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- 15.07.2004
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Lisa
„Sag’s mir! Was Nettes!“
Sie lacht. „Du weißt es doch.“
„Na und! Komm schon! Sag’s!“
Ich sehe ihren hübschen Mund. Die Grübchen, während sie lächelt.
Ich dränge sie scherzhaft. „Bitte! Ich will, ich muss es hören.“
„Also gut!“ Sie blickt mich sanft an, nimmt meine Hand, streichelt sacht über meine Finger.
„Ich liebe Dich! Jetzt zufrieden?“
Nun lachen wir beide.
„Ich liebe dich!“, sagt sie.
Es war unser Ritual. Lisas und meines. Jeden Tag, seit fast einem Jahr.
Die Sache zwischen uns fängt auf der letzten Jahrgangspartie vor den Sommerferien an. Lisa ist auch da. Sie gefällt mir, ist wirklich süß. Ziemlich hübsch sogar. Aber verliebt bin ich in Janina, ihre Freundin. Seit ungefähr einem Monat. Heimlich natürlich.
Ich habe mir an diesem Abend bei Janina was ausgerechnet, aber sie unterhält sich mit Holger aus der Zwölften. Ununterbrochen. Guckt nicht einmal rüber. Jetzt tanzt sie mit ihm.
Frustriert setze ich mich auf eine leere Bierkiste und schaue ihnen zu.
„Mach dir nichts draus!“ Lisa reicht mir ein Bier.
Hab sie gar nicht kommen sehen. Ich rücke ein wenig zur Seite. Sie setzt sich neben mich.
„So ein Blödmann!“ knurre ich und zeige auf Holger. Ich bin schon ein wenig betrunken.
Lisa blickt mich unschuldig an. „Er ist doch ganz niedlich.“
Holger hält Janina mittlerweile fest umschlungen.
Ich schüttele abfällig den Kopf. „Dabei hat er 'ne Freundin. Arschloch!“
Wir starren wieder auf die Tanzfläche. Holger beginnt, Janina am Ohr zu knabbern. Offenbar gefällt ihr das. Ich nehme einen großen Schluck aus der Flasche.
„Du magst sie richtig gerne“, sagt Lisa plötzlich.
Ich ignoriere sie. Trinke noch etwas.
„Sie wird ihm das Herz brechen.“ meint Lisa gelangweilt. „Sie ist ein Biest.“
Ich ziehe eine verwunderte Grimasse. „Ich dachte, ihr seid Freundinnen.“
Lisa zuckt mit den Schultern. „Sind wir auch. Janina ist witzig. Sie ist clever. Und sie sieht toll aus. Aber es stimmt.“ Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Sie ist ein Biest! Und sie wird ihm das Herz brechen! Glaub’s mir!“
Holger versucht gerade erfolgreich, Janina seine Zunge in den Mund zu stopfen. Glückspilz.
„Du musst es ja wissen.“ Ich trinke mein Bier aus. Mir ist zum Heulen zumute.
Lisa steht auf und nimmt mir die leere Flasche aus der Hand. „Janina zieht weg“, säuselt sie. „Mit ihrer Familie nach Belgien. Schon in zwei Wochen.“ Lisa zwinkert mir zu.
Das sitzt. Ich merke, wie meine Kinnlade hinuntersinkt. Ich muss ziemlich dämlich aussehen.
Lisa grinst breit, schlägt theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. Dann dreht sie sich um und geht.
Janina knutscht immer noch mit Holger. Scheiße. Für mich ist der Abend gelaufen.
In der Nacht stelle ich mir vor, wie es wäre, Janina zu küssen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mir das ausmale. Aber jetzt habe ich nur noch zwei Wochen Zeit herauszufinden, wie es wirklich ist.
Am nächsten Morgen will ich Janina anrufen, bin aber zu feige. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Deshalb versuche ich es bei Lisa. Auf gut Glück. Keine Ahnung, warum ich das mache. Einfach nur so. Die Nummer habe ich aus dem Telefonbuch. Lisa meldet sich. Sie wirkt erfreut.
„Hast du den Schock überwunden?“, neckt sie mich.
Habe ich nicht.
