beiden in die Augen. Dabei loderte ein Triumph aus seinem Blick, der beinahe die ganze selbstgefällige Gestalt Jacob Galinskis zum Platzen brachte.
„Das dürfte ja dann unser letzter Besuch bei euch gewesen sein“, sagte er zu Petra und kurz blitzte ein Lächeln über sein Gesicht. Es sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber er besann sich eines besseren, drehte sich kurzerhand um und stieg die Treppe hinab.
Friede hatte den Motor angelassen und das Licht des Wagens eingeschalten. So wartete hinter dem Lenkrad ein dunkler Schatten, reglos und lauernd.
Jacob stakste auf den Wagen zu und als er unmittelbar vor den Scheinwerfern war, heulte der Motor auf und das Fahrzeug schoss wie ein wildes Tier nach vorn.
Es gab ein kurze, trockenes Knacken, als Jacob nach vorn geschleudert wurde. Er flog haltlos durch die Luft und schlug endlich auf der Treppe – zu den Füßen der entsetzten Kleins – auf.
Friede stieg aus dem Wagen und ging auf ihren Mann zu.
„Ein Unfall“, rief sie zu den Kleins hinüber.
Dann blieb sie vor ihrem Mann stehen, der wie eine Puppe vor ihren Füßen lag – widernatürlich verrenkt und leblos.
Ihr Blick löste sich von Jacob und ging hinauf in den Eingang zu Petra und Wolfgang.
„Ein Unfall“, wiederholte sie.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Hanniball

Schön, dich in dieser Rubrik zu lesen. :)


Ich bin kein Fan von dieser Form des Kameraschwenkens, des "man" eines Erzählers aus der dritten Person, deshalb schaffst du es nicht gleich zu Beginn, Spannung aufzubauen. Allerdings könntest du dich in den ersten Absätzen etwas kürzer fassen:

Das Heim der Familie Klein hatte eine saubere, makellose Fassade. Frisch gestrichen, in knalligem beherrschendem Gelb, stand das Haus inmitten anderer Einfamilienhäuser und war von einer auffallenden Sauberkeit.
Der Vorgarten war gepflegt und tadellos auf den kommenden Winter vorbereitet, der Jägerzaun, der in gewissem Sinne zu dem Bild dazugehörte, war frisch und in der passenden Farbe gestrichen und die Auffahrt in die angrenzende Garage war sauber gefegt und wies in ein ebenso sauberes Heim.
Ich denke, hier kannst du streichen, da du ja in den beiden Absätzen eigentlich nur dasselbe erzählst, was das frisch gestrichen und die Sauberkeit betrifft.

So liest es sich zu Anfang noch etwas zäh, später aber, vor allem ab dem Abendessen, wird das Ganze richtig spannend und hat mir ab da auch gut gefallen. Die Dialoge hast du gut hingekriegt, obwohl die ganzen Intrigen dann plötzlich ganz schön viel werden, denn jeder hat irgendwie Dreck am Stecken, was ja auch, worauf der Titel schließen lässt, Sinn der Story war. :D


Das Ende fände ich ganz gut, nur: Kann man einen stehenden Wagen auf einem Meter so beschleunigen, dass der Angefahrene durch die Gegend fliegen kann?
Wie wärs, wenn du Friede Jacob mit dem Wagen nur zwischen Stoßfänger und Garage einquetschen lässt? Das ist mE realistischer.

Ansonsten hat mir deine Geschichte gut gefallen. Kein Highlight, aber schön zum Zwischendurchlesen.

Liebe Grüße
Tamira

„Mach deine Augen verdammt!“,
Da fehlt etwas.

Dann sagte er mit einer Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich: „Das ist nur vorrübergehend.“
Hm ... wie?

„Wir freuen uns, dass ihr kommen konntet.“ und sah Jacob dabei an.
„Ja“, setzte Wolfgang hinzu.
... konttest", und sah ...

Es gab Parmaschinken mit Melonenspalten als Vorspeise, dazu reichte Petra einen Rucola mit gebratenen Austernspitzen und Parmesanspänen.
Ich glaube, du meinst Pilze. :D

Sie war verunsichert und wusste ums Verrecken nicht, wie sie Friede einschätzen sollte.
streichen

Ein Strich im Gesicht Petras war ihr Mund.
Merkwürdiger Satz.

 

Hallo Tamira!
(vorbildliche Moderatorin, du:D )

Freut mich, dass du das Stück so schnell konsumiert und auch was dazu geschrieben hast. Ich habe einige Storys, die ich fertig habe, aber eben noch nicht eingehämmert in den Rechner. Allerdings werde ich einige Altschulden vorher aufarbeiten müssen;)

Ich bin kein Fan von dieser Form des Kameraschwenkens, des "man" eines Erzählers aus der dritten Person, deshalb schaffst du es nicht gleich zu Beginn, Spannung aufzubauen.

Man muss sich einlassen, das stimmt. Es ist noch gar nicht lange her, da war ich ähnlicher Auffassung. Man muss dem Leser das, was man sagen will, schnell und prägnant servieren. Davon bin ich mittlerweile abgerückt. Man darf den Leser nicht langweilen, das versuche ich zu beherzigen.

