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Letzte Worte

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18.08.2005
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Letzte Worte

„Mr. Miller, es tut mir wirklich sehr leid. Aber ich muß Ihnen mitteilen, daß die Hauptrolle des Prinzen Ferdinand kurzfristig an jemand anderen vergeben worden ist.“
Dave Millers schöne dunkle Augen weiteten sich ungläubig. „An jemand anderen? Was meinen Sie damit? Warum so plötzlich? Und an wen? Sie hatten mir die Rolle doch fest zugesagt! Das können Sie doch nicht machen!“
Regisseur Tony O`Neill blickte verständnisvoll auf seinen degradierten Hauptdarsteller und kraulte etwas verlegen seinen roten Vollbart, der schon von ein paar einzelnen grauen Strähnen durchzogen wurde.
„Nun, ich verstehe Sie ja – aber vorhin tauchte ein guter alter Bekannter von mir hier auf, der sehr beliebte Schauspieler Waldemar van Bruck. Sie müßten ihn doch eigentlich kennen, nicht wahr? Er ist schließlich der Mann von Sylvia, und die scheinen Sie ja recht gut zu kennen. Eine wundervolle Frau!“ Er zwinkerte ihm vertraulich zu und bemerkte flüchtig, daß dieser bei der Erwähnung des Namen Waldemar van Bruck unter seiner Sonnenbräune erblasst war.
Etwas irritiert fuhr er fort: „Nun, er hatte großes Interesse an der Rolle – er sagte, er würde zu gerne mal wieder auf der Bühne des Theaters stehen, wo er vor einigen Jahren seine Frau kennen gelernt hat. Wie Sie wissen, ist unser Theater finanziell gesehen derzeit ein wenig wackelig auf den Beinen – ein Stück mit van Bruck in der Hauptrolle wäre ein absoluter Publikumsmagnet und der Garant für ein ausverkauftes Haus! Als er mir dann auch noch anbot, für eine deutlich geringere Gage zu spielen als üblich, konnte ich sein Angebot einfach nicht ablehnen. Bitte haben Sie Verständnis für meine Entscheidung. Sie werden stattdessen den Part seines Gegenspielers übernehmen - eine zwar etwas kleinere Rolle, die Ihnen aber wie auf den Leib geschnitten sein dürfte.“ Wieder dieses vertrauliche Zwinkern.
Miller hatte sich inzwischen wieder unter Kontrolle. Er richtete seinen durchtrainierten Körper zur vollen Größe von 1,89 m auf und sagte mit undurchdringlichem Gesicht nur:
„Sie sind hier der Boß.“

Sylvia van Bruck stand im Wohnzimmer ihres Luxusappartement und drehte verzückt den Diamantring in ihren schönen schmalen Händen, den Waldemar ihr heute morgen geschenkt hatte. Wie herrlich er funkelte, wenn man ihn gegen das Licht hielt! Sicher hatte er ein Vermögen gekostet. Waldemar hatte wirklich ein Gespür für die Dinge, die ihr gefielen, auch wenn er ansonsten leider kaum Gespür für ihre Gefühle entwickelt hatte. Sie seufzte. Warum konnte er nicht ein bißchen mehr von der Art Verehrung für sie aufbringen, wie Dave Miller sie ihr entgegenbrachte? Aber den perfekten Mann gab es wohl nicht. Allerdings, wenn es nach Erfolg, Ansehen und Vermögen ging, war Waldemar van Bruck der wohl perfekteste Gatte, den eine Frau sich wünschen konnte.
Und beinahe hätte sie diesen Mann verlassen. Verlassen für jemanden, der zwar umwerfend gut aussah und sie vergötterte bis zum Wahnsinn – der ihr aber letztlich sonst nicht viel bieten konnte. Und Waldemar hatte ihr sehr deutlich gesagt, daß er eine so schöne und begehrenswerte Frau wie sie nicht einfach mit einem Blender wie Dave Miller in ihr Unglück ziehen lassen würde. Der wolle doch nur ihre Kontakte für sich ausnutzen und durch sie Karriere machen. Nur deshalb habe er dafür gesorgt, daß er an seiner Stelle die Hauptrolle spielen würde. Es sei nur zu ihrem eigenen Schutz.
Bei dem Gedanken an diese Worte von ihm lächelte sie. Es mußte ihm also doch noch etwas an ihr liegen, trotz all seiner Affären und seiner Art und Weise, sie manchmal zu behandeln wie sein Eigentum. Wie oft hatte sie diese Ehe schon bereut!! Und jede neue Affäre hatte sie in ihrem Gedanken bestärkt, sich von ihm zu trennen!
Doch diese Gedanken waren jetzt weit weg.
Sie warf noch einen Blick auf ihr neues Schmuckstück und verwahrte den Ring dann in einem kleinen Kästchen in ihrer Tasche. Dave mußte ihn nicht gleich zu sehen bekommen. Er wüßte sofort, von wem sie den Schmuck nur bekommen haben konnte, und sie hatte ihm ja schon lange versprochen, keine Geschenke mehr von ihrem „Bald-Ex-Mann“ anzunehmen.
Sie lächelte süffisant. Nein, sie wollte den richtigen Moment abwarten, um ihm ihre geänderte Meinung zu ihrer gemeinsamen Zukunft mitzuteilen.
In diesem Moment hörte sie, wie eine Tür schlug und sich jemand schnellen Schrittes ihrem Appartement näherte. Offenbar hatte Dave bereits erfahren, daß er nicht mehr als Hauptdarsteller vorgesehen war.

