Was ist neu

Luna

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29.03.2008
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Luna

LUNA


Einleitung

Da ging einmal ein schräger Typ durch eine Gasse und pfiff ein ebenso schräges Liedchen vor sich hin. Es war schon dunkel gewesen und Luna hatte nur seine Umrisse gesehen, eine vage Silhouette, bloß vom Lichtkegel der Laternen umrissen – doch deutlich spürte sie seine Verzagtheit. Sie kann sich noch genau erinnern, wie er träge vor sich hin schlurfte, den Kopf dem Boden zugeneigt und pfeifend. Luna hatte auf der anderen Straßenseite im Licht der Laterne gestanden und dieser Typ schaute kurz intuitiv um sich, erblickte sie und blieb stehen. Er hörte auf zu pfeifen, sagte nur:
„Komm gut dahin, wo du hin möchtest!“ und lief einfach weiter.
Luna meinte, seine Augen genau erkannt zu haben, obgleich das in diesem diffusen Licht auf der Distanz schier unmöglich gewesen wäre, jedoch war es - mehr beruhend auf einem Stechen in ihrem Solarplexus – so klar, dass er verzweifelt dreinschaute.
Sie hörte das Schlurfen des Typen noch eine kleine Weile leise verschwinden, bis es sich gänzlich aufgelöst hatte zu einer bloßen Erinnerung daran, dass dieser Moment kurz vorher stattgefunden hatte. Beeindruckt und von einer ihr gegenüber eigenartig neutralen Melancholie geschwängert verharrte Luna kurz auf dem Bürgersteig und lief dann weiter ihren Weg. Die Melodie, die der Mann gepfiffen hatte, oder vielmehr Fragmente eben dieser, blieben ihr dabei im Kopf, sausten als Ohrwurm darin umher und begleiteten Luna nach Hause.

Und nun, bis heute, ist dieser Ohrwurm nicht verschwunden. Die ganze Situation ist jetzt etwa zwei Jahre her und immer wieder kommt ihr diese Melodie in den Kopf. Es ist nicht so, dass sie an nichts anderes denken könnte, nein. Aber immer mal wieder tauchen diese schrägen Töne im Kopf der jungen Frau auf und sofort ist die Erinnerung an diesen Moment wieder da, so nah.


Eins

Heute war ich einkaufen, irgendeinen Mist, den ich vermutlich niemals brauchen werde: einen hässlichen Pullover, eine Gesichtscreme und einen Liter Milch. Der Liter Milch ist das einzige, was einen Sinn erfüllt: Kaffee verfärben. Na ja, und dann habe ich mich noch mit einem Freund in einem Café getroffen, dem „Jayloc“. Dort treffen wir uns eigentlich immer, trinken irgendwas und plaudern über Gott und die Welt. Nun – eigentlich mehr über die Welt, als über Gott. Und letztlich noch nicht mal über die Welt, aber ist halt die übliche Floskel, um zu pauschalisieren.
Ich hatte eigentlich den ganzen Tag schlechte Laune. Nachmittags, als ich mit Joe beim Griechen war und frustriert versuchte, mit dem Kellner zu flirten, beim Einkaufen und im Café. Und jetzt auch. Bird – er hat mich gnadenlos abserviert! Und vor allem ohne Grund, dieses Arschloch!!! Bird – das ist mein „Obermacker“, oder „Mr. Perfect“, wie ich ihn gern nenne... Er hat, ganz ohne Grund (vermutlich aus Langeweile), plötzlich gemeint, Probleme konstruieren zu müssen, um die Schuld an diesen auf mich abzuwälzen. Völlig daneben! Ich habe es bisher noch immer nicht verstanden, ich weiß nur, dass ich absolut perplex bin über seine Ausbrüche. Keine Ahnung, muss wohl ein Masochist sein! Als sei das Leben nicht längst schwer genug!
Bird – ich kenne ihn jetzt seit etwa zwei Monaten. Was heißt kennen, aber nun ja, die Floskel halt wieder. Zumindest habe ich ihn gesehen und mich sofort verliebt und, als hätte sich das Glück plötzlich auf meine Seite geschlagen, beruhte das auch noch auf Gegenseitigkeit, wie sich ziemlich schnell herausstellte... Doch kaum glaubte ich, was da passierte, zerschmetterte irgendein verdammtes Missverständnis die Illusion gleich wieder. Und das Gemeine daran: Das wirft mich nicht zurück auf Null, sondern direkt in den unterkühlten Minusbereich meiner Gefühle. Das finde ich einfach verdammt ungerecht, zumal ich diesen drastischen Abwärtsverlauf überhaupt nicht nachvollziehen kann. Dass innerhalb eines Tages etwas, das doch eigentlich so was Mächtiges ist, nämlich Liebe, zerschmettert werden kann von einer bloßen Luftblase, hätte ich nicht gedacht. Obwohl, das klingt jetzt ein wenig zu dramatisch. Aber so bin ich eben.
Nun, es war wohl dieser eine Abend, wie ich aus Birds wirren Vorwürfen meine, aufschlüsseln zu können, welcher ihn dazu veranlasste, sich plötzlich völligst zu verschließen. Und zwar lagen wir gemütlich gemeinsam auf dem Bett und tranken Champagner. Bird war so unglaublich lieb zu mir, säuselte mir ständig irgendwelche romantischen Buchstabenkonstellationen ins Ohr und schaute, wie nur ein Dackel schauen kann. Na ja, irgendwann wurden wir halt besonders lieb zueinander, wie man es so kennt, die Musik war auch gerade so passend emotional und dann, kann man sich ja denken, benahmen wir uns wie Katzen in der Paarungszeit. Als wir es dann schließlich geschafft hatten, uns unserer Kleider gänzlich zu entledigen, um ein bisschen aneinander herumzuspielen, kam es dazu, dass wir kurz bewegungslos ineinander verkeilt lagen und mich packte plötzlich die Lust, eine zu qualmen! Meine Güte, ist das aber schlimm, nicht wahr... Nun, ich tat das auch und Bird war zunächst noch freundlich zu mir, indem er gnädig das Stillen meiner Sucht abwartete, um sich dann wieder „an die Arbeit“ zu machen. Ich spielte ein bisschen an seinem Schwanz rum und plötzlich überwand er sich – ich hörte es im Klang seiner Stimme, sah es an seinem niedlichen Grinsen – seine momentanen Bedürfnisse in Worte zu fassen, die da wären:
„Hey, ich würd’ jetzt voll gern mit dir schlafen...“
Prompt ließ ich seine Hirnverlängerung los und erstarrte in mich hineingrinsend. Das turnte mich so dermaßen ab in diesem Moment, es war, wie morgens mit dem Hochziehen eines Rollos geweckt zu werden, es war, als sage jemand am Telefon zu einem, dass ein Verwandter gestorben sei, keine Ahnung, es war eben einfach so. Das wollte ich ihm natürlich nicht so sagen, aber plötzlich ging bei mir gar nichts mehr. Ich schaute ihn an, grinste und streichelte sein Gesicht. Dann setzte ich mich auf und drehte mir eine Kippe. Bird wirkte ziemlich irritiert und fragte, ob ich jetzt etwa schon wieder eine rauchen wolle. Ich erklärte ihm, dass das Leben nun mal so ist und er sich nicht gekränkt fühlen soll, wenn ich mich für ein paar Minuten nicht gänzlich auf ihn konzentriere. Da er noch lachte und wir noch ein paar Witze rissen, ging ich nicht davon aus, dass dieser sexuelle Misserfolg ihn dermaßen tief gekränkt haben könnte und schlief schließlich friedlich an ihn gekuschelt ein.
Am nächsten Morgen allerdings wurde mir ziemlich schnell das Gegenteil klar. Ich war früher wach als er und machte mir erst mal einen Kaffe. Als er aufwachte, schaute ich zu ihm rüber und begrüßte ihn herzlich, wünschte ihm einen guten Morgen und lächelte ihn an. Er starrte mich an, starrte gegen die Wand und wandte sich ab. Ich ging zu ihm ans Bett, kniete mich über ihn, gab ihm einen Kuss auf die Wange und fragte, wie es ihm ginge. Bird brummte nur. Ich stand wieder auf, streichelte ihm über den Kopf und ging zurück zu meinem Kaffee. Irgendwann stand er auf, packte seine Sachen zusammen – wortlos – und stopfte sie in seine Tasche. Nun, ich dachte mir zunächst nichts dabei und ließ ihn einfach in Ruhe, da er auch eine äußerst dazu auffordernde Aura versprühte....
Als er mit dem Taschepacken fertig war, verschwand er im Bad, kehrte kurz darauf geschniegelt zurück und setzte sich aufs Sofa. Dort verharrte er dann und konzentrierte sich ganz auf „Demolition Man“, meine Katze. Ich kuschelte mich an ihn und er blieb starr wie ein Felsbrocken. Tat so, als sei ich gar nicht da. Das war mir zunächst völlig unverständlich. Mir wurde übel davon und ich packte meinen Kaffee und verzog mich vor die Tür, wo mir die Tränen in die Augen schossen. Seine Präsenz war so von Kälte erfüllt, dass ich sie einfach nicht mehr ertragen konnte. Fünf Minuten später ging ich wieder rein und er sagte, er würde nun nach Hause fahren. Ich nickte bloß und sagte:
„Schade.“
Dann, kurz bevor er im Begriff war, zu verschwinden, rückte er, zunächst herumdrucksend, doch dann immer mehr beharrend, endlich mit der Sprache heraus, indem er unklar formulierte, was ihm nicht passte und dass er sich von mir verarscht vorkäme. Ich fiel aus allen Wolken, sammelte mich kurz und erklärte ihm, dass dies weiß Gott nicht meine Absicht gewesen sei und mir wurde klar, was er damit meinte: verflossene Nacht... Er deklarierte es als bloßen Bösewillen meinerseits, ich verstand, dass es Birds Ego war, an welchem ich gekratzt hatte, indem ich ihm nicht – nun ja – Einlass gewährt hatte...

