- Beitritt
- 18.08.2002
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Leichte Sprache und Literatur
Dieser Beitrag ist ein kleiner Versuch.
Ich versuche, in Leichter Sprache zu schreiben.
Das große »L« ist Absicht.
»Leichte Sprache« ist nicht als zwei Wörter zu lesen.
Es ist vielmehr ein fest-stehender Begriff.
Ein anderer fest-stehender Begriff ist auch »Rotes Kreuz«.Ich habe darüber nachgedacht.
Als Autor berufe ich mich auf meine künstlerische Freiheit.
Aber schließe ich damit nicht Teile meiner Leser aus?
Ich schreibe oft lange und komplizierte Sätze.
Ich selbst verstehe sie natürlich.
Viele Menschen verstehen sie nicht.
Ist unverstandene Kunst eigentlich immer noch Kunst?Man kann sagen: Es gibt da einen Unterschied.
Versteht der Leser nicht, wovon sie handelt?
Versteht er nicht, warum die Figuren so handeln?
Oder:
Versteht er schon nicht die Wörter?
Wie sie zusammenhängen?Künstlerische Freiheit:
Ist das die Freiheit davon, dass man verständlich schreiben soll?
Ist das die Freiheit von der Verantwortung für andere Menschen?
Verständnis muss sein in einer Gesellschaft.
Verständnis ist ihr Binde-Gewebe.
Auch der menschliche Körper zerfließt ohne sein Binde-Gewebe.
Also ich muss sagen, das ist echt ein Kraftakt, und dabei ist es bestimmt nicht korrekt. Eine Geschichte übrigens erst recht nicht
Ich bin nun nicht der Meinung, dass wir fortan alle unsere Geschichten in Leichter Sprache abfassen sollten, damit uns auch Lesebenachteiligte verstehen können. Nicht nur, dass das auch gar nicht das Ziel dieses Regelwerks ist, die Sprache zu reformieren, sondern einfach allen Menschen, seien sie noch so "dumm oder so", wie man so sagt, die Kommunikation mit z.B. Behörden zu ermöglichen. Wo kämen wir dann hin, d.h. würden wir dann überhaupt noch gegenseitig unsere Werke lesen wollen? Die Beschäftigung mit Leichter Sprache gab mir allerdings zu denken, dass es auch in der Literatur eine Abwägung geben muss zwischen künstlerischer Freiheit und Rücksichtnahme auf den unbekannten Leser. Selbstzensur, die Schere im Kopf, beides ein Gräuel dem geneigten Autor.
Heißt Schreiben Spuren zu legen, die versanden, von Wind und Witterung, von der Ungeduld und der Nachlässigkeit des Lesers verwischt werden dürfen, schlimmstenfalls, ohne dass sie irgendwer entschlüsseln konnte oder wollte? Oder ist Schreiben nicht nur Selbstausdruck, sondern Medium und ist damit auch dem Verständnis von Lesebenachteiligten verpflichtet, denn wir wollen ja auch sie an unseren Ergüssen teilhaben lassen? Was nützt ein noch so künstlerisch gewiefter Text, den niemand liest, von dem jeder wieder wegklickt – außer der Einbildung des Autors, was weiß ich doch wie toll zu sein. Vielleicht wird ja gerade der, der von einem Text inhaltlich am meisten hätte, schlichtweg überfordert. So einschneidende, gar erleuchtende Texte kennt jeder, der viel liest. Ist das dann egal, ist das dann einfach Pech?
Genauso vermessen ist in diesem Licht aber ein Anspruch des anderen Extrems: Es erscheint mir wie geistlos beliebige Selbstbefriedung, was sich so stolz für Avantgarde hält, und das sage ich selbstkritisch auch in Hinblick auf mein letztes Werk, das allerdings nicht öffentlich ist. Okay, »avantgardistisch« daran ist eigentlich nur, wenn überhaupt, dass zum einen ein hypothetisches Deutsch der Zukunft gesprochen und zum anderen über die fiktive Ebene hinaus auf die Leser-Ebene Bezug genommen wird. Ich muss wirklich noch brüten über die Frage, ob es nicht besser ist, diese schwer verdaulichen, aber durchaus inhaltlich relevanten Schmankerl wieder rauszunehmen. Dies hätte zur Folge, dass ich den Text zu größeren Teilen vollkommen umschreiben müsste.
Da hinterfrage ich meine Neigung zu schwierigeren Texten, zu Mehr-Ebenen-Texten, zumal dies nur eine Neigung als Autor ist, weniger als Leser. Mich in einen Leser hinein versetzen, ist da verdammt schwierig. Gut möglich, dass ich mir als Leser "meiner" Texte (also Texte von jemandem, den ich nicht oder kaum kennte) doof vorkäme, gar nichts verstünde, und schließlich schulterzuckend wegklicken würde.
Würden wir auf künstlerische Freiheit mehr geben als nötig, wäre diese Plattform wohl eher einem Korridor in einer Psychiatrie vergleichbar, wo jeder Patient – dem Klischee nach zumindest – vor sich hinbrabbelt und agiert, die anderen kaum oder gar nicht wahrnimmt.
Mich würde interessieren, wie ihr das so haltet mit der Abwägung zwischen künstlerischer Freiheit und Verständlichkeit für andere, die vielleicht nicht so gut lesen wie ihr schreiben könnt. Macht ihr euch darüber überhaupt einen Kopf oder vertraut ihr da auf eure Intuition?