„Ich werde darüber wegkommen“, antworte ich betont ironisch. In Wahrheit bin ich mir gar nicht so sicher, ob mir das wirklich so schnell gelingt.
Lisa kichert. „Du solltest übrigens froh sein, dass es gestern nicht mit Janina geklappt hat. Mit dem Knutschen mein ich.“
„Warum?“
Lisa Kichern wird noch lauter. „Stell dir vor!“, sie gluckst vor Lachen: „Janina hat heute morgen ‘n echt fetten Herpes gekriegt. Na, immer noch neidisch?“
Ich lache mit. Es ist aber kein echtes Lachen. Herpes! Na und? Den Herpes hätte ich in Kauf genommen. Ohne zu zögern. Das wäre es mir Wert gewesen. Auf jeden Fall!
Ich treffe mich mit Lisa noch am selben Tag bei den Fahrradständern vor der Schule. Sonntags ist hier nie was los. Als ich ankomme, ist von Lisa noch nichts zu sehen. Typisch! Ich mache es mir auf einer der Haltevorrichtungen bequem und warte. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich mich mit Lisa verabredet habe. Wahrscheinlich aus Frust.
Sie kommt achtzehn Minuten zu spät. Als Lisa mich sieht, winkt sie mir zu. Sie sieht hübsch aus. Janina ist natürlich hübscher. Klar.
Lisa setzt sich neben mich. „Vergiss sie! Du bekommst sie eh nicht!“ Als ob sie Gedanken lesen kann.
Ich gebe mich cool. „Wer sagt denn, dass ich sie überhaupt will?“ frage ich.
Lisa runzelt die Stirn. „Ich habe dich beobachtet.“ Sie kickt mit den Füßen eine stumpfe Glasscherbe weg. „Ich hätte an Janinas Stelle nicht mit Holger geknutscht.“ Sie berührt mit ihrem Knie mein Bein. „Nicht bei der Auswahl.“
„Ich denk', er ist süß!“ sage ich.
Sie zieht ihr Knie wieder weg. „Er ist ganz okay. Nichts Besonderes.“ Lisa mustert mich kurz. „Ihm fehlt das gewisse Etwas“, erklärt sie dann.
Wir sitzen eine Weile still nebeneinander.
„Das gewisse Etwas hat man oder man hat es nicht“, stellt Lisa schließlich fest.
Richtig, denke ich. Janina hat es.
Lisa zieht ein bedauerndes Gesicht. „Holger hat es nicht.“ Dann lacht sie. „Holger hat jetzt höchstens Herpes.“
Auch ich muss lachen. „Du bist ja eine ganz Schlimme!“, feixe ich.
Lisa rückt näher. Ich spüre ihre Schulter an meiner. Sie bemüht sich, brav zu gucken. „Ich kann manchmal auch nett sein“, sagt sie leise. „Sehr nett sogar.“
Ich bin mir nicht sicher, was ich jetzt sagen soll. Ich versuche es mit: „Das glaube ich nicht.“
Sie tut beleidigt, rückt aber nicht weg. „Doch! Wirklich!“
„Beweis es mir!“ fordere ich.
„Wie denn?“
„Sag was Nettes!“
Lisa wird schlagartig ernst. Für einen Moment glaube ich, etwas falsch gemacht zu haben. Sie blickt mir fest in die Augen. „Was Nettes?“, fragt sie leise.
Ich nicke.
Lisa beißt sich auf die Unterlippe. Dann sag sie: „Ich liebe dich. Hörst du? Ich liebe dich.“
Ich bin überrumpelt. Geschmeichelt. Verlegen. Es ist mir ein bisschen peinlich.
Lisa schaut mich erwartungsvoll an.
Erst nach einigen Augenblicken kapiere ich, dass ich sie nun küssen muss.
Seit diesem Sonntag bin ich mit Lisa zusammen. Es ist eigentlich ganz nett. Sie ist meine erste Freundin. Ich wusste nicht, dass man so schnell ein Paar werden kann. Mal sehen; vielleicht bringt’s ja was.
Vor dem Einschlafen denke ich aber trotzdem noch an Janina.
Einige Tage später treffen wir Janina zufällig bei der Eisdiele. Lisa und ich stehen in der Warteschlange, halten Händchen. Als Janina uns sieht, scheint sie einen Augenblick zu zögern. Dann grüßt sie mich flüchtig. Von Lisa nimmt sie keinerlei Notiz.