Kurzum: Bird verschwand und ich heulte mir die Augen aus dem Kopf, weil ich das Gefühl hatte, das war’s. Wir telefonierten dann noch und er machte mir ständige Vorwürfe und blieb letztlich jedoch immer wieder unkonkret, sodass ich keinen blassen Schimmer hatte, woran ich nun bin. Er antwortete pauschal und erwartete gleichzeitig irgendwie etwas, von dem ich bis jetzt nicht weiß, was es sein soll. Da ich merkte, dass wir uns im Kreis drehen, beendete ich das Gespräch und heulte weiter.
Das war vor drei Tagen. Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr. Und daher rührt meine konstant schlechte Laune, in einem stetigen Wechsel von Deprimiertheit, Frust, Hassgefühlen und Hassgefühlen, welche mir eine trotzige Zuversicht in mein gemartertes Hirn dreschen. Und das macht mich gerade mal fix und fertig – ja, es nervt. Ganz zu schweigen von der puren Sehnsucht nach diesem Blödmann! Als sei in meinem Kopf nicht schon genug Chaos! Nein, immer muss alles so sein, dass ich davon fast irre werde! Ständige Achterbahnfahrten – kann denn nicht einmal was normal laufen? Nein, kann es nicht. Zumindest nicht in meinem Leben, denn schon die Suche nach einem Job wird meist zu einer absoluten Katastrophe.
Ich habe weder eine abgeschlossene Berufsausbildung, noch habe ich eine ordentliche Schulbildung – es ist vielmehr das Leben, aus welchem ich meine Lehren ziehe. Auch einen festen Job habe ich nicht, jobbe mich durch von hier nach da, mal verkaufe ich irgendeinen Krempel auf diversen Märkten, dann wieder hinter der Kneipentheke und plötzlich finde ich mich beim Tapezieren in einer fremden Wohnung wieder. Das sind dann so meine spärlichen Geldquellen. Unsichere Jobs, wobei ich sowieso der Überzeugung bin, dass es keine wirkliche Sicherheit gibt, aber lassen wir das Thema – darüber bin ich schon oft genug mit Leuten aneinander geraten.
Tja – was bleibt da noch übrig als Stempel? „Versager“, oder „Künstler“, die mild ausgedrückte Form von „Versager“ quasi. Ha, ha, ha. Na ja, so wird man zumindest angeschaut, wenn man auf die Frage:
“Und, was machst du?“
„Ich bin Künstler.“ antwortet.
Aber auch das zieht mir mittlerweile am Hintern vorbei. Ich bin Künstlerin. Auch, wenn ich mir dafür nichts kaufen kann, so erfüllt es mein Innerstes mit Leben, bzw. reflektiert es mir das Lebendige des Seins an sich mit jedem Strich, den ich ziehe, mit jedem Klecks, der auf die Leinwand klatscht. Aber das kapieren sie nicht, „die Leute“, und so behalte ich mehr und mehr meiner intimsten Gedanken für mich.
Früher hatte ich immer gedacht, ich müsse die Menschen bekehren, nur, dass ich es damals noch nicht als Bekehrenswollen wahrnahm, sondern viel mehr als eine Klarsicht, die den anderen meines Erachtens nach zu fehlen schien. Heute ist mir klar, dass es im Grunde keine Rolle spielt, da ich auch nur einer von vielen bin. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich mein eigenes Universum bin, und die anderen eben ihres. Somit wird mir mehr und mehr bewusst, dass es immer eine Kluft zwischen Menschen geben wird. Und darum versuche ich, so wenig wie möglich über diese bitter beruhigende Erkenntnis nachzudenken... Was soll ich sagen – manchmal hilft’s!

Nun, der heutige Tag ist nun mal nicht meiner. Wann ist denn schon „mein Tag“? Ich glaube, mein Tag war immer gestern. Wenn er immer morgen wäre, hätte ich ja wenigstens noch die Vorfreude als immer wiederkehrendes Trostpflaster, aber da ich ja nun mal pessimistische Optimistin bin, sollte dies nicht so sein.
Und Männer – die sind doch irgendwie alle zu spät zur Hirnvergabe erschienen, nämlich, als nur noch die liegengebliebenen Reste übrig waren. So, wie im Supermarkt an der Gemüsetheke, wo man nur noch gammeligen, tausendmal durchgewühlten Restmüll vorfindet, wenn man sich kurz vor Ladenschluss in einen ebensolchen begibt. Und warum sind die Männlein zu spät zur Hirnvergabe erschienen? Womöglich, weil sie vorher noch allesamt im Puff waren, wo sie den armen Frauen dort das Hirn wiederum rauszuvögeln beabsichtigt hatten. Und somit müssen all die weiblichen Geschöpfe die schwere Last eines qualitativ hochwertigen Kopfinhaltes mit sich tragen. Und statt diesen sinnvoll zu nutzen, zerstören sie ihn, indem sie versuchen, den männlich seelischen Krüppeln eine milde Gabe zu geben und zwar durch bloße Selbstverblödung, um endlich auf ihr Niveau herabzusacken. Haben sie es jedoch endlich geschafft, diese schwere Prozedur zu absolvieren (denn man fragt sich ja, wie man soooo unglaublich bescheuert nur sein kann), lassen die Deppen einen sofort fallen wie eine heiße Kartoffel!!!! Welch ein Wahnwitz! Und trotzdem lieben wir sie, diese Dackel! Verdammt, und da soll man nicht irre werden?
Ich will ja nicht mal jemandem die Schuld geben, außer vielleicht unserer paranoiden Kollektivillusion, kurz: Gott! Aber schmerzt’s trotzdem oftmals sehr, es (und damit meine ich alles) immer wieder am eigenen Leib erfahren zu müssen. Ist nun mal so. Und ändern kann man daran auch nichts, ist dem gnadenlos ausgeliefert...
Das Leben ist eben eine gefährliche Krankheit, die auf jeden Fall zum Tode führt.

