Was ist neu

Lottes Globalisierung: Die Welt zu Gast in Spanien

Mitglied
Beitritt
10.12.2007
Beiträge
22
Zuletzt bearbeitet:

Lottes Globalisierung: Die Welt zu Gast in Spanien

Neulich traf ich Lotte im Flur. Zum zweiten Mal seit sie meine Mitbewohnerin ist. Also seit 2 Monaten. Ihr neuer Job gefällt ihr immer noch total gut. Alles super! Mittlerweile ist sie Projektleiterin einer Unternehmensprüfung in Berlin und hat zwei Praktikanten für die Drecksarbeit. Es macht ihr sehr viel Spaß, genau das Richtige. Nur leider hat sie keine Zeit mehr, geschweige denn ein Wochenende. Immerhin, gestern Abend hatte sie Zeit ins Theater zu gehen. Heute isst sie nichts, denn irgendwas hat da im Theater nicht gestimmt. Das Stück war zum Kotzen. Also ging sie nach draußen und reierte das Foyee voll. Heiße und kalte Schauer wechseln sich ab. Deshalb isst sie heute lieber nichts, und auf zum Flughafen.

Thomas arbeitet auch als Wirtschaftsprüfer. Allerdings mit Firmensitz in Hamburg. Ich war einige Tage dort und wir trafen uns zum ausgiebigen Plausch über dies und jenes, die Welt als solche und die alten Zeiten, so wie früher halt. Nur hatten wir etwas weniger Zeit als früher. In 20 Minuten muss er wieder im Büro sein. Wir gehen zu einem Italiener am Gänsemarkt. Er ist noch immer mit seiner Freundin zusammen und in der WG wohnt er jetzt nicht mehr. Eigene Wohnung in Barmbeck, 5 Zimmer und Balkon. Dort schläft er, wenn er Prüfungsaufträge in Hamburg hat. Dann nutzt er die Wohnung zusätzlich zum morgendlichen Kaffeekochen. Die 20 Minuten sind um und Thomas muss los. Ich bleibe sitzen, mein Teller ist noch halb voll und die Tagliatelle schmecken hervorragend. Noch einen Kaffe zum Dessert.
Ich rufe meinen Onkel Georg an. Er ist ein guter Onkel. Seit er diesen tollen Palm-Handheld Computer hat, bekomme ich zu jedem Geburtstag pünktlich um 12 eine Gratulations-Sms. Er geht nicht ans Telefon. Seine elektronische Sekretärin informiert mich, dass er sich gerade im Meeting befindet. Ich schlendere Richtung Alster. In Hamburg ist die Menge der wuselnden Leute dichter als in München. Ich bin ein Verkehrshindernis für diese Vielfälltigkeit zielgerichteter Hast und Rastlosigkeit. Mein Onkel ruft zurück. Er freut sich sehr, dass ich in Hamburg bin und am Abend könnte er mich mit in ein Konzert nehmen, er kommt da über einen Sänger günstig an Steuerkarten. Eine erbauliche Auswahl allseits gut bekannter Stücke. Carmina Burana aus 150 Kehlen stellt meine Nackenhaare senkrecht und Schauer durchlaufen meinen Körper. Danach gehen wir mit ein paar Freunden meines Onkels essen. Die Speisekarte stellt meine Nackenhaare senkrecht und Schauer durchlaufen meinen Körper. Ich überlege wie ich am geschicktesten kommuniziere, dass ich völlig satt bin und unter keinen Umständen auch nur den geringsten Happen essen könnte. Mein Magen grummelt indes derart laut, dass es das gesamte Lokal gehört haben muss. Man debattiert über die Weinkarte. Ich schaue gar nicht erst hinein. Allein der Gedanke an die zu erwarteten Zahlenfolgen hinter den verlockenden Namen der Reebensäfte lässt mich schwindeln. Neben mir sitzt Simon und ist erstaunt, dass ich nicht Georgs Sohn bin, so ähnlich sehe ich ihm. Er erhebt sich zu einem Toast. Er freut sich, dass wieder alle gekommen sind und stellt mich bei dieser Gelegenheit auch gleich mal der ganzen Runde vor. Alle freuen sich. Heute ist übrigens Simon an der Reihe, die Rechnung zu übernehmen! Ich bin vor Freude und Erleichterung ebenfalls total aus dem Häuschen und steige mit leidenschaftlichem Eifer in die Wein-Debatte ein. Gerade Kalifornien mache sich ja zunehmendst, obwohl man das ja eigentlich gar nicht sagen dürfe. Schließlich wird als Einstieg tatsächlich zugunsten eines Amerikaners entschieden. Paloma Merlot 2001 vom Spring Lake. Tom, der Sängerfreund meines Onkels, weiß zu berichten, dieser Paloma Merlot sei vom Winespectator zum Wein des Jahres gewählt worden. Oder war es der 2003er? Er säuft den Wein wie aus dem Tetrapack, während links von mir geschlürft, geschmatzt, gegurgelt und für exzellent befunden wird. Beim Dessert angekommen, habe ich den zweitteuersten Rausch meines Lebens. Teurer war wohl nur die Bottleparty bei Tina, wo ich auf dem Heimweg mit dem Fahrrad ungebremst ins Heck eines geparkten BMWs gerauscht bin. Aber das hat die Versicherung bezahlt. Und heute zahlt ja Simon, die alte Plusterbacke.
Zufrieden mit dem Verlauf des Abends, gut gesättigt und relativ betrunken schaukele ich ins Taxi und übernachte bei meinem Onkel. Am nächsten Morgen ist er schon weg. Er ist Ingenieur bei der Lufthansa und hat deshalb auch kein Wochenende. Ein Zettel liegt auf dem Küchentisch. Ein Scheich hat in der Maserung des Mahagoni-Esstisches seiner 707 das arabische Zeichen für Teufel entdeckt und das muss jetzt weg. Morgen soll die Maschine übergeben werden. Ich mache mir einen Kaffee und setze mich auf den Balkon. Die Stühle sind eingestaubt.

