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Liebe
Liebe ?!
Braune unendlich tiefe Augen, schwarze glänzende Haare die sanft ihre Schultern küssten, ein voller roter Mund und eine zierliche Statur, die sich trotzdem ihre weiblichen Rundungen behalten hatte. Ja, das musste Liebe sein, genau so musste sie aussehen.
Aussehen? Sofort wurde ihm der Fehler in seinem Gedankengang klar, denn war das nicht etwas Äußerliches "Aussehen", etwas Unwichtiges? Einfach nur die Reflektion von Licht auf einer fest vorgegebenen geometrischen Form. In so etwas konnte er sich doch nicht verlieben, in so ein seelenloses Spiegelbild, so eine unbedeutende Gewebeansammlung. Auch unter größter Anstrengung konnte er nämlich nicht mehr erkennen, nicht mehr als diese fleischliche kühle tote Hülle. Keine Gefühle, keinen Charakter, ganz einfach nicht das kleinste Zeichen eines Menschen, oder definierte sich das Menschsein nur über die Form, nur über den Körper.
Doch trotz allem liebte er „Es“, konnte einfach nicht anders, konnte sich der Wärme nicht entziehen, die ihre vor Tränen glänzenden Augen in seinem Innerstem wachriefen. Sollte sie auch nur ein totes Abbild des wahren Kunstwerkes sein, des „Dings an sich“ sozusagen, sie rief Gefühle in ihm wach und wurde sie dadurch nicht eigentlich indirekt zum Leben erweckt? Überhaupt strahlte sie doch mehr Emotionen, mehr Leben aus, als all diese immer gleichen Massen, die ihm andauernd begegneten sobald er sich in der so genannten „Gesellschaft“ aufhielt.
Ihr Gesicht erschien ihm wie ein Gemälde von einem dieser neumodischen pseudorealistischen Künstler. Wahrscheinlich würde es „Das Leiden der Liebenden“ oder so ähnlich heißen. Doch das war unwichtig, da rein der Versuch sie mit dem Produkt einer unbelebten Leinwand zu vergleichen an Frevel grenzte und ihn Gott höchstpersönlich dafür richten sollte. Denn aus ihrer verzerrten Miene und ihrem rot geädertem Hals quoll ihm mehr Kraft, ja mehr Emotion entgegen, als ein Pinsel je zu erschaffen im Stande sein würde.
Noch nie hatte er so ein Gefühl von Geborgenheit während des Aktes gespürt, noch nie zuvor war ihm seine Partnerin so perfekt erschienen und doch würde sie sich in die Reihen der gefrorenen Gesichter einreihen. In die Reihen seiner Geliebten, denn wie konnte er sie auch bevorzugen, wie hätte er sie jemals von der eisernen Regel ausnehmen können.
Sanft zeichnete er die Würgemale mit seinen Fingern nach und lies die letzten Minuten Revue passieren. Er konnte förmlich wieder spüren, wie er tief in sie eingedrungen war, wie ihre Wärme seine Existenz umschlossen hatte. Langsam begann es wieder verlangend in seinen Lenden zu pulsieren, als er sich an das unglaubliche Gefühl ihres Körpers erinnerte. Den scharfen Geruch ihres Schweißes, dem verlangenden Gurren ihres feuerroten Schlundes und dem letzten lustvollen Stöhnen, dass sie unter der Liebkosung ihres Halses durch seine schwieligen Hände ausgestoßen hatte, die Wärme, die sie ihm in ihren letzten Minuten geschenkt hatte, doch jetzt war ihr Körper kalt.
War es denn noch ihr Körper, konnte man diese Fleischzusammenrottung wirklich noch mit diesem wunderbarem Wesen in Verbindung bringen. Plötzlich vernahm er ein lautes Brüllen von der anderen Seite seiner Wohnzimmertür, sein Kopf schnellte automatisch zu der eisenbeschlagenen Holzfläche, die sein Reich vom Rest der Welt abschirmte. Doch jetzt war wieder alles ruhig, alles wie vorher, wie immer. Langsam wandte er sich wieder seiner Geliebten zu, beugte sich vorsichtig über ihren schmächtigen Körper und presste zärtlich seine Lippen an ihre kalte klebrige Stirn. Als er seinen Kopf wieder zurückzog starrte er leicht verwundert auf das rote Muster, dass er hinterlassen hatte. Neugierig führte er seine Zunge über die Lippen und sog dabei gierig den auftauchenden kupfernen Geschmack auf. Plötzlich erklang wieder ein lautes Brüllen, doch bevor er noch im Stande war die Richtung des Geräusches auszumachen explodierte die Tür seiner Wohnung in tausende kleine Stücke und sein Körper wurde von einem wahren Schauer aus Holzsplittern eingehüllt.