Zwei

Ein Freund hat mir mal gesagt, der Mann, dem ich meine Liebe schenke, kann sich glücklich schätzen und sollte sehr vorsichtig damit umgehen. Aber irgendwie gerate ich immer an solche (liebenswerten) Flaschen, die meine Hingabe zwar wahrnehmen, jedoch nicht ihre Zerbrechlichkeit, und sie somit als Fußabtreter nutzen. Das Grausame an der ganzen Sache: sie meinen es nicht ein mal böse (sonst könnte ich sie ja wenigstens mit Herzblut hassen), sondern sind scheinbar nur solch verkorkste, emotionale Krüppel, dass sie es einfach nicht merken. Und je öfter man es ihnen (zunächst ruhig, irgendwann nur noch hysterisch eine Wand anschreiend) versucht, klarzumachen, desto weniger verstehen sie einen. Was soll das alles bloß? Ich weiß es nicht und ich glaube, ich werde es nie verstehen. Was ja nicht mal so schlimm wäre, würde dieses Problem dadurch wenigstens ein bisschen transparenter... Nun, irgendwann wird’s schon werden. Im Zweifelsfall mit dem Tod – der löst nämlich alles auf. Alles ist somit vergänglich, also eben auch alle Probleme. Leider und glücklicherweise zugleich.
Lieber, dummer, blinder Bird! Wenn du doch wenigstens fühlen könntest, dass ich dich einfach nur liebe! Warum musst du mich ausgerechnet dafür bestrafen? Ich sitze hier herum, rauche eine Zigarette nach der anderen, höre herzzerreißende Musik und habe unglaubliche Sehnsucht nach deinen wunderschönen Augen...
Bird, du Blindfisch! Wie gern hätte ich dich aufgehalten, als du gingst, mir war danach zumute, dich anzuflehen, bei mir zu bleiben, weil ich dich liebe, doch lässt es meine „Vernunft“ nicht zu, so zu handeln, denn ich kenne dieses Jammertal, wie man sich fühlt, sobald man sich in diese Opferhaltung begibt...
War es das, was du bezwecktest? Wolltest du mich unbedingt betteln sehen? Scheiß Egotrip ewig, auf solche Spielchen habe ich einfach keine Lust mehr, keine Kraft mehr dafür...
Bird – jeden Tag flehe ich irgendeine imaginäre Macht an, dich dazu zu bringen, mich anzurufen mit den Worten: „Baby, ich vermisse dich. Tut mir leid, ich bin ein Vollidiot!“
Bird – du blödes, selbstverliebtes Arschloch! Was hast du nur für Probleme mit deinem Ego, dass du mich so zu quälen versuchst?
Ich merke schon, ich kann an nichts anderes denken. Immer klebt der Gedanke an Bird anderen Gedanken im Nacken und manipuliert sie, sodass es diesen anderen Gedanken auch bloß nicht gelingt, mich zu erfreuen! Ich könnte schreien, weinen und implodieren zugleich.

Mein Name ist Luna. Luna, die strahlende Kämpferin, die nach jeder Niedertracht zunächst den sterbenden Schwan mimt, ihr Leid zelebrierend und sich darin suhlend, doch dann aufsteht wie Phoenix aus der Asche, immer wieder aufs neue! Und wirklich immer wieder...
Der Kaffee duftet vor sich hin und ich pumpe mir die Ohren mit Rock’n’roll zu Brei, dass die Kopfhörer fast explodieren, mein Hirn in meinem Kopf herumwabert und mich zum Wohlfühlen animiert, obgleich diese miserable Verzweiflung über Birds plötzlichen Anfall von Paranoia auf meine Kosten doch immer noch sehr schmerzt.
Das ist so ein schizophrenes Gefühl zweier konträrer Gemütslagen, welche sich gegenseitig aufzuheben scheinen und zu einem nüchternen Gleichmut mutieren. Ich fühle mich momentan wie in einem Raum zwischen den Räumen, in einer Zeit zwischen den Zeiten, traurig und glücklich zugleich und müde, doch nicht imstande einzuschlafen. Dies extrem bewusste Dasein kostet mindestens genauso viel Energie, wie es einem vermittelt. Und am Ende bezahlt man es teuer mit dem Leben – wenigstens ein Kauf auf Rechnung, somit kann ich den Zahltag bis zur letzten Mahnung hinauszögern. Ich stelle mir gerade vor, wie arm jemand dran ist, der per Vorauszahlung lebt – dumm gelaufen... Das ist, als müsse ich den Kaffee, den ich trinken will, mit eben diesem Kaffee bezahlen, bevor ich ihn trinken darf, was dazu führt, dass ich ihn niemals trinken werde und es doch so gilt, dass ich ihn getrunken haben werde, sobald ich ihn bezahlt habe. Ich komme nur nie zum Trinken, überspringe dieses völlig, es ist nur mit der Bezahlung plötzlich Fakt, ohne, dass ich jemals was davon mitbekam. Ich habe den arroganten Eindruck, dass genau derart so viele Menschen ihr Leben fristen...
Trotzdem hilft mir diese glorreiche Erkenntnis nicht wirklich weiter. Wobei auch, wir sind gefangen im Teufelskreis Leben, bis es plötzlich einfach vorbei ist. Und dann? Na, zum Glück haben wir davon ausnahmsweise mal keinen blassen Schimmer, auch, wenn diverse Erläuterungen sämtlicher Religionen stetig versuchen, uns eines Besseren zu belehren.

Ich muss gerade an die Zeit denken, in der ich krampfhaft versuchte, zu vergessen, indem ich mir ein Bier nach dem anderen – später Schnaps – in die Birne jubelte. Das Problem war nur: Probleme können schwimmen! Und so war es tatsächlich! Akut half der Rausch, sich freizukämpfen von diesen zermarternden Gedanken und Ängsten, doch sobald man mit einem dicken Schädel aufwacht, sind die eben genannten Garante fürs Schlechtfühlen gleich doppelt so massiv dabei, einen in die Knie zu zwingen. Und da der Teufelskreis sich ja immer dort aufhält, wo er Erfolgsaussicht hat, gerät man schnell in diesen, da ein Bier eben hilft gegen den Kater...
Wie hatte Paracelsus doch gesagt? So in etwa: Jedes Gift ist – in seiner wohl dosierten Konzentration – förderlich für Körper und Geist (frei nach Paracelsus).
Tja, das Maßhalten ist wohl wichtig, und viele verstehen da vielleicht akustisch etwas falsch, wenn man gesagt bekommt, Alkohol in Maßen sei gesund, das heißt, gewisse Personen verwechseln da eventuell. die Maße mit der Masse......
Und noch immer warte ich auf irgendeine liebevolle Annährung von Bird, jedoch habe ich ein komisches Gefühl, wenn ich an ihn denke – es ist so eine leise, fiese Ahnung von einer eigenartigen Abneigung, die ich, anhand telepathischer Strömungen wahrzunehmen meine. Oder nennen wir es mal lieber eine Intuition, die mich in diesem Fall hoffentlich gerade im Stich lässt – oh bitte, lass mich falsch liegen mit dieser unheilvollen Vermutung, dass dieser widerlich anziehende Mann mich nicht mehr will!


