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Litanei
„She never finds no trouble she tries too hard“
– Loyd Cole, Rattlesnakes
Ich weiß, was du da hinter deiner Tür machst.
Ist sie verschlossen? Oder könnte ich, wenn ich wollte, die Klinke drücken und den Schritt über deine Schwelle machen, um live und in Farbe das zu sehen, was ich spätestens, wenn die Sonne wieder scheint, ohnehin sehen werde? Pfeile und Sterne, bei dir sind es immer Pfeile und Sterne.
Ich weiß, was du da hinter deiner Tür machst. Und obwohl ich dich halten und an meine Brust drücken will, um deinen Rücken gegen die Welt freizuhalten, obwohl ich deine Wut so gut verstehe, hasse ich dich in diesem Moment.
Ich hasse dich, weil du mein Spiegel bist und ich deiner, wie die Klischee-Borderlinerin fühlen wir uns so fürchterlich clever, in dieser einen Sache sind wir beide dem Rest der Welt endlich zumindest diese eine Nasenlänge voraus. Wir wissen Bescheid.
Und wie die erste Borderlinerin Scherben frißt, um von der zweiten mit Glühbirnen überboten zu werden, hast zwar du damit angefangen, aber ich schneide tiefer.
Als du anfingst – im Gegensatz zu mir mit Nadeln, weil die das eine Ding sind, vor dem du wirklich Angst hast, so wie ich vor Klingen –, wußte ich kaum was davon, nur, daß es böse und gemein gegen jeden ist, der einem nahesteht. Und gegen sich selbst.
Ultimativ hilflos.
Ich wollte dir helfen, weil ich dich liebe, und weil ich dich auch damals geliebt habe.
Ich wollte dir helfen, damit du aufhören würdest, der Welt und damit mir die Pfeile und die Sterne zu präsentieren, die du auf dem Oberarm herumträgst. Aber ich brauchte eine Zeit, um zu begreifen, daß du stolz darauf warst, irgendwie. Du trugst sie so stolz, als wären es die Narben eines ehrenhaften Kampfes.
Ich wollte dir helfen, um nicht jedes Mal, das mein Blick den in die Haut geschabten Pfeilen nicht ausweichen konnte, das Gefühl zu haben, daran mit schuldig zu sein, ohne zu wissen, womit ich diese Bestrafung eigentlich verdient haben könnte.
Begreifen tut man es erst, wenn man selbst anfängt.
Ich könnte nicht mehr sagen, warum, nur daß es das erste Mal ein Kugelschreiber war, und ein paar blaugeränderte Löcher in meiner linken Handfläche.
Das bißchen. dachte ich.
Eigentlich bin ich nicht so. dachte ich.
Und natürlich fühlte ich mich soviel besser als du, so subtil, wie ich vorging: nicht die Unterarme, nicht die Schultern, nichts, was andere sehen und wofür sie sich schuldig fühlen könnten.
Wo du stolz auf deine Narben warst, war ich stolz auf mein Verheimlichen.
Oh ja, war ich nicht ach so anders als du? Soviel heroischer: keine Schuldzuweisungen gegen Leute, die es nicht verdient hatten und nichts dafür konnten, alles gut verpackt und noch besser versteckt.
Und natürlich habe ich sie gehaßt, wenn sie nichts gesagt haben, so wie du. Und ich habe sie gehaßt, wenn sie etwas gesagt haben, so wie du.
Was kann man auf eine bestürzte Nachfrage antworten?
„Tschuldigung, ich habs kaputt gemacht.“
Und die ganze Zeit über trug ich meine sorgfältig versteckten Löcher so stolz wie du deine unbedeckten Pfeile.
Aber das bißchen Kugelschreiber war nicht genug, und als nächstes kam die abgebrochene Nagelfeile – nur ein paar Ritzer, natürlich, die paar. Und dann kamen die Messer, und endlich, als das Blut anfing zu quellen und die hektische Suche nach irgendwas zum Stoppen der Blutung losging, das Gefühl, endlich, endlich einen Grund zu haben –
Ich weiß, was du da hinter deiner Tür machst. Ich weiß, daß du auf dem Fußboden sitzt, den Blick auf der Nadel, die du immer dabei hast, und ich weiß, was du denkst.
Wo dieses Mal?
Ich weiß es, und ich werde nicht die Klinke drücken und über die Schwelle treten, um zu versuchen, den Schaden zu begrenzen.
Ich sitze auf meinem Teppich und starre auf meinen linken Unterarm. Als er anrief, um mir zu sagen, er hätte die Schnauze voll, wußte ich selbst nicht, was ich machen würde, aber da lagen die Scherben vom Wechselrahmen, und ich griff danach. Sie lagen so nahe. Das Schneiden tut nicht weh, aber wenn das Blut soweit gestillt ist, um erkennen zu können, daß ich dieses Mal vielleicht doch zu tief geschnitten haben könnte – sieht das nicht fast nach Knochen aus? – kommt die Panik. Hab ichs jetzt endgültig kaputtgemacht?
Das Abheilen tut weh, und die Scham, mit dem Verband in der Gegend herum zu laufen, die bedauernden Blicke der Leute. Und die blöden Lügen, „Das? Hab mich verbrannt. Zigarette? Nee, bin an den Kamin gestoßen.“
Was sonst gibt es zu sagen?
Du und ich, wir fühlen uns so verdammt clever, dieses eine Mal keine Rede von Hilflosigkeit, oh ja, sind wir nicht überlegen?
Kein normaler Mensch, der sich so leicht über seinen Körper hinwegsetzen kann, wie wir. Vor diesem Schmerz haben wir keine Angst mehr.
Das Schneiden tut nicht weh, aber es muß tief genug sein. Erst, wenn das Blut tropft, wird es besser. Ich sitze auf meinem Teppich, und starre auf das Taschentuch, daß sich mit Rot vollsaugt. Der erste Griff nach dem Schneiden gilt den Taschentüchern, der zweite einem Lappen. Sobald es fließt, setzt das ein, worauf wir warten:
Jetzt habe ich endlich einen Grund.
Jetzt habe ich endlich einen Grund, mich so zu fühlen, wie ich mich fühle.
Jetzt habe ich endlich wirklich Mist gebaut.
Das Problem ist nicht, daß wir nicht wüßten, was wir hier machen.
Wie du weiß ich genau, was ich tue.
Meine letzten Worte zu ihm an anderen Ende der Leitung waren: „Ich hab es gewußt. Mich kann man nicht lieben.“
Und du sitzt hinter deiner Tür und wartest darauf, daß dich jemand rettet, so wie ich hinter meiner sitze.
Aber an diesem Ort sind wir wirklich allein. Wie du weiß ich genau, daß ich dich nicht retten kann, und du nicht mich. Selbst, wenn wir es noch immer wollten.
Wir sind süchtig, und wir sind zu klug, um nicht zu wissen, daß der erste Schritt zum Trockenwerden der Wille ist.
Es ist so einfach, wir müssen es nur wollen.
Wirklich schlimm ist nicht das, was wir tun, sondern daß wir so verdammt genau wissen, was wir tun -- und es trotzdem tun.