Zwei Sekunden später betrat er auch schon den Raum. Sein Gesicht war wutverzerrt, und sein schöner Mund war zu einem Schlitz zusammengepresst. „Er weiß Bescheid. Er weiß über alles Bescheid, und jetzt will er unsere Pläne zerstören. Aber das werde ich verhindern!“
„Liebling, was ist denn los? Du bist ja ganz außer dir!“ Sie spielte ihre Rolle perfekt. Schließlich war auch sie einige Jahre eine recht gute Schauspielerin gewesen, bis sie nach ihrer Heirat versprechen musste, die Schauspielerei aufzugeben.
„Dein Mann. Er hat es geschafft. Sie haben die Hauptrolle ihm statt mir zugesprochen. Dieser Mistkerl hat damit doch nur im Sinn, mich fertig zu machen! Er will mit allen Mitteln verhindern, daß ich in dieser Branche Fuß fassen könnte.“ Er sah Sylvia durchdringend an. „ Schließlich kennt er dich lange genug, um zu wissen, daß Du mit keinem erfolglosen und finanziell weniger gut dastehenden Mann, als er es ist, durchbrennen wirst.“
Sie ging darauf nicht ein und sagte nur: „Ich habe dir diese Rolle besorgt, also könnte ich dir auch andere Rollen besorgen. Wer sagt denn überhaupt, daß er wirklich unsere Pläne kennt? Vielleicht hatte er tatsächlich einfach nur Interesse an der Rolle und es war purer Zufall.“
Mit starrem Blick sah er durch sie hindurch. „Das war kein Zufall, das weißt Du so gut wie ich. Er hat schon an der Schauspielschule versucht, mich fertig zu machen, und jetzt versucht er es wieder. Aber ich schwöre, das wird ihm nicht gelingen.“

„Sieh an, der kleine Möchtegern-Schauspieler. So trifft man sich wieder.“ Waldemar van Bruck lächelte mit kalten stechend blauen Augen auf Miller herab. „Wenn ich gewußt hätte, mit welcher Schauspielgröße ich mich um die Hauptrolle streiten muß, hätte ich mir natürlich keinerlei Chancen ausgerechnet.“ Die Ironie war nicht zu überhören.
Bevor dieser etwas erwidern konnte, erschien auch schon der Regisseur.
„Meine Herren, schön, daß Sie beide so pünktlich zu Ihrer ersten gemeinsamen Probe erschienen sind. Sie kennen sich bereits?“
„Oh, wir sind alte Freude.“ Van Brucks Stimme war so trocken wie Eßpapier. Er strich sich seine fast schulterlangen glatten blonden Haare aus dem Gesicht und sagte: „Wir waren gemeinsam an der Schauspielschule in Berlin, nachdem Mr. Miller zu dem rühmlichen Entschluß gekommen war, sein tristes Dasein als kleiner Techniker an einem Theater zu beenden und lieber selbst auf den Brettern zu stehen. Obwohl seine Karriere auch dort bisher wohl ein wenig zu wünschen übrig läß, wie mir scheint.“
Miller ballte vor Wut die Hände so sehr, daß die Knöchel weiß hervortraten, aber er schwieg beharrlich. Er wußte aus bitterer Erfahrung, daß man van Brucks Sticheleien am besten mit Schweigen begegnen konnte, das brachte ihn noch am ehesten aus dem Konzept.
O`Neill wurde klar, daß er sich auf Konfrontationen einstellen mußte. Seine intelligenten kleinen Augen musterten seinen neuen Hauptdarsteller. „Nun, manchmal klappt so eine Karriere schneller als man denkt. Also, an die Arbeit. Ich nehme an, Sie kennen das Manuskript bereits? Die schwierigste Szene ist die, wo Prinz Ferdinand auf seinem Schloß einen Ball in dem großen Saal gibt. Mitten ins Tanzgemenge wird mit einem Mal der schwere Kronleuchter von der Decke stürzen. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt, aber Ferdinand ist sicher, daß dies ein missglücktes Attentat seines Erzfeindes gegen ihn ist. Diese Szene können wir allerdings erst ganz zum Schluß proben. Wir beginnen daher schon mal mit der Begegnung im Pavillion.“