Drei

Mir ist vielleicht letzte Nacht etwas passiert!
Das ganze lief so ab: ich war traurig wegen Bird. Also dachte ich mir, ich müsse meinem Selbstwertgefühl etwas Gutes tun, indem ich mich richtig rausputze und dann ins „Dropout“, meine Stammkneipe gehe, um Blicke der Bewunderung zu genießen.
Ich zog also einen schwarzen, knappen Rock an, transparente Feinstrumpfhosen, schwarze Kniestrümpfe und einen schwarzen, knappen Pulli mit tiefem Ausschnitt. Tuschte meine Wimpern großzügig und ließ meinen Haaren über die Schultern gleitend freien Lauf. Ende vom Lied des Triumphes war, dass ich mir auf dem Weg in die Kneipe die Strumpfhosen einriss, sodass ein dickes Loch und um das Loch herum sich scharende Laufmaschen mein linkes Bein verzierten. Mit jedem Schritt fühlte ich mich hässlicher und lachhafter, zog eine Fresse, die ich förmlich hassen spürte und betrat das Dropout. Ich setzte mich an die Theke, jammerte vorm Wirt, bekam ein paar mentale Streicheleinheiten und ein Radler und klebte an der Theke, harrend der Dinge, die da kommen mochten. Und da sprach mich ein Typ an, welcher mir zunächst wie ein gefundenes Fressen schien, meine schlechte Laune an ihm auszulassen und ihm sein Selbstwertgefühl zu einer faulenden Masse zu zertrümmern.
Wie gesagt, sprach er mich an:
„Hallo, schöne Frau!“, und ich ließ ihn abblitzen, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen:
„Und tschüs!“
Jedoch reagierte der Typ völlig unverhofft, indem er mir ebenfalls Tschüs sagte, in ebensolch freundlichem Ton, wie er mich zuerst angesprochen hatte, sich abwandte und wieder zu seinem Platz stiefelte.
Das stimmte mich so perplex, dass ich meinem Egotrip nicht mehr standhalten konnte: es konnte doch nicht sein, dass dieser Typ mir einfach so dermaßen leger die Show stahl!!! Das nagte an mir. Und das wiederum bemerkte der Wirt, und da dieser Typ irgendwie alles zu durchschauen scheint und nichts für sich behalten kann, posaunte er laut und für die anderen Gäste nicht zu überhören die Frage heraus, ob ich jetzt etwa frustriert sei, dass dieser Typ (unbeeindruckt von meiner Kühle) wagte, einfach wieder zu gehen, ohne sich nicht wenigstens in seiner Eitelkeit gekränkt zu fühlen?!
Ich verdrehte die Augen, mir wurde heiß und kalt, ich gestikulierte in der Luft herum und versuchte, irgendetwas lässiges zu sagen, was mir nicht gelang und an dessen Stelle nur ein lächerliches Stottern aus meinem Mund quoll, sah zur Seite und da stand er, dieser Typ, und lächelte freundlich. Ich wäre in diesem Moment am liebsten zu einer der ausgedrückten Zigaretten im Aschenbecher vor mir mutiert, jedoch passierte nichts dergleichen. Ich schloss die Augen, hoffend, dass ich, sobald ich sie öffnete, irgendwo anders (am besten zuhause) sein würde, öffnete die Augen wieder und war immer noch im Dropout. Und zu meinem Entsetzen war auch dieser Typ tatsächlich echt und somit auch das eben Vorgefallene. Ich drehte mich wieder zu ihm um und sah in seine Augen und plötzlich durchfuhr es mich, wie ein Blitz – dies Stechen im Solarplexus....
Ich fuhr zusammen, krallte mich an meinem Glas fest und starrte auf meine Hände. Das konnte doch nicht sein? Und da war er wieder, dieser Ohrwurm, den ich die letzte Zeit so gut wie vergessen hatte...
Ich überlegte und kam zu dem Schluss, dass die letzten Tage einfach ein bisschen zu viel für mich waren und ich mir doch ganz sicher nur was einbildete... Ich konnte es jedoch nicht lassen, mich wieder umzudrehen nach dieser schrägen Type – und da sah ich ihn im Profil. Erst jetzt fiel mir die recht dunkle Ecke auf, in welcher er an einem Stehtisch lehnte, nur unmittelbar angestrahlt vom diffusen Licht der Kerze neben ihm... Er, zur Seite schauend mit einem Blick in eine Leere, oder auch eine Fülle, die sich zumindest jenseits von Zeit und Raum zu befinden schien. Ich spürte plötzlich eine dermaßen fesselnde Präsenz, die ganz klar von ihm auszugehen schien und eine von Melancholie umwobene, anziehende Aura, die sich wie kleinste Partikel mit den Lichtatomen des Kerzenschimmers zu vermischen begann und sich, je länger ich hinsah, zu einem immer heller leuchtenden Schleier formte, welcher meine Wahrnehmung von Zeit zu transzendieren begann... Gebannt starrte ich auf des Mannes Silhouette, hatte das Gefühl, mein Blick würde mit jeder Sekunde schärfer, konnte plötzlich gestochen scharf, mit dem Blick eines Adlers, sein Gesicht erkennen. Ein raues, stoppeliges, rundes Kinn, ein geschlossener Mund, die Lippen entspannt in einem Hauch eines Lächelns gefangen, das eine Auge, das ich sehen konnte, auf den Boden gerichtet, von langen Wimpern überdacht, einem fliehenden Lid und einer Braue, welche in sanftem Schwung meinen Blick auf sein Ohr wies. Das Ohr, leicht bedeckt von struppigem Haar, unter dem Ohr der Hals, mit stoppeligem Haar benetzt leitete mich nun der Verlauf des Bartansatzes zu seinem Haaransatz im Nacken, welches in konfusem Gestrüpp in einem Halbmond meine Augen auf seine Stirn lenkte: eine sanfte Wölbung mit einem fliehenden Haaransatz. Ich starrte auf dieses Profil und vergaß mich selbst, ich spürte lediglich, löste mich auf in diesem Anblick und in purer Emotion, welche so unbestimmt war, dass ich ihr niemals einen Namen hätte geben können. Ich vergaß Zeit, ich vergaß Raum, ich vergaß alles, indem ich plötzlich nicht mehr differenzierte – ich nahm lediglich auf, so direkt, wie nur möglich. Erst als der Wirt mich fragte, ob ich ihn nicht mehr leiden könne, oder warum ich ständig wegstarre von ihm, wachte ich auf aus dieser Transzendenz. Völlig wirr schüttelte ich kurz den Kopf und bemerkte, dass meine Hände das Bierglas zärtlich streichelten. Ich trank die warme Plörre aus und stand auf. Drehte mich um und sah nach diesem Mann – er stand noch immer so da.
Ohne mir die Zeit für eine Entscheidung zu lassen, ging ich einfach zu ihm hin und stellte mich zu ihm an den Tisch. Er schaute mich lediglich an mit demselben Blick, den er die ganze Zeit drauf hatte, ohne eine merkliche Bewegung seines Mundes – nichts – lediglich seine Augen fixierten nun die meinen und dieser Blick durchstieß sämtliche Masken und Fassaden und landete direkt auf dem Grund meiner Seele, so fühlte es sich an.
Ich verlor die Macht über mein Handeln und pfiff unvermittelt jene Melodie, welche vor zwei Jahren das erste Mal mein Bewusstsein betrat. Dem Mann liefen auf einmal die Tränen und sein Mund öffnete sich, da erkannte ich plötzlich, wie schön er war, schön und so unendlich traurig, so unendlich tief diese monumental scheinende Traurigkeit.
Wir schauten uns in die Augen – eine halbe Ewigkeit, ich weiß es nicht...
„Wer bist du?“, brachte ich schließlich heraus.
„Spielt das denn eine Rolle?“, entgegnete er.
„Wir spielen alle eine Rolle, den Traum eines schlafenden Mondes, der wissend ruht, bis ihm eine Sonne geboren wird...“
Der Mann sah mir weiterhin in, oder viel mehr durch die Augen und lächelte nun sanft mit den Worten:
„Ich weiß es nicht...“
Ich reichte ihm die Hand:
„Luna. Und du?“
„Na, ich eben. Und eine Rolle spielt es nicht....“, mit diesen Worten reichte er mir die Hand. Wie warm sie war, knöchern, sehnig und doch weich und warm, kraftvoll doch mit sanftem Druck hielt er meine Hand kurz, sah mir weiterhin in die Augen und wandte sich so plötzlich ab, dass ich gar nicht reagieren konnte. Es war, als wäre plötzlich die Zeit gesprungen und er stand mit dem Rücken zu mir, schlurfte langsamen Schrittes gen Ausgang, hob die Hand zum Abschiedsgruß und rief freundlich und neutral zugleich:
„Und tschüs!“ – und war verschwunden. Mit offenem Mund starrte ich zur Tür, welche langsam und schwer ins Schloss fiel und hörte wieder diese Melodie in meinem Kopf, die erst so unglaublich schräg, doch in ihrer atonalen Akustik so vollkommen harmonisch und wunderschön klang plötzlich...
Völlig neben der Spur zahlte ich mein Radler, verließ die Kneipe und schlenderte nachhause. Mit meinen Gedanken bei diesem Mann und der absoluten Überzeugung, dass er es war, der mir da vor zwei Jahren einen guten Heimweg wünschte.

Und nun muss ich wieder an Bird denken – dass ich ihn bedingungslos liebe und dass ich hoffe, er nutzt diese dargebotene Fläche eben nicht als Fußabtreter, sondern achtet sie mit Respekt und Liebe. Doch scheinbar habe ich nicht die Kraft, mich in Demut aufzulösen.
Es ist nur so, dass ich es einfach nicht in Erwägung ziehen will, schlichtweg was „Falsches“ in Bird projiziert zu haben, quasi meine Wünsche. Doch diese wunderschönen, tiefen, großen Augen verleiten eben nun mal sehr dazu, darin unglaubliche Wärme und die Sehnsucht nach bedingungslosem Zusammenhalt zu entdecken. Bird und Luna zusammen, Bird und Luna füreinander, das habe ich mir so sehr gewünscht und tu es, ehrlich gesagt, noch immer.
Diese endlos tiefe Sehnsucht, in Birds Anwesenheit Geborgenheit zu erlangen, kann und will ich nicht verleugnen. Ich kann nicht aufhören, den Traum von einer Liebe, für die es sich zu leiden lohnt, einfach weiterzuleben! Und irgend etwas tief in mir spürt einfach, dass in Bird drin ein kleines Kind nach Liebe schreit – vergebliche Suche nach Liebe - eine gekränkte, traurige Seele, die ihren Schmerz mit Leichtigkeit zu überspielen versucht; doch letztlich sticht der Schmerz immer wieder ans Tageslicht und verwirrt, kränkt und peinigt einen unschuldig gebliebenen Kern eines Mannes, der im Innersten ein Kind noch ist. Ein Kind, das endlich geliebt werden möchte. Luna liebt dich, Bird, egal, wie du mich verletzt, weil ich weiß, du willst es im Grunde nicht.
Das hat mir der Mann in der Kneipe so bewusst gemacht durch die Frage, ob es denn eine Rolle spiele...
Bin ich eben doch eine hoffnungslose Romantikerin. Es ist nur die Fassade, die so hart und manchmal abgedroschen wirkt – doch im Grunde sehne ich mich doch nur nach Liebe... Wie ein Kind........
Bird, wie sehr ich dich vermisse, kann es kaum ertragen. In meinen Tränen ertrinkend, das letzte, was ich rufe ist: „Bird, ich liebe dich.“


Vier

Luna legte den Stift beiseite und dachte nach. Sie merkte, dass sich das Aufschreiben ihrer Gedanken und Erlebnisse zu einem Krampf entwickelte und hielt es für besser, einfach damit aufzuhören, bevor es ihr bloßen Frust bescheren würde. Sie legte die beschriebenen Blätter in eine Schublade, welche vor Chaos und Zettelwirtschaft nur so strotzte, schloss diese schnellstens wieder, atmete tief durch und ging ins Bad, um sich im Spiegel zu betrachten.
Noch etwas unschlüssig über die Wahrhaftigkeit vergangener Nacht sah sie wehmütig in den Spiegel, sagte affektiv laut zu sich selbst:
„Es wird schon alles irgendwie einen Sinn gehabt haben.“, drehte das Wasser auf und wusch sich das Gesicht. Sie hatte noch keine Minute geschlafen, seitdem sie aus dem Dropout zurück war und merkte plötzlich, wie müde ihr Körper und ihr Geist längst waren, müde, erschöpft und ausgeleert von den vielen letzten Nächten, die sie kaum geschlafen hatte – kaum schlafen konnte...
Die Begegnung mit diesem Mann, welchem sie bereits vor zwei Jahren so nah war auf eine paradoxe, distanzierte Art und Weise, welche zu umschreiben sie nie imstande gewesen war, wenn sie überlegt hatte, jemandem davon zu erzählen. Und jetzt diese zweite Begegnung, welche eine Epoche ihres Lebens auf eine Art, gegen die sie sich keineswegs wehren konnte, einzurahmen schien.
Dieser namenlose Mann – er ging ihr nicht aus dem Kopf. Wer war diese Gestalt und was hatte er mit ihr zu tun, bzw. sie mit ihm? Sie erinnerte sich an den tiefen Blick seiner Augen, welcher prähistorische Winkel ihrer Seele zu erfassen schien, die Luna selbst noch nicht kannte, da sie diese bereits zumauerte, bevor sie jemals in ihr Bewusstsein hätten rücken können... Was hatte dieser Wahnsinn in ihren Gedanken zu bedeuten? Sie konnte einfach keinen Ansatz von Logik finden. Noch einmal sah Luna sich dann im Spiegel an und nahm ein paar Pillen aus einem Döschen, um diese zu schlucken.
Nochmals sagte Luna laut:
„Einen Sinn wird es wohl gehabt haben...“, und stiefelte vom Bad direkt auf ihr Sofa, schaltete den Fernseher an, suchte die Kanäle wie gelähmt durch und blieb schließlich bei einer Tierdokumentation hängen, um dann, eingelullt von der angenehm monotonen Stimme des Sprechers und der Wirkung der Tabletten einzuschlummern.

Luna schlief sehr lang und enorm tief. Sie träumte von Landschaften, die zu Gesichtern wurden. Träumte von Bird in einem See aus Leidenschaft und von fernen Ländern, welche zu bereisen plötzlich nur noch die pure Kraft der Gedanken bedurfte. In ihrem Kopf verwandelten sich fremde Sprachen zu intuitivem Verständnis, ohne jemals eine Bedeutung erfassen zu müssen, verstand sie plötzlich – mit ihrem puren Sein ein ebensolches. Luna wandelte durch ferne Täler, sie sah Aurora, die Morgenröte und spürte den sanften Flügelschlag eines ihr vertrauten Wesens hinter sich, kühlend legte sich die Macht der Gedanken auf ihre tiefen Wunden... Es waren Worte, die zu Gefühlen wurden. Grenzenlose Empathie ersetzte ihr Denken und alles war unmittelbar, es gab keine Zeit mehr, Luna war plötzlich die pure Freiheit und sie segelte durch Lüfte, die süßlich nach Liebe rochen. Gelenkt vom Wind, der aus ihrer Intuition bestand, welche völlig unvermittelt alles, was sie war, stattfinden ließ, ohne es erst durch Sinnieren darüber verfälschen zu müssen.
Ein prägnantes Augenpaar tauchte direkt vor ihr auf und ein weicher, endlos bestehender Mund küsste ihre Seele, und sagte:
„Du, liebe Luna, du allein bist die Zeit, die dir vergeht....“
Dann entfernten sich Augenpaar und Mund, formten sich zu einem transparenten Gesicht, dessen Konturen sich radial verschmelzend mit der schemenhaften Umgebung in Fasern aus Licht aufzulösen schienen, und das Gesicht starrte sie an und fuhr zu reden fort:
„Solar mein Name, ich grüße dich herzlichst und strahle dich fortwährend an, liebe Luna, mein Pendant... Die Sonne sei dir geboren, lieber Mond, bemerke es nur...“
Und mit diesen Worten entfernte sich das mehr und mehr glühende Gesicht immer weiter, diese Melodie pfeifend, welche Luna in ihrer Fremdheit so vertraut war....

Luna erwachte plötzlich und war schlagartig hellwach. Sie konnte sich an nichts erinnern, es war nur ein zutiefst intensives Gefühl, welches ihr blieb, ein bisher unerkanntes Wissen darüber, dass es so etwas wie eine grundlegende Wahrheit geben würde....
Es war später Nachmittag und es dämmerte bereits die Dunkelheit – ein eigenartiges Zwielicht, welches durch die Fenster in ihre Räume drang.
„Wie eine Welt zwischen den Welten. Der unerreichbare Ort, welcher Nacht und Tag in einem stufenlosen Übergang passieren lässt – doch wohin nur, wohin des Weges? Ruht doch die Sonne im Zentrum und ist die Mutter allen Lebens auf dieser Erde... Die Sonne, unsere Mama. Wir alle sind ihre Kinder... Die Sonne – was ist nur los mit mir??“
Luna spürte diese tiefe Erregung, die ihr so vertraut war, wie aus einem Nirwana vor allen Geburten heraufgestoßen ins irdische Sein – eine unbestimmte Erinnerung in Form einer puren Emotion – pure, bedingungslose Liebe, welche weder differenziert, noch für irgendeinen individuellen Vorteil geschaffen ist – ihre einzige, unwillkürliche Intention ist, pur und rein eben diese zu sein – diese essentielle Kraft, die erst das Leben in jede Materie haucht. Und plötzlich war es Luna so klar: Bewusstsein ist aus Liebe entstanden – aus der Sehsucht der Liebe nach Reflektion, darum braucht die Sonne den Mond als ihren Spiegel, um ihr eigenes Licht reflektiert zu sehen und Luna – Luna ruht und dankt und wärmt sich an der Sonne Licht – ein stillschweigender Pakt, der niemals beeidigt werden musste, sondern da war, bevor es irgend eine Möglichkeit gegeben hätte, ihn wieder zu verleugnen, oder aus Egomanie zu umgehen. Hier geht es längst nicht mehr um Vorteile oder Erfolg. Das ist es, das ist der Ort – es war Luna plötzlich so klar, sie sah ihr Zuhause vor sich, ihre Herkunft, ihre Wurzeln, ihr Licht....
Plötzlich verstand sie den Sinn der Begegnung zwischen ihr und dem Mann. Ja, es musste so sein: es musste einfach Solar sein – Solar, ihr Pendant. Es fiel Luna wie Schuppen von den Augen – sie MUSSTE dieser Person einfach begegnen, das dies längst passiert war, bevor sie überhaupt als Individuum zu existieren begann! Und hierbei ging es längst nicht mehr um bloße Zwischenmenschlichkeiten, wie etwa eine Liebesbeziehung – es war eine grundlegende Bestimmung, dass Luna und Solar ein Paar in Ausgeglichenheit ergeben würden: zwei Hälften, die erst eines werden, wenn sie sich reflektieren...
Gefasst stand Luna vom Sofa auf, blieb mitten im Raum stehen und konnte ihre klare Sicht kaum fassen. Der Schlaf, von dessen Träumen sie nichts wusste, kam ihr vor wie eine ewige Ohnmacht, aus welcher sie heute zum aller ersten Mal wirklich erwacht war.
Voller Hingabe dachte Luna plötzlich an ihren Bird, den sie nun nur noch erfüllt von dem Gefühl bloßer Wärme und Zuneigung vor sich sah – jegliche Wut wich von ihr und ihr wurde bewusst, dass es das einzige, was wirklich einen Sinn erfüllt, ist: wahrhaftig zu lieben.

