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Liebeskrank
Er ist der in meinem Leben, dem ich alles verzeihen kann. Mein Baby. Weil ... Anna wälzte sich im Bett herum und seufzte wohlig. Weil ich ihn so vollständig durchschaue und daher für alles Verständnis habe. Weil ich einmal blöd und unvernünftig und blind sein will. Vielleicht braucht jeder im Leben einen Menschen, dem man alles nachsieht, der sich alles erlauben darf. Vielleicht braucht man einen, bei dem das innerste Gefühl grenzenlos wird. Sie lachte über sich selbst, als sie den Widerspruch erkannte. Blind durchschauen, ja, das hast du echt ganz toll hingekriegt! Nein, ich durchschaue ihn nicht, gerade das, was ich nicht sehe, nährt meine Sehnsucht. Ich will ihn gar nicht kennen, er ist mein kleines, braunes Tierchen, immer fremd, immer anziehend. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie angefangen hatte, mit ihren Zehen über das Laken zu schaben; das tat sie immer, wenn sie an etwas Aufregendes dachte.
Anna spannte ihre Zehen an, spreizte sie und ließ wieder locker. Sie sah auf die Uhr an der Zimmerwand: Bald ein Uhr morgens. Sie genoss das Gefühl, dass ihre Beine, die in der Tageshitze noch geschwollen und schwer gewesen waren, nun, durch das lange Räkeln im Bett, wieder kühl und glatt waren. Dann streckte sie schließlich zuerst das rechte und dann das linke Bein in die Höhe, bewunderte noch kurz die gewagten Linien ihrer Waden, stellte dann, etwas exaltiert, beide Füße neben das Bett und erhob sich. Sie tänzelte in die Küche, wo sie angesichts einer Schale goldgelber Marillen Appetit auf deren pürreeartige Süße bekam. Mit ihrem Daumennagel ritzte sie die flaumige Haut, um die Frucht zu teilen. Aus dem Fruchtinneren reckte sich ihr ein Wurm mit schwarzem Köpfchen entgegen. Tief aus der Kindheit und gleichzeitig, sehr handfest, tief aus ihrem Bauch, stieg ein Ekelgefühl auf. Anna warf die Frucht in die Biotonne und schob den Gedanken weg, was der Wurm wohl weiter im Kompost treiben würde.
Sie schnappte sich die Autoschlüssel im Vorraum und ließ die Tür hinter sich zufallen. Sie liebte es, in der Nacht allein mit dem Auto unterwegs zu sein. Als sie an den Nutten am Gürtel vorbeifuhr, kamen sie ihr schön und verführerisch vor. Wenn sie ein Mann wäre, könnte sie jetzt dieser Blondine mit den weißen Lackstiefelchen nicht widerstehen. Die nächtliche Stadt bot eine derartige Fülle an Möglichkeiten, alle gleich verführerisch, alle gleich erzählenswert, alle gleich verborgen. Sie stellte das Auto am Kai ab und ging die paar Stufen zum Lokal hinunter, das am Donaukanal lag. So wie ausgemacht wartete Sandra gleich hinter der Eingangstür. „Du“, sagte Anna, „ich muss noch schnell aufs Klo!“ Sandra verdrehte die Augen. Die Vorstellung, mit ihrer Mutter das Lokal nochmals gemeinsam durchqueren zu müssen, war ihr peinlich, und sie blieb, wo sie war.