Der Regisseur schlich nervös die Gänge des Theaters entlang und warf bereits die zweite leere Schachtel Zigaretten in den Mülleimer. Heute war sein großer Tag, der Tag der Premiere seines neuen Stückes. Es war wirklich harte Arbeit gewesen, vor allem mit einem so exzentrischen Schauspieler. Doch am Schluß war er sehr zufrieden gewesen. Jetzt hoffte er nur, daß das Publikum es auch sein würde.
Die Tür des großen Saales öffnete sich, und er erblickte Sylvia van Bruck. Sie lächelte ihrem alten Freund aufmunternd zu und sagte: „Na, bist Du immer noch zu nervös, um Dir die Premiere Deines eigenen Stückes anzusehen? Du hast Dich wirklich nicht verändert.“
Er lächelte zurück und antwortete charmant: „ Nur Du wirst jeden Tag schöner, Sylvia. Der einzige, der das nicht zu bemerken scheint, ist Dein Mann.“
„Oh, wir haben uns wieder ausgesöhnt. Ich verzeihe ihm die kleine Affäre mit Natalie.“
„Auch die etwas größere Affäre mit Julia?“ fragte er in schärferem Ton, als er eigentlich wollte. Doch sie antwortete darauf nicht, sondern verabschiedete sich schnell mit den Worten, sie müsse dringend mal „für kleine Mädchen“, und er könne sich sein Stück ruhig ansehen – es sei wirklich sehr gut. Sinnend sah er ihr nach, während er seine Zigarette zu Ende rauchte. Vielleicht sollte er tatsächlich mal einen kleinen Blick riskieren?
In diesem Moment hörte er aus dem Zuschauerraum das vertraute Krachen des zerberstenden schweren Kronleuchters und einen gellenden Aufschrei des Publikums. Während er sich noch wunderte, daß diese Szene schon an der Reihe sein sollte, vernahm er aus dem Saal vermehrte Rufe nach dem Notarzt. Nichts Gutes ahnend, riß er die große Eingangstür auf:

Das Bild, das sich ihm bot, war grausig.
Offenbar war man erst bei der langen Dialogszene zwischen Prinz Ferdinand und seinem Widersacher angekommen, als der Kronleuchter verfrüht herabgestürzt sein musste!
Der leblose Körper von Waldemar van Bruck, der in dieser Szene genau unter dem Leuchter gestanden hatte, lag zerschmettert unter den Trümmern.