Die Liebe kennt keine Gründe, um plötzlich sich selbst zu verleugnen...

Nach Stunden des Reflektierens kam Luna wieder zu sich, sah auf die Uhr: die Nacht war bereits wieder vergangen und durch die Vorhänge linste die Ahnung erster Sonnenstrahlen. Luna hatte ihr Zeitgefühl verloren, konnte das Vorbeiziehen der Stunden, welche zu Sekunden wurden, nicht mehr begreifen. Aber es war ihr egal, denn wie ein Lama ruhte sie in sich, spürte die Energie eines Freundes, einer Liebe, die das Leben umschreibt – eine Liebe, für welche die Zeit längst keine Rolle mehr spielt...
Sie ging zum Fenster und begrüßte den beginnenden Morgen und Tränen schossen ihr in die Augen. Ihre Erinnerung an irgend etwas wie einen Alltag war völlig verstrichen; ihr war, als stünde sie schon immer so da, als wäre alles, was sie bisher erlebt hatte, nur ein Gedanke, eine bloße Idee eines träumenden Bewusstseins gewesen...


Fünf
Das Telefon klingelte. Mit sanftem Schritt der Ausgeglichenheit glitt Luna zeitlos durch den Raum zum Telefon hin und hob ab:
„Luna hier...“, sagte sie, paralysiert von ihrem Zustand.
„Luna – hier ist Bird...“, meldete sich eine Stimme, welche Luna so sehr vermisst hatte...
Es war, als falle ein Gewand von einer Sache ab, welches umhüllte und versteckte, was Luna so sehr gesucht hatte und plötzlich lag es ausgebreitet vor ihrem Bewusstsein...
„Bird...“, hauchte Luna ins Telefon,
„Schön, dass du dich meldest! Ich vermisse dich so sehr...“.
Tränen quollen unaufhaltsam aus Lunas großen, schwarzen Augen, bahnten sich ihren Weg über die runden Wangen, um dann – in ihren Mundwinkeln kurz verharrend – ihren Hals hinabzurinnen...
„Luna,“, sagte Bird, „Kann ich dich treffen?“.
Lunas Atem stockte, mühevoll formte sie ein paar Worte:
„Ja. Komm doch vorbei.“.
„Morgen gegen Abend?“
„OK.“, sagte Luna – und legte einfach auf.
Die Sonne schien am wolkenlosen Himmel und Luna lehnte sich aus dem Fenster, das sie geöffnet hatte, sog die frische Morgenluft und die Sonnenstrahlen ein und dachte an Solar. In ihren Gedanken sprach sie zu ihm und ihr war, als höre er ihr tatsächlich zu, als sehe er sie dort am Fenster stehend, seinen Blick in ihr Herz gerichtet, wachsam der innewohnende Geist – seit Beginn allen Daseins bereits...
Mit geschlossenen Augen streckte Luna ihr Gesicht gen Sonne, fühlte, wie die Wärme zu Hitze wurde, ihr Antlitz bestrahlte mit purer Energie, wie Luna selbst ihre Seele dem Licht öffnete, wie das Licht hineinströmte, um dunkelste Ecken zu erleuchten – ja, sie spürte, wie das Licht der Sonne ihr Innerstes flutete und öffnete ihren Mund, um den Tag mit einem Kuss zu begrüßen.
Es war ihr eigenes Lächeln, welches sie an das Glück erinnerte. Sie spürte die Spannung der Muskulatur ihres Mundes, spürte das Brennen des Grinsens in ihrem ganzen Gesicht, bis es fast unerträglich wurde und Luna lachte laut los. Die Vögel sangen und es wurde langsam richtig warm – nicht zuletzt in Lunas Herzen. Sie verschwand im Bad unter der Dusche und der süßliche Duft verschiedenster Blüten erfüllte den Raum, welcher voller Wasserdampf wie eine nebelige Landschaft wirkte. Luna seifte sich ab, mit einem unheimlich intensiven Gefühl von Nähe zu ihrem Körper – dem Haus ihrer Seele, ihres Gemütes. Feiner Schaum benetzte ihre Haut, Luna verrieb ihn sanft mit ihren Fingern, glitt mit der linken Hand an die Stelle, an welcher hinter Fleisch und Blut ihr Herz schlug, hielt dort inne und spürte das Licht pulsieren. Vor geschlossenen Augen sah sie Lichtatome wie durch ein Kaleidoskop und wusste, dass alles bald einfach irgendwie gut sein würde. Sie spürte den Trost, der ihr das versprach...
Abgeseift und mit vom heißen Wasser geweiteten Poren stieg Luna aus der Dusche, warf sich ein Handtuch um die Hüften und stolzierte auf den Balkon, um in der Sonne zu trocknen. Als sie die Augen schloss, vernahm sie in ihrem Geiste ein rhythmisches Piepsen: die himmlischen Klänge morsender Engel. Jedoch verstand sie diese Botschaft nicht und so wandte sie sich dem Himmel ab und ging zurück in ihre Wohnung.
In einer Trance gefangen kochte Luna sich einen Kaffee, setzte sich damit an den für eine Person viel zu großen Küchentisch und zündete sich eine Zigarette an. Ganz dieser Dinge sich widmend blies sie Kringel aus Rauch und dachte zurück an den Abend in der Kneipe:
es war schon ein eigenartiges Gefühl, sich kaum dran erinnern zu können, was geschehen war, nachdem sie aus dem Dropout heimgekehrt war. Sie erinnerte sich lediglich ans Aufwachen mit einer Erinnerung an etwas, das Luna mit dem Nichts assoziierte. Angestrengt überlegte sie, um sich wenigstens Fragmente von Erinnerungen ins Bewusstsein zurückzurufen, kramte nach Bildern im Unterbewusstsein – doch fand sie nur schwarze Löcher, sobald sie an diesen unglaublich tiefen Schlaf dachte...
Es war, als fallen Schneeflocken vom Himmel und noch bevor Luna sie in ihrer vollkommen filigranen Pracht ausmachen konnte, waren sie bereits zu einer Pfütze geschmolzen. Ihr schien, als versuche sie, Wasser mit den bloßen Händen zu halten. Das einzige, was ihr als Erinnerung an diesen Schlaf blieb, war die Erinnerung an NICHTS – eine unbeschreibliche Leere von ungeheurer Dauer.
Luna nahm einen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse und bemerkte, dass dieser bereits schon wieder kalt geworden war. Wie lang sie, krampfhaft versuchend, sich zu entsinnen, dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Sie bemerkte lediglich dieses eigenartige Gefühl körperlicher Transparenz und sie versuchte, diese unbestimmbaren Gedanken abzuschütteln. Aus einem Gefühl der Zeitlosigkeit entspringend beschloss Luna, sich anzuziehen und das Haus zu verlassen.
Als Luna jedoch die Wohnung verließ, fühlte sie sich unglaublich unsicher, was sich noch steigerte, als sie durch die Haustür direkt auf den belebten Bürgersteig der Straße gelangte. Ein Mann hätte sie beinahe umgerannt und überhaupt – niemand würdigte sie eines Blickes. Luna fühlte sich merkwürdig aufgelöst und hatte den Eindruck, als existiere sie überhaupt nicht – zumindest nicht in der Form, die sie gewohnt war. Und das ließ ziemliches Unwohlsein in ihr walten. Alles schien irreal und schemenhaft, wie ein Traum, den sie interaktiv beeinflussen konnte durch ihre Handlung – jedoch nur begrenzt. So, als sei sie Beobachter eines Filmes, in welchem sie selbst eine Rolle spielte, jedoch bemerkten sie die Statisten, wie ihr die Leute ringsherum schienen, offenbar nicht.
Luna begann zu zweifeln. Sie dachte darüber nach, ob sie vielleicht im Begriff sei, paranoid zu werden. Prompt schlichen sich weitere Zweifel in ihr Bewusstsein, dass aufgrund ihrer möglichen Paranoia, überhaupt alles nur eine Einbildung war – das Telefonat mit Bird, die Begegnung mit diesem Typen, von dessen Existenz als ihr Pendant sie plötzlich so gnadenlos überzeugt war, überhaupt alles!
„TRÄUME ICH DENN NUR?“, schrie Luna los.
Nichts tat sich. Sie hatte gehofft, dass jemand sie zwicken würde mit den Worten:
„Nein, du träumst nicht, junges Fräulein. Und überhaupt – geht es dir nicht gut?“
Ja, Luna sehnte sich in diesem Moment dermaßen nach einem Gespräch, nach Wärme in den Augen eines anderen Menschen, nach Hilfe und vor allem nach Geborgenheit. Sie stand wie paralysiert vor ihrem Hauseingang und starrte in die Leere. Eine leichte Brise wehte durch die Straße und glattweg durch Luna hindurch, so schien es ihr. Sie fühlte sich nun noch transparenter als zuvor. Außerdem hatte sie unglaubliche Angst, deren Ausbruch lediglich diese Lähmung zurückhielt, welche Luna verspürte.