Als Anna sich die Hände wusch, streiften sie die langen Haare eines Mädchens, das von hinten neben sie an das andere Waschbecken trat. Eher hatte Anna nur den Lufthauch, den die Bewegung der Haare auslöste, gepürt. Verstohlen sah sie im Spiegel auf die Seite, um das Mädchen zu betrachten. Dichtes, schwarzes, in der Mitte gescheiteltes Haar, ein absolut ebenmäßiges Gesicht, Aprikosenteint. Erstaunt stellte sie fest, dass das Mädchen nicht in den Spiegel sah, während es sich gerade mal die Fingerspitzen benetzte und diese dann an die Schläfen drückte. Sie weiß, wie schön sie ist, sie braucht diese Vergewisserung nicht mehr! Die Bewegungen des Mädchens waren träge und doch präzise. Anna hatte das Bedürfnis, das Mädchen an den Ohren zu packen und diese so fest nach hinten zu ziehen, bis das perfekte Gesicht der Länge nach aufplatzen würde. Und dann würde da schwarzes, nekrotisches Fleisch nach außen quellen. Verwirrt beugte Anna sich über ihre Hände, und als sie wieder hochsah und nach dem Papierhandtuchbehälter schielte, war das Mädchen weg. Im anderen Waschbecken waren ein paar Tropfen dunkel gefärbten Wassers zurückgeblieben.
Irgendetwas zündet Raketen in ihr, die dann mit rasender Geschwindigkeit durch ihre Adern jagen und schließlich unterhalb ihres Nabels explodieren. Ach ja, da steht er ... grinst sie an und kommt auf sie zu: „Bist du böse, dass ich dir auf deine Mail nicht geantwortet habe?“ Eingedenk der Qualen, die sie deswegen ausgestanden hat, bringt sie nur ein verblödetes Lächeln zustande, wie sie meint. Er hat sie in der Tasche, und er weiß es. Schwerer strategischer Fehler, das ist ihr völlig klar, aber sie konnte damals nicht anders, als ihm zu sagen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Wenn sie einen Bart hätte, würde sie jetzt in den hineinnuscheln, so bleibt ihr nur, mit beiden Händen ihre Handtasche zu umklammern, sie hat Angst, dass ihr das Gesicht entgleist, und lässt es einschlafen, indem sie die Wangen einzieht. Denk dran, es ist ihm sicher peinlich, sich mit dir unterhalten zu müssen, vor all seinen Freunden. War blöd von dir, hier hereinzukommen. Er hat es mit dir probiert, einmal muss ja jeder Mann auch eine ältere Frau haben, das war´s. Vergiss das nicht! Oder besser, sei zufrieden mit dem, was du hattest, und vergiss es! Sie hält sich dabei zurück, seine Schönheit mit den Augen aufzusaugen. „Du, ich wollte nur Sandra abholen, sie wartet auf mich beim Eingang ...“, bringt sie gerade noch heraus.
„Okay, mach´s gut!“ Dabei berührt er sacht ihre Schulter. Später, im Auto, wird ihr ganzer Körper dieser Berührung nachjubeln.
Reifere Frauen scheinen auch den Vorteil zu haben, dass sie wissen, was sich gehört. Eine Szene hier wäre ihm peinlich gewesen! Wenn er sie beschreiben sollte, dachte Simon sich jetzt, dann fiel ihm nur ein Wort ein: Angenehm. Sie ist äußerst angenehm. Beim Vögeln hatte er sich gehen lassen können, sie war wie ein prall gefülltes Daunenkissen gewesen, das ihn von jeder Seite eingehüllt hatte, nichts war von ihm gefordert, aber alles war gegeben worden, er hatte sich völlig geborgen und sicher gefühlt. Ja, angenehm, auf eine gelassene Art sehr erregend sogar, aber etwas Besonderes hatte sie nicht zu bieten gehabt.
Als er den Raum wieder betrat, in dem eine Live-Band spielte, hatte er die Begegnung bereits wieder vergessen. Es blieb nur der Gedanke an scharfen Sex über, der ihn jetzt ganz erfüllte. Muss doch was zu finden sein hier. Er ließ seinen Blick schweifen. Vor ihm zuckte ein zierliches Mädchen mit blonden Wuschelhaaren etwas hyperaktiv mit den Hüften. Na ja, den Rhythmus packt sie nicht ganz, aber das mit ihrem Rock hat sie echt drauf. Ihr sehr kurzer Faltenrock gewährte bei jedem Wippen einen Blick mal auf den einen, dann auf den anderen Ansatz ihrer weißen Pobacken.
