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Lisa
Genüsslich biss Lisa in die rote Erdbeere, lächelte still in sich hinein, während im Hintergrund instrumentale Musik, Geige, spielte.
Die weißen Rosen hatte sie in die blaue Porzellannvase ihrer Großmutter gestellt, die, mit den altmodisch verzierten Blumen auf dem Vasenbauch und dem kleinen Sprung am Rande.
Lisa mochte so etwas. Unperfekte, altmodische Vasen.
Der laue Abendwind bauschte die Gardinen, die feinen Spitzen wölbten und senkten sich im Fenster.
Lisa saß an ihrer Kommode und aß Erdbeeren, lächelte und dachte an Kojak. Kojak, der Matrose aus Russland.
Ihre blauen Augen blitzten amüsiert bei dem Gedanken daran, dass er so dem Klischee entsprach. Ein Mädchen mit kirschroten Lippen und einem roten Kleid küsst den Matrosen aus Russland.
Ohja, das war gut, überlegte Lisa. Sogar sehr gut. Sie öffnete langsam die Schublade, um den Moment gebührend auszukosten, und suchte nach ihrer Liste.
,,Hey Baby." Der braun gebrannte Mann mit dem schwarzen Haar, das von silbernen Strähnen durchwoben war, lachte laut und umarmte Lisa stürmisch. Auch Lisa lachte ungehalten. ,,Kojak!"
Sie verharrten für ein paar Sekunden in ihrer Umarmung, dann löste Lisa sich von ihm, zupfte ihre Haare zurecht und versteckte ihr Empfinden wieder hinter ihrem verkniffenen, roten Mund. Er lächelte verschmitzt: ,,Wo sollen wir essen?" Sie hatten sich lange nicht gesehen, drei Monate war er wieder auf See gewesen. Er war ihre Steifheit gewöhnt, ihre lauen Emotionen und ihren recht eintönigen Verstand. Aber er liebte sie. Er liebte diese permanent roten Lippen, liebte die Schärfe ihrer Gedanken, liebte alles an ihr. Und sie liebte ihn. Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter, wie er so vor sich hin träumte. ,,Sag was, Prinzessin. Ich verhungere sonst!" Endlich löste sie ihre Starre: ,,Lass uns ins white castle gehen."
Lisa hatte ihren Kopf auf ihre Handfläche gestützt und starrte gedankenverloren auf ein Gemälde. Es zeigte eine schwarze Katze mit gelben, hexenartigen Augen auf einem orangefarbenen Kissen. Sie kannte den Maler nicht, da sie das Bild für lau auf dem Flohmarkt erstanden hatte.
Aber sie liebte diese Katze. Sie hatte etwas magisches. Manchmal, wenn sie nachts schlaflos in ihrem Bett lag, stellte sie sich vor, wie es wäre, diese Katze zu sein und durch nasse Straßen zu streunen. Ein Klingeln riss sie unsanft aus ihrem Tagtraum. Genervt hob sie den Hörer ab. ,,Lisa Melanquez hier. Was kann ich für Sie tun?" ,,Frau Melanquez, wie schön, dass Sie wohlauf sind." Die Stimme klang rauchig und sprach mit einem amerikanischen Akzent. ,,Herr Rodgers, Sie wissen, dass ich den berühmten, amerikanischen Smalltalk nicht leiden kann. Also, was wollen Sie?" Ja, sie war genervt. Wie sie es hasste, beim Erstellen ihrer Liste gestört zu werden! Es war zu einer Art heiliges Ritual für sie geworden, nach jedem Auftrag die Liste zu erweitern. ,,Na schön." Resignierte ihr Gesprächspartner. ,,Ich hätte da ein Angebot für Sie. Interesse?"
Kojak griff über den Tisch hinweg nach Lisas Hand. Es war eine zierliche, schlanke Hand mit blasser, beinahe transparenter Haut. Er strich sanft mit seinem Daumen über die feinen blauen Äderchen, während er sprach. ,,Wie ist es dir ergangen?" Lisa nippte an ihrem Rotwein, wobei ihr Lippenstift einen roten Rand hinterließ. ,,Wie schon?" Lächelte sie. ,,Schlecht. Ohne dich." Es war so ermüdend, diese Sätze zu sagen. Immer und immer wieder. ,,Weißt du, Schatz, ich habe mir da etwas überlegt." Seine dunklen Augen bekamen einen feuchten Glanz, der Lisa beunruhigte. ,,Ich würde gern kündigen. Nein, nein, mach dir keine Sorgen! Ich habe genug gespart. Es reicht für ein Haus, Lissi. Ein Haus! Wir könnten Kinder haben, weißt du..." Er starrte verlegen auf seinen leeren Teller. Lisa trank ihren Wein. Sagte nichts. Ihre Schultern schmerzten vom steifen Sitzen. Scheiße! Durchfuhr es ihren rauschenden Kopf, während ihre Schläfen heftig pulsierten. Es wurde langsam Zeit.
Lisa fischte nach einer Marlboro, zündete sie sich umständlich an. ,,Lassen Sie mal hören." Meinte sie gelassen und lehnte sich räkelnd zurück. Sie liebte dieses prickelnde Gefühl der Neugierde, wenn sie sich fragte, wer es wohl diesmal sein würde. Was für ein Name, was für ein Ort und, natürlich, was für ein Gehalt. Rodgers erklärte ihr alles.