Und in diesem Moment musste Luna plötzlich an ihre Katze denken und ihr fiel ein, dass sie überhaupt gar nicht zuhause war. Sorgen erfüllten ihr Gemüt und Unverständnis darüber, wo sie wohl sei. Sie rief nach ihr, lockte mit Vogelgezwitscher, welches sie sehr gut imitieren konnte, rief hundertmal hintereinander nichts anderes als ihren Namen. Doch nichts geschah. Kein Demolition Man weit und breit. Luna fiel der eindimensionale Klang ihrer eigenen Stimme auf, jedoch blieb ihr keine weitere Kraft, darüber nachzudenken, und so kehrte sie der belebten Straße den Rücken und ging zurück, die vielen, nicht enden wollenden Treppen hinauf, in ihre Wohnung; ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen und schlurfte deprimiert in ihr Zimmer. Wieder dachte sie an Bird, während sie sich schwermütig aufs Sofa fallen ließ. Ihr Bird, ihr großer, dummer Bird. Wollte er nicht am nächsten Abend vorbei kommen?
„Wann ist überhaupt morgen? Was ist überhaupt Zeit?!“, fragte Luna sich ernsthaft, nicht als bloße Phrase, sondern tatsächlich, da sie mittlerweile an allem zu zweifeln begann. Sie hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden, sofern sie überhaupt existierte. Was war nur passiert mit ihr an jenem Abend, an welchem sie aus der Kneipe zurückkam? Sie konnte sich nicht erinnern, hatte nur das unglaubliche Bedürfnis, einfach zu schlafen. Lang.
„Am besten wäre es,“, dachte Luna, „wenn ich gar nicht mehr aufwachen würde...“.
Träge stiefelte sie ins Bad und fischte das Döschen mit den Schlaftabletten aus dem Spiegelschrank.
„Ich nehme wohl eine zum Schlafen... Oder gleich alle, um auch richtig zu schlafen. Ich hab die Schnauze voll von diesem Wahnsinn, verstehe überhaupt nichts mehr.“
Mit diesen Worten in ihrem Kopf widerhallend öffnete sie die Pillendose und erschrak: das Döschen war leer! Wo waren die Tabletten alle hin? Es konnte doch nicht sein, dass sie schon wieder leer waren, sie hatte doch neulich erst neue besorgt...
Und in diesem Moment erstarrte Luna mitsamt ihrer Umgebung – der Film hielt an, Standbild – die Zeit, überhaupt alles blieb stehen, Luna atmete nicht mehr, sie sah lediglich den Grund der Pillendose, welcher sich mehr und mehr zu entfernen schien, die Dose wie ein Tunnel, der sie mit plötzlicher Urkraft einzusaugen begann und alles um sie herum verschwand, bis nur noch ein Vakuum da war. Es war nichts, es war alles, es war ein einziges Starren in eine innere Leere.
Nach Momenten des Stillstandes, welche Jahrzehnte hätten angedauert haben können, ohne, dass Luna gewagt hätte, dies zu bezweifeln, fand sie sich plötzlich in einer Starre wieder. Da waren wieder die Morsezeichen der Engel in Form eines rhythmischen Piepsens, welches Luna bemerkte. Und plötzlich bemerkte sie, dass sie die Augen geöffnet hatte. Sie versuchte, sich auf das, was sie sah, zu konzentrieren, merkend, dass sie lag. Luna wollte sich bewegen, doch konnte sie nicht. Umrisse von zugezogenen Gardinen vor einem Fenster wurden etwas deutlicher, dann sah sie eine Gestalt, oder vielmehr einen Umriss einer ebensolchen. Ihr blieb fast das Herz stehen, obgleich sie es sowieso nicht schlagen spürte: da stand Bird weinend vor ihr.
Luna fragte:
„Mein Liebster, warum weinst du?“
Doch drang keines ihrer Worte aus ihrem Mund, sie hörte sich sprechen, merkte jedoch, dass ihr Mund starr blieb, so sehr sie ihn auch zu bewegen versuchte. Hektisch griff sie nach Birds Gesicht, bemerkte jedoch, dass sich ihr Arm keinen Millimeter bewegte...
Sie wollte weinen, doch flossen keine Tränen, sie wollte schreien, doch es blieb still. Sie sah, wie Bird ihre Hand nahm. Sie spürte seine Wärme in ihrer Seele. Luna hörte Bird schluchzend sagen:
„Ich liebe dich, mein Engel. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich!“
Sie versuchte, seine Hand zu drücken, doch gelang ihr auch dies nicht. Da schwanden Luna sämtliche Sinne und sie fiel in eine Schwärze, deren Tiefe unermesslich ist, da wir, die hier sitzen und staunen, nicht imstande sind, nachzuvollziehen, in welchen Abgrund Luna in diesem Moment stürzte.
Da hörte Luna plötzlich eine Stimme ihren Namen rufen. Nah und vertraut und liebevoll rief man sie beim Namen:
„Luna! Liebe, liebe Luna! Schau her! Konzentrier dich darauf und du wirst mich sehen. Keine Angst, liebste Schwester, liebe Luna – deine Augen sind bereits geöffnet, nun öffne deinen Geist... öffne deinen Geist.....“.
Die letzten Worte der so vertrauten Stimme hallten in Form eines Echos wider, welches in diesem Augenblick den ganzen Kosmos zu füllen schien – sei es auch nur ihr eigener, welcher ihr plötzlich so endlos schien, wie das Weltall.
Luna konzentrierte sich auf das Echo und öffnete ihren Geist – da sah sie plötzlich klar, klarer denn je, so schien es; und dicht vor ihren Augen weilte das Antlitz ihres Seelenbruders Solar.
„Solar!“, dachte Luna.
„Ja, liebe Luna.“, antwortete ihr Pendant.
„Liebster Spiegel meiner Seele, was ist nur los mit mir? Ich verstehe es nicht. Ich kann mich an nichts erinnern. Was ist los? Wo ist Bird? Oh mein Gott, Solar, ich bin so schrecklich müde...“
Lunas gedachte Worte hallten in ihrem Kopf wider und wieder spürte sie, dass ihr Mund sich keinen Deut bewegt hatte, und so „sprach“ ihre Seele weiter:
„Solar, wie kann es sein, dass du mich hörst? Ich spreche doch gar nicht!“
Solar legte seine heiße Hand auf die nackte Brust von Luna, genau in die Mitte, auf ihr Herz und sie spürte wieder dieses pulsierende Licht, welches das organischste war, was sie jemals gespürt hatte, wie eine Essenz des Daseins träufelte Liebe in ihr Bewusstsein und Solar begann, ruhig zu sprechen:
„Meine liebe Luna. Du weißt nicht mehr, was passiert ist. Es zerreißt mir fast mein Herz, was du getan hast. Der Abend, an welchem wir uns begegneten. Du warst verzweifelt, das spürte ich, darum musste ich weinen, als du vor mir standest – denn dein Leid ist auch mein Leid, Mond, der du bist!
Ich wusste, was du tun würdest, jedoch konnte ich dich nicht daran hindern, da es nun mal nicht in meiner Macht liegt, eine andere Seele in ihren Taten zu manipulieren.
Ich werde nicht verraten, was du getan hast, denn es würde dich so sehr schmerzen, wie mich und das möchte ich dir ersparen. Stattdessen möchte ich, dass du mir vertraust! Vertraust du mir, liebe Luna?“
„Ja... Ich vertraue dir...“, sagte Luna im Affekt, da ihr nichts anderes mehr übrig blieb, als unmittelbar zu sein und jegliches Gedankengut fiel plötzlich von ihr ab. Sie vergaß ihre Identität, ihre Erinnerungen erloschen, sie war nun ausschließlich im unmittelbaren Moment bewusst da, uneingenommen von Zukunft und Vergangenheit und da war es ihr klar: das muss die Ewigkeit sein.
„Es ist die Ewigkeit, “, sagte Solar ruhig,
„und du wirst nun nach Hause gehen. Vertrau mir, liebste Luna, wir sehen uns schon bald. Du wirst von all dem hier nichts mehr wissen, doch das spielt auch gar keine Rolle mehr. Du kehrst nun zurück in dein Haus, zu deiner Bestimmung, aus welcher du einst auf diese Erde reistest, um dir deiner Selbst bewusst zu werden. Und das hast du, weiß Gott, geschafft. Du wirst das alles, was ich hier sagte, jetzt nicht begreifen, aber auch das spielt keine Rolle, liebe Luna. Ich will dich nur spüren wissen, dass du keine Angst hast jetzt. Vertrau mir, habe keine Angst und lass jetzt einfach los...Lass los, liebste Luna, lass los...“
Und Luna ließ los und Luna kreiste mit der Erde, wie gehabt, fast geblendet von der Sonne und ihr Gesicht ruhte bedingungslos als Monument in tausend Gemälden, die Künstler einst angefertigt hatten, beeindruckt von der Schönheit unseres Mondes...
Aus der Ferne hatte sie noch die Engel hektisch morsen gehört, unregelmäßig diesmal – doch das wusste sie nun längst nicht mehr, denn ihre Erinnerungen bestanden nun nicht mehr aus gedachten Worten und Bildern, sondern aus purer Essenz und Zusammengehörigkeit und Liebe...