„Mrs. van Bruck, bitte beruhigen Sie sich doch.“
Aber alle Mühen von Hauptkommissar Wetzling waren vergebens. Die Frau des Opfers litt offenbar einen Schock und wurde seit fast zehn Minuten von einem nicht enden wollenden Weinkrampf geschüttelt.
Die Polizei hatte inzwischen herausgefunden, daß der Kronleuchter nicht, wie zunächst angenommen wurde, durch einen schrecklichen Unglücksfall zu früh herabgestürzt war. Die Spurensuche hatte deutliche Anzeichen dafür gefunden, daß an der Mechanik, die den Fall in der nachfolgenden Szene ursprünglich auslösen sollte, offenbar Veränderungen vorgenommen waren. Leider war durch den Aufprall der Kronleuchter beinahe vollständig zerstört worden, so daß keine genaueren Aussagen gemacht werden konnten.
Für Wetzling stand fest: jemand mußte den verfrühten Absturz absichtlich verursacht haben. Jemand, der gewusst hatte, daß van Bruck in diesem Moment unter dem Leuchter stehen würde.
Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte, ergriff der Kommissar wieder das Wort.
„Mrs. van Bruck, ich weiß, daß das jetzt eine sehr schlimme Situation für Sie ist, doch wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Hatte Ihr Mann möglicherweise Feinde, die für diese Tat verantwortlich sein könnten?“
Sie lachte kurz und bitter auf. „Ob er Feinde hatte? Er hatte wohl mehr Feinde als Freunde. In dieser Branche gönnt keiner dem anderen den Erfolg. Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Personen, die über seinen Tod nicht gerade traurig sind.“ Sie nannte einige, hauptsächlich engere Kollegen.
Der Kommissar notierte sich alles.
„Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich muß Sie das fragen. Reine Routinearbeit, Sie verstehen. Wo befanden Sie sich zur Tatzeit?“
„Im Zuschauerraum, wie immer bei einer Premiere meines Mannes.“ Sie war plötzlich sehr blaß geworden und schien kurz davor zu sein, wieder zu weinen. Er beschloß daher, daß es für heute genug sein sollte.
„Danke, Mrs. van Bruck. Versuchen Sie sich ein bißchen zu beruhigen. Wir werden ein andermal wiederkommen.“

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, kam Mr. O`Neill auf ihn zugestürzt.
„Wie geht es Sylvia? Darf ich zu ihr?“
„Nein, Mrs. van Bruck darf im Moment keinen Besuch empfangen.“ antwortete Wetzling abweisend. „Nur Familienangehörige. Und Sie sind…?“
„Ich bin der Regisseur des unglückseligen Stückes, Tony O`Neill.“
„Oh, Mr. O`Neill „ sagte der Kommissar, plötzlich sehr freundlich, „mit Ihnen wollten wir uns sowieso noch unterhalten.“ Er machte eine Kopfbewegung in Richtung des Zimmers, in dem sich Sylvia van Bruck aufhielt.
„Sie kennen die Frau des Opfers?“
„Oh ja. Schon lange bevor sie ihren Mann kennen lernte, war sie Schauspielerin an dem gleichen Theater, wo ich damals arbeitete. Deshalb trifft es mich auch ganz besonders, dass ich es in gewisser Weise mitzuverantworten habe, dass ihr Mann nun tot ist.“
„Haben Sie das?“ fragte der Kommissar erstaunt. „Wieso das?“
„Nun, ursprünglich sollte jemand anders die Hauptrolle des Ferdinand spielen, nämlich Dave Miller.“
„Nun, Mr. O`Neill, da wir inzwischen herausgefunden haben, dass es sich nicht um einen Unglücksfall handelt, sondern um Mord, hatte Ihr Rollentausch wohl keinen Einfluß auf das Schicksal von van Bruck.“
„Mord? Aber das ist ja entsetzlich!“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Wie konnte das geschehen? Hat jemand den Kronleuchter absichtlich zu Fall gebracht?“
„Genau das wird vermutet, nur der genaue Tathergang ist uns noch nicht klar. Hatte van Bruck Feinde? Vielleicht Kollegen, die ihn aus Neid auf seinen Erfolg beseitigen wollten?“
„Nun, auszuschließen ist das sicherlich nicht, da er im Kollegenkreis nicht gerade beliebt war. Zu viele Starallüren, Sie verstehen. Deshalb war die Stimmung auch bei den aktuellen Proben immer sehr angespannt zwischen Van Bruck und Miller. Die beiden kannten sich schon von früher und waren auch damals nicht gerade Freunde. Miller hat es wohl auch deshalb besonders getroffen, dass letztlich van Bruck den Ferdinand spielen sollte. Es wäre in seiner eher schwachen Karriere wohl die erste Hauptrolle gewesen. Ohne die ausdrückliche Empfehlung von Sylvia hätte ich ihm diese Rolle auch nie gegeben!“
„Mrs. van Bruck hat diesen Miller Ihnen also empfohlen? Das ist ja sehr interessant!“ Kommissar Wetzling machte sich Notizen.
„Wenn Sie Mrs. van Bruck so gut kennen, wissen Sie vielleicht etwas mehr über das Privatleben? Führten sie eine glückliche Ehe?“
O`Neills Gesicht war undurchdringlich.
„Über das Privatleben der van Brucks kann ich Ihnen vermutlich auch nicht mehr sagen als das, was eigentlich jeder weiß. Er hatte zahlreiche Affären und hat sich auch nie besondere Mühe gegeben, sie vor seiner Frau zu verheimlichen. Arme Sylvia, sie hat ihn damals vergöttert und für ihn sie sogar ihre Karriere aufgegeben. Aber außer ein Leben im Luxus hat sie nicht viel von ihm zurückbekommen. Aber offenbar war sie damit ganz zufrieden. Geld war für sie schon immer wichtig.“
Wetzling stand auf und reichte dem Regisseur die Hand.
„Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Sie haben uns sehr geholfen.“
Bereits im Gehen fragte er dann noch:
„Ach Mr. O`Neill, nur fürs Protokoll – wo waren Sie zur Tatzeit?“
„Auf dem Flur vor dem großen Saal. Ich kann mir meine eigenen Premieren nicht ansehen. Konnte ich noch nie.“ Er grinste.
„Hat Sie jemand vielleicht dort gesehen?“
„Ja, Mrs. van Bruck. Sie kam aus dem Saal und wollte wohl zur Toilette, kurz bevor es passierte. Ich hörte dann nur noch den Lärm und bin sofort in den Saal gestürzt.“


