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Luftblasen

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07.05.2004
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Luftblasen

Luftblasen

Hier gibt es keine Jahreszeiten, nur Kommen und Gehen und manchmal eine Reise ohne Wiederkehr.
„Alles wird wieder gut“, flüstert mein Vater. Schmerzen verzerren sein Gesicht, als er seine Hand in meine schiebt. Er liegt im Sterben, haben die Ärzte gesagt.
Ich versuche die Schläuche wegzudenken, das Piepsen der Geräte zu überhören.
Keine Tränen, nur dieses festgefrorene Lächeln in meinem Gesicht. Plötzlich weigert meine Lunge sich weiter zu atmen. Hysterisch schnappe ich nach Luft und stürze aus dem Zimmer.
Kalt sieht der Gang mich an, grelles Licht blendet meine Augen. Wieder frischer Atem in meinen Lungen. Klackernd zeugen die Schuhe von meiner Flucht in die Freiheit.

Draußen bleibe ich stehen, zähle mit meinen Augen die Fenster ab.
„Ich kann dir nicht helfen, Papa“, flüstere ich. „Du musst alleine sterben.“ Ein wütendes Schluchzen entringt sich meiner Kehle. Papa hätte mich niemals alleine gehen lassen. Plötzlich Licht in seinem Zimmer.

***

Mühelos formten meine Lippen Entschuldigungen. In mir herrscht nur Anklage. Fabio sagt, das Leben geht weiter und Vater verzeiht mir bestimmt. Ich kann ihn nicht fragen, ob es stimmt.

Atemzug um Atemzug pumpe ich kalte Luft in meine Lunge, die sich bald anfühlt, wie von tausend Nadeln gespickt. Die Kälte in meinen Füßen wird als Schmerz in meinen Kopf gepresst.
Der Schnee, die Sterne lassen die Dunkelheit beinahe hell erscheinen. Warm und verlockend flackert das Kaminfeuer im Wohnzimmer. Nur wenige Minuten und dieser Schmerz könnte nachlassen, vergessen werden.
Fabio kommt zum Fenster, reißt es mit einem Ruck auf: „Komm herein, Ida. Du holst dir da draußen den Tod.“
„Auf den warte ich“, flüstere ich. Er versteht mich, obwohl er mich nicht hört.
Ich lasse mich in den Schnee fallen, er durchnässt meine Hose und beißt meinen Hintern. Fabio flucht wütend auf und stapft nach draußen. Er reißt an meinen Schultern und ich kralle mich an den Schnee, als könnte ich mich daran festhalten. Keine Chance gegen Fabio. Er zerrt an mir, schiebt mich ins Haus und das wütende Kreischen in mir kommt nur als leises Wimmern heraus.

Er setzt mich vor den Ofen und zieht mich aus. „Ach Ida“, sagt er. Schmerz schwellt in seinen Augen. Schweigend sitzen wir uns gegenüber, starren uns an. Er versucht in mir zu lesen, doch mein Blick bleibt stumm. Er nimmt mich in den Arm, zuckt kurz zusammen, als meine kalte Wange auf seine trifft.
„Ich bin gegangen, ehe es vorbei war“, flüstere ich. „Er war ganz alleine.“
„Der Schmerz wird weniger, Ida.“
„Nicht die Schuld.“
Er wiegt mich vor und zurück, während ich seinen Pullover nass schluchze.
„Luftblase“, sage ich. „Ich wünsche mir eine Luftblase.“

 

Hallo Bella,

zunächst wünsche ich dir ein gutes neues Jahr.
Im nachhinein möchte meine Kritik vom letzten Mal vervollständigen. Habe eben erst bemerkt, dass ein Teil meines Postings nicht angekommen ist. Weiß nicht, was da passiert ist.

Wollte eigentlich nur noch sagen, dass ich den Satz

 

Hi Bella,

mit wenigen Worten ziemlich dicht beschrieben. Gut.

Aber die gute Ida sagt mir zu viel - an Stellen, an denen sie genausogut denken könnte:

Hier zB

„Ich kann dir nicht helfen, Papa“, flüstere ich. „Du musst alleine sterben.“
(Wobei: der Satz an sich ist stark.)

