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Lovers live a little bit longer

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19.01.2005
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Lovers live a little bit longer

Ein Junge mit kahl rasiertem Schädel lehnte an der Fassade und drehte eine Zigarette. Nicht weit entfernt von ihm stand eine aufgebockte blaue Schwalbe auf dem Bürgersteig, die ihm zu gehören schien. So wie der Lack in der zwischen den graubraunen Altbaufronten stehenden Oktobersonne glänzte, war das Moped gut in Schuss gehalten.
Der Junge sah auf, als sich Schritte näherten. Gegenüber auf der anderen Straßenseite schlurfte eine alte, aber gut erhaltene Frau mit zwei prallen Einkaufstüten die leichte Steigung hinauf und verschwand schließlich im Dunkel eines Hauseingangs. Zur linken Seite rieselte aus einem offenen Fenster im Erdgeschoss des Hauses Popmusik auf den Bürgersteig und murmelte das leichte Gefälle hinab zum Golf, in dem Michael unbehaglich auf der abgewetzten und mit fremder Leute Müll bedeckten Rückbank kauerte und nachdachte.
ABBA; If it wasn't for the night; Album Voulez Vous; danach Chiquitita.
"Wollen wir?" Demonstrativ legte Grondei seine Hand an den Türgriff. Vogler überlickte noch einmal das Setting, strich den Strickpullover über seiner Wampe glatt und nickte.
"Und was ist mit dir?", fragte Grondei nach hinten.
Michael zögerte: "Gleich."
"Wie?"
"Ein paar Minuten noch."
"Was will er?", bellte Vogler auf dem Beifahrersitz, während er weiter zur Windschutzscheibe hinaus den kahlen Jungen anstarrte. Dieser drehte sich bei dem Versuch seine Zigarette anzuzünden mal in die eine, mal in die andere Richtung und suchte mit tief in den Schultern versunkem und hinter der hohlen Hand verstecktem Gesicht nach einer günstigen Stellung gegen den Wind, der mit milder Kraft über das Kopfsteinpflaster und den angrenzenden Gehweg strich.
"Keine Ahnung", sagte Grondei und gab die Frage an Michael weiter: "Was ist?"
"Das läuft so nicht", antwortete der. "Entweder legt der was Anderes auf, oder wir warten bis Lovers."
"Wer?"
"Keine Ahnung." Michael zuckte mit den Schultern. "Ist ja auch egal. Bei dem Lied jedenfalls geh ich nicht."
"Welches Lied?", fragte Grondei ungeduldig.
"Was gleich kommt."
"Wie?"
"Das passt nicht."
"Junge, ich versteh kein Wort."
Das Lied klang langsam aus: "If it..." Michael hob die flache Hand und drehte angestrengt horchend den Kopf zur Seite. "Gleich!"
Für einen Augenblick blieb alles still und selbst der Wind flaute ab. Sekunde um Sekunde verstrich. Über dem kahlen Jungen stieg ein feines Wölckchen grauen Rauchs auf und zerfloss im wieder aufkeimenden Wind. Als endlich die Gitarre das Thema von Chiquitita ankündigte, ließ Michael erlöst die Hand sinken und deutete mit dem Zeigefinger in Richtung des offenen Fensters : "Das!"
Grondei lauschte für einen Moment in die gezeigte Richtung, dann fragte er anteilslos: "Was ist damit?"
"Na hör doch hin!"
"Chiquitita, tell me what's wrong..."
"Tu ich", entgegnete Grondei. "Scheiße! Und weiter?"
"Auf jeden Fall mach ich hier nichts, so lange das läuft."
"Sag mal..."
"Nein! Bei dem Lied nicht."
"Warum nicht?"
"Mann, das ist Chiquitita."
Grondei kratzte sich am Kopf. "Und weiter?"
"Das Ding davor oder das Ding danach, aber das..."
"Was hat der für ein Problem?", blaffte Vogler.
"Keine Ahnung", sagte Grondei. "Irgendwie gefällt ihm das Lied nicht."
"Mir auch nicht", motzte Vogler und wandte sich zu Michael, "aber wo ist jetzt das Problem?"
"Na", erklärte der, "das Ding hab ich schon gehört, da war ich noch so ein kleiner Stippie." Mit einer Hand deutete er an, wie klein er gewesen war, als sein Vater ihm die Kassette mit ABBAs größten Hits von Dancing Queen bis SOS und eben auch mit Chiquitita geschenkt hatte.
"Und weiter?"
"Da kleben zwanzig Jahre dran. Was meinst du, woran ich denke, wenn ich das Ding höre? Dann ist's einfach mal vorbei."
"Oh Mann, ich fass es nicht", fluchte Vogler. "Du hast wirklich eine ziemliche Macke, Junge."
"Was Macke? Das ist einfach die falsche Musik. Also immer schön ruhig bleiben, ja! Das dauert nur fünfeinhalb Minuten und dann kommt Lovers."
"Du, das ist mir mal völlig egal."
"Mann! Kann ich doch nichts für, dass der hier die falsche Musik auflegt."
"Aber für deine Macke kannst du schon was, oder?"
"Wieso Macke? Das ist doch normal."