Die Erzählform des auktorialen Erzählers, quasi des Berichterstatters, zu handhaben, ist nicht einfach. Gefühle, Spannungen u.ä. werden ja nur über Äußerlichkeiten dargelegt, man kann nicht einfach die Gedanken der Prots mitteilen.
Es war ein Versuch, ob er misslungen ist, das müsst ihr entscheiden, ich bin mittlerweile soweit, dass ich mich von Kritiken zumindest nicht mehr einschüchtern lasse - was ich anderen Mitgliedern hier nur raten kann:)
Ich werde diese Form wohl nicht mehr allzu häufig verwenden, weil ich mich damit auch gar nicht richtig wohlgefühlt habe, es ist doch sehr einengend.

Ich denke, hier kannst du streichen, da du ja in den beiden Absätzen eigentlich nur dasselbe erzählst, was das frisch gestrichen und die Sauberkeit betrifft.

Das fällt unter den obengenannten Punkt:)

Die Dialoge hast du gut hingekriegt, obwohl die ganzen Intrigen dann plötzlich ganz schön viel werden

Finde ich gar nicht mal, ist vielleicht nur ein wenig gedrängt.

Ein Strich im Gesicht Petras war ihr Mund.

Merkwürdiger Satz.

Die Satzstellung ist nicht den Konventionen gerecht, aber er ist nicht regelwidrig. Und ich finde ihn schön.

Womit du mir dann doch zu Denken gegeben hast, ist der Schluss. Ich glaube, du hast Recht, ich werde ihn überarbeiten. Danke dir.


Ich finde, dafür, dass diese Erzählung doch fast schon anti-innovativ ist, ist deine Kritik doch recht angenehm ausgefallen.

Ich danke dir!

Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball!

Alles Gute nachträglich zu Deinem Geburtstag und viel Glück im neuen Lebensjahr(zehnt)! :)

Bei der Geschichte ging es mir ungefähr so wie Tamira: Am Anfang erzählst Du manches doppelt, da könntest Du kürzen, ohne dadurch etwas auszulassen. ;) Danach wird es wirklich sehr spannend; ich hab dabei völlig vergessen, zur Schokolade oder meinem Teehäferl zu greifen – gut, daß es kein Roman war, sonst wäre ich dabei verdurstet. :D
Am Schluß legst Du geschickt die nächste Leiche in den Keller und das Ehepaar Klein reibt sich wohl schon die Hände über die bevorstehende finanzielle Sanierung. Gut gemacht! :)
Trotzdem ging es mir aber mit dem »Unfall« wie Tamira: Ich denke, der Motor muß nicht so aufheulen bzw. muß das nicht mit so einer Wucht geschehen. Jacob hat einiges getrunken, da hat er sowieso eine schlechte Reaktion – sie kann ihn ohne so viel Lärm überfahren, den ja auch die Nachbarn hören würden, und dann kann man daraus eher einen Unfall konstruieren.

Die Erzählform des auktorialen Erzählers, quasi des Berichterstatters, zu handhaben, ist nicht einfach. Gefühle, Spannungen u.ä. werden ja nur über Äußerlichkeiten dargelegt, man kann nicht einfach die Gedanken der Prots mitteilen.
Es war ein Versuch, ob er misslungen ist, das müsst ihr entscheiden
Also ich finde den Versuch schon sehr gelungen. Einzig an einer Stelle hat es mich gestört, nämlich da, wo die beiden Frauen in der Küche reden und dann der Schwenk zu den Männern kommt (»Im Rauchzimmer währenddessen«). Ansonsten hast Du das wirklich sehr gut hingebracht. Gefühle oder das Denken der Protagonisten kommen gut durch die Körpersprache und die wörtlichen Reden rüber, da hat mir nichts gefehlt.
Ich glaube sogar, daß es für die Geschichte genau die richtige Erzählform ist, da Du durch sie die Spannung besser aufrecht halten kannst. Jeder der vier würde sonst durch seine Gedanken an irgendeiner Stelle zu viel verraten.

Man muss dem Leser das, was man sagen will, schnell und prägnant servieren. Davon bin ich mittlerweile abgerückt. Man darf den Leser nicht langweilen, das versuche ich zu beherzigen.
So eine lange Geschichte darf ruhig auch eine längere Einleitung haben, aber wiederholen solltest Du Dich dabei trotzdem nicht, denn da beginnt leicht das Langweilen. ;-) War nicht ganz so schlimm, aber ein bisschen würde ich schon kürzen – unten in der Liste findest Du jedenfalls meine Vorschläge dazu, vielleicht stimmst Du ja dem einen oder anderen doch zu. :)

Was mir leider auch beim zweiten Lesen nicht klar wird, ist, wer diesen Satz sagt:

„Was macht eure Tochter? Erzählt, ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.“
Möglicherweise steh ich ja auf der Leitung, oder ist es vielleicht ein Überbleibsel einer früheren Version?

Wo ich Tamira aber nicht zustimme, ist ihre Kritik an diesem Satz:

Dann sagte er mit einer Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich:
Mir gefällt der Vergleich ausgesprochen gut, auch wenn Ziegel tatsächlich nichts Stimmhaftes an sich haben. Aber ich denke, da sollte schon eine Assoziation möglich sein, jedenfalls bei mir hat es funktioniert.