„Luftblase“, sage ich. „Ich wünsche mir eine Luftblase.“
Der Schlusssatz hat mir auch gefallen, aber er würde gedacht besser klingen - finde ich.
Sie wünscht sich eine Luftblase, eine Blase, die sie abschirmt von der Welt, von der Trauer, von der Schuld.

Gerne gelesen.

In diesem Sinne
c

 

@Dion

Danke für deine erneute Rückmeldung. Ok, mir ist jetzt klar, was du mit typisch gemeint hast. Du hast schon recht - ein Mann würde sich wohl nicht derartig verhalten. Allerdings wage ich auch zu behaupten, dass sich auch viele Frauen nicht so verhalten würden. :)

@Mücke

Danke für deine Rückmeldung. Natürlich bin ich auch um negavitve Feedbacks froh.
Ich kann verstehen, dass dir die Geschichte zu kurz war, das vieles offen bleibt und das sicherlich nicht für jeden befriedigend ist. Im Allgemeinen bevorzuge ich auch längere Kurzgeschichten, in denen nicht so viel ungesagt bleibt.
Diese Geschichte sollte allerdings eher eine Momentaufnahme sein - ich habe sie geschrieben und habe einfach nicht das Gefühl hier mehr sagen zu wollen. Ich weiß nicht, vielleicht kennst du das Gefühl, dass man manchmal meint, alles wichtige gesagt zu haben. Ich überlege mir jetzt aber, ob es nicht die eine oder andere Stelle gibt, die man etwas ausbauen könnte. Danke für den Hinweiß. Die nächste Geschichte von mir wird auf jeden Fall wieder länger und ausführlicher.

Gerne gelesen habe ich deine Geschichte aber trotzdem, allein schon wegen der schönen Worte ;-)

Das freut mich! :) Danke für deine Kritik!

@Rick

Hallo,

auch dir danke ich für dein Feedback. Auch dir muss ich, wie Mücke, recht geben. Die Vater-/Tochterbeziehung bleibt sehr oberflächlich, es wird nichts reflektiert. Trotzdem ist das hier die Geschichte, die ich schreiben wollte. Ich übe mich zur Zeit darin auch mit wenigen Worten viel zu sagen. Das das nicht bei allen Lesern ankommt verstehe ich. Zumal ich, wie gesagt, selber derart kurze Geschichten nicht unbedingt bevorzuge. Ich werde schauen, wo ich noch etwas ausbauen könnte, aber ich mag diese Geschichte jetzt auch nicht mehr großartig umschreiben, weil es dann eine ganz andere wäre, als die, die ich eigentlich erzählen wollte. Natürlich werde ich mir deine Kritik trotzdem zu Herzen nehmen und auch, wenn ich in dieser Geschichte nicht mehr allzu viel machen werde, merke ich es mir für die nächste. Danke.
Danke auch für deine Textanmerkungen. Einen Teil davon werde ich demnächst einarbeiten.

Kälte, die aus den Füßen als Schmerz in den Kopf gepresst wird, empfinde ich als keine gelungene Beschreibung. Das hat bei mir irgendwie ein komisches Bild ausgelöst, als ich mir das vorzustellen versuchte.

Wir waren letztens im Urlaub in der Türkei, dort war es sehr heiß. In einem Ausflug fuhren wir zu einem Fluß, der eiskaltes Wasser mit sich führte. Als wir ein paar Minuten bis zu den Waden darin standen, begannen unsere Köpfe sehr stark zu schmerzen. So war das gedacht. Hast du das schon mal erlebt?

Ich hoffe, mit meiner Kritik nicht allzu sehr anzuecken, aber ich denke, Meinungen sind gefragt, auch wenn sie ganz unterschiedlich (und nicht immer positiv) ausfallen.

Nein, wirklich nicht. Ich bin um jede Art von Rückmeldung froh. Ohne derartige Kritiken könnte man sich gar nicht verbessern!

@bambu

Ich glaube, der Satz ist jetzt wieder nicht angekommen. :D

@Chazar

mit wenigen Worten ziemlich dicht beschrieben. Gut.

Jepp! Das freut mich.