Am nächsten Tag tauchte die Polizei wieder bei Sylvia van Bruck auf und verhaftete sie wegen Mordes an ihrem Ehemann.
Zu dem Zeitpunkt stand sie offenbar unter starkem Einfluß von Beruhigungsmitteln und war nicht in der Lage, etwas zu ihrer Verteidigung vorzubringen. Doch bei ihr war Dave Miller, der bei den Worten des Kommissars völlig die Fassung verlor. Haßerfüllt starrte er den Kommissar an. „Wie können Sie es wagen, eine so vollkommen haltlose und aus der Luft gegriffenen Behauptung aufzustellen?! Sie sehen doch, daß sie mit den Nerven ohnehin schon völlig am Ende ist!“
„Nun, ganz so haltlos, wie Sie sagen, ist unser Verdacht auch nicht. Wie wir aus einem sehr interessanten Gespräch mit ihrem Regisseur, der ja ein guter Bekannter von Mrs. van Bruck ist, erfahren haben, hatte sie durchaus mehr als ein Motiv.“ Er zählte an den Fingern auf:
„Sie führte ein inhaltsloses Leben, seit van Bruck ihr nach der Heirat die Schauspielerei verboten hatte. Ihr Mann hatte eine Affäre nach der anderen und kümmerte sich nicht um sie. Kinder gab es auch keine. Aber glücklicherweise war da ja noch einen Mann in ihrem Leben – nämlich Sie, Mr. Miller!“
Dave Millers Gesicht war kalkweiß geworden.
„Das beachtliche Erbe hätte für ein schönes Leben mit Ihnen mehr als gereicht - und sie hat kein Alibi für die Tatzeit!!“ Mit scharfem Blick auf die Witwe fuhr er fort:
„Mr. O`Neill hat uns berichtet, dass Sie kurz vor dem Mord den Saal verlassen hatten, Mrs. van Bruck!“
„Sie Lügner!! Das ist eine Verschwörung!“ Dave Miller war völlig außer sich. „Sie hat ihren Mann nicht umgebracht. Ich weiß das genau - weil ICH nämlich derjenige bin, der ihn ermordet hat!!“
Der Kommissar lächelte gönnerhaft. „Natürlich – und wie hätten Sie wohl den Mord verüben wollen, wo Sie doch zur Tatzeit mit auf der Bühne standen? Vielleicht haben Sie beide den Mord zusammen geplant, das wird sich zeigen. Aber seien Sie jetzt nicht dumm und bringen Sie sich nicht durch ein so unsinniges Geständnis in noch größere Schwierigkeiten, als es sowieso schon der Fall ist.“ Er nickte den Polizisten zu. „Abführen!“
Unfähig, noch etwas zu sagen, musste Dave Miller mit ansehen, wie seiner Geliebten die Handschellen angelegt wurden. Doch dann weiteten sich seine Augen. Ungläubig starrte er auf den Diamantring an ihrer Hand. Augen und Mund wurden zu schmalen Schlitzen. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und antwortete: „Sie haben Recht, Herr Kommissar, das war wirklich dumm von mir.“

