- Beitritt
- 12.02.2004
- Beiträge
- 1.260
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Letztendlich: ein schöner Schluss
Der 20-jährige Student der Kunstgeschichte Hans-Peter saß einsam und allein an seinem Tisch. Es war Abend. Langsam aber stetig dünnten sich die Massen aus und wer nicht schon längst betrunken war, würde es später werden. Hans-Peter saß wie auf glühenden Kohlen. Er war ganz traurig vor Kummer. Er hatte nämlich sein Ziel noch nicht erreicht: „Warum wollte mich keine küssen?“, fragte er sich nicht zum letzten Mal und resignierte völlig festgefahren: „Selbst die Computer-Nerds und die Rucksacktouristen amüsieren sich blendend. Dabei bin ich doch viel unterhaltsamer. Gut, ich verlange den Frauen mehr ab, aber das bin ich doch wert. Oder wie?“
Sein Leben hatte so gut begonnen: in einer liebevollen Familie groß geworden, guter Schüler usw. Die Befürchtung, ungeküsst an der Uni seine Mindeststudienzeit abzusitzen, kam gar nicht auf, da er zusammen mit diversen Artgenossen in ein Studentenheim zog, das schon am ersten Wochenende mit einem Fest die satten Wohlstandskinder fröhlich machen wollte. Auch über die große Konkurrenz machte sich Hans-Peter keine Sorgen. Schließlich würden eine Menge Studentinnen kommen, die selbst ein Bedürfnis nach männlicher Gesellschaft haben würden. Die Erasmus-Studenten taten ihm leid. Wer redet schon gern mit einem Fremden, wenn etwas Bier genügte, Mitteleuropäer wie ihn zu befremdlichem Verhalten zu bringen? „Da werden sicherlich einige nach Hause fahren, weil sie ganz alleine herumsitzen müssen!“, sagte er selbstbewusst zu einem Nebenmann. Erst als er drei Stunden später aus einem Lokal in der Innenstadt flog, kamen ihm Zweifel. Durch ein blödes Missgeschick des Türstehers fiel er die Treppe hinunter. „Oh nein, nicht dass man den da unten vergisst!“, spottete jemand in der Warteschlange.
Auch am nächsten Tag hatte er kein Glück. Dabei hatten sich seine Erwartungen so weit verringert, dass ihre Erfüllung in den Bereich des Möglichen rückte: Er wollte nur einmal ausgehen, ohne zusammengeschlagen zu werden oder sturzbetrunken im Rinnstein zu landen. Und er wollte sich einmal richtig sattessen! Zu diesem Zweck ging er auf ein Grillfest, auf dem es ein Feuerwerk geben sollte. Dort brieten herrliche Steaks auf dem Rost. Es roch nach Fleisch und Saft und Feuer! Hans Peter stand in einer langen Schlange von hungrigen Menschen, alle mit Tabletts und Besteck in der Hand. Damit es schneller ging, hängte der Verkäufer, dem der Schweiß den Nacken hinunterrann, die Steaks tief über die glühenden Kohlen.
Eines der Steaks schrie: „Ich bin doch schon fertig. Schön zart und saftig. Nimm mich vom Grill, verfrachte mich in das Brötchen und beschmiere mich mit der Soße. Nun mach schon!“
Hans-Peter war wie vor den Kopf geschlagen. Der Verkäufer hingegen bemerkte nichts Ungewöhnliches. Er entschuldigte sich vielmehr wortreich bei dem Steak und rechtfertigte sein Zögern damit, dass er schon seit zwölf Stunden hier arbeite und sich depressive Steaks einfach schlechter grillen lassen. Etwas später beschimpfte ihn eine Dame mittleren Alters, als er ihr ein verbranntes Steak auf den Teller legte: „Na, Ihr Kohlebrikette dürfen sie ruhig selber essen! Dann schmecken Sie mal den Mist, den Sie hier verkaufen wollen!“
Der Verkäufer nahm es gelassen, gab ihr ein weniger schwarzes Stück und kassierte ungerührt. Noch später, als er schon anfing, den Laden zu schließen, aufräumte und alles dicht machen wollte, begann Hans-Peter in einem heftigen Anfall von Sentimentalität das Steak, das da auf dem Rost vor sich hinkokelte, zu bedauern. Ihm kam es vor, als würde dieses Steak ihn rufen...
Er ging also auf den Verkäufer zu, der gerade Besteck aus einem großen Plastikeimer abtrocknete: „Entschuldigen Sie, haben sie vielleicht noch etwas zu essen?“
„Ja, ein Steak noch, aber das ist leider schon ganz schwarz. Lag einfach zu lange auf dem Grill. Ich wollte es gerade wegwerfen, aber wenn Sie mögen?“
Er behauptete, scharf gebratene Steaks zu lieben, obwohl er die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Verzehr krebserregender Substanzen kannte. In diesem Moment gab er sich sogar der Vorstellung hin, dass scharf gebratene Steaks ihm am besten schmeckten. So trug er den Teller zu einem Tisch, stellte ihn auf die Tischdecke mit Karomuster und begann, mit dem Messer die kohleartige Ruß-Schicht vom Fleisch zu kratzen. Das Steak empfand dabei große Dankbarkeit.
Da fragte eine volltönende weibliche Stimme: „Darf ich mich zu dir setzen?“
Es roch durchdringend nach etwas, das ihm das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Er rieb sich die Augen, schaute genauer hin: Vor ihm stand eine zwei Meter große Bratwurst! „Aber gerne!“, sagte er und deutete auf den freien Platz ihm gegenüber. Als ihre knusprige Haut dann im Schein des Feuerwerks schimmerte, dachte er: eigentlich ein netter Abend!