Sechs
„Was ist los?“, schrie der Oberarzt, als er in das Zimmer 105 geeilt kam.
„Herzstillstand der Komapatientin...“, antwortete eine Schwester hektisch, während sie und die anwesenden Assistenzärzte mit Geräten hantierten.
Das Piepen des Oszillographen machte alle fast wahnsinnig, es wurde durcheinandergebrüllt während man versuchte, Lunas Herz wieder zum Schlagen zu bringen – jedoch ohne Erfolg. Und sie hätten es auch gar nicht erst versuchen müssen, denn Luna war ja längst fort gegangen. Aber das wussten sie nicht, keiner von ihnen. Weder der Arzt, noch der Oberarzt und auch keine der Schwestern. Sie konnten es ja auch nicht ahnen.

Und auch Bird wusste das nicht. Großer, dummer Bird, der paralysiert durch die Straßen schlenderte, während sein Körper zerschmettert auf dem Asphalt der Autobahn verteilt versuchte, in Frieden zu ruhen.

 

Tagchen ShreeGanesh,

und herzlich Willkommen auf Kurzgeschichten.de. Auch wenn ich in meiner Kritik nicht wirklich meiner Begeisterung Ausdruck verleihen kann.

Dein Einstieg in Seltsam ist lang, was an und für sich kein Fehler sein muss, wenn Du eine Geschichte erzählst, die diese Länge braucht, die nicht kürzer sein kann.

Allerdings ist Deine Geschichte, also das, was wirklich geschieht und passiert für mein Empfinden nicht _so_ ausufernd, Frau trifft Mann, beide verlieben und verwirren sich damit, Mann geht, Frau ist traurig und dazu noch die parallele Ebene von Luna mit ihrem Seelenpartner, Bruder, Gegenstück mit jeweils einem Gegenentwurf zu der vordergründigen Realität.
In Deinem Profil räumst Du ja ein, manchmal zuviel zu schreiben, und beim Lesen Deines Textes hier habe ich manchmal bei mir gedacht : wenn Du es doch weisst, warum streichst du es dann nicht zusammen ?

Erzähl die Geschichte, arbeite mit Rückblicken, inneren Monologen, wörtlicher Rede, Visionen, jedes Stilmittel lässt sich auch in Kurzgeschichten unterbringen, doch konzentriere Dich auf die Geschichte, treibe sie voran.
So lese ich vor allem Deine Lust und Freude am erzählen, was leider irgendwann sehr zu Lasten meiner Lesefreude ging.

Beispiel :

Ich habe weder eine abgeschlossene Berufsausbildung, noch habe ich eine ordentliche Schulbildung – es ist vielmehr das Leben, aus welchem ich meine Lehren ziehe. Auch einen festen Job habe ich nicht, jobbe mich durch von hier nach da, mal verkaufe ich irgendeinen Krempel auf diversen Märkten, dann wieder hinter der Kneipentheke und plötzlich finde ich mich beim Tapezieren in einer fremden Wohnung wieder. Das sind dann so meine spärlichen Geldquellen. Unsichere Jobs, wobei ich sowieso der Überzeugung bin, dass es keine wirkliche Sicherheit gibt, aber lassen wir das Thema – darüber bin ich schon oft genug mit Leuten aneinander geraten.
Tja – was bleibt da noch übrig als Stempel? „Versager“, oder „Künstler“, die mild ausgedrückte Form von „Versager“ quasi. Ha, ha, ha. Na ja, so wird man zumindest angeschaut, wenn man auf die Frage:
“Und, was machst du?“
„Ich bin Künstler.“ antwortet.
Aber auch das zieht mir mittlerweile am Hintern vorbei. Ich bin Künstlerin. Auch, wenn ich mir dafür nichts kaufen kann, so erfüllt es mein Innerstes mit Leben, bzw. reflektiert es mir das Lebendige des Seins an sich mit jedem Strich, den ich ziehe, mit jedem Klecks, der auf die Leinwand klatscht. Aber das kapieren sie nicht, „die Leute“, und so behalte ich mehr und mehr meiner intimsten Gedanken für mich.
Früher hatte ich immer gedacht, ich müsse die Menschen bekehren, nur, dass ich es damals noch nicht als Bekehrenswollen wahrnahm, sondern viel mehr als eine Klarsicht, die den anderen meines Erachtens nach zu fehlen schien. Heute ist mir klar, dass es im Grunde keine Rolle spielt, da ich auch nur einer von vielen bin. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich mein eigenes Universum bin, und die anderen eben ihres. Somit wird mir mehr und mehr bewusst, dass es immer eine Kluft zwischen Menschen geben wird. Und darum versuche ich, so wenig wie möglich über diese bitter beruhigende Erkenntnis nachzudenken... Was soll ich sagen – manchmal hilft’s!
was genau treibt dieser Absatz an, ich meine für den weiteren Verlauf, für das Verständnis der Geschichte ? Für den Plot reichte es, würdest Du es in wenigen Sätzen zeigen und nicht mit vielen Worten erzählen. So liest sich Deine Text stellenweise wie ein Blogeintrag oder eine Plauderei, derer ich Zeuge werde, doch ausgemacht war : eine Kurzgeschichte.

Bei wörtlicher Rede folgt übrigens kein abschliessender Punkt in der WR, wenn Du sie mit einem Komma abtrennst, Frage und Ausrufezeichen bleiben :

„Komm gut dahin, wo du hin möchtest!“ und lief einfach weiter.
möchtest!"KOMMA und lief einfach weiter
„Ich bin Künstler.“ antwortet.
Künstler" antwortet (kein Komma liegt hier am Kontext des Satzes, aber halt auch kein Punkt).

Mein Rat ist : kürzen. Streiche sie auf ein Drittel der Länge bei gleichem Plot zusammen.
Oder nimm den Plot, schreib weiter dran und bring ihn auf 150+ Seiten.

Sorry, doch diesmal war das für mich nichts.

Grüße
C. Seltsem

PS: es gibt hier auf der Seite einige "lange" Kurzgeschichten, wirklich wärmstens empfehlen kann ich Auf den Straßen von Duisburg - vielleicht fallen Dir nicht nur inhaltliche Unterschiede auf wenn Du sie liest

 

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