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Möbiusschleifen

sim

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13.04.2003
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Möbiusschleifen

»Es wird Zeit, Frau Mundrach.«
Er soll mich hier verweilen lassen. Dich in meinen Händen, allein mit meiner Erinnerung, die viel zu frisch ist, um sie in der Vergangenheit zu denken.

»Stefan!«
Ich rüttle leicht an deinen Beinen, um dich zu wecken. Hätte ich von draußen die Musik nicht gehört, wäre ich vielleicht nicht einfach so in die Wohnung gegangen. Immerhin habe ich den Schlüssel nur für Notfälle. Ist dies ein Notfall?
Du hast nicht geöffnet, nachdem ich geklingelt habe. Und ich hörte die Musik, die durch deine Tür drang. Sie war nicht so laut, dass du mein Klingeln nicht hättest hören können.
Seit drei Tagen hast du dich nicht gemeldet. Da habe ich mir eben Sorgen gemacht.
Es ist so ordentlich hier. Anscheinend brauchst du mich gar nicht mehr. Ein paar Blumen könnten nicht schaden. Ich werde welche mitbringen, wenn ich dich das nächste Mal besuche.
»Stefan, aufwachen!«
Ich schüttle dich etwas fester an der Schulter. Du siehst so friedlich aus, erst recht, wenn du im Schlaf lächelst. Deinen Schlaf hast du von mir. Wie oft musstest du mich mit aller Gewalt aus den Träumen reißen, um pünktlich zur Schule zu kommen, als du noch ein Kind warst?


Du scheinst getrunken zu haben. Eine leere Flasche Wodka steht neben dem Sofa auf dem Tisch. Vielleicht wolltest du gar nicht einschlafen? Sonst wärest du doch sicher in das teure Bett gegangen, das ich dir zu deinem Umzug geschenkt habe. Lange kannst du ja noch nicht dort auf der Couch liegen. Immerhin läuft die Musik noch.
»Stefan!« Ich werde energischer und lauter. Dabei streichle ich durch dein Haar. Wie lange habe ich deine Wangen nicht mehr berührt. Ob ich es darf? Als du klein warst, mochtest du es, wenn ich dir mit dem Zeigefinger ganz leicht über die Lippen strich. Das war schön. Einmal noch. Vielleicht weckt dich ja die schöne Erinnerung.
Du bist so blass. Du solltest viel öfter an die Sonne gehen. Ich habe doch so einen schönen Garten. Warum nutzt du ihn nicht?

Wie schön war es, als du noch lieber bei mir bleiben wolltest, statt dich mit Freunden im Hof zu treffen. Nie konnte ich dich rausschicken. Egal wie schön das Wetter war. Immer musste ich dich zwingen, mir mal ein paar Stunden Ruhe zu gönnen, in denen ich Zeit für mich hatte. Nie wolltest du von meiner Seite weichen.

»Stefan.« Zärtlich flüstere ich deinen Namen. Mein Zeigefinger spürt keinen Widerstand an deinen Lippen. Warum sind sie so blass, deine Lippen? Fast bläulich? Und warum spüre ich keinen Atem?
Jetzt kreische ich, packe dich fest an beiden Schultern, reiße dich hoch und presse dich wieder auf das Sofa zurück. Die Panik möchte mir etwas einreden, was unmöglich wahr sein kann, aber warum wachst du immer noch nicht auf? Wo ist dein Herz? Kann ich fühlen, ob es noch schlägt? Vielleicht, wenn ich die Hand unter deinen Pulli halte? So wie früher, wenn du Fieber hattest? Du bist so kalt! Du müsstest doch frieren.
»Stefan, wach endlich auf!«
Wo hast du nur dein Telefon? Ich muss unbedingt einen Notarzt anrufen. Welche Nummer war das noch? Warum verwechsle ich immer "eins-eins-null" und "eins-eins-zwei"? Was muss ich wählen, was muss ich sagen?
»Hallo? – Kommen Sie bitte schnell! - Mein Sohn.«
Wie gut, dass sie Geduld mit mir haben, auch wenn ich immer unklarer und ungeduldiger meine Antworten in den Hörer brülle. Wie gut, dass sie mir am anderen Ende Fragen stellen. Fragen sind etwas, an dem ich mich festhalten kann. An ihnen kann ich mich durch die Informationen kämpfen, bis endlich die erlösende Auskunft kommt: »Wir schicken sofort jemanden vorbei.«