Am frühen Nachmittag setze ich mich in den Zug Richtung Bochum. Die Zeitungen berichten davon, dass der Streik der Lokführer nun in zweiter gerichtlicher Instanz doch noch für zulässig befunden wurde. Allerdings verklagt die Bahn die Gewerkschaft ihrer Angestellten auf Schadensersatz für die Folgen des letzten Streiks im Juli. Ich grüble über die angemessene Bezeichnung für einen Arbeiter, der schon von Staats- und Rechtswegen her nicht streiken darf. Lohndiktatsabhängiger Zwangsarbeiter vielleicht? Die Zwänge der Globalisierung machen es den heimischen Arbeitskräften eben schwerer. Viel arbeiten, schlecht bezahlt werden. Oder geldorientiert studieren, absurd viel arbeiten und so ganz ok verdienen. Da müssen wir halt mit leben. Müssen wir ja alle.

Na gut, vielleicht nicht wenn man Spanier ist. Globalisierung? Ist mir doch egal was die will. Ich mach jeden Tag 4 Stunden Siesta! Basta! Und wenn wir Fiesta in der Stadt haben, mach ich meinen Laden bestimmt nicht auf! Ist mir doch egal wo du dein Campinggas kaufst! Geh doch nach Deutschland, die machen sicher keine Fiesta!

Spanier verdienen schlechter als Deutsche. Dafür ist aber auch alles billiger. Und die Relation von „Preis für Wohnraum“ zu „Zeit, die zur Verfügung steht, diesen Wohnraum auch zu nutzen“ fällt stark zugunsten der Spanier aus. Zieht man noch die Zeit ab, in der man ohnehin nur schläft, so geht der Wert für einen Deutschen gegen unendlich, wenn man den Preis über, und die Zeit unter den Bruchstrich schreibt. Genauso wenig Zeit wie für Wohnen haben in Vollzeit arbeitstätige Deutsche für Familie. Jeder Spanier würde seinem Chef auf der Stelle eine Flasche Sangria über die Rübe ziehen, wenn ihm seine heilige Familienzeit nicht mehr gegönnt würde. Und falls sich hier keine Scheinkorrelation eingeschlichen hat, führt „mehr Zeit für uns“ auch zu höheren Geburtenraten. Deutschland ist andererseits auch schon voll genug. Trotzdem lohnt es sich, wenn man von seinen 2-3 Wochen Urlaub im Jahr etwas dafür abzweigen kann, einmal in der Geschwindigkeit eines Spaniers durch eine spanische Innenstadt zu laufen. Da man auf diese Weise nur halb so schnell geht, sieht man auf dem Weg doppelt so viel. Und da man nicht auf ein Ziel zuhetzt, bemerkt man auch, was um einen eigentlich so alles geschieht. Das wiederum führt zu lebendigen Strassen mit viel Hallo und Trara. Wie schade, dass die Globalisierung uns Deutschen ein solches Leben nicht gestattet. Dafür bekommen wir dann aber mit fünfzig unsere Lebensversicherung ausbezahlt. Und dann kann man ja schon mal richtig was machen! Wenn einem dann noch etwas einfällt. Das alte Hänschen und Hannes Problem.

Alternativ könnte man ein paar unserer guten alten deutschen Gesetze von 1730 reaktivieren. Den Unternehmern werden Arbeitskräfte, die mit den Chinesischen im Ausbeutungspotential vergleichbar sind, dadurch ermöglicht, dass man Fabriken Gefängnisse, Irren- und Waisenhäuser zustellt. Aus diesem Pool können dann kostengünstige Zwangsarbeiter rekrutiert werden. 1730 hatte man auf diese Weise auch das Bettlerproblem gelöst. Eh, dass die für nichts ihr Brot erschnorren, können die ja auch genauso gut für nichts arbeiten. Wir können uns dann der Muße und den schönen Künsten widmen und uns freuen, unserer hoheitlichen Globalisierung eins ausgewischt zu haben.

 

Hallo Banana Jones,

etwas richtungslos finde ich die Geschichte, fast, als wäre sie nur erzählt, um ein paar politische Statements abzugeben. Der Erzähler kommt einem nicht wirklich nahe, zu bemerken ist nur eine etwas zynische Ambivalenz, sich doch gern auf anderer Kosten das teure Gesöff hinter die Binde zu kippen, die Globalisierungsfolgen teils hinzunehmen, teils zu bedauern. Wirklich Widerstand wächst da nicht, nicht einmal wirklich Kritik. Insofern eigentlich treffend in einen Land, in dem zur Zeit angesichts der Aufschwunglüge Tausende auf die Straßen gehen müssten.
Aber gedanklich kommt der Erzähler genau so vom Hundertesten ins Tausendste, wie auf seinen Wegen, man weiß nie, wozu es gerade wichtig ist, was er erzählt, und dadurch wird der Text leider langweilig.
So wie die Namen eingeführt wurden, hatte ich den Eindruck, es ist nur ein Teil aus einem längeren Text.

Lieben Gruß
sim

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom