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Liebe spielen
Der Zug und ich schleppten uns durch Dörfer, deren Namen an Biermarken erinnerten, der Regen schmiss sich stürmisch vor die Fenster. Vielleicht, weil es in meinen Geschichten immer regnet, wer weiß.
Oder ich hatte es nicht erkannt, dass der Anker schon lange auf dem Meeresgrund kratzte und Halt suchte.
Ich wollte rauchen, im Rauch ersticken. Scheiß Nichtraucherzüge! Deswegen war die Stimmung hier auch so gedrückt. Verdreckte Arbeiter rechts neben mir mümmelten kräftig Salzstangen, ein Mann vor mir nieste sich in die Hand und strich sich danach müde durchs Gesicht.
Anna hatte ihn geworfen, diesen metaphorischen Anker. Ich stand als stolzer Kapitän Pfeife rauchend und arrogant den langsamen Schiffen zuwinkend am Steuer und hatte eigentlich gar keinen Plan davon, wie man einen so großen Kahn in seichtere Gewässer steuert. Auch die Titanic konnte ihr tragisches Schicksal nicht erahnen, lief auf Hochtouren.
In meinem Schoß hatte ich mein kleines Notizbuch, in welches ich einen Text für sie verfasste, dessen Worte, wenn auch nur im entferntesten Sinne, meine Gefühle so wiedergeben sollten, wie es nur ein Kuss tun könnte, der bis aller Zeiten Ende an den Lippen kleben würde; ein literarischer Pfeil Amors, direkt in den mentalen G-Punkt der Angebeteten. Aber auch die schönsten Formulierungen, die sehnsüchtigste Literatur hat nicht die Kraft, den freien Willen zu beeinflussen. Ich kam mir vor, als sei ich nicht einmal mehr der Autor dieser Geschichte.
Höchstens Worte kann ich formen und sie auf eine Reise schicken wie eine Leuchtkugel als letzte Rettung, als letzte Hoffnung auf Hilfe in den kalten Nachthimmel gefeuert; eine Botschaft, durch weite Wüsten geschrien, in unbekannter Sprache.
So bitterschön empfinde ich die Tragödie, wenn ich sie lese, leide mit den Charakteren, die nur Figuren sind und nach einem Willen fühlen.
Die Feder dieser Geschichte schien tintenleer, das
beschlossene Sache. Kein zweiter Teil, keine Fortsetzung wurde angekündigt.
Durch frostige Welt war ich auf dem Weg zu ihr, wollte – oder sollte – meine Sachen, meinen „Kram“ abholen.
Es war schade um die Geschichte und dass sie so enden musste, wie es nur der drastischste Dramaturg in mir hätte erzählen können.
Die Traurigkeit und die Einsamkeit waren auserwählt gewesen, uns zusammengeführt zu haben, damals in der Einleitung, als ich wie ein Trauersack am Bordstein hungerte, den Schnaps schlürfte und du durch das kalte Licht der Straße schwanktest, sich schließlich mein Blick deiner bemächtigte, ein zaghaftes Lächeln, eine Nacht die unsere Vergangenheit und bisherigen Geschichten vergessen machen konnte und die Zukunft unsere Namen singen ließ.
Die Welt neben uns war nur sehr vage beschrieben, wirkte nüchtern gegen unsere Romantik, die nicht viele Worte brauchte, nur pure Hingabe und Verlangen, welches auch heute noch lange nicht verglüht ist. Doch der Geschichte Wurzeln benötigte Boden, den unsere Charaktere nicht verkraften konnten. Es war schließlich kein Märchen! Der große Geschichtenschreiber ist nun einmal Dramaturg! Unsere Story war als groß aufgemachter Roman geplant, mit lebenslangen Kapiteln. Doch wieder einmal ist nur eine harmlose Kurzgeschichte daraus geworden, die schnell vergessen sein wird. Ich wollte, dass du mehr als diese lausige Story, mehr als diese verhunzten Wörter bist, die eine Flasche Wein, die einsame Bahnfahrt und die Sehnsucht aus mir herausquetschten und die nicht wussten, was sie zu erzählen hatten, was sie hätten erzählen können, um das Unabdingbare zu ändern, zurückzuspulen; noch einmal den Augenblick des totalen Glücks genießen, gefangen in einem Blick, als ich auch deine Welt noch hatte verschönern können und mir sicher gewesen war: die Rettung sei nah.
Ich hätte jede Frau dieser Welt mit dir betrogen, denn ich sah dich schon in allen anderen Gesichtern, die vor meiner verschlossenen Welt tanzten und um Einlass baten.