Draußen hupte ein Auto, Feierabendverkehr, während die Abendsonne langsam hinter dem Häusermeer verschwand. Katzen schrien oft hier in den dunklen Straßen der Stadt. Und sie wohnte in einer sehr dunklen Straße, einer dreckigen Straße. In einer, in der Namen unwichtig und Gesichter unbekannt waren und blieben.
,,Wann?" Hauchte sie in den Hörer. ,,So schnell wie möglich. Ginge das?"
,,Ich bin schon am Flughafen." Lächelte Lisa und legte auf.
Kojak suchte ihren warmen Körper unter der Decke, liebkoste mit seinen Lippen ihren schlanken Hals. ,,Du schmeckst so gut." Flüsterte er erregt, während seine Hand in tiefere Zonen forschte. Lisa ließ es mit sich geschehen, schloss die Augen, spürte seine Hände, seinen Atem, seine Lippen und seine Lenden an ihrem wohl geformten Hintern.
Sie ritt ihn mit der für sie gewöhnlichen Begierde: unersättlich und hart. Während er seinem Orgasmus entgegen stöhnte, wurde ihr klar, dass sie es heute Nacht tun musste.
Sie ließ sich diesem Gedanken fallen und spürte, wie sie von heißen Wellen überrollt wurde.
Später, als beide noch völlig erhitzt in der Dunkelheit lagen, griff Kojak zärtlich nach Lisas Hand. ,,Du hast mir vorhin nicht geantwortet." Lisa biss sich auf die Lippe, bitte nicht. Bitte nicht, du Idiot! ,,Möchtest du mich heiraten, Lisa?"
,,Aber ja doch, Liebling!" Flötete sie und rollte sich abermals auf ihn rauf, küsste seine Brust, wanderte mit ihren roten Lippen tiefer. Sie würde alles tun, damit er endlich seinen gottverdammten Mund halten würde.
Lisa streckte sich zufrieden. Vorfreude rumorte in ihrem Bauch, als sie aufstand und zärtlich einen der weißen Rosenköpfe berührte.
Sie hatte sich die Rosen selbst gekauft, nach erfolgreicher Beendigung ihres letzten Auftrages: Kojak Mürjeen. Sie lächelte glücklich bei dem Gedanken an Kojak. Sie hatte ihn wirklich gemocht, es war nett gewesen mit ihm.
Er war selbst Schuld, dass es so enden musste. Seufzend wandte sie sich ab, um sich ihrer Liste zuzuwenden. Danach würde sie packen und sofort aufbrechen.
Sie setzte sich in ihren Schreibtischstuhl aus echtem Leder, spielte ein wenig mit ihrem Füllfederhalter, bevor sie in einer verschlungenen Schrift notierte: "Kojak Mürjeen, Matrose, 32 Jahre alt, gut aussehend. Zeit: zwei Jahre. Tod: Selbstmord." Hier hielt sie inne, überlegte. Einen Selbstmord hatte sie lange nicht gehabt. Sie war wirklich ausgesprochen zufrieden mit sich.
Sie lauschte angespannt seinen tiefen, gleichmäßigen Atemzügen. Kojak lag auf dem Rücken, sein Mund stand weit offen, er sabberte ein wenig. Angewidert wühlte Lisa sich aus den angewärmten Laken, schlüpfte in ihre Hausschuhe und schlich in Unterwäsche zur Küche.
Dort angekommen fand sie sofort, was sie für ihren sauberen Abschluss benötigte: Das große, chromfarbene Küchenmesser. Gerade neu angeschafft: "Für besondere Anlässe" hatte feierlich auf der Produktbeschreibung gestanden. Lisa musste lachen. Wie Recht diese armseligen Verkäufer doch hatten!
Das, was nun folgte, war reine Routine. Sie spürte nichts, als sie zurück zum Schlafzimmer schlich, sich über Kojaks Brust bückte und mit einem gezielten Hieb sofort das Herz traf. Seine Augen öffneten sich schlagartig, quollen erst erschrocken, dann schmerzerfüllt, auf. Sein Tod trat schnell ein. Blut drängte aus der offenen Wunde: Rot und saftig bahnte es sich seinen Weg über Kojaks blassen Körper, schließlich sickerte es in die weißen Laken.
Lisa strich ihm die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, um seine Augen ehrfurchtsvoll zu schließen. ,,Leb Wohl, mein Liebling." Flüsterte sie und machte sich dann daran, ihre Sachen zu packen.
Sie wartete geduldig am Schalter, um einzuchecken. Ihr heutiges Reiseziel: Italien.
Dort sollte sie den Junggesellen Raziek Mustavek aufspüren, der ursprünglich aus Russland stammt. Ihn beschatten, und notfalls, falls er ihre Existenz oder Tarnung bedrohen würde, eleminieren. Das Handy in ihrer Handtasche vibrierte. Rodgers hatte geschrieben: "Rufen Sie mich einmal pro Woche an. Ihren Scheck werden Sie bei der Empfangsdame Ihres Hotels entgegen nehmen können. Melden Sie sich! J.R."
Lisa lächelte glücklich. Das Spiel ging weiter!