„Ja, die ist saftig-süß, die würd ich auch gerne zum Stöhnen bringen!“ Simon hatte gar nicht bemerkt, dass ein anderes Mädchen an seine Seite getreten war, das ihn jetzt amüsiert ansah. Er hatte nicht gleich auf das geachtet, was sie gesagt hatte, er rief sich ihre spröde Stimme noch einmal ins Gedächtnis, ob er das Gesagte auch wirklich richtig verstanden hatte. Bei einer Bewegung von ihr spürte er langes, glattes Haar auf seinem rechten Unterarm und augenblicklich breitete sich von dort eine Gänsehaut über seinen ganzen Körper aus. Die Frau neben ihm deutete mit dem Kinn auf die tanzende Kleine: „Die würdest du doch gerne durchziehen, oder?“ Sie lachte. Sie verwendet zuviel Puder. Die Linie ihres Profils wurde scharf durch das Bühnenlicht hervorgehoben, er konnte die feinen, weiß überstäubten Härchen ihres Gesichtes überdeutlich erkennen. Aber auch ihre Haare erschienen ihm völlig glanzlos, rußig. Helle und dunkle Trockenheit.
„Du kannst gerne mitmachen!“ Simon bemühte sich sehr, möglichst cool zu klingen, er wollte seine Erregung nicht zeigen. Er sah es schon vor sich: Die schwarzen glatten Strähnen würden sich dabei durch das gelockte Haar der kleinen Blonden schlängeln. Jetzt wandte sie ihm das erste Mal die Augen zu. Kohlenaugen.
„Wie wär´s mit einer kleinen Show für dich? Ich könnte meine Haare zu einem dicken Zopf flechten, um sie mit ihm zu züchtigen ... Zuerst auf ihre niedlichen weißen Pobacken und dann würde ich die auseinanderziehen und ihr auf das rosige kleine Früchtchen schlagen ... Würde dir das gefallen?“
„Wieso sollte sie da mitmachen?“, gab er mit einem schiefen Lächeln zurück.
„Weil ich es will.“ Bei diesen Worten legte sie ihre schmale, langgliedrige Hand auf seine Brust und er konnte sehen, wie sie sich mit seinem Herzschlag hob und senkte. Er glaubte, ihre fünf Finger einzeln auf seinem Herz zu spüren, so erregt klopfte es dagegen.
„Was hast du denn sonst noch zu bieten?“, fragte er heiser.
„Wozu ich fähig sein kann ... das wirst du mir geben!“ Dann warf sie ihr Haar über ihn und küsste ihn. Ihre Zunge war erfrischend kühl, sie saugte so heftig an ihm, dass er, als sie sich endlich voneinander lösten, einen völlig trockenen Mund hatte. Als ob er zu lange mit offenem Mund geatmet hätte. Sie nahm ihn an der Hand, ihre Wangen färbten sich leicht rosig, sie war wie eine pelzige Frucht in der ersten Reife. Im Freien suchten sie sich einen Platz zwischen den U-Bahnbögen. Alle zehn Minuten schickte die vorbeirasende Bahn weiß-schwarze Balken über ihre entblößte Brust. Er rieb seinen Körper an ihrem, ihre Haut knisterte und einmal meinte er, ein paar Funken wahrzunehmen. Wieder fuhr die Bahn mit einem Kreischen vorbei. Er wollte ihr seine Hand zwischen die Beine legen, aber sie wehrte sie ab und sagte: „Nein, ich will dich gleich ganz!“ Beim letzten Wort brach ihre Stimme, wie ein Ast von einem vertrockneten Baumstamm. Als er seine Eichelspitze an ihrem Loch ansetzte, glitt er nicht einfach hinein, er wurde hineingezogen, sie packte ihn regelrecht. In ihm stieg die Vorstellung hoch, dass ihre Vagina das Innere einer sich vorwärts bewegenden Raupe war, und mit jedem Weiterrollen zog sie ihn weiter in sich. Die Adern in seinem Schwanz fühlten sich an, als ob sie ihm gezogen würden, und er kam sofort. Er verströmte sich ganz. Dann spürte er eine kleine Explosion an der Spitze seines Gliedes und glühende Kälte drang in ihn. Er sank zu Boden und verlor das Bewusstsein so weit, dass in ihm nur ein einziger Gedanke übrig blieb: Er war eine leere, durchscheinende Hülle geworden, eine abgeworfene Schlangenhaut.