Warum sehe ich dich auf Fotos nie lachen? Die Bilder deiner Kindheit scheinen von Wolken überzogen, einem Schatten, der über deinem Mund liegt, und ihn verschließt? Dabei hast du so oft gelacht, dass ich deine gute Laune manchmal nicht ertragen konnte. Du hattest es doch gut bei mir. Ich habe dich so sehr geliebt. Auf alles habe ich deinetwegen verzichtet, am meisten auf das Leben.
Als du dich ankündigtest, mir in die Eingeweide trampeltest und mich allmorgendlich kotzen ließest, habe ich zu rauchen aufgehört. Nur einen Schnaps habe ich mir hin und wieder gegönnt, um die Schmerzen zu lindern, die Übelkeit. Ich habe mich auf dich gefreut.

Wie lange dauert das Lied eigentlich noch? Oder fängt es immer wieder von vorne an?
»Die Fenster sind verdunkelt. Das Telefon ist stumm. Die Klingel hab ich abgestellt, nun bringe ich dich um.«
Habe ich das nicht schon mal gehört?

Wie lange durfte ich dich nicht mehr küssen? Darf ich es jetzt? Darf ich meinen Mund auf deinen pressen, um dir meinen Atem zu leihen, nur so lange, bis du wieder deinen eigenen findest? Deine Lippen empfangen mich, aber die Lungen sind versperrt. Es ist, als ob du ein Ventil geschlossen hast. Wie kann ich es schaffen, es zu öffnen und dir wieder Leben einzuhauchen?

Nein, so darf ich nicht denken. Du lebst. Du atmest nur nicht. Wenn die Ärzte kommen, werden sie es schon schaffen, aus deinem Lächeln wieder ein Lachen zu zaubern, so hell und klar, wie ich es aus deinen Kindertagen kenne. Wo bleiben sie nur?

»Sie hat dich viel geprügelt. Du gabst es ihr zurück. Du tötetest die Greisin mit rhetorischem Geschick.«
Ist es die Musik in einer Endlosschleife gefangen?

Hast du eine Vorstellung, wie es ist, wenn die Mutter einen nicht liebt? Meine hat mich nicht geliebt. Sie hat mich geschlagen und erniedrigt. Ich habe dich nie geschlagen. Das wollte ich dir nicht antun. Ich weiß, wie weh das tut. Du solltest es gut haben bei mir. Du solltest mir vertrauen, mich als Freundin sehen, der du alles erzählen könntest. Immer hättest du zu mir kommen können. Warum musstest du dich betrinken?

Vielleicht wachst du auf, wenn ich auf deine Brust drücke? Wie fest kann ich drücken? Ich will dir doch nicht weh tun. Aber du schläfst so fest. So fest habe ich nie geschlafen.

»Wie lange siehst du schon diesen blöden Film?« Die Geräusche aus deinem Fernseher holen mich aus dem Schlaf. Es ist Sonntag. Ein schöner Tag. Die Sonne steht so hoch über meinem Fenster, dass es schon Mittag sein muss. »Warum hast du mich nicht geweckt, als du aufgestanden bist?«
»Mama. Steh bitte auf.« Deine Bitte kam wie immer zu spät.
»Dir ist es egal, ob ich aufwache. Wenn es dir so egal ist, dann brauche ich auch nie wieder aufzuwachen. Du genießt die Zeit ohne mich. Wahrscheinlich ist es eine Erholung für dich.«
»Mama, steh bitte auf!« Wie hilflos deine Versuche waren. Hättest du nicht einmal morgens zu mir ins Bett kommen können, wie Kinder, die ihre Mütter lieben? Mich mit Küssen wecken? Hättest du nicht Frühstück für mich machen können und mich mit dem Duft von Kaffee wecken, wie die Kinder im Werbefernsehen?

Du solltest doch anders werden. Nicht, wie die Männer, die mich verlassen haben wie dein Vater, als er von meiner Schwangerschaft erfuhr. Du solltest Rücksicht lernen. War das so schwer? Nicht einmal meine Tränen konnten dich zu liebevoller Zärtlichkeit erziehen. Warum warst du bloß so sehr Mann? Schon als kleiner Junge? Was habe ich falsch gemacht? Warum konnte ich dir nicht beibringen, wie man seine Mutter achtet? Ich wollte doch nur, dass du es bei deiner Frau später auch können würdest.

Endlich. Wo waren die Sirenen? Habe ich sie durch die Musik nicht gehört? Aber die Türglocke ist laut. Sie kann man nicht überhören, schon gar nicht, wenn man ungeduldig auf die Erlösung wartet.
»Kommen Sie rein!«, fordere ich die Männer auf. Die Sorge steckt mir im Hals und läuft mein Gesicht herunter. Ich schaue sie kaum an. Ich wende mich gleich ab, um ihnen den Weg zu weisen.
Es sind so viele Geräte im Koffer, so viele Werkzeuge der Hoffnung, die sie bei sich tragen. Die könnten sie doch wenigstens benutzen, anstatt sich wortlos über dich zu beugen und deine Augenlider zu öffnen. Spüren sie die Vorwürfe in meinen Blicken nicht? Merken sie nicht, wie misstrauisch ich ihnen über die Schulter schaue? Wie schaffen sie es, aufzustehen, ohne etwas versucht zu haben und mir ins Gesicht zu schauen, während sie mir routiniert mitteilen: »Es tut uns Leid. Wir können nichts mehr tun.«
Was heißt das? Sie können nichts mehr tun? Sie können dich doch nicht so einfach aufgeben? Meinen Stefan doch nicht.
»Dürfen wir mal telefonieren?«

»Muss ich wirklich zu Manuel gehen?« Die Sonne schien, wir hatten deinen Tag im Schwimmbad verbracht. Ich wollte ein bisschen in Ruhe lesen oder fernsehen. Ich wollte einen Cognac trinken und mich erholen.
»Manuel ist dein Freund, Stefan. Und Freundschaften muss man pflegen.« Nie hattest du ein Gespür dafür, wie anstrengend diese Tage waren.
»Ich bin aber erschöpft. Ich mag jetzt nicht mehr zu Manuel gehen.« Hast du jemals gefragt, wie es mir geht?
»Du hast es ihm gestern versprochen. Wenn du deine Verabredungen nicht einhältst, bist du kein Freund, sondern ein Arschloch! Also gehe jetzt zu Manuel!«

Liegt es daran, dass du auf den Kinderbildern nie lachst? Dass ich dir zeigen wollte, dass Freunde wichtig sind? Dich manchmal aus Liebe zu dir mit sanfter Gewalt von mir trennen musste? Ich habe deine Liebe zu mir genossen. Weißt du das nicht? Hast du dich deshalb so sehr betrunken?

Ich kann nicht einmal mehr mit dem Kopf nicken. Wie bekomme ich es hin, ihnen wortlos das Telefon zu geben?
»Schrei nur Mutter. Niemand kann dich hören.«
Wie schalte ich diese verdammte Musik aus? Ich habe diese Anlage doch schon nicht begriffen, als sie noch in deinem Kinderzimmer stand.
»Mund auf, Mutter. Niemand wird uns stören.«

Wo bleiben die Schreie, die wir in unserer Brust vergraben, die nie den Weg nach draußen finden, sondern nur in uns selber widerhallen? Müssten sie uns nicht immer mehr füllen, bis wir schließlich platzen? Wie viel Wut ertrage ich?

