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Letzter Gruß

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04.01.2002
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Letzter Gruß

Trionas leuchtend roter Mantel wies seine Trägerin als unbequemen Fremdkörper aus. Hoch erhobenen Hauptes stand sie, einer Statue gleich, an der Peripherie der Trauergemeinde, die Augen starr auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet, ihre Aufmerksamkeit unerreichbar für verstohlene Blicke und Getuschel ihres Umfeldes. Ihr meditativer Zustand wurde unvermittelt durch eine Sprechpause des Geistlichen unterbrochen, der zu einem Schweigegebet einlud.

Von der darauf folgenden Ansprache des Kirchendelegierten drangen lediglich Stichworte zu der stillen Teilnehmerin durch. Bilder des wertvollen Mitglieds der Gemeinschaft, des treusorgenden Familienvaters, sowie des uneigennützigen Vereinsmeiers wurden in schneller Abfolge in die Köpfe der Anwesenden projiziert. Es handelte sich dabei um die übliche stereotype Beweihräucherung einer verstorbenen Person, oberflächlich und im Grunde nichtssagend. Triona sondierte die anderen, sortierte sie nach dem Grad ihrer Belanglosigkeit und hielt erstaunt den Atem an: Inmitten des Fußvolkes der hinteren Reihen stach eine schlanke Gestalt aus der Menge heraus. Dieser Mann mit verträumten, hellen Augen, langen, dunklen Haaren und ins weibliche tendierenden Gesichtszügen signalisierte Sanftheit und Geduld.
„Wie Lorian“, sprach Triona zu sich selbst.

Was für eine schöne Zeit sie doch miteinander gehabt hatten, bevor er von ihrer dunklen Seite vertrieben worden war. Er, ganz Künstler, weich in seinem Wesen, in höheren Sphären schwebend, hatte sie, die Fee wie er sie nannte, auf Händen getragen und auf Rosen gebettet.
Ein ritterlicher Held, der tapfer gegen die Dämonen kämpfte, bis er zu müde geworden war und enttäuscht die Waffen streckte. „Es ist doch schon so lange her“, flüsterte er beschwörend. Für sie nicht lange genug. „Warum immer nur im Dunkeln?“, flehte er sie an. Sie brauchte die Dunkelheit, ihre Verbündete, damit er nicht sehen konnte, wie sie sich vor Anstrengung, unverkrampft zu wirken, die Lippen blutig biss. Und auch, um ihre Tränen zu verheimlichen, die strömten, wenn kurz vor dem Moment der ersehnten Erfüllung eine falsche Berührung alles zunichte machte. Ach, hätte sie sich nur einmal fallen lassen können! Einmal schweben, ohne nach kurzem Höhenflug hart aufzuschlagen. Vorbei. Lorian war gegangen und die, die nach ihm kamen, waren ebenso gescheitert.

Geheucheltes, sowie auch echtes Verständnis waren bislang immer auf Grenzen emotionaler Belastbarkeit gestoßen. Geduld und Leidenschaft stehen sich gegenseitig im Weg, wenn es um die angeblich schönste Sache der Welt geht. Leidenschaft macht hemmungslos. Jede Steigerung von Intimität erwies sich als Balanceakt, der sie dem Abgrund näher brachte, ein vorsichtiges Herantasten an Grenzen, die ihr vor langer Zeit aufgezwungen worden waren.

Ihr Blick wanderte zu einem Pärchen, das in inniger Umarmung unter einer Birke stand – Neid auf deren spielerische Unbekümmertheit nagte mit rattenspitzen Zähnen an ihrem Panzer aus Narben. Gegenseitiger Respekt hatte als Grundvoraussetzung harmonischen Zusammenlebens zu gelten und erhob das Individuum über den Status des reinen Objektes hinaus. Wer diese Regel missachtet, läuft Gefahr, die Persönlichkeit eines Menschen auf einige Körperöffnungen zu reduzieren und ihn damit seiner Würde zu berauben. Vernichten ist so einfach. Vertrauen wächst nicht nach, wie versehentlich zu kurz geschnittenes Haar.

