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Lenas Puppe

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22.10.2020
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Lenas Puppe

Lenas Puppe

Heute morgen war Lena als Erste wach. Normalerweise fiel ihr das Aufstehen schwer, aber nicht heute. Noch bevor der Vater das Haus verliess, um ins Fitness-Studio zu gehen, und lange bevor die Mutter die ersten Lebenszeichen von sich gab, hatte Lena sich gewaschen, frische Kleider angezogen und sich die Zähne geputzt. An ihr Frühstücksbrot und die Tasse warme Milch, die sie sich immer ganz alleine zubereitete, dachte sie heute keine Sekunde lang. Viel zu aufgeregt war sie, um in jedem Moment die Klingel an der Tür zu hören. Tante Evelyne wollte mit ihr gemeinsam einen Ausflug machen! Lena sass noch auf dem kalten Marmor-Küchenboden und war damit beschäftigt, ihrer Puppe ein Make-up aufzutragen und ihr die schönsten Kleider anzuziehen, als das Telefon klingelte. Mutter sprach mit lauter Stimme: „Verstehe ich gut. Kein Problem, muss ja nicht gerade heute sein. Nein, ich werde es ihr sagen. Mach dir deswegen bloss keine Sorgen.“ Anschliessend in sanfterem Ton zu Lena: „Das wird leider nichts heute mit Tante Evelyne, sie lässt sich entschuldigen. Es ist ihr etwas ganz Dringendes dazwischengekommen.“ Der Lippenstift entglitt Lenas Händen und malte der Puppe einen dicken, roten Strich über die Wange.
„Nun mach nicht so ein Gesicht. Sie wird es bestimmt nachholen.“ Endlich sah sie, womit sich Lena beschäftigt hatte. „Warum benutzt du schon wieder meinen Lippenstift? Ich habe dir doch schon hundert Mal gesagt, dass diese Dinger nicht in deine Hände gehören! Habe ich dir doch erst kürzlich ein neues Kinderschmink-Set gekauft. Bitte versorg ihn, wo er hingehört.“ Nach kurzem Innehalten: “Du und ich, wir könnten ja vielleicht wieder mal zusammen einkaufen gehen.“

Lena war oft alleine, wenn sie nicht in der Schule war. Ihre Mutter hatte eine wichtige Stelle als Personalverantwortliche, und obwohl sie an zwei Tagen in der Woche von Zuhause aus tätig war, war sie auch in dieser Zeit sehr beschäftigt. Die Firma benötige sie jetzt gerade ganz besonders - solches hörte Lena oft.

Der Vater hatte sehr viel Arbeit mit Computern und war nur selten zuhause. Am Wochenende musste er etwas für seine Gesundheit tun, das verstand Lena gut. Sie wollte ja auch nicht, dass der Papa krank würde von seiner Arbeit.
Lena dachte an Tante Evelyne. Die Ausflüge mit ihr waren für sie immer etwas Besonderes. Einmal besuchten sie zusammen den Zoo, und den ganzen Tag durfte Lena bestimmen, wohin sie gehen und welche Tiere sie als Nächstes sehen wollte. Ein andermal gingen sie in den Park, und Evelyne hatte einen grossen, schwarzen Koffer dabei. Lenas Überraschung war gross, als sie sah, dass dieser voller Spiele war. Und ihre Tante half mit, bis sie sie alle durchgespielt hatten!
„Mama, hilfst du mir mit dem Puzzle, das ich letztes Mal von Tante Evelyne bekommen habe?“ „ Ooch Kleine, du weisst doch, dass ich dafür nicht so viel Geduld habe.“ „Und ein Eile-mit-Weile?“ „Ach, nicht jetzt, ich muss dringend noch was für’s Geschäft erledigen.“
Nach einer Weile: “Mama, wann gehen wir wieder mal zusammen einkaufen?“ „Ich kann es dir beim besten Willen nicht sagen, aber im Moment sieht es gar nicht gut aus. Vielleicht kommt ja der Papa heute Nachmittag mit.“ „Aber Papa kauft doch gar nicht gerne ein.“ „Vielleicht kommt er heute dir zuliebe mit.“ Darauf Lena zögerlich: „Aber ich will ja auch nicht unbedingt.“ „Ach Mädchen, du weisst nicht was du willst. Im Leben ist es äusserst wichtig, dass man weiss was man will. Sonst wird man überfahren.“
Lena senkte den Kopf tiefer als sonst. Reflexartig strich sie der Puppe über das schöne Kleid. Eine Träne fiel der Puppe direkt auf die rot angestrichene Wange und von da auf das weisse Kleid. Lena dachte an Evelyne und an den Ausflug, auf den sie sich so gefreut hatte. Evelyne nannte sie die „kleine Prinzessin“. Und so fühlte sie sich auch, wenn sie mit ihr zusammen war.
Das Telefon klingelte erneut. Lena horchte auf. Ihre rechte Hand hielt inmitten der Streich-Bewegung wie versteinert still, und mit der linken umklammerte sie ihre Puppe ganz fest. Sie lauschte wie gebannt.