»Soll ich das abstellen?«, fragt mich einer der Männer, während sein Kollege telefoniert.
Jetzt kann ich nicken. Auch hinsetzen kann ich mich jetzt, deine Beine ganz leicht zur Seite schieben, um mir Platz zu schaffen. Ich möchte dich nicht verletzen. Aber ich kann nicht mehr stehen bleiben. Im Stehen kann ich mein Gesicht nicht verbergen, muss gefasst bleiben und zuhören, wie der Arzt die Polizei ruft. Schreien kann ich nicht.
»Der Junge war Ihr Sohn?«
Was heißt, du warst? Du bist es noch. Du wirst immer mein Sohn bleiben.

»Lassen Sie los, Frau Mundrach. Es ist Zeit, Abschied zu nehmen.« Weiß er, wie das ist?
Wie wenig von dir übrig ist. Ein Häuflein Asche ist alles, was ich von dir in den Händen halte.
Urnenbeisetzung. Welch friedliches Wort dafür, dass ich alles, was du mir gelassen hast, unter der Erde verscharren soll. Könnte ich nicht wenigstens diesen Rest von dir behalten und in dein Zimmer neben die Fotos stellen?
Was hast du dir dabei gedacht, Stefan? Mich zuschauen zu lassen, wie sie dich in einem Zinksarg auf die Straße tragen? Hast du einmal darüber nachgedacht, dass du mir das Herz damit brechen könntest?
Warum hast du mich allein gelassen? Warum muss ich mich darum kümmern, deine Beerdigung zu organisieren, deine Wohnung zu kündigen und aufzulösen? Warum muss ich so viele mitleidige Hände entgegen nehmen, die alle nur meinen Schmerz vertiefen? Hättest du daran nicht denken können, bevor du so viel trinkst? Da hattest doch gar keinen Grund dich zu betrinken. Dir ging es doch gut. Du hattest doch mich.
Verzeih mir meine Wut, Stefan. Es war doch ein Unfall. Du hast es bestimmt nicht gewollt. Der Arzt hat bestimmt keine Ahnung. Der behauptet, du hättest dir Tabletten in den Wodka gemischt oder sie mit ihm hinuntergespült. Wie kann er es wagen? Was will er mir einreden? Schuld?

Nie wärest du auf die Idee gekommen, mir solchen Schmerz zuzufügen. Du hast mich doch geliebt. Hast du doch, oder?


Die kursiv gesetzten Textpassagen entstammen dem Lied „Die Fütterung" von Heinz Rudolf Kunze. Die Verlagsrechte der Texte liegen beim Oktave Musikverlag.

 

Hi Dion,

ab und zu finde ich den dir verhassten Du-Stil genau angemessen. So ging es mir auch bei dieser Geschichte. Als ich merkte, dass ich unwillkürlich immer wieder da hinein rutschte, entschied ich mich, dass es wohl so sein müsste. So unkritisch stehe ich dieser direkten Anrede ja auch nicht gegenüber.
Ich freue mich also, dass du dich überwunden hast und es als lohnend betrachtest.
Zu dem Teufel, der mich geritten hat: Ich hatte die Geschichte erst mir "Stefan" angefangen und viel chronologischer erzählt. Aber mir fehlte der Rahmen. Die Geschichte war mir zu glatt und zu denunzierend. Ich fragte mich, was ich bei vielen Autoren hier ja auch kritisiere. "Warum hast du die Geschichte überhaupt geschrieben?" Es war eine reine Opfergeschichte.
Zunächst habe ich dann auch die Beerdigungsszene angehängt war aber immer noch zufrieden. Erst dann habe ich die ganze Geschichte so zerschnitten und wieder zusammengefügt, wie sie jetzt ist.
Auch hatte ich die Tempi der Erinnerungen ursprünglich in der Vergangenheit. Aber das war mir nicht eindringlich genug. Jede Erinnerung sollte sozusagen blitzartig in die Gegenwart.
Für mich habe ich bei den vielen Überarbeitungen festgestellt, dass mir die Geschichte runder und authentischer schien, je sperriger sie wurde. Auf den Komfort für den Leser habe ich dabei immer weniger geachtet.
Für den Challenge "Gedankenstrom" habe ich mal versucht, sie den Bedingungen dort anzupassen, aber auch das erschien mir nicht stimmig.
Die Zerrissenheit der Mutter kam mir in dieser Struktur am besten zur Geltung. Der Effekt, dass der Leser am Ende mehr über die Mutter weiß, als sie über sich, ist erst in dieser Struktur entstanden.