Jemanden lieben. Er hatte den Begriff für alle Zeiten entehrt, als er ihn benutzte, während er ihren kleinen Mund mit dem befüllte, was er darunter zu verstehen beliebte. Nur nicht daran denken. Erinnerungsstaub, lange Zeit verborgen in den Katakomben des Vergessens, drohte aufgewirbelt zu werden. Die dürren, strampelnden Beinchen bezwungen von Schraubzwingen-Händen. Nicht nur ihr Widerstand war damals unter seinem Körpergewicht zerbrochen. Schmerz und Todesangst raubten ihr die kindliche Unschuld in jenem Akt der Gewalt, brannten sich in ihre kindliche Seele. Ihr war Tag und Nacht nach Schreien zumute, doch hatten subtile Hinweise auf das Vergiften von Tieren sie zum Schweigen gebracht, ihr die Verantwortung für das Leben des Kaninchens auf die Schultern geladen. War unbeschwertes Kinderlachen so wertlos, dass es dauerhaft zerstört werden musste?

Regen setzte ein, vertrieb die Sterblichen vom Gottesacker. Triona signalisierte Abwehr, um sich nicht rechtfertigen zu müssen, erhielt so die erwünschte Distanz. Sie harrte aus bis sie alleine war, näherte sich der Grube und beugte sich für einen letzten Gruß hinab.
„Fahr zur Hölle - Vater“.

 

@ Woltochinon:
Nee, Du hast recht! Klarer ist der Satz nun auf jeden Fall. Danke nochmals für Deine Hilfe!


@ Cioccolatini:
Freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt.

P. S.: Leckerer Nick! :D


@ Michael:
Vielen Dank für Deine Beurteilung der Geschichte! Ganz besonders freut mich, dass die Verwirrung des Lesers durch die Aufteilung des Textes gelungen ist. Zu leicht wirkt eine solche Staffelung konfus, was eher abschreckend wirkt. Wenn sie jedoch dazu einlädt, ein zweites Mal gelesen zu werden, ist das mehr als ich gehofft hatte.


Ganz lieben Gruß
Antonia

 

Liebe Antonia,

ich habe leider schon lange keine Geschichte mehr von dir kritisiert, aber nun möchte ich mir die Zeit dazu nehmen, es endlich mal wieder zu tun.
Deine Geschichte ist beeindruckend und sie hinterläßt ein starkes Mitgefühl mit der Protagonistin und mit der Ausweglosigkeit der Situation, in der sie sich befindet.
Sie ist lebenslang Gefangene dieser furchtbaren Erlebnisse und wird gleich Narben immer wieder diese Erinnerungen erleben müssen und daran erinnert.

Das kommt in der Kürze deines Textes deutlich zum Vorschein und ich bewundere, dass du es schaffst, mit so wenigen Federstrichen so viel auszusagen. Imponiert mir sehr.
Guter Text. :)

Lieben Gruß
elvira

 

Guten Abend Elvira!

Da ich weiß, wie sehr Du gegen Jahresende immer unter Zeitdruck stehst, freut mich Deine Kritik ganz besonders.

Danke für Dein Lob!


Alles Liebe :kuss:
Antonia

 

Hallo Antonia!
Deine Geschichte hat mich sehr zum Nachdenken gebracht,ich würde sehr gerne mehr von Dir lesen, weiter so, bin schon gespannt auf das was noch kommen mag.

Viele Grüsse Morpheus

 

Herzlich willkommen auf kurzgeschichten.de, Morpheus!

Es freut mich sehr, dass ich Dich mit meiner Geschichte zum Nachdenken anregen konnte, auch wenn das behandelte Thema nicht eben als innovativ anzusehen ist. Danke für Deinen Kommentar!

Wünsche Dir noch viel Vergnügen beim Kennenlernen dieses Forums und noch mehr Spass beim Lesen!


Ciao
Antonia

 

Guten Morgen Antonia

Deine wunderschöne Geschichte geht mir nicht aus dem Kopf. Inzwischen habe ich Sie schon mehrmals gelesen und bemerke immer wieder einige Details über die ich neu nachdenken muss. Da ich auch andere Geschichten die Du geschrieben hast gelesen habe und mir aufgefallen ist, dass Du auch hinter Kleinigkeiten Geheimnisse versteckst, frage ich Dich was Du Dir bei der Namensauswahl deiner Hauptfiguren gedacht hast. Archetyp weiss da schon mehr als ich.

Liebe Grüssle
Morpheus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Morpheus!

Offenbar hat meine Geschichte einen nachhaltigen Eindruck bei Dir hinterlassen, was mich in meinem Bemühen bestärkt, dem Leser Emotionen zu vermitteln.