So, jetzt alles andere der Reihe nach:

»Das Heim der Familie Klein hatte eine saubere, makellose Fassade. Frisch gestrichen, in knalligem beherrschendem Gelb, stand das Haus inmitten anderer Einfamilienhäuser und war von einer auffallenden Sauberkeit.«
– eine frisch gestrichene Fassade ist immer makellos sauber, es reicht also eins von beiden.
– Am Ende noch einmal die auffallende Sauberkeit zu betonen, finde ich zuviel, Du könntest hier auch das Gelb über die Gruppe der Einfamilienhäuser herrschen lassen.
– mindestens aber kannst Du »einer« streichen: von auffallender Sauberkeit.

»Der Vorgarten war gepflegt und tadellos auf den kommenden Winter vorbereitet, der Jägerzaun, der in gewissem Sinne zu dem Bild dazugehörte, war frisch und in der passenden Farbe gestrichen und die Auffahrt in die angrenzende Garage war sauber gefegt und wies in ein ebenso sauberes Heim.«
– hier wiederholt sich »frisch« und »gestrichen«, also ich würde es aus dem vorigen Satz rausnehmen, es reicht, wenn die Fassade makellos und knallig gelb ist, daraus läßt sich ja schlußfolgern, daß der letzte Anstrich noch nicht lange her ist.
– Daß sich »sauber« so oft wiederholt, scheint Absicht zu sein, dann könntest Du es aber auch mehr betonen und dadurch schon wieder kürzen: die saubere Auffahrt in die saubere Garage wies in ein ebenso sauberes Heim.
– »in der passenden Farbe«, also auch knallgelb? Oder passend für einen Jägerzaun, braun?

»Gäbe es um diese abendliche Zeit, die novembermäßig abweisend und kalt erschien, einen Spaziergänger durch das Wohnviertel, er wäre ohne Zweifel angezogen gerade von der Wohnstätte der Familie Klein.«
– Den Satz würde ich streichen, des Kürzens wegen und weil er nicht unbedingt stimmt, da ein Spaziergänger ja jemand ist, der bewußt draußen ist und vermutlich beim Weggehen schon gewußt hat, welches Wetter ihn erwartet. Warum sollte er sich also plötzlich in das Haus der Kleins wünschen? Auch kommt es auf die Naturverbundenheit an, ob man so einen sauberen Garten unbedingt als warm empfindet; wenn man weiß, daß es für Pflanzen und Tiere, die ihm Erdreich leben, wärmer ist, wenn das Laub liegenbleibt – Marienkäfer überwintern zum Beispiel im Laub, und wenn man ihnen so ein warmes Heim bietet, fressen sie dafür im Frühling gleich die ersten Blattläuse weg.
Der Garten der Kleins erscheint mir viel zu sehr nach »außen hui …«, als daß ich mich davon angezogen fühlen würde. ;)

»Das Haus selbst war dunkel, bis auf das Wohnzimmer, in dem sich das Ehepaar Klein um diese Zeit aufhielt,«
– »Klein« könntest Du hier streichen, da Du den Namen ja gerade genannt hast.

»Wolfgang saß am Schreibtisch, der in einer Nische des Zimmers untergebracht war, die funktional und dem Zweck entsprechend eingerichtet und im hintersten Winkel des Raumes gelegen war,«
– funktional = dem Zweck entsprechend
– die Nische und daß sie im hintersten Winkel des Raumes lag, kannst Du in einem Stück sagen und dabei das doppelte »war« vermeiden, z. B.: am Schreibtisch, der in einer funktional eingerichteten Nische im hintersten Winkel des Raumes untergebracht war.

»sein massiger Körper fand kaum Platz auf dem Stuhl,«
– da würde ich einen neuen Satz beginnen (deshalb auch vorhin der Punkt nach »war«)

»Wolfgang wirkte wenigstens im Antlitz zumindest kindlich, fast babyhaft.«
– zumindest das »zumindest« würde ich streichen, aber eigentlich suche ich auch noch nach dem Sinn von »wenigstens« (soll ich mir dadurch vorstellen, daß er vielleicht an anderer Stelle auch kindlich wirkte? :shy:).

»Ihre harten Gesichtszüge verwischten etwas den Eindruck, den ihr sportlicher Körper und ihre kontrollierten Bewegungen machten.«
– hier würde ich auf »sportliche Figur« ändern, da Du oben »sein massiger Körper« hast.

»die einen Tic zu sehr herunterhingen, bewiesen, dass das Alter auch von dieser einstmals schönen Frau Besitz ergriffen hatte.«
– ein Tic ist laut Duden ein krampfhaftes Zusammenziehen der Muskeln, Du meinst wohl eher einen »Tick«. ;-)

»Petra schlug dann und wann eine Seite um,«
– »blätterte« fände ich schöner

»„Wie kommst du nur darauf, dass alles so weitergehen kann?“, war der Satz, mit der sie die Stille beendete.«
– weitergehen könnte
– ich würde den Begleitsatz in einen eigenständigen Satz verwandeln: Mit diesem Satz, oder eigentlich: Mit dieser Frage beendete sie die Stille.
Wenn Du aber bei Deinem Satz bleibst, muß es »war der Satz, mit dem sie« heißen.

»Er blickte hinüber zu seiner Frau mit fragendem Blick.«
– Er blickte fragend zu seiner Frau hinüber.