„Hat sie was?“, frage ich.
Lisa vollführt eine abwehrende Handbewegung. „Sie ist beleidigt. Sie hat es nicht so gerne, wenn einer ihrer Verehrer abspringt.“
Ich schaue Janina hinterher. „Wieso? Mag sie mich denn?“
Lisa schneidet eine Grimasse. „Sie findet dich ganz süß“, gibt sie zu.
„Wirklich?“ sage ich erfreut. Mein Herz beginnt zu rasen. Sie mag mich!
„Du brauchst dir nichts darauf einzubilden“, sagt Lisa schnippisch. Jetzt ist sie es, die beleidigt ist. „Im Grunde findet Janina jeden Jungen süß, der sich für sie interessiert. Das heißt gar nichts. Außerdem steht sie auf Holger.“
Ich merke, dass Lisa verärgert ist.
„Es stört sie nur, dass ausgerechnet ich dich bekommen habe. Bei jeder anderen wäre ihr das völlig egal. Aber nicht bei mir! Bei mir nicht!“
Ich hoffe, dass sie mit ihrer Vermutung falsch liegt. Hoffe, dass Janina mich nicht nur wegen meiner Beziehung zu Lisa mag. Vielleicht sogar eifersüchtig ist. Lisa dreht sich von mir weg. Ich schaue noch mal in Janinas Richtung. Nichts mehr zu sehen! Ich wende mich wieder Lisa zu, nehme sie in den Arm. Zur Versöhnung. „Schon gut“, sage ich. Mit den Fingerspitzen streiche ich über ihre Wange.
Lisa ist immer noch sauer.
Ich überlege angestrengt, wie ich sie besänftigen kann. Endlich fällt mir was ein: „Schmoll nicht! Sag mir lieber was Nettes.“
Das wirkt. Sie lächelt schwach. Erinnert sich an den Tag beim Fahrradständer. „Du weißt es doch“, murmelt sie. Ihre Stimme klingt schon versöhnlicher.
„Sag es trotzdem!“
Lisa seufzt geschlagen. „Ich liebe dich.“ Sie ergreift wieder meine Hand. Drückt sie. Dann küsst sie mich. Ihr Zorn ist verflogen.
Mein Plan hat funktioniert. „Sag mir was Nettes" – scheint so, als müsste ich mir den Satz merken.
Kurze Zeit später zieht Janina nach Belgien. Lisa behauptet, Holger habe beim Abschied geheult.
Ich liege mit Lisa auf ihrem Bett. Janina ist nun schon seit fast zwei Monaten weg. Ich muss immer noch an sie denken. Meistens nachts. Ich hätte sie wirklich gerne mal geküsst.
Lisa krault mir den Bauch. Wir sind beide nackt. Vor drei Wochen haben wir zum ersten Mal miteinander geschlafen. Seitdem tun wir es fast immer, wenn wir uns sehen. Beinahe jeden Tag.
Ich bin schläfrig. Das werde ich danach meistens .
Lisa kuschelt sich an meine Brust. „Ich liebe dich.“ Sie seufzt zufrieden. „Und ich bin glücklich, dass du mich auch liebst.“
Ich fühle mich ertappt, habe ein schlechtes Gewissen. Ich weiß, dass ich Lisa nicht liebe. Nicht wirklich. Sicher; ich mag sie. Vielleicht bin ich sogar ein bisschen verliebt. Kann schon sein. Aber ich liebe sie nicht. Für mich gibt es da einen großen Unterschied. Außerdem denke ich viel zu oft an Janina. Manchmal glaube ich, dass ich Lisa was sagen müsste. Aber dann lasse ich es doch lieber bleiben.
Ich versuche nur, mir nichts anmerken zu lassen.
Ich übernachte bei Lisa, kann aber nicht einschlafen. In Gedanken küsse ich Janina. Lisa liegt neben mir, atmet gleichmäßig.
Aus irgendeinem Grund fühle ich mich schlecht. Ich stoße sie an, wecke sie. „Sag mir was Nettes!“ fordere ich.