Was die Namen meiner Hauptfiguren betrifft: Da bediene ich mich gerne bei irischen oder mystischen Gestalten und entwickle dann ein bestimmtes Persönlichkeitsbild dazu. Triona und Lorian z. B. existieren bereits sehr lange in meiner Fantasy, was deren Beschreibung ziemlich erleichtert.
Außerdem wird durch die Verwendung eines solchen Namens vermieden, dass sich jemand aus meinem Bekanntenkreis dargestellt sieht. Gerade bei unschönen Themen, halte ich das für wichtig.


Ciao
Antonia

 

Muss schon sagen, starker Tobak. Solch eine Geschichte habe ich nicht erwartet. Durch und durch ungwöhnlich und doch so, wie viele junge Frauen wohl fühlen. Schade, dass würdige Geschichten ganz automatisch immer nach hinten verschwinden müssen. Du hast viel Lob bekommen, ich kann mich nur anschließen.

So weit ich das überbicke ist dies deine letzte Geschichte, wann dürfen wir uns auf was Neues freuen?

 

Hi Antonia,

eine sehr gut geschriebene Geschichte. Einige Passagen haben bei mir eine Gänsehaut verursacht. Absolut nichts zu meckern. Ich habe den Beitrag noch fristgerecht einem Moderator gemeldet. ;)

Liebe Grüße
Kerstin

 

Hi Antonia,
nachdem ich deine Geschichte gelesen hatte, mußte ich erstmal tief Luft holen, denn das hatte ich wärend des lesens vergessen. Die beste Geschichte, die ich hier bis jetzt gelesen habe. Meine Hochachtung hast du. Die Geschichte, ich möchte fast meinen, Geschichte ist viel zu wenig für diesen tollen Text, ist so dicht erzählt, so einfühlsam und doch kommt die ganze Grausamkeit deutlich rüber. Deine Wortwahl ist so treffend und und und...
Ich könnte immer so weiterschreiben!
Danke für diesen schönen Text, ich will mehr davon!!!
glg
carrie

 

@Schriftbild:
Ungewöhnlich, unerwartet und nachvollziehbar? :bounce:

@Katzano:
Ich bin total sprachlos! Danke! :kuss:

@Carrie:
So viel Lob macht mich verlegen! :shy:

Manche Formulierungen mögen noch verbesserungsbedürftig sein, aber wenn Inhalt und vermittelte Gefühle beim Leser angekommen sind, ist das mehr, als ich erhoffte.


Ganz liebe Grüße
Antonia

 

Es ist nicht zu glauben, Antonia, aber erst durch diese sonderbare Umfrage zu Top 2003 habe ich von deiner wunderbaren Geschichte erfahren – mir ist es unverständlich, dass dich keiner der vielen Lobredner bisher in die Empfehlungsliste Alltag hat eintragen lassen, ich habe dies umgehend nachgeholt, damit neu Hinzugekommenen sehen, welche Perle in den Tiefen der kg.de-Datenbank schlummert.

Besonders beeindruckt hat mich deine ruhige, so gar nicht auf Larmoyanz bauende Erzählweise. Inmitten der Trauergemeinde erscheint deine Protagonistin zunächst kühl, distanziert und provozierend in ihrem roten Mantel, bis man dann erfährt, dass dies alles nur Camouflage ist, um überhaupt am Grabe ihres Vaters stehen zu können. Wie es wirklich um sie steht, wird erst nach und nach sichtbar, der Ort und der Anlass zwingen sie dazu. Und obwohl ihre Situation aussichtslos erscheint, so schimmert in der letzten Szene doch ein wenig Hoffnung durch, dass die Last mit dem Tod von demjenigen, der ihr diese einst aufgeladen, von ihr abfallen wird. Vielleicht.

Dion

 

@ Dion:
Ich danke Dir ganz herzlich für den durch Deinen Vorschlag zustande gekommenen Eintrag meiner Geschichte in die Empfehlungsliste!
Es freut mich sehr, dass Dir die von mir für diesen Text gewählte Sprache gefällt. Die leicht unterkühlte Erzählweise soll einen Kontrast bilden zu der inneren Aufruhr, der die Prot. während ihres Aufenthaltes auf dem Friedhof (Ort der Stille) ausgesetzt ist.

Ob es Hoffnung für die Frau gibt, wird der Gedankenwelt des Lesers überlassen. Immerhin versteckt sie sich nicht (mehr?), sondern signalisiert mit ihrem leuchtend roten Mantel ihr Sein.