„Ah hallo Tina. Weisst du, eigentlich - aber warum auch nicht. So in einer Stunde? Kommst du zu mir? Oder gehen wir einkaufen?“ Sie suchte Lenas Blick. "Lena braucht unbedingt einen neuen Lippenstift für ihre Puppe."
Lena beugte sich über ihre Puppe. Sie streichelte ganz behutsam über ihre Haare. Dann holte sie ein Feuchttuch und wusch ihr den Strich aus dem Gesicht und machte sie schön.

 

Hallo @ematti

und willkommen bei den Wortkriegern, auch wenn dies nicht dein erster Text ist.

Sprachliches:

Bitte versorg ihn, wo er hingehört.“

Aus welcher Region kommst du? Für mich klingt das unnäturlich.

Der Vater war in der Informatikbranche tätig und sehr absorbiert von seiner Arbeit.

Du erzählst die Geschichte aus der Sicht des Mädchens. Der Erzähler, so war bis hierher mein Eindruck, benutzt eine simple Sprache, da er ja aus der Sicht des Mädchens erzählt. In diesem Satz aber ist da für mich ein Bruch. Das Wort absorbieren, aber auch der ganze Satz klingen im Vergleich zum bisherigen Ton des Erzählers so formal, nicht kindgerecht. Und anders als in dem Satz davor zitiert die Tochter hier nicht die Mutter. Mit anderen Worten: ich würde diese Satz strak vereinfachen.

Lena’s Überraschung

Im Englischen wäre es korrekt, im Deutschen aber: Lenas Überraschung
Evelyne nannte sie jeweils „kleine Prinzessin“

Dieses 'jeweils' klingt in meinen Ohren ebenfalls befremdlich. Ich würde 'immer' verwenden.

Das Telefon klingelte erneut. Lena horchte auf. Ihre rechte Hand hielt inmitten der Streich-Bewegung wie versteinert still, und mit der linken umklammerte sie ihre Puppe ganz fest. Sie lauschte wie gebannt.
„Ah hallo Tina. Jetzt gleich? Oh ja, warum auch nicht. Kommst du zu mir?“

Lena beugte sich wieder über ihre Puppe. Sie streichelte ganz behutsam über ihre Haare. Dann holte sie ein Feuchttuch und wusch ihr den roten Strich aus dem Gesicht und machte sie schön.


Bei 'Ah, hallo Tina", fehlt mE das Komma.

Inhaltlich finde ich die Geschichte gut, der Schmerz der kleinen Lena wird deutlich, vielleicht etwas plakativ dargestellt. Als Vater von zwei kleinen Kindern kenne ich das Dilemma gut. Einerseits will man für die Kinder da sein, andrerseits hat man Arbeit, die man auch mit nach Hause nimmt. Und das achtzigste Rollenspiel mit der fünfjährigen Tochter ist eben auch nicht immer das verlockendste Angebot.

Atmosphärisch mochte ich die Geshchichte. Das Thema 'Vernachlässigung' wird schön dargestellt, vor allem die Sicht des Kindes wird eindringlich vermittelt.

LG,

HL

 

Hallo @ematti,

und auch von mir herzlich Willkommen. Mir hat deine Geschichte leider nicht so gut gefallen. Mir hat die Bindung zur Protagonistin gefehlt und die Dialoge der Mutter haben mich nicht überzeugen können. Zudem hatte ich den Eindruck, dass die Chronologie am Anfang nicht richtig gepasst hat. Ich gehe in der Textarbeit darauf ein:

Die ganze Woche hatte sie sich auf das Treffen mit ihrer Tante gefreut, und nun sollte nichts daraus werden.
Ich finde das als ersten Satz nicht gelungen, weil du später die Szene schilderst, dass die Protagonist erst von der Mutter die Neuigkeit bekommt, dass die Tante nicht kommt. Hier:

Anschliessend in sanfterem Ton zu Lena: „Das wird leider nichts heute mit Tante Evelyne, sie lässt sich entschuldigen. Es ist ihr etwas ganz Dringendes dazwischengekommen.“
Das meinte ich am Anfang auch mit Chronologie. Meiner Meinung nach würde es besser passen, wenn du den ersten Satz erst dann schreibst, wenn die Mutter mit der Protagonistin geredet hast.
An deiner Stelle würde ich mit einer Szene einsteigen, wie sie beispielsweise mit ihrer Puppe spielt. Vielleicht kannst du so auch die Bindung zwischen deiner Protagonistin und der Tante deutlicher machen. Die Puppe erinnert sie an sie oder war ein Geschenk?

