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Luftblasen
Luftblasen
Hier gibt es keine Jahreszeiten, nur Kommen und Gehen und manchmal eine Reise ohne Wiederkehr.
„Alles wird wieder gut“, flüstert mein Vater. Schmerzen verzerren sein Gesicht, als er seine Hand in meine schiebt. Er liegt im Sterben, haben die Ärzte gesagt.
Ich versuche die Schläuche wegzudenken, das Piepsen der Geräte zu überhören.
Keine Tränen, nur dieses festgefrorene Lächeln in meinem Gesicht. Plötzlich weigert meine Lunge sich weiter zu atmen. Hysterisch schnappe ich nach Luft und stürze aus dem Zimmer.
Kalt sieht der Gang mich an, grelles Licht blendet meine Augen. Wieder frischer Atem in meinen Lungen. Klackernd zeugen die Schuhe von meiner Flucht in die Freiheit.
Draußen bleibe ich stehen, zähle mit meinen Augen die Fenster ab.
„Ich kann dir nicht helfen, Papa“, flüstere ich. „Du musst alleine sterben.“ Ein wütendes Schluchzen entringt sich meiner Kehle. Papa hätte mich niemals alleine gehen lassen. Plötzlich Licht in seinem Zimmer.
***
Mühelos formten meine Lippen Entschuldigungen. In mir herrscht nur Anklage. Fabio sagt, das Leben geht weiter und Vater verzeiht mir bestimmt. Ich kann ihn nicht fragen, ob es stimmt.
Atemzug um Atemzug pumpe ich kalte Luft in meine Lunge, die sich bald anfühlt, wie von tausend Nadeln gespickt. Die Kälte in meinen Füßen wird als Schmerz in meinen Kopf gepresst.
Der Schnee, die Sterne lassen die Dunkelheit beinahe hell erscheinen. Warm und verlockend flackert das Kaminfeuer im Wohnzimmer. Nur wenige Minuten und dieser Schmerz könnte nachlassen, vergessen werden.
Fabio kommt zum Fenster, reißt es mit einem Ruck auf: „Komm herein, Ida. Du holst dir da draußen den Tod.“
„Auf den warte ich“, flüstere ich. Er versteht mich, obwohl er mich nicht hört.
Ich lasse mich in den Schnee fallen, er durchnässt meine Hose und beißt meinen Hintern. Fabio flucht wütend auf und stapft nach draußen. Er reißt an meinen Schultern und ich kralle mich an den Schnee, als könnte ich mich daran festhalten. Keine Chance gegen Fabio. Er zerrt an mir, schiebt mich ins Haus und das wütende Kreischen in mir kommt nur als leises Wimmern heraus.
Er setzt mich vor den Ofen und zieht mich aus. „Ach Ida“, sagt er. Schmerz schwellt in seinen Augen. Schweigend sitzen wir uns gegenüber, starren uns an. Er versucht in mir zu lesen, doch mein Blick bleibt stumm. Er nimmt mich in den Arm, zuckt kurz zusammen, als meine kalte Wange auf seine trifft.
„Ich bin gegangen, ehe es vorbei war“, flüstere ich. „Er war ganz alleine.“
„Der Schmerz wird weniger, Ida.“
„Nicht die Schuld.“
Er wiegt mich vor und zurück, während ich seinen Pullover nass schluchze.
„Luftblase“, sage ich. „Ich wünsche mir eine Luftblase.“