@ Maxy:
Das mit der Thematik hast Du sehr nett ausgedrückt! Nachdem es bereits eine Unmenge an Geschichten zu dem Thema gibt, bin ich froh, dass Dich diese Form zufrieden stellt.

Danke für euer Lob!


Liebe Grüße
Antonia

 

Hallo Antonia,

jetzt bin ich auch endlich einmal zu Lesen deiner Geschichte gekommen. Ich muss gestehen, dass ich ihr bisher auf Grund der Thematik etwas ausgewichen bin (was vielleicht gerade bei mir doch etwas unverständlich ist).
Nach so vielen Kritiken kann ich mich dem Lob nur noch anschließen. Die Entscheidung, sich seinem Leid hinzugeben wird leider von Überlebenden sehr oft getroffen, das Überleben ist immer näher als das Leben. Die psychischen Folgen hast du gut getroffen.
Eine Kritik habe trotzdem, eine rein formelle.
In deine Rückblenden bist du leider machmal mit den Zeiten durcheinander gekommmen und aus der vollendeten Vergangenheit wieder in die einfache Vergangenheit gewechselt, zum Beispiel bei diesem Satz.

Ein ritterlicher Held, der tapfer gegen die Dämonen kämpfte, bis er zu müde wurde und enttäuscht die Waffen streckte.
Es gibt aber noch ein paar solcher Stellen.

Das ändert aber nichts an meinem guten Eindruck von deiner Geschichte.
Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Antonia,

Respekt.
Ich hatte zwar schon beim zweiten Absatz den Missbrauch im Kopf, dennoch las ich mit Anspannung weiter. Zwei Passagen von besonderer Bedeutung konnte ich für mich herauslesen.

Und auch, um ihre Tränen zu verheimlichen, die strömten, wenn kurz vor dem Moment der ersehnten Erfüllung eine falsche Berührung alles zunichte machte. Ach, hätte sie sich nur einmal fallen lassen können! Einmal schweben, ohne nach kurzem Höhenflug hart aufzuschlagen.
Vernichten ist so einfach. Vertrauen wächst nicht nach, wie versehentlich zu kurz geschnittenes Haar.

Ich kann als Leser die Einsamkeit und die Bitterkeit deiner Prot gut nachempfinden.
Deine Geschichte ist kein Text für mal eben lesen, weil er mit schweren Emotionen belastet ist, die du treffend beschrieben hast.
LG
Goldene Dame

 

@ Sim:
Dein Zögern, sich eine Geschichte mit diesem Thema "anzutun", kann ich gut nachempfinden. Auch ich habe bereits mehrmals Texte gelesen in der Annahme, ich könne die Distanz zum Inhalt wahren und wurde dann doch wieder an einem Punkt getroffen, der schmerzte. Ein Wort, ein Satz zuviel ...

Das mit dem Zeitenwechsel werde ich gleich überprüfen und ändern.

Danke für Deine Beurteilung, die mir sehr wichtig ist!


@ Goldene Dame:
Auch an Dich meinen herzlichen Dank! Dass Du bereits im zweiten Absatz den Schlüssel zur Auflösung gefunden hast, weist auf eine besondere Sensibilität für die Thematik hin. Es freut mich sehr, die seelischen Wunden des Opfers überzeugend und nachhaltig dargelegt zu haben. Manche Last wird man sicherlich ein Leben lang nicht los.


Ganz lieben Gruß
Antonia

 

Hey Toni!

Ich hatte mir schon lange vorgenommen, deine Geschichte zu lesen und es erst jetzt macht - leider, muss ich dazu sagen.
Sie ist wirklich wunderschön geschrieben und ich persönlich bin, wie so viele vor mir, auch erst gegen Ende hinter alles gekommen. Danach hab ich die Geschichte nochmal gelesen und ich muss sagen - wow, richtig gut! :kuss:

Liebe Grüße
Alisha

 

Hallo Alisha!

Es freut mich sehr, dass Du diese ziemlich traurige Geschichte gelesen und für gut befunden hast! *jubel*

Ganz herzlichen Dank! :kuss:


Lieben Gruß
Toni

 

Hallo Antonia: starker Text!
Kräftige Sätze und ein Schluss mit der Dichte eines zusammengefallenen Sterns.

 

Hallo FlicFlac!

Danke für Deinen Kommentar! Das hast Du wunderschön ausgedrückt!


Lieben Gruß an Dich
Antonia

 

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