 

Hallo Thomas H.!

stand eine aufgebockte blaue Schwalbe
Nicht jeder Leser weiß was das ist! Du solltest vielleicht vorher deutlich machen, dass es sich um ein Moped handelt oder es irgendwie einflechten.

Also: stilistisch gefällt mir diese KG ganz gut. Die Dialoge sind auch recht unterhaltsam. Aber ich konnte keinen Zusammenhang zwischen den ersten beiden Absätzen und der ABBA-Thematik finden. Um ehrlich zu sein, verschließt sich mir der komplette Sinn dieser Geschichte.
Im Übrigen finde ich sie nicht witzig. Oder versteh ich nur die Pointe nicht?


Gruß

 

Moin Thomas,

Erstmal willkommen auf KG.de

Mir hat dein Text ziemlich gut gefallen. Die Einleitung hatte was filmisches (wie eine ruhige Kamerafahrt durch die Straßenszenerie) und der Dialog kam gut rüber. Die Idee mit dem Abba-Song fand ich witzig.
Schade fand ich, daß das Ding kein Ende hat. Wirkt fast so, als handele es sich hierbei um die Einleitung für eine längere Geschichte.

 

Man hätte es auch anders schreiben können, aber ich dachte, des wär mal ganz gut, die Geschichte so zu schreiben, dass sie auch unterhaltsam ist, wenn dem Leser nicht erklärt wird, worum es eigentlich geht, nämlich um drei Figuren eines Films, die den Beginn der Filmhandlung hinauszögern, weil einem von ihnen die Filmmusik nicht passt. Deswegen ließt es sich wie eine Einleitung, ist aber eine geschlossene Geschichte, nur ohne Erklärung.

 

Mir hat dein Text ziemlich gut gefallen. Die Einleitung hatte was filmisches (wie eine ruhige Kamerafahrt durch die Straßenszenerie) und der Dialog kam gut rüber. Die Idee mit dem Abba-Song fand ich witzig.
Schade fand ich, daß das Ding kein Ende hat. Wirkt fast so, als handele es sich hierbei um die Einleitung für eine längere Geschichte.

Erstmal bedingungslose Zustimmung.

Meine Ergänzungen: Ich fand die Konstruktion mit der Schwalbe absolut in Ordnung. Es wird ja einen Satz später geklärt, was das ist. Ich wusste es auch nicht und habe mich über das Aha-Erlebnis gefreut, als ich es mitgeteilt bekam.

Beim Teil mit der einsetzenden Musik bin ich dann erstmal gestolpert, wusste aber kurze Zeilen später, worums ging.

Den Dialog und die Situation fand ich beide gut. Hätte mich aber dennoch sehr interessiert, wie es weitergegangen wäre.

 

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