»„Mach deine Augen verdammt!“, fuhr Petra fort«
– da fehlt ein »auf,«

»„Das ist nur vorrübergehend.“
Sie lachte freudlos. „Vorrübergehend?«
– nur ein r: vorübergehend

»Denkst du vielleicht, die Leute kaufen Staubsauger reihenweise,«
– kaufen reihenweise Staubsauger

»Wir werden sie fragen, das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie aufstehen, rausgehen und ihr Essen stehen lassen.“«
– würde nach »fragen« einen Punkt machen

»Jacob drehte sich um zu Wolfgang und einen Moment lang erwartete Wolfgang, er wolle ihn ebenfalls umarmen.«
– Vorschlag (auch wegen der Perspektive): Jacob drehte sich um, und einen Moment lang sah es so aus, als wolle er Wolfgang ebenfalls umarmen.

»Doch er packte nur kräftig zu und schüttelte seine Hand. Obwohl Jacob mindestens einen Kopf kleiner war als er und bedeutend schmächtiger, hatte Wolfgang doch den Eindruck, Jacob wolle seine Hand zerquetschen.«
– zweimal »doch«, es genügt »hatte Wolfgang den Eindruck«

»sagte Petra: „Wir freuen uns, dass ihr kommen konntet.“ und sah Jacob dabei an.«
– würde einen eigenen Satz draus machen: Dabei sah sie Jacob an.

»Wolfgang warf den Kippen in den Kamin.«
– die Kippe

»„Wir mussten sie schon lange entlassen. Wir sind...“«
– Leertaste vor die drei Punkte

»„Tja, du weißt ja, wie das ist“ fuhr er fort.«
– ist“, fuhr

»Im Kamin das Feuer schien heller zu flackern«
– entweder »Das Feuer im Kamin schien …« oder »Im Kamin schien das Feuer heller zu flackern«

»ob ihr uns nicht ein wenig... etwas,«
– Leertaste auch vor die drei Punkte

»Ihre Miene, als sie den Blick vom Kamin wieder Wolfgang zuwandte, war versteinert.
Er lächelte noch immer unsicher.
Jacob schaute überrascht. Nun stellte auch er seine Mokkatasse auf den Tisch und warf mit kühnem Schwung den Zigarettenkippen in die Kaminglut. Als er sich wieder zurück zu Wolfgang wandte,«
– zweimal »wandte« und ein paar Zeilen später kommt noch eins
– die Zigarettenkippe

»„Kommt gar nicht in Frage“, sagte er ohne zu überlegen.«
– meiner Meinung nach gehört da ein Beistrich hin: sagte er, ohne zu überlegen.

»die Arme vor die Brust verschränkt,«
– vor der Brust

»Schweigen herrschte währenddessen, andächtige Aufmerksamkeit eines Jeden auf diese Handlungen.«
– eines jeden

»Er sah zu Wolfgang und beinahe hätte es den Anschein, als sende er eine stumme Frage: „Was hat sie?“, fragte er schließlich in diese Richtung.«
– beinahe hatte es den Anschein, als sende er eine stumme Frage. „Was hat sie?“, fragte …

»stürzte den Inhalt in einem Zug herunter.«
– hinunter

»Er loderte auf und verbreitete für Sekunden gleißende Helligkeit im Zimmer.«
– »gleißend« wiederholt sich bei »Das Licht, das zu allen anderen Zeiten weich und warm strahlte, schien jetzt hart und gleißend.«

»und in der Kneipe ein Mädchen kennen gelernt.«
– in dem Fall zusammen: kennengelernt

»Als du...als du fertig warst,«
– Leertasten

»Seine Kiefern mahlten und einmal hatte es den Anschein, als lächele er kurz.«
– Die Kiefern sind die Bäume. Seine Kiefer mahlten …
– als lächelte er kurz

»„Gibt’s noch einen Cognac“, fragte er«
– Fragen haben gern Fragezeichen. ;-)

»Er baute sich vor Wolfgang auf, der in der Tat zu ihm aufblickte, mit Angst und Feigheit im Blick.«
– »Blick« verwendest Du ziemlich oft, zumindest hier könntest Du z. B. das Gesicht oder die Miene verwenden.

»überragter er ihn gerade um eine Kopfeslänge.«
– überragte
– »um einen Kopf« würde es auch tun

»Dann sah er jeden einzelnen an«
– jeden Einzelnen

»Sie drehte sich weg und ihr Blick ging zu Wolfgang.«
– »ging« würde ich durch »schwenkte« ersetzen

»setzte sich wieder in seinen Sessel neben seine Frau.«
– »in den Sessel« reicht, dann wiederholt sich »seine« nicht

»„Was ist mit dem Mädchen geworden“, fragte Friede leise aber unüberhörbar.«
– „Was ist aus dem Mädchen geworden?“

»Wir haben jedenfalls nie wieder etwas zu Hören bekommen von ihr.«
– nie wieder etwas von ihr gehört.

»„Ich muss raus!“
Mit einer heftigen Bewegung sprang Petra auf. „Ich muss in die Küche“, setzte sie hinzu und eilte hinaus.«
– Wenn kein Sprecherwechsel ist, warum dann der Zeilenwechsel? Der verwirrt. ;-)
– Auch, wenn Du einmal »raus« und einmal »hinaus« schreibst, ist es eine Wiederholung. ;-) »eilte los« würde es auch tun.