Verwirrt schwirrte sein Blick umher, doch anscheinend war nicht nur die Tür dem ominösen Angreifer zum Opfer gefallen sondern auch alle Lampen und so wurde die Wohnung in eine undurchdringliche Mischung aus hin und her schwirrenden Schemen gehüllt. Gerade als sich seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen begannen wurde die Welt völlig auf den Kopf gestellt. Ein riesiger Lichtblitz erfüllte den Raum, als ob der Urknall zum zweiten Mal zugeschlagen hätte um die Welt neu zu erschaffen. Kichernd dachte er noch darüber nach, dass das Ergebnis kaum schlechter werden könne, während Ströme aus Tränen über seine brennenden Augen zu laufen begannen.
Sie schienen ihm förmlich aus den Höhlen geschmolzen zu werden und als er anfing seine Finger abwechselnd gegen seine Lider zu pressen und diese danach wieder schlagartig aufzureißen wurde der Schmerz nur noch unerträglicher. Angestrengt dachte er darüber nach ob er sich Sorgen über das eben geschehene Machen sollte, doch als sein Blick auf die vor ihm liegende Schönheit fiel hatte er bereits wieder vergessen das jemals etwas ungewöhnliches passiert war. Angestrengt versuchte er die immer wieder auseinander laufenden Farbkleckse, die einmal die Form eines weiblichen Körpers gehabt hatten, zusammenzuhalten. Nun begannen wirkliche Tränen der Trauer und des Leids seine Augen zu füllen, da ihm die Möglichkeit in den Sinn kam, dass er sie nicht wieder sehen würde, dass im ihr Anblick von nun an für alle Zeit verwehrt bleiben würde. Energisch riss er seinen Kopf hin und her, um zu kontrollieren ob auch die restliche Welt zu diesem Brei aus Farben zerschmolzen war.
Doch ihn umgab nur eine undefinierbare Suppe, von der sich einige dunkle Schatten abhoben, die hämisch um ihn zu tanzen schienen und dabei eigenartige Stöcke in den Händen hielten. Als er sich nun auf seine Umgebung konzentrierte, war es ihm auch wieder möglich die Klangkulisse seiner Umwelt wahrzunehmen: „Geben sie die Hände langsam nach oben und entfernen sie sich vorsichtig von der Frau“, doch die offensichtlich der menschlichen Sprache zuordenbaren Geräusche ergaben keinen Sinn für ihn. Er konnte das Motiv der Aussage nicht erkennen und um ehrlich zu sein, interessierte es ihn auch nicht sonderlich.
Zärtlich widmete er sich wieder der samtenen Haut seiner Geliebten und liebevoll hob er ihre Hand an seine Lippen um ihr einen letzten Kuss aufzudrücken. Einen Abschiedskuss dessen war er sich sicher, auch wenn ihm nicht klar war warum, da ihm keine offensichtliche Gefahr zu drohen schien. Der überraschende und unerklärliche Verlust seines Augenlichts war zwar ein Rückschlag, würde ihm aber schlussendlich nur dabei helfen sich auf die wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren, die Äußerlichkeiten weiter auszumerzen.
Plötzlich wurde sein Körper brutal hin und her geschüttelt, er verlor jegliche Kontrolle über seine Muskeln und seine Bewegungen erschlafften schlagartig. Dutzende langer heißer Nadeln bohrten sich durch sein ach so verletzliches Fleisch und seine Haut schien schlagartig von einer klebrigen warmen Suppe bedeckt zu sein, die langsam den bereits verkrusteten Schweiß löste. Verwundert spürte er, dass ihm das Atmen immer schwerer fiel und jedes krampfhaftes Konsumieren von Luft, von einem unangenehmen Rasseln begleitet wurde.
Erschöpft sackte sein Körper weg und er schlug mit einem Klatschen auf dem hartem Parkettboden neben der Coach auf. Jetzt war die Szenerie von lauten Rufen „du hast ihn niedergeschossen“ überfüllt und selbst das Hämmern seines Herzen „ihr habt doch auch gefeuert“ pochte lautstark in seinem Schädel. Bevor seine Seele endgültig die Reise in die unbekannten Gefilde „lebt er noch“ antrat, wurde ihm noch klar, dass er wieder einmal Recht „er hat sie aufgeschlitzt“ gehabt hatte, er würde sie „richtiggehend ausgeweidet“ nicht mehr wieder sehen. Hatte er nicht immer Recht …