Tony O`Neill saß an seinem Schreibtisch und las das Manuskript eines neuen Stückes. Doch er war nicht recht bei der Sache. Immer wieder dachte er an die Verhaftung von Sylvia van Bruck. Es hatte ihm einen regelrechten Schock versetzt, als er davon erfahren hatte. Er konnte und wollte einfach nicht glauben, daß sie ihren Mann umgebracht haben sollte. Selbst wenn sie es gewollt hätte, grübelte er vor sich hin, dann hätte sie sicher nicht diese Art des Mordes gewählt. Seiner langjährige Bühnenerfahrung ( in der er schon reichlich Morde inszeniert hatte) nach zu urteilen würden Frauen ihre Männer in aller Regel vergiften oder vielleicht einen Killer anheuern, aber so ein Mord war absolut Frauen - und vor allem Sylvia - untypisch. Nein, sie war es ganz gewiß nicht gewesen. Aber wer dann?
Er schüttelte den Kopf über seine Grübeleien und beschloß, solche Gedanken besser der Polizei zu überlassen. Er sollte lieber sein Manuskript weiter durcharbeiten.
Doch auch in diesem verdammten Manuskript ging es um Mord. Wie sollte man sich so auf seine Arbeit konzentrieren? Resigniert wollte er schon das Skript beiseite legen, als er an die Stelle kam, wo der Mord passierte. Gebannt las er weiter. Plötzlich sprang er auf. „Natürlich, das ist es!“ Wie elektrisiert stürzte er zum Telefon und wählte die Nummer des Kommissars.

„Hören Sie, ich kann ja verstehen, daß Sie gerne an die Unschuld von Ihrer Freundin glauben möchten, aber diese Theorie ist schon etwas gewagt, finden sie nicht?“ Der Kommissar war durchaus noch nicht von der Version überzeugt, die O`Neill ihm gestern abend ziemlich aufgeregt am Telefon erläutert hatte. Auf sein Drängen hin hatte er Dave Miller schließlich nochmals aufs Polizeipräsidium bestellt.
„Und selbst wenn Sie recht haben sollten, wie wollen Sie das beweisen?“
„Es kommt auf einen Versuch an. Überlassen sie alles mir.“ O`Neill war sich seiner Sache offenbar sehr sicher. Resigniert zuckte der Kommissar mit den Achseln und nickte schließlich seinem Kollegen zu. „Rufen Sie Mr. Milller bitte herein.“
Mr. Miller war nicht besonders begeistert, erneut Rede und Antwort stehen zu müssen. Seiner Meinung nach hatte er bereits alles gesagt.
„Nun, eine Kleinigkeit gibt es leider noch zu klären.“ Sein Regisseur lächelte liebenswürdig. „Ich kenne Sylvia schon seit Jahren, und ich glaube man kann sagen, daß wir gute Freunde sind. Ich war auch dabei, als sie damals ihren zukünftigen Mann kennen gelernt hat , und ich muß zugeben, begeistert hat mich ihre Wahl ebenso wenig wie Sie. Sie hätte einen besseren Mann verdient gehabt, aber wie Frauen nun mal so sind – Geld und Erfolg sind manchmal wichtiger als alles andere. Ihr Pech, daß Sie damals nur ein kleiner Techniker waren, nicht wahr?“
Dave Miller stand auf. „Ich glaube nicht, daß ich mir das anhören muß.
„Oh doch, ich glaube, das müssen Sie.“ Der Kommissar nickte O`Neill zu. „Fahren Sie fort.“
„Doch einmal mußten Ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet, wegen denen Sie so oft von Ihrem Rivalen gehänselt worden waren, Ihnen ja mal etwas nützen! So kamen Sie dann auf den genialen Gedanken, van Bruck vor Publikum auf der Bühne zu ermorden – und zwar so, daß Sie im Zweifelsfall nie unter Mordverdacht geraten konnten, weil Sie ja für alle sichtbar zur Tatzeit mit auf der Bühne standen!“
Die hellgrauen Augen des Regisseurs waren fest auf den Verdächtigen geheftet, der langsam sichtlich nervös wurde.
„Sie haben in den Kronleuchter einen Mechanismus eingebaut, der auf den letzten Satz von van Bruck in diesem Akt programmiert war. Sie wußten ja genau, daß er in dieser Szene dort unter dem Kronleuchter stehen würde! Durch die Schlüsselworte löste er selbst den Mechanismus aus, der den Kronleuchter zu Fall brachte. Durch den Aufprall musste der Mechanismus zerstört werden, und alles würde wie ein Unfall aussehen.“
„Das ist eine bösartige Unterstellung! Ich werde Sie verklagen!“
Dave Miller war wütend aufgesprungen, wurde aber von einem Polizisten wieder auf seinen Stuhl gedrückt.
„Allerdings haben Sie nicht damit gerechnet, daß Sie an dem fraglichen Abend jemand gesehen haben könnte, als Sie durch den Seiteneingang in das Theater gingen, um den Kronleuchter zu preparieren.“ fuhr O`Neill unbarmherzig fort. „Aber einer der anderen Schauspieler hatte zu Ihrem Pech seinen Schlüssel in der Umkleide vergessen und musste noch einmal zurückkommen.“
Miller ballte unterm Tisch die Fäuste. „Verdammt.“, entfuhr es ihm leise. Doch der Kommissar hatte es gehört.
„Das Geständnis, das Sie bei Mrs. van Brucks Verhaftung ablegten, war also echt.“, bemerkte der Kommissar. „Und ich Trottel habe gedacht, Sie wollten nur Ihre Geliebte schützen.“
„Nun, in gewisser Weise wollte er das wohl auch.“, antwortete der Regisseur. „Mit der Verhaftung von Sylvia hatte er nicht gerechnet.“
Dave Miller starrte mit leeren Augen aus dem Fenster und sagte mehr zu sich selbst: „Für sie wäre ich tatsächlich ins Gefängnis gegangen. Bis zu dem Moment, als ich den Diamantring bemerkte und mir klar wurde, daß Sylvia sich mit ihrem Mann wieder ausgesöhnt hatte. Dafür sollte sie büßen!“
Mit haßerfülltem Blick wandte er sich dem Regisseur zu. „Alles war so perfekt gewesen. Endlich sollte dieser arrogante Mistkerl zu spüren bekommen, daß ich ihm letztlich doch überlegen war. Und dann kommen ausgerechnet Sie und zerstören mir selbst diesen Triumph!“