Sie räkelt sich. „Ich liebe dich!“, murmelt sie müde, schläft dann weiter. Mir geht’s besser. Ich höre es gerne, wenn sie das sagt. Manchmal scheint es, als könne ich es jeder Zeit abrufen. Wann immer ich will. Dieses Bekenntnis ihrer Gefühle. Ihrer Gefühle für mich! Nun gut: Ich weiß, dass ich sie nicht liebe. Aber zumindest kann ich mir Lisas Liebe sicher sein.
Wir haben Streit. Den ersten richtigen. Auslöser? Eine Bagatelle eigentlich. Ein Fliegenschiss! Lisa raucht. Ich mag das nicht, will, dass sie damit aufhört. Sie behauptet, ich bevormunde sie. Blödsinn! Wenn ihr was an mir liegt, soll sie darauf verzichten. Ich ertrage es nicht. Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Es macht mich wahnsinnig.
Mir fällt ein, dass Janina auch raucht. Nicht so schlimm. Jeder hat Fehler. Aber Lisa, Lisa ist meine Freundin! Und ich will nicht, dass meine Freundin raucht.
Um vier Uhr ruft Lisa an. Sie klingt traurig. Ich spiele noch eine Weile den Beleidigten, sage ihr, dass es nicht um mich sondern um ihre Gesundheit geht. Rauchen macht Krebs. So was weiß man! Ich mache mir nur Sorgen.
Fast glaube ich es selbst schon.
Lisa bietet mir an, damit aufzuhören. Sie sagt, dass ich Recht habe. Dass sie es eigentlich auch gar nicht brauche. Aber mich, mich brauche sie. Ich spüre tiefe innere Befriedigung, lasse sie aber noch eine Weile zappeln. Zu lange. Lisa fängt an zu weinen. Ist aber kein Problem. Das bekomme ich wieder hin. Gleich frage ich sie, ob sie mir nicht was Nettes zu sagen hat. So wie damals beim Fahrradständer. Alles wird dann wieder gut. Das wirkt. Ich kenne Lisa mittlerweile.
Es wird dann immer alles wieder gut.
Sechsundzwanzigster November. Ich habe Geburtstag. Den siebzehnten. Lisa schenkt mir ein Kuscheltier, eine Ben Folds Five CD und einen mit Herzen beklebten Gutschein für eine besondere Liebesnacht.
Von Janina bekomme ich eine Glückwunschkarte. Und ein Foto. Auf der Rückseite steht: Ich denk' an Dich.
Als ich am Abend Lisas Gutschein einlöse, denke ich an Janina. Es ist das erste Mal, dass ich dergleichen tue, während ich mit Lisa schlafe.
Wir liegen wieder nackt im Bett. Ich fühle die vertraute Schläfrigkeit aufkommen, versuche mich zu entspannen. Es kommt jetzt häufiger vor, dass ich Lisa beim Sex gedanklich mit Janina ... betrüge.
Plötzlich presst sich Lisa ganz dicht an mich. Ich spüre, dass sie zittert. „Sag mir was Nettes!“ bittet sie mich.
Ich werde schlagartig wach, hoffe aber, dass Lisa es nicht bemerkt. „Du weißt es doch“, weiche ich aus.
Lisa schüttelt den Kopf. „Nein!“, sagt sie. „Nein, ich weiß es eben nicht!“
Ich versuche, ihr große Müdigkeit vorzutäuschen. Gähne laut.
„Sag was Nettes!“ drängt sie.
„Du siehst hübsch aus“, wispere ich. „Wirklich wunderhübsch!“
„Nein. Nicht das!“, quengelt Lisa. Sie muss dabei aber lachen. „Du weißt, was ich hören will. Was Nettes!“
Ich antworte nicht mehr.
Ich tue so, als wäre ich in der Zwischenzeit eingeschlafen.
Janina ist wieder da. Übers Wochenende. Zu Besuch bei Holger.
Sie hat mich heute angerufen, gefragt, ob wir nicht mal über alte Zeiten plaudern wollen? Natürlich will ich. Und wie! Um fünf sind wir verabredet. Sie kommt zu mir. Unglaublich! Janina kommt zu mir.
Ich kann es noch gar nicht fassen. Ein Date mit Janina. In zwei Stunden schon.