»„Es scheinen alles Schweine zu sein. Alles.«
– alle, beide Male ohne s (meint ja: alle Männer)

»Nicht, nach dem, was vorgefallen ist.“«
– Nicht nach dem, was …

»dass es so, wie es jetzt läuft, nicht weiter gehen kann.“«
– zusammen: weitergehen

»„Das tut mir Leid.“«
– darf man jetzt wieder klein schreiben: leid

»Er ist so...naiv.“«
– Leertasten

»Im Rauchzimmer währenddessen hatten sich Jacob und Wolfgang Sachen zu sagen,«
– »währenddessen« würde ich streichen, das kommt auch so rüber.

»„Wie viele wahnsinnig gewordenen Teufel haben dich geritten, deiner Frau von dieser alten Kamelle zu erzählen“, fluchte er.«
– wahnsinnig gewordene Teufel
– erzählen?“, fluchte

»Hilflos begann er: „Ich wollte...“«
– wollte_…“

»Petra kam ins Zimmer hinein und setzte sich auf den Stuhl,«
– »hinein« kannst Du streichen

»„Tatsächlich“, fragte sie.«
– „Tatsächlich?“, fragte sie.

»Niemand anderes als er selbst ist Schuld,«
– ist schuld

»Ein Strich im Gesicht Petras war ihr Mund.«
– Vorschlag: Petras Mund war (nur mehr) ein Strich in ihrem Gesicht.

»„Und den da“ er zeigte auf Wolfgang „den hast du dir gut erzogen. Du hast was besseres verdient, als diesen Schlappschwanz.“«
– „Und den da“, er zeigte auf Wolfgang, „den hast du dir gut erzogen. Du hast etwas B[/]esseres verdient, …

»„Schau ihn dir an, deinen Staubsaugervertreter!“ keifte Jacob weiter.«
– Staubsaugervertreter!“, keifte

»eine Spannung, die Atome zum vibrieren bringen konnte.«
– zum Vibrieren

»trank mit einem tiefen Schluck sein Glas aus.«
– entweder »seinen Cognac aus« oder »sein Glas leer«

»man sah, dass er Schwierigkeiten hatte, die Balance zu halten«
– »das Gleichgewicht« wäre deutsch, im Gegensatz zu »die Balance«

»Eine Träne lief über seine Wange und tropfte schließlich vom Kind auf sein Hemd.«
– vom Kinn

»Wolfgang stürzte sich mit nicht zugetrauter Energie auf Jacob , dem«
– Leertaste zuviel vor dem Beistrich

»Jacob rücklings, mit wirklichem Entsetzen in den Augen und Wolfgang mit seiner ganzen körperlichen Wucht auf ihm.«
– Augen, und Wolfgang mit seiner ganzen körperlichen Wucht auf ihn.

»Die Alternative, die er durchzuführen die Kraft aufbringen würde, wollte ihm nicht einfallen.«
– Irgendwie ist da ein Hund drin.

»Jacob sprang auf und bevor er sich irgend jemand anderem zuwandte, hob er seine Brille vom Boden auf und setzte sie behutsam auf die Nase.«
– dreimal »auf«

»als die Galinskis ihre Mäntel überzogen, kamen Kleins mit dazu:«
– das »mit« brauchst Du meiner Meinung nach nicht

»aber nicht weniger deprimiert in ihrem Blick.«
– Vorschlag: aber einem nicht weniger deprimierten Blick.

»Jacob gab niemandem die Hand, sah aber nacheinander beiden in die Augen. Dabei loderte ein Triumph aus seinem Blick, der beinahe die ganze selbstgefällige Gestalt Jacob Galinskis zum Platzen brachte.«
– zweimal brauchst Du den Namen nicht in einem Satz, es reicht: der beinahe seine ganze selbstgefällige Gestalt zum Platzen brachte.

»aber er besann sich eines besseren,«
– eines Besseren

»Es gab ein kurze, trockenes Knacken,«
– kurzes


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Danke dir für die Glückwünsche, dafür, dass du daran gedacht hast und für die Mühen, die du dir wieder einmal gemacht hast.;)

Ich freue mich, dass du gerade diese Story herausgesucht hast. Zum einen ist sie ja nicht gerade mit viel Aufmerksamkeit gesegnet, zum Anderen habe ich mich gerade bei dieser Geschichte hier an einen genauen, vorher ausgearbeiteten Fahrplan gehalten. Ich habe ziemlich viel Schweiß im Vorlauf investiert, da ist es mal gut, wenn man Feedback erhält.

Am Anfang erzählst Du manches doppelt, da könntest Du kürzen, ohne dadurch etwas auszulassen

Der Plan war wohl nicht exakt genug, aber solche Dinge fallen immer nur dem anderen auf, selbst würde es ziemlich schwierig sein, das zu sehen.


Danach wird es wirklich sehr spannend; ich hab dabei völlig vergessen, zur Schokolade oder meinem Teehäferl zu greifen

Sehr schön :D Danke!

Einzig an einer Stelle hat es mich gestört, nämlich da, wo die beiden Frauen in der Küche reden und dann der Schwenk zu den Männern kommt

Ja, du hast Recht, ist wirklich ein bisschen altbacken, der Übergang. Das werde ich ändern.