„Zwei Dinge müssen sie mir aber nun noch verraten, Mr. O`Neill“. Der Kommissar blickte den Regisseur erwartungsvoll an.
„Warum habe ich nichts von diesem Schauspieler erfahren, der am Abend zuvor im Theater gesehen hat? Das hätten Sie mir sagen müssen!“
„Hätte ich auch – wenn es ihn wirklich gegeben hätte. Es war nur ein Bluff, um Miller aus der Reserve zu locken.“ Der Regisseur grinste, als er den verblüfften Gesichtsausdruck des Kommissars sah. „Und was wäre Ihre zweite Frage?“
Der Kommissar schüttelte anerkennend den Kopf und sagte: „Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, dass er den Mord begangen haben könnte? Und vor allem, wie er ihn tatsächlich ausgeführt hat? Das war geradezu genial!“
Der Regisseur lächelte geschmeichelt. „Eigentlich nur purer Zufall. Ich habe von Anfang an nicht daran geglaubt, daß Sylvia den Mord begangen hat – schon alleine, weil eine Frau eine Mord ganz anders planen würde. Meistens vergiften sie ihre Männer.“ Kommissar Wetzling unterdrückte ein Grinsen. Ganz so einfach war es meistens ja doch nicht.
O`Neill fuhr fort: „Ich hatte zwar Miller in Verdacht, aber ich hatte keine Idee, wie er den Mord ausführen und gleichzeitig dabei auf der Bühne stehen konnte. Ich arbeitete gerade ein Manuskript zu einem Stück durch, das wir vermutlich in der nächsten Saison spielen wollen. Darin wird ein Mord durch Auslösen des Zünders einer Bombe begangen, der auf die letzten Worte seines Opfers programmiert wurde. Es waren die Codeworte, um das Schloß eines Tresors zu öffnen, in dem sich vermeintlich eine große Summe Geldes befinden sollte. Leider wurde das Geld zuvor gegen die Bombe vertauscht. Und plötzlich sah ich unseren Fall ganz klar: Dave Miller hatte ein Motiv, die Gelegenheit und vor allem durch seine berufliche Vergangenheit das nötige Fachwissen.“
Anerkennendes Kopfnicken des Kommissars. „Alle Achtung, an Ihnen ist ein Kriminalist veloren gegangen.“
„Übrigens“ warf O`Neill beiläufig ein, „falls Sie Interesse haben sollten, sich das Stück später einmal anzusehen: es heißt "Letzte Worte“.“

 

Hallo,
hier ist mein erster Krimi-Versuch und damit auch mein erster Beitrag auf kurzgeschichten.de!
Würde mich über Kritik und Anregungen sehr freuen!