Allerdings frage ich mich, worüber wir eigentlich plaudern wollen. Im Grunde haben Janina und ich nie etwas miteinander zu tun gehabt. Auch nicht in den alten Zeiten, wie sie es genannt hat. Ehrlich gesagt fällt mir nur wenig ein, worüber es sich zu reden lohnt.
Das Telefon klingelt. Janina! Ich stürze zum Hörer, bevor meine Mutter abnehmen kann. Mein Herz klopft vor Aufregung, als ich mich melde. Janina! Bestimmt sagt sie ab.
Aber es ist nur Lisa.
„Treffen wir uns heute Abend?“ fragt sie.
„Geht nicht! Ich muss lernen.“
Sie klingt enttäuscht. „Schade! Wofür denn?“
„Biologie!“ Es ist das erste, was mir einfällt.
„Ich wusste gar nicht, dass ihr eine Klausur schreibt.“
„Jetzt weißt du es. Tut mir leid. Heute Abend geht nicht. Aber ich melde mich. Spätestens morgen früh!“
Ich halte das Gespräch so kurz wie möglich. Irgendwie tut Lisa mir leid. Aber was soll ich machen? Schließlich kommt Janina!
Janina.
Noch eine halbe Stunde. Ich räume mein Zimmer auf. Lüfte, sauge.
Mache mein Bett.
Es klingelt an der Wohnungstür. Janina ist überraschend pünktlich. Ich stürze die Treppe hinunter, dann durch den Hausflur. Ich öffne. Janina sieht umwerfend aus. Ich wage kaum, sie anzusehen. Sie lächelt, umarmt mich flüchtig. Zur Begrüßung. Wir gehen hoch. In mein Zimmer. Fast automatisch schließe ich die Tür ab.
Janina setzt sich auf mein Bett. „Schön hast du’s hier.“
Ich nicke. Was soll ich auch sonst tun? Janina schaut sich aufmerksam um.
„Weiß Holger, dass du hier bist?“, erkundige ich mich. Janina schmunzelt spöttisch. Ich Esel!
Sie deutet mit der Hand auf den Platz neben sich. „Setz dich!“
Ich zögere.
„Komm schon! Ich beiß nicht.“ Sie zwinkert mir zu. Ich gehorche.
„Wie ... wie gefällt es dir in Belgien?“ Mein Mund ist trocken wie eine Wüste.
Janina zuckt mit den Schultern. „Schon in Ordnung!“ entgegnet sie. „Hier war’s aber besser.“ Sie seufzt.
„Aha!“ sage ich. Nicht gerade schlagfertig. Verdammt!
Janina greift nach dem Teddybären, der auf meinen Kopfkissen thront. Das Geburtstagsgeschenk von Lisa. Der Bär trägt ein T-Shirt. I love you, steht drauf. Eigentlich wollte ich ihn wegräumen, bevor Janina kommt. Hab ich leider vergessen.
„Niedlich!“, sagt sie. Es klingt aber nicht ehrlich. Ich komme mir kindisch vor. Blöder Bär. Hab mich eh nicht drüber gefreut.
Janina spielt mit seinen Beinen, zerrt daran, verknotet sie dann. „Hast du eigentlich mal an mich gedacht, seit ich umgezogen bin?“ Ihre Stimme ist zuckersüß. „Ein kleines bisschen wenigstens?“
Ich schlucke. Mache eine hilflose Geste. „Ja! ... Manchmal schon!“ krächze ich.
Janina spielt die Empörte. „Trotz Lisa?“ fragt sie betont vorwurfsvoll. „Wie unartig! Immerhin ist sie deine Freundin.“
Ich spüre, dass ich einen Frosch im Hals habe. Riesengroß. Ich bekomme kaum noch Luft. „Na ja, es kriselt!“, behaupte ich. „Wahrscheinlich ist es sowieso bald vorbei.“
Janina zieht ein kummervolles Gesicht. „Schade! Ihr seid so ein schönes Paar. Ich hab mich damals wirklich für euch gefreut.“ Sie macht eine kurze Pause. „Obwohl...“ Sie unterbricht ihren Satz. Seufzt wieder.
Obwohl was? Sprich weiter! Sag es schon!