Aber die gute Ida sagt mir zu viel - an Stellen, an denen sie genausogut denken könnte:

Ja, ich glaube das hatten wir das schon mal. Du magst das nicht so sehr, wenn irgendwelche Leute alleine vor sich hinreden, gell? Ich schau mir das nochmal durch - bei der ersten von dir zitierten Stelle gebe ich dir übrigens uneingeschränkt recht. Den Schlusssatz würde ich gerne gesprochen lassen - obwohl, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, gefällt mir das als "Denken" doch besser.

Danke für deine Kritik.

LG
Bella

Natürlich wünsche ich euch allen noch ein frohes Jahr 2006.

 

Hey Golio,

hm, da mir selber nicht aufgefallen ist, dass ich in vielen Geschichten das Thema "Schuld" verarbeite ist es wohl eher ein Problem. War mir so nicht wirklich bewusst. Hm... Danke erstmal für den Hinweiß.

Sogesehen lob ich deinen Stil, ohne zu schleimen, gut, gell?

Ein bisschen geschleimt hast du ja schon. :)

Danke für deinen Kommentar. :)

LG
Bella

 

Das gefaellt mir natuerlich, einerseits, weil es meine Pflicht ist, dir Honig um den Mund zu schmieren
:rotfl:
:heilig: Bruder Tserk

 

Hallo Bella,

der Dreieckskomplex Tod<->Schuld<->Autoaggression ist ja eines Deiner zentralen Themen.

Im Gegensatz zu "Glühende Kälte" hast Du das Thema hier viel kondensierter abgehandelt, die Gefühle der Protagonistin erhalten weniger Raum, leben aber (auch in der Andeuung) genauso.

Hat mir sehr gefallen.

Notiz:

Schmerz schwillt in seinen Augen.

Grüße,
Naut

 

Hi Naut,

der Dreieckskomplex Tod<->Schuld<->Autoaggression ist ja eines Deiner zentralen Themen

Ja, das hat mir schon mal jemand gesagt. Das Schlimme ist, dass es mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal bewusst war.

Ich finde aber gut, dass die Gefühle der Prot. hier auch ohne viele Worte ankommen. Das war mir beim Schreiben der Geschichte schon wichtig.

Schön, dass es dir gefalen hat.

LG
Bella

 

Hi Bella,

wirklich eine sehr schöne Geschichte über die Verzweiflung eines Mädchens oder einer junge Frau, die es nicht ertragen kann ihren Vater sterben zu sehen. Du hast ihre Verzweiflung in den Vordergrund geschoben, das gefällt mir sehr gut.
Auch die Stelle, wo sie sich in den Schnee wirft, passt zu ihrer Stimmung. Ich interpretiere das, als Versuch die Schuldgefühle etwas einzudämmen, wenn sie sich Schmerzen und Kälte zufügt - als würde sie versuchen sich selbst zu bestrafen, dafür, dass sie ihrem Vater nicht beistand.
Wirklich gut und nachdenklich stimmend :thumbsup:

LG Mystery

 

@Nachtschatten, Someday und Mystery-Girl

Ich danke euch, für´s Lesen meiner Geschichte und natürlich auch für euren Kommentar.

@Nachtschatten

ist zwar eine etwas ältere Geschichte von dir, aber verzeih mir, bin grad durch Zufall drauf geflogen.

Kein Problem. ;) Die Geschichte ist mir noch nicht peinlich. :D

Die Kg hier ist wirklich einsame Spitze, hat mich berührt, jeder Satz sitzt und die Thematik ist mit anspruchsvoller Umsetzung dargestellt worden. Meine Hochachtung.

Vielen Dank für dein überschwängliches Lob, ich glaub, ich kann jetzt ganz entspannt in die Osterfeiertage gehen.

@Someday

Auch dir danke ich für dein Lob.

Mit dem "Hier" meinte ich das Krankenhaus. Wird das nicht klar? Aber interessieren würde es mich schon, was du da rein interpretiert hast.

@Mystery

Auch dir danke ich für das Lob.
Das mit dem Schnee hast du richtig interpretiert - sie versucht quasi sich selbst für ihr Weglaufen zu bestrafen.

LG
Bella

 

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