Was den Satz über die Tochter betrifft: Eigentlich sollte er die Atmosphäre darstellen, zwangloses Gespräch und so. Hat keinerlei tiefere Bedeutung für die Geschichte. Dein Einwand zeigt mir, dass er vollkommen überflüssig ist.

Ich danke dir im Übrigen für die viele Kleinarbeit, die du dir gemacht hast, ich werde mich demnächst dransetzen und die Fehlerchen und Fehler ausmerzen.


Es hat mich gefreut, wie jedes Mal.

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball,

ich hab gerade deine Geschichte gelesen und ich fand sie wirklich sehr gut, gerade das Ende kam überraschend für mich. Ehrlich gesagt hat mich deine Geschichte auch etwas eingeschüchtert, ich schreibe bei weitem noch nicht so gut ... aber das spornt auch an :-)

Schönen Gruß
Delia_24

 

Hallo Delia!

Freut mich, dass du diese Meinung hast, du rückst mich in eine Position, die einen verleitet, von oben herab zu sprechen. Wenn du andere Storys von mir liest, wirst du sehen, dass man auch jede Menge Eulenkacke produzieren kann.

Jedenfalls bin ich froh, dass du sie spannend fandest und das Ende für dich überraschend.
Und eingeschüchtert brauchst du nicht zu sein, denn...siehe oben.

Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball!

Gute Geschichte. Wirklich, wusste zu gefallen und war meiner Ansicht nach auch sehr spannend, da ich mich die ganze Zeit gefragt habe, was passieren wird. Die bedrohliche Atmosphäre, den Hass zwischen den Figuren, den baust du langsam und sehr schön auf. Nichts wirkt da aufgesetzt. Ich war richtig gefesselt, von dem sich allmählich entwickelndem Streit. Auch das Ende kam für mich völlig unvorbereitet.
Ein paar Kleinigkeiten sind mir aufgefallen: Am Anfang, als die Kleins darauf zu sprechen kommen, dass sie ihre Freunde um Geld bitten möchten, reden sie von diesen mit ihrem Nachnamen. Hier bereits die Vornamen zu nennen, fände ich authentischer, schließlich ist man ja per du. Auch die Beschreibung des allzu sauberen Grundstücks ist meiner Meinung nach etwas zu ausufernd.
Ansonsten hat mir das Ding, wie gesagt, wirklich gefallen.

Noch ein paar Kleinigkeiten:


„Mach deine Augen verdammt!“,

Da fehlt ein "auf".

Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich: „Das ist nur vorrübergehend.“

Oh oh ... zweimal hintereinander ein r zu viel. Ich hab letztens mal gehört, dass "vorüber" zu den Wörtern gehört, die am meisten falsch geschrieben werden.

Im Kamin das Feuer schien heller zu flackern

Ich weiß, du hast ein Faible für derart aufgebaute Sätze. Für mich klingt es trotzdem immer wieder seltsam. Mag zwar richtig sein, stoppt (zumindest bei mir) aber irgendwie den Lesefluss.

Als sie die Spannung am höchsten wusste, die Augen geöffnet erwartungsvoll und fragend,

Wie bitte?

„Du warst gemeinsam mit Wolfgang beim Bund, nichtwahr?“

nicht wahr, oder?

Es war dunkel geworden draußen und das Kaminfeuer war die einzige Lichtquelle hier.

Das Kaminfeuer war die einzige Lichtquelle hier.

Das Novemberabende dunkel sind, weiß der Leser auch so.

Friede nickte nur und nippte an ihrem Glas.
„Hast du etwas gewusst, von dem Vorfall?“

Ich dachte, Jakob hatte es ihr gebeichtet. Dann ist die Frage doch überflüssig. Oder hat er einfach nur so getan, als wenn er es ihr erzählt hätte, weil er wusste, dass sie keine Widerworte geben würde?

„Wie viele wahnsinnig gewordenen Teufel haben dich geritten, deiner Frau von dieser alten Kamelle zu erzählen“, fluchte er.

Hmmm ... dieser Satz lässt vermuten, dass er es Friede doch nicht erzählt hat. Irgendwie wird das nicht so richtig klar.

Eine Träne lief über seine Wange und tropfte schließlich vom Kind

:rotfl:

Es gab ein kurze, trockenes Knacken

Da fehlt ein "s".


Viele Grüße!

 