Janina spielt mit einer ihrer Locken.
„Ich musste oft an dich denken“, gesteht sie dann. Sie blickt auf ihre Schuhe. „Ich hatte den Eindruck, dass du mich früher auch ganz gerne mochtest. Schade, dass du nie was gesagt hast.“ Sie schaut auf, mir direkt ins Gesicht. „Jetzt ist es natürlich zu spät.“
Ich versuche mühsam, ein Husten zu unterdrücken. „Zu spät?“, hauche ich.
Janinas Mundwinkel zucken kurz. „Lisa!“ sagt sie nur.
Nein! Ich habe nicht den Eindruck, dass es zu spät ist. Wofür auch immer. Der Zeitpunkt ist genau richtig. Hundertprozentig. Ich traue mich aber nicht, Janina das zu sagen.
Sie räkelt sich. Ihr T-Shirt rutscht dabei ein wenig nach oben. Ich kann ein Stück von Janinas nacktem Bauch sehen.
Vergiss Lisa! Es ist nicht zu spät. Bestimmt nicht.
Ich springe auf. „Willst du was trinken?“ Dann renne ich aus dem Zimmer, um Cola zu holen. Beinahe hätte ich die Tür eingerannt. Ich habe ganz vergessen, dass abgeschlossen ist.
Als ich wiederkomme, liegt Janina in meinem Bett. Zugedeckt. Nur ihr Kopf ist zu sehen.
Über meinen Schreibtischstuhl liegt ihre Jeanshose. Ihr T-Shirt. Auch der BH.
Meine Hände zittern. Ich verschütte Cola auf den Teppich. Egal! Wen schert ’s? Ich stelle die Gläser ab und setzte mich aufs Bett. Ans Fußende. Janina richtet sich auf, umfasst mein Handgelenk. Ich kann jetzt ihre Brüste sehen. Wahnsinn! Ich hab oft davon geträumt. Janina beugt sich zu mir. Küsst mich.
Dann zieht sie mich zu sich unter die Decke.
Es passiert! Ja, endlich passiert es wirklich.
Schon vier Minuten später ist alles vorbei.
Es war ... es war nett. In meinen Träumen war es immer großartig. Phantastisch! Nicht so schnell.
Ich atme schwer. Blicke rüber zu Janina. Sie schaut an die Zimmerdecke. Grinst. Ich schließe die Augen, will nichts mehr sehen. Nichts mehr hören. Ein Rauschen im Kopf - das war’s auch schon. Belanglose, nichts sagende, nette vier Minuten.
Ich glaube, ich habe große Scheiße gebaut.
Janina zieht sich an. Sie hat es jetzt eilig, weil sie noch mit Holger ins Kino will. Mir soll’s recht sein. Ich glaube nicht, dass ich Janina noch länger ertrage.
Ich fasse es immer noch nicht. Könnte vor Enttäuschung heulen. Mit Lisa ist es schöner. Viel, viel schöner! Wie konnte ich jemals daran zweifeln, mir was anderes wünschen? Lisa. Scheiße. Lisa!
Ich bringe Janina noch zur Tür. Mir fällt auf, dass sie nach Rauch riecht.
„War doch ganz gut!“, sagt sie. Keine Ahnung, ob sie es ernst meint. Sie spricht darüber wie über einen Film. Wie über etwas, dass wir uns gerade zusammen im Fernsehen angeguckt haben. Wenn es doch nur so wäre!
Ich schaue Janina an. Sie hat einen Pickel am Kinn. Am Hals ist noch einer. Bisher ist mir so etwas nie bei ihr aufgefallen. Plötzlich denke ich an Herpes. Aber ihre Lippen scheinen in Ordnung zu sein. Keine Bläschen oder so.
Ich mustere Janina genauer. Sicher; sie ist hübsch. Aber nicht mehr! Das gewisse Etwas fehlt. Warum bloß bemerke ich das erst jetzt? Ich muss an den Tag mit Lisa beim Fahrradständer denken. Mein Gott, war ich blind.
Bevor Janina gehen kann, halte ich sie fest. „Bitte! Bitte erzähl Lisa nichts davon.“
Ich weiß, wie erbärmlich das ist. Aber es kümmert mich nicht.