Nur noch etwas Liebe spielen wollte ich, nur noch eine Weile, eine Nacht. Wir hätten spielen können, es wäre nicht vergänglich, obwohl wir es wussten, meine Unglückliche. Wenn du meinen Schwanz streicheltest, brauchte ich nicht trinken, nicht denken, konnte mich in deine Muschi fallen lassen, die ich lecken wollte, bis sie blutete, bis du Wände, Wohnungen, ganze Städte wach geschrieen hättest.
Wir hätten spielen können, wir würden zusammen große, irrsinnige Pläne stricken, als wäre es ewig, endlich ewig, dieses Mal ewig, endlich, bis auf den Tod, einmalig, unzertrennlich. Wir hätten sie allen gezeigt, unsere Blumen berankte Welt, geboren aus Schmerzen, aufgebaute Illusionen, inszeniert durch Lüge.
Und wenn du gewollt hättest, mein Schatz, dann hätten wir es bis zum Ende spielen können, bis wir nicht mehr spielen würden.
So stand ich schließlich unrasiert und angetrunken vor ihrer Tür, die sie aufriss, um sich dann gegen die Wand drücken und würgen und küssen zu lassen, als wollte ich sie mit meiner triefenden Zunge erdolchen, während sie mir meine Klamotten zerfetzte und ihre Finger in meinen erhitzten Körper stach, mich endlich nach unten drückte, dass ich ihre spärliche Verhüllung mit meinen Zähnen packen und hinwegspucken konnte. Und da kamen mir zum ersten Mal die Tränen, als ich ihr in die Schamlippen biss und an ihre Worte denken musste, an „Untragbarkeit“; das Wort, das sie als Grund gebrauchte, um mich aus ihrem Leben zu feuern. Vielleicht werde ich es nie verstehen können, weswegen man die Tragbarkeit des eigenen Lebens über die der Liebe stellen kann, wie man auf so mächtige Gefühle verzichten kann, nur um einen geregelten Alltag und ein vernünftiges Studium haben zu können, wovon ich sie abgehalten haben musste.
Sie hielt inne, räkelte sich nicht mehr lüstern im Türrahmen zu meinen Bissen, da sie meine Tränen ihre feuchten Oberschenkel herunterfließen spürte. Auch ich bemerkte die Tränentropfen, die auf meiner Kopfhaut landeten. Sie zog mich hoch und sah mir in die Augen: „Es tut mir so leid.“
Stille. Der Windzug fegte seine Runde durch die Räume und streichelte über unsere längst nackte Haut und hob die Decke in ihrem Bett hinter der Türschwelle ein wenig. Dann ein Inferno von leidenschaftlichen Zungenverknotungen, dass ich dachte, meine würde jeden Moment abreißen. Sie lag da wie eine Katze, die man in die Ecke getreten hatte; und schon zog sie mich an meinem besten Stück zu sich und ich konnte sie gegen die Wand drücken, würgen, kratzen und schlagen. Auch sie schlug mich und bald blutete meine Nase, während ich das erste Mal tief in sie eindrang und ich mich schließlich vollends vergaß. Ich weiß nicht mehr, ob ich geschrien, gestöhnt oder geheult hatte: Als wäre es die letzte Nacht vor unserer Hinrichtung gewesen.
Ich erwachte und die Matratze war in eine Mischung aus Schweiß, Tränen und Blut getränkt, wir noch ineinander gekeilt und ausgetrocknet, mit Riss – und Bisswunden übersät.
Wie ein verwundeter Soldat im feindlichen Gebiet schlich ich mich humpelnd zur Tür, schnappte mir noch meinen Beutel, den ich bei ihr liegen hatte, und verschwand zurück in die Stadt, ohne ihr gesagt zu haben, wo ich die nächsten Nächte frieren werden.
Es regnet in Strömen; die Brücke und der Pappkarton schützen mich nicht und auch die Schrift dieser Geschichte verwischt mit den Regen – und auch Tränentropfen ins Vergessene.
Ich wette, sie sucht mich schon, hastet durch die Regenfronten und klappert meine Ecken ab, fragt meine Freunde nach mir und sehnt sich nach einer weiteren Nacht. Nach so einer Nacht, nach der sie sich schon sehnte, als sie mich noch gar nicht kannte. Sie verflucht es bestimmt so wie ich, dass wir uns jemals kennen gelernt haben. Sie hatte sich in die Stadt begeben, um sich zu betrinken, wel ihr Freund damals Schluss gemacht hatte. Ich sah sie volltrunken auf der Straße schwanken, schleppte sie unter meine Brücke und versorgte sie mit Wasser, Decken, guten Worten und Küssen.