Tag, Hanniball.
Um das Fazit gleich vorweg zu nehmen: Deine doch sehr lange Geschichte konnte mich nicht so recht überzeugen.
Stilistisch gibt es nichts zu bemängeln: Flüssig, an manchen Stellen edel erzählt, der Handlungsverlauf jederzeit nachvollziehbar.
Der Knackpunkt ist die Geschichte selbst.
Zum einen ist sie für das, was erzählt wird, in der zweiten Hälfte viel zu ausführlich geraten. Der Einstieg ist dir wunderbar atmosphärisch gelungen. Als Leser hat man sofort ein klares Bild von den Kleins vor Augen. Mit dem Besuch der Freunde gerätst du ins Schwafeln und ziehst die "Geheimnisse" künstlich in die Länge. Problematisch ist dies deshalb, weil die Spannung flöten geht, etwa so, als würde man in einer Horrorgeschichte das Monster zwei Seiten lang detailliert beschreiben, anstatt es sich endlich auf das Opfer stürzen zu lassen.
Zum anderen enttäuschte mich der Schluss. Eingedenk des Titels hatte ich da ganz andere Wendungen erwartet. Stattdessen überfährt die Frau fast beiläufig ihren Gatten. Um beim Beispiel zu bleiben: Eine zwanzigseitige Horrorgeschichte endet damit, dass die Protagonistin den blutrünstigen Serienkiller abknallt und nach Hause geht. Es ist nichts daran grundsätzlich verkehrt oder völlig abwegig - aber es ist nicht stimmig.
Ebenso gut hätte Petra ihren Wolfgang abknallen können. Oder Wolfgang Jacob erschlagen. Es wäre stets auf das gleiche Fazit meinerseits hinausgelaufen: "Und das war's jetzt?"
Schade, denn immerhin konnte die Geschichte genug Spannung erzeugen, um mich bei der Stange zu halten und dem Ende zu harren, wenngleich es keine atemlose Spannung war, sondern mehr ein: "Mal schauen, wie das ausgeht."

Fazit somit: Recht ordentlich, vor allem sprachlich, leidlich spannend. Hätte das Zeug zu einem Knaller gehabt, endet schlussendlich jedoch im Mittelmaß.
Wobei ich, bevor du enttäuscht von meiner Kritik bist, eines gleich hinzufügen muss: Trotz aller Schwächen ist deine Geschichte (wie die meisten deiner Werke) natürlich weitaus besser als das meiste, das man sonst so zu lesen bekommt! Mittelmaß bezieht sich somit auf dein Potenzial.

Ach ja:

„Was macht eure Tochter? Erzählt, ich habe lange nichts mehr von ihr gehört.“

1. Wer sagt das zu wem?
2. Tochter? Welche Tochter? Ich dachte, beide Ehepaare wären kinderlos? :confused:

Ein paar kleine Anmerkungen:

Das Heim der Familie Klein hatte eine saubere, makellose Fassade. Frisch gestrichen, in knalligem beherrschendem Gelb, stand das Haus inmitten anderer Einfamilienhäuser und war von einer auffallenden Sauberkeit.
Der Vorgarten war gepflegt und tadellos auf den kommenden Winter vorbereitet, der Jägerzaun, der in gewissem Sinne zu dem Bild dazugehörte, war frisch und in der passenden Farbe gestrichen und die Auffahrt in die angrenzende Garage war sauber gefegt und wies in ein ebenso sauberes Heim.

Hier übertreibst du es ganz massiv - als Leser möchte ich den Autor anbrüllen: "Ja, schon gut, ich hab´s kapiert! Das Haus ist blitzblank sauber poliert!"

„Mach deine Augen verdammt!“, fuhr Petra fort und man spürte, dass sie voller Wut war.

1. Da fehlt ein "auf".
2. Also ich weiß nicht - das "man" lässt mich stolpern, da ja nur Wolfgang anwesend ist.

Dann sagte er mit einer Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich

Dieser Vergleich ist sogar mir zu bizarr. Was hat eine Stimme mit einem Ziegel gemeinsam? :confused:

Das Wetter verschlechterte sich zunehmend über die Woche, die Temperaturen sanken und Regen setzte ein. So dass am Samstag schließlich bitteres, abweisendes Novemberwetter herrschte

Hm. "So dass" erscheint mir als Satzeinleitung suspekt. Ich würde die beiden Sätze ganz einfach verknüpfen.

Wolfgang warf den Kippen in den Kamin.

Sagt man nicht "die Kippe"?

 

Hi Cerberus!

Nun komme ich auch dazu, zu antworten. Wie immer, hetz hetz, kaum Zeit und soviel zu tun. Aber das kennst du ja selber.:)

Freut mich wirklich, einerseits, dass wir voneinander hören, zum anderen, dass dir die Story gefallen hat. Mehr als einmal war ich unsicher, und das Gefühl ist immer noch da. Zumal ja an Meinungen doch einiges vertreten ist, nicht.

Stimme, verwittertem Ziegel ähnlich: „Das ist nur vorrübergehend.“

Oh oh ... zweimal hintereinander ein r zu viel. Ich hab letztens mal gehört, dass "vorüber" zu den Wörtern gehört, die am meisten falsch geschrieben werden.

Diese Information hat das Zeug zum Extrem-Klugscheißing.:D Aber, hast ja Recht.

Ich weiß, du hast ein Faible für derart aufgebaute Sätze.

Ja, und um ehrlich zu sein, das hört sich für mich auch nicht seltsam an. Vielleicht ein wenig...exotisch.

Als sie die Spannung am höchsten wusste, die Augen geöffnet erwartungsvoll und fragend,

Wie bitte?

Als sie die Spannung am höchsten wusste, die Augen geöffnet erwartungsvoll und fragend

:D

Aber ja, es gibt einige Sachen, die du bemängelt hast, die richtig sind, ich werde sie abändern.

Danke dir!

Hi Rainer!

Na, wir haben ja lange nichts voneinander gehört.

Deine doch sehr lange Geschichte konnte mich nicht so recht überzeugen.

Es ist, wie fast alle Texte hier von mir, ein Versuch. Ich habe die Story wirklich geplant und gebaut wie ein Gebäude. Jeder einzelne Satz, jede Szene ist vorher aufgeschrieben gewesen, um dann verwendet zu werden.