Janinas Gesicht bleibt ausdruckslos. „Lisa ist meine Freundin“, entgegnet sie. Was immer das heißen soll ... Sie befreit sich aus meinen Griff, geht grußlos.
Ich sehe Janina nach. Hoffe, dass sie dichthält.
Lisa hat sich schon zwei Tage nicht gemeldet. Eigentlich ist das nicht ihre Art. Ich habe mich nicht getraut, bei ihr anzurufen. Schlechtes Gewissen. Angst. Schließlich halte ich es nicht mehr aus! Ich greife den Hörer. Wähle ihre Nummer. Besetzt. Scheiße!
Ich lege auf, warte fünf Minuten, nervös, beinahe panisch. Dann versuche ich es wieder. Diesmal komme ich durch. Lisas Mutter meldet sich. Sie klingt reserviert. Sagt, dass Lisa mich nicht sprechen will. Ich lege auf.
Janina hat es ihr erzählt. Lisa weiß es. Sie weiß es ganz bestimmt.
Gleich nach dem Telefonat laufe ich los. Zu Lisa. Ich verstecke mich hinter der Gartenhecke, weil ich abwarten will, ob Lisa allein ist. Ich warte ungefähr eine halbe Stunde. Dann habe ich Glück: Lisas Eltern setzten sich ins Auto und fahren weg. Wahrscheinlich an die Elbe zum Spazieren. Das tun sie oft. Lisa ist nicht bei ihnen.
Ich bleibe noch einige Minuten in meinem Versteck. Endlich fasse ich Mut und gehe zur Haustür. Klingle zweimal. Ich muss retten, was zu retten ist!
Es dauert ewig, bis Lisa endlich öffnet. Sie ist blass. Verheult. Als sie mich sieht, versteift sich ihre Körperhaltung.
„Was willst du?“ Es klingt unfreundlich. Abweisend.
Ich zögere unsicher. „Mit dir reden“, sage ich dann.
Lisa verzieht das Gesicht. „Ich wüsste nicht worüber.“ Dann fängt sie an zu weinen. „Biologie!“, schreit sie. „Du Arschloch!“
Ich verspüre den Drang, sie in den Arm zu nehmen, mache es aber natürlich nicht. Wie auch? „Es tut mir leid!“ Es ist vielleicht das erste Mal, dass ich zu ihr bei einer wichtigen Sache ehrlich bin.
„Ausgerechnet mit ihr!“ Lisa schüttelt den Kopf. „Musste es den ausgerechnet Janina sein!“ Sie heult wie ein Schlosshund. „Ausgerechnet sie!“
„Ich liebe dich!“ murmele ich. Ich denke, dass es die Wahrheit ist.
„Erzähl mir nichts!“, schluchzt Lisa. „Ich glaub dir kein Wort.“ Ihr Gesicht spricht Bände.
Ich werde panisch. Es ist so schwer, so unvorstellbar. Ich verliere sie. Ich merke, dass ich sie unwiderruflich verlieren werde.
Ich nutze meine letzte Chance. Den Joker.
„Sag mir was Nettes. Bitte!“
Auch ich heule.
Lisa blickt mich ungläubig an. Einen Moment lang sieht es so aus, als wolle sie mir eine runterhauen.
„Bitte! Was Nettes!“ wiederhole ich.
Lisa sagt nichts, schließt einfach nur die Tür. Lässt mich draußen stehen.
„Sag mir was Nettes!“, brülle ich. Ich weiß, dass sie noch hinter der Tür steht. Ich kann ihr Schluchzen hören. Ich will, dass sie sich an den Tag beim Fahrradständer erinnert.
Das Schluchzen entfernt sich.
Nein! Nicht gehen! Bitte, nicht gehen!
„Lisa! Sag mir was Nettes!“
Ich weiß, dass sie mich hört, dass sie sich erinnert.
„Was Nettes!“
Es wird schon gut gehen. Ich kenne Lisa doch. Ich weiß, dass alles gut wird. Es muss einfach! Ich kann ihre Gefühle abrufen. Sie manipulieren. Es geht bestimmt gut aus. Ich glaube fest daran.
„Sag mir was Nettes!“
Lisa! Bitte!
Es ist doch immer alles wieder gut gegangen.