Bis bald und schöne Grüße

Sarotti

 

Hallo Sarotti,

eine schöne Geschichte.
Sehr gut geschrieben.
Aber sie funktioniert nicht.

ZITAT
Die Polizei hatte inzwischen herausgefunden, daß der Kronleuchter nicht, wie zunächst angenommen wurde, durch einen schrecklichen Unglücksfall zu früh herabgestürzt war. Die Spurensuche hatte deutliche Anzeichen dafür gefunden, daß an der Mechanik, die den Fall in der nachfolgenden Szene ursprünglich auslösen sollte, offenbar Veränderungen vorgenommen waren. Leider war durch den Aufprall der Kronleuchter beinahe vollständig zerstört worden, so daß keine genaueren Aussagen gemacht werden konnten.
ZITATENDE

Und

ZITAT
„Sie haben in den Kronleuchter einen Mechanismus eingebaut, der auf den letzten Satz von van Bruck in diesem Akt programmiert war. Sie wußten ja genau, daß er in dieser Szene dort unter dem Kronleuchter stehen würde! Durch die Schlüsselworte löste er selbst den Mechanismus aus, der den Kronleuchter zu Fall brachte. Durch den Aufprall musste der Mechanismus zerstört werden, und alles würde wie ein Unfall aussehen.“
ZITATENDE

Das ist ein Widerspruch in sich.

Außer das es auch unsinnig wäre eine Steuerung in ein Teil einzubauen, das andauernd zerstört würde. Jeden Abend einen neuen Kronleuchter mit neuer Elektronik – wer soll denn das bezahlen!

Aber auch wenn die Steuerung vom Kronleuchter aus extern betrieben würde, klappt das mit der Sprachauslösung technisch nicht.

„Miss“ – werden so nicht unverheiratete Frauen angesprochen – also Fräulein auf Deutsch?

Gruß Charly

 

Hallo Charly,
erst mal vielen Dank für Deine Kritik!
Aber so ganz habe ich meinen Denkfehler zugegebener Maßen noch nicht erkannt - wahrscheinlich bin ich einfach schon "betriebsblind" :confused: :
Miller baut eine Zusatzmechanik im Kronleuchter ein und rechnet damit, daß dieses Zusatzteil durch den Aufprall zerstört wird. Die Rechnung geht aber nicht auf, weil die Polizei ja trotzdem noch feststellen kann, daß die ursprüngliche Technik auf jeden Fall verändert worden ist und es somit kein Unfall sein konnte.
Ob das technisch so tatsächlich funktionieren kann, tja, keine Ahnung, aber die Logik in sich stimmt doch???
Allerdings hast Du mit dem Hinweis, daß auf diese Weise wohl jeden Abend ein neuer Kronleuchter benötigt wird, natürlich recht...
Naja, war halt wie gesagt mein erster Krimi-Versuch :)

Gruß Sarotti

 

Hallo Sarotti!
An und für sich war das ja auch gut, was du da geschrieben hast. Also auf keinen Fall entmutigen lassen! Vielleicht fällt dir was anderes ein. Etwas, was vielleicht logischer klingt. Nach dem Schema, dass du angerissen hast.
Aber keine mechanischen Änderungen. Softwaremäßig. In dem Computer vielleicht, der das Ganze steuert.
Zum Beispiel.
Dir wird bestimmt noch was einfallen.
Viel Spaß am Hobby, ich drück dir die Daumen.
Gruß Charly

 

Hallo Sprechblase,
tja Krimis lesen ist einfacher als schreiben :) aber ich werde sicherlich noch einen neuen Versuch starten. Vielleicht werde ich aber vorher erst mal etwas Anderes probieren...habe da schon eine neue Geschichte in Arbeit ;)


Viele Grüße

Sarotti

 

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