Der andere Versuch ist die Perspektive, dieser auktoriale Erzähler, dessen ich mich noch nicht vorher bedient hatte. Zumindest nicht in dieser Vehemenz.

Ich bin mir bewusst, dass man sich damit etwas vertut. Wenn sie nicht ganz vergurkt ist, bin ich zufrieden.

Mit der Länge hast du sicher Recht, allerdings wollte ich weniger Augenmerk auf die Geheimnisse, auf die Leichen, legen, als mehr auf die Gefühle und Gedanken der Protagonisten, ihre Verstrickungen und ihre Verhältnisse zueinander, die sich ja während des Textes ändern.
Wie gesagt, ich habe es versucht.

Zum anderen enttäuschte mich der Schluss

Ich finde den Schluss eigentlich folgerichtig. Und er war auf keinen Fall als Show-down gedacht. Wenn du diese Erwartung hattest, war es nur natürlich, dass du entäuscht wirst.
Eigentlich wollte ich so emotionslos wie möglich die Story bis zu ihrem Ende erzählen.
Und da Friede an diesem Abend ihr ganzes Leben gefährdet sieht, rächt sie sich für dieses Leben an demjenigen, der es verschuldet hat.

Schade, denn immerhin konnte die Geschichte genug Spannung erzeugen, um mich bei der Stange zu halten und dem Ende zu harren

Danke.:)

Das mit der Tochter ist überflüssig, hast Recht. Wird gelöscht.

Und der Anfang, ja. Der Anfang ist ganz sicher zu lang.

Den Vergleich mit dem Ziegel finde ich recht schön, wobei nicht der Ziegel, sondern verwittert entscheidend ist.

Ich kenne den Ausdruck "den Kippen" genauso wie die...

Ich danke dir für die Mühe und die ehrliche Einschätzung. Es hat mich gefreut!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Na, wir haben ja lange nichts voneinander gehört.

Stimmt. Wie geht´s den Kindern, Schatz?


Es ist, wie fast alle Texte hier von mir, ein Versuch. Ich habe die Story wirklich geplant und gebaut wie ein Gebäude. Jeder einzelne Satz, jede Szene ist vorher aufgeschrieben gewesen, um dann verwendet zu werden.

Also das könnte ich nicht. Meine Schreibmethode ist völlig anders.

Wenn sie nicht ganz vergurkt ist, bin ich zufrieden.

Nein, ist sie nicht. Man merkt, dass du schon länger schreibst, und enormes Talent und Potenzial besitzt. Sie ist nur aus meiner (!) Sicht langatmig und unspektakulär ausgefallen.

Ich finde den Schluss eigentlich folgerichtig. Und er war auf keinen Fall als Show-down gedacht. Wenn du diese Erwartung hattest, war es nur natürlich, dass du entäuscht wirst.

"Showdown" ist vielleicht ein zu starkes, mit übertriebenen Vorstellungen besetztes Wort. Es ist nur so, dass der Aufbau der Geschichte ein "Grande Finale" erwarten lässt, möglicherweise sogar eine kleine Pointe. Stattdessen folgt ein sehr nüchtern ausgeführter Mord, und Ende. Sprich: Der Aufwand, den du für das Grundgerüst betrieben hast, steht aus meiner Sicht nicht in maßvoller Relation zum Schluss der Geschichte.

Und da Friede an diesem Abend ihr ganzes Leben gefährdet sieht, rächt sie sich für dieses Leben an demjenigen, der es verschuldet hat.

Das Motiv stelle ich gar nicht in Abrede. Wie gesagt: Es kommt bei mir einfach sehr unspektakulär rüber.

Das mit der Tochter ist überflüssig, hast Recht. Wird gelöscht.

Ob es überflüssig ist, weiß ich nicht. Es wirkt nur völlig wie ein Fremdkörper, so, als hätte eine der Figuren ganz nebenher eingeworfen, dass sie ein Alien ist. Vielleicht hätte die Story durch ein weiteres tragendes Handlungselement / einen weiteren Konfliktstoff sogar gewonnen. Hier wäre interessant zu erfahren, ob du ursprünglich einen Subplot rund um diese Tochter entwickelt hattest.

Alles in allem bleibe ich dabei: Solide Geschichte, aus der sich aber bestimmt mehr hätte machen lassen können.

 

Hi Rainer!

Tut mir Leid, dass es ein wenig gedauert hat, rein privat bin ich sehr selten zu Hause, sprich in der Nähe eines Internet- Anschlusses.

Wie geht´s den Kindern, Schatz?

Geht gut, den geliebten, wie den ungeliebten.
Also das könnte ich nicht. Meine Schreibmethode ist völlig anders.

Meine bevorzugte Methode ist das auch nicht, und wenn das Ding vollständig daneben gegangen wäre, hätte ich sie ad acta gelegt. Einfach mal ausprobiert.

Alles in allem bleibe ich dabei: Solide Geschichte, aus der sich aber bestimmt mehr hätte machen lassen können.

Den Eindruck hatte ich nach Fertigstellung in etwa auch. Schön, wenn ich halbwegs richtig gelegen habe.


Hat mich gefreut, mein Bester!

Schöne Grüße von dieser Seite!

 

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