Der Lippenstift entglitt Lena’s Händen und malte der Puppe einen dicken, roten Strich über die Wange.
Das finde ich eine sehr gelungene und gut geschriebene Stelle. Du zeigst mir als Leser damit die Enttäuschung und Wut der Protagonistin.

Nach kurzem Innehalten:“Wir
Nach einer Weile:“Mamma
Hier muss ein Leerzeichen gesetzt werden vor der wörtlichen Rede.
Und ich denke, es heißt Mama?

Während der Woche war Lena öfters alleine, wenn sie von der Schule heimkehrte. Alleine zu sein war sie gewohnt.
Das ist ziemlich beschreibend und gleichzeitig machst du für so eine kurze Geschichte viele Töpfe auf. Mir würde es besser gefallen, wenn du anhand einer Szene, z.B. mit der Tante, diesen Tatbestand mir als Leser vermittelst. Das müsste meiner Meinung nach subtil und zwischen den Zeilen geschehen. So ist es mir zu direkt.

Ooch Kleine, du weisst doch, dass ich dafür nicht die Geduld habe.“
Die Dialoge haben mich nicht überzeugen können. Die Mutter kommt mir zu berechnend vor und das Ooch am Anfang macht es nicht besser.


Mein Vorschlag wäre, dass du dir eine Szene raussuchst, da tiefer reingehst und mich als Leser so an der Vernachlässigung teilhaben lässt. Insgesamt gibt es einige Stellen, die gut geschrieben sind. Da würde ich ansetzen, die beschreibenden Stellen kürzen und einen stärkeren Fokus auf die Bindung zwischen Protagonistin und mir als Leser legen. Beispielsweise indem du die Vorfreude auf den Besuch der Tante deutlicher zeigst. Hoffe, du kannst damit etwas anfangen.


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @HerrLehrer und @MRG,

ich danke euch für die wertvollen und konkreten Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge. Habe einiges in der von euch vorgeschlagenen Richtung zu ändern versucht.
Was meint ihr zur überarbeiteten Version?

Lieber Gruss
ematti

 

Hallo @ematti,

ich finde die überarbeitete Version deutlich besser. Es liest sich für mich spannender und gerade auch den Anfang finde ich gelungen, weil du mit der alltäglichen Situation anfängst und so meiner Meinung nach eine gute Atmosphäre für den weiteren Verlauf der Geschichte schaffst. Mir sind allerdings vor allem Ausrufezeichen aufgefallen, die würde ich bis auf eine Ausnahme durch Punkte ersetzen. Es liest sich für mich mit Punkten besser, weil es nicht so aufdringlich wirkt.

Heute morgen war Lena als Erste wach!
Hier ist mir das aufgefallen mit dem Ausrufezeichen. Du brauchst das Ausrufezeichen meiner Meinung nach nicht, der Anfang funktioniert schon deutlich besser als in der ersten Version. Vielleicht kannst du den ersten Satz noch ein wenig ausbauen und das Versprechen an die Leser noch etwas erhöhen.

Noch bevor der Vater das Haus verliess, um ins Fitness-Studio zu gehen, und lange bevor die Mutter die ersten Lebenszeichen von sich gab, hatte Lena sich gewaschen, frische Kleider angezogen und sich die Zähne geputzt.
Finde das hier gut gemacht, das baut eine gute alltägliche Atmosphäre auf und der Anruf wird dadurch in seiner Wirkung verstärkt. Für mich hat es gut funktioniert.

Und ihre Tante half mit, bis sie sie alle durchgespielt hatten!
Hier finde ich das Ausrufezeichen angebracht.

Sie lauschte wie gebannt.

„Ah hallo Tina. Oh ja, warum auch nicht. So in einer halben Stunde? Kommst du zu mir?“

Das Ende ist viel besser als vorher. Ich glaube, dass hattest du so nicht in deiner ersten Version, wenn ich mich richtig erinnere. Finde das gut geschrieben.


Insgesamt finde ich deine Überarbeitung gelungen, die Geschichte liest sich für mich besser und ich finde sie auch spannender als vorher. Weiter so!