Ich fließe, ich lebe, mein Puls, ich bin ein blühendes Tal, ich bin die safttriefende Frucht, ich Prallheit, ich Fülle, aus dem Schwarz kommend, ins Schwarz zurückkehrend, bin ich jetzt das runde Gelb, labend, nimm die Süße aus mir entgegen, überlass dich meinem warmen Fließen, komm zu mir.
Als Anna zu Hause die Tür aufschloss, war die Euphorie über die Begegnung mit ihm bereits wieder verflogen. Sandra hatte sie im Auto die ganze Zeit mit Berichten über den Verlauf des Abends von ihren eigenen Gedanken abgelenkt. Als sie endlich allein war, in ihrem Bett liegend, fasste sie einen Entschluss: Sie stellte sich ihre Sehnsucht nach ihm als kleinen Schatz vor, den sie an einen verborgenen Ort brachte, der von allem Übrigen abgeschlossen sein sollte. Ihr kleines, privates Nationalvermögen, das, was ihr bis ans Lebensende Rückhalt und Stärke geben sollte. Unantastbares Kapital. Nicht mehr vermehrbar, aber auch nicht schwindend. Das ist das Einzige, was dir bleibt, sagte sie sich vor.
Sie erwachte von einem heftigen Läuten an der Tür. Es war schon hell. Schlaftrunken tappte Anna auf nackten Füßen zur Tür, unschlüssig, ob sie öffnen sollte oder nicht. Simon stand vor der Tür, am ganzen Körper zitternd, sein weißes T-Shirt war schwarz-fleckig. „Lass mich bitte rein“, krächzte er. Sie war so überrascht, dass sie fast vergaß, daran zu denken, wie sie jetzt wohl auf ihn wirkte, mit ihrem alten Nachthemd, den zerzausten Haaren und ohne Schminke.
„Ja, klar, ist was passiert?“, fragte sie, da ihr nichts Besseres einfiel.
„Nein, ich wollte einfach nur zu dir!“ Und dabei trat er an sie heran, umarmte sie und drückte sich an ihren Körper. Sie hatte das Gefühl, dass die Wärme und Feuchte ihres Körpers auf ihn überging. Und sie spürte, wie er sich beruhigte.
„Du, ich glaube, ich würde gerne bei dir bleiben. Für immer. Ich weiß ja, dass du das auch willst!“ Jetzt war er fast wieder der Alte, sein Grinsen war halb verlegen und halb siegesgewiss. Er sah sie an wie ein Kind, das ein Geschenk macht, und in Erwartung der Freude, die es bereiten wird, fast platzt.
Da fiel die kleine Sehnsuchtskapsel in ihr von dem kleinen Podest herunter, auf die sie sie gestellt hatte, und setzte eine Kettenreaktion in Gang: Sie fiel zuerst auf Annas Herz und machte es hart, und von dort lief es durch jede einzelne Zelle und versteinerte eine nach der anderen. Sie straffte die Haltung ihres Körpers.
„Nein, ich meine, das geht nicht. Das ist keine gute Idee, wie stellst du dir das vor? Ich ... du, nein ...“ Sie schüttelte den Kopf. Ganz leicht war ihr das von den Lippen gegangen. Dann schob sie ihn zur Tür hinaus, die noch immer offen stand, und schloss sie hinter ihm.