Beste Grüße
MRG

 

Hallo @ematti, du schilderst die Vernachlässigung eines Wohlstandskindes, deren Elternteile beide berufstätig sind. Da steckt viel drin, vor allem das Dilemma der modernen Arbeitswelt. Life-/Work-Balance. Die Eltern gehen beide arbeiten, um den Lebensstandard halten zu können und glauben, das im Sinne der Familie zu tun. Auf der anderen Seite sind sie dadurch in der Familie abwesend und können so den Kindern die einfachsten immateriellen Wünsche nicht erfüllen. Hinzu kommt ein gewisser Egoismus, denn wenn ich so viel und so lange für andere arbeite, muss ich auch noch was für mich tun dürfen. Oder?
Zweites großes Thema, das da drin steckt: Einsamkeit. Das Schicksal vieler Schlüsselkinder. Lena gibt der Puppe die Zuwendung, die sie selbst bräuchte und jeder Tanten-Tag ist sogleich ein Highlight. Da kommt es auch zu Nachhol-Effekten, da wird die ganze Tasche voller Spiele durchgespielt und stundenlang der Zoo erwandert.
Da ist schon recht viel ablesbar im Text, dennoch würde ich an einigen Punkten weitermachen.
Das Dilemma kannst du differenzierter darstellen. Momentan sind die Eltern etwas platt, weil eindimensional gezeichnet. Sie ziehen halt ihr Ding durch und scheren sich nicht groß um das Kind. Das ist natürlich traurig, weil gemein, aber wenn es dir gelänge, eine Zerrissenheit darzustellen, würde der Text noch andere Facetten erhalten.
Ähnliches gilt für den Tina-Anruf und die Reaktion der Mutter: macht das Problem deutlich, ist auch schön gemein, aber auch ein wenig schablonenhaft. Sie sagt der kleinen Tochter ab, mit der Begründung, ihr fehle die Geduld und kurz darauf verabredet sie sich mit der Freundin? Das als realistisch zu schlucken, gelingt wohl den meisten Lesern nicht. Und deshalb würde ich das auch hier vielschichtiger darstellen, denn schwarz/weiß ist es auch im echten Leben eher selten.
Peace, linktofink

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @MRG und @linktofink

Vielen Dank für eure wertvollen Kommentare! (Ups, sorry, definitiv zu viele Ausrufezeichen. ? Danke für den Hinweis.) Eure Gedanken zum Text erweitern Horizont und Möglichkeiten enorm, wenn ich denn auch die Fähigkeiten besässe.

Der Einwand betreffend der Eindimensionalität der Eltern verstehe ich gut. Habe die letzte Aussage der Mutter noch etwas "zerrissener" geschrieben und den Vater noch etwas mehr in den Hintergrund gerückt.

wenn es dir gelänge, eine Zerrissenheit darzustellen, würde der Text noch andere Facetten erhalten.

Das sehe ich ein, jedoch möchte ich einen kurzen Text mit relativ klarer Aussage. Ich möchte auch nicht zu viel Verständnis für die Eltern aufbringen, sondern den Text klar als Fürsprecher für Lena formulieren, da sie den Zustand am wenigsten beeinflussen kann resp. ihm am meisten ausgeliefert ist. Wenn für die Eltern die Familie die erste Priorität hätte, könnte ein Elternteil vielleicht das Pensum reduzieren oder auf Karriere verzichten, ohne dass die Familie deswegen gerade am Existenzminimum leben würde. Ich möchte, dass wir Eltern uns Gedanken über die Prioritäten in unserem Leben machen. Stimmt, da bringt es wohl wenig, Rabeneltern zu beschreiben, mit denen sich wohl niemand identifizieren wird. Aber vielleicht fühlt man mit Lena und spürt für einen Moment wieder stärker, was ein Kind vor allem braucht.
Ist das so nachvollziehbar?

Lieber Gruss
ematti

 

Hallo @ematti,

ich habe beide Versionen gelesen und sehe nicht unbedingt einen großen Unterschied. Es ist immer noch ein Elternpaar, dem man sich "überlegen" fühlt, denn man selbst macht das besser und dementsprechend ist man zwar auf Lenas Seite, vergleicht sie jedoch nicht mit dem eigenen Kind.

Mit dem Ende könntest du das jedoch recht einfach aufbrechen, denn es fehlt nur wenig um die Brücke zu allen Eltern im Balanceakt zu schlagen.

„Ah hallo Tina. Weisst du, eigentlich - aber warum auch nicht. So in einer Stunde? Kommst du zu mir?“
Könntest du so erweitern:

Sie sah zu Lena. "Oder was hältst du davon einkaufen zu gehen? Lena hat eine neue Lieblingsfarbe für den Lippenstift ihrer Puppe."

Grüße,
Feurig

 

Hallo @feurig ,
vielen Dank für das "Beinahe-Happy-End", für das gelungene Brückenteil. Hab's mal in deine Richtung angepasst. Trotzdem brauche ich irgendwie das tragische Ende, da es ein stärkeres Mitgefühl für Lena entwickeln lässt. Aber Leser, denen es zu schwer wirkt, können das Ende nun vielleicht positiver deuten.
Gruss ematti

 

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