Das mag jetzt renitent und unbelehrbar oder auch einfach arrogant klingen, aber von allen Versionen, die ich von dieser Geschichte erstellt habe, fand ich einfach diese am Stimmigsten.

Du bist übrigens gut hinter das "Steh auf" gekommen. Nicht nur an diesem Punkt belügt sich die Mutter ja selbst, auch, wenn ich es vielleicht nicht lügen nennen würde.

Nach meinen Beobachtungen werden es übrigens auch immer mehr possessive Väter, die Kinder als Lebensinhalt sehen.
In dieser Beziehung hat der Tod Stefans zwei gegensätzliche Bedeutungen, die sich in ihm vereinen. Er gibt der Mutter das Leben zurück, wie Maus gesehen hat, aber im Zusammenhang mit dem Lied ist er auch die Möglichkeit, sie umzubringen, in dem er ihren Lebensinhalt entzieht.

Tatsächlich haben alle einen Grund dafür. Die Mutter von Stefans Mutter hatte auch schon einen, als sie ihre Tochter schlug. Und auch deren Mutter wird einen gehabt habe. Wie bei einer Möbiusschleife eben.

Vielen Dank für deine tiefe Auseinandersetzung.

Hallo one weak,

schön, dich mal wieder unter mir zu lesen. Und noch schöner, wenn ich dich unterhaltend nachdenklich machen konnte.
Auch dir vielen Dank.

Euch beiden einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
ich nochmal. :D

Deine Geschichte geht mir nicht aus dem Sinn, weil ich es von beiden Seiten sehen kann: als Kind und als Mutter. Und das Thema "Was habe ich als Mutter falsch gemacht?" ist für mich (wie die meisten Mütter meiner Generation) immer wieder präsent.

Interessant fand ich an deinem Kommentar für Dion die Entstehungsgeschichte: zunächst eine reine Opfer-Geschichte, die du dann durch mehrfache Überarbeitung in eine subtile Form gebracht hast. Gut so; das ist ja die Stärke der Geschichte.

Etwas zu doll finde ich dabei das Fragenbündel am Ende:

Was hast du dir dabei gedacht, Stefan? Mich zuschauen zu lassen, wie sie dich in einem Zinksarg auf die Straße tragen? Hast du einmal darüber nachgedacht, dass du mir das Herz damit brechen könntest?
Warum hast du mich allein gelassen? Warum muss ich mich darum kümmern, deine Beerdigung zu organisieren, deine Wohnung zu kündigen und aufzulösen? Warum muss ich so viele mitleidige Hände entgegen nehmen, die alle nur meinen Schmerz vertiefen? Hättest du daran nicht denken können, bevor du so viel trinkst? Da hattest doch gar keinen Grund dich zu betrinken. Dir ging es doch gut. Du hattest doch mich.
Das ist mir zu dicke, als wärest du dir unsicher, ob der Leser es bis dahin verstanden hat. Sei unbesorgt! ;)

Etwas anderes ist es mit der Stelle, bei der Dion (auch) unsicher war:

»Warum hast du mich nicht geweckt, als du aufgestanden bist?«
»Mama. Steh bitte auf.« Deine Bitte kam wie immer zu spät.
»Dir ist es egal, ob ich aufwache. Wenn es dir so egal ist, dann brauche ich auch nie wieder aufzuwachen. Du genießt die Zeit ohne mich. Wahrscheinlich ist es eine Erholung für dich.«
»Mama, steh bitte auf!«
Stilistisch fällt sie etwas raus, und auch ich habe erst gestutzt. Eigentlich ist die Stelle ja ein Hammer, eine versteckte Selbstmorddrohung der Mutter, oder verstehe ich das falsch? An dieser Stelle der Geschichte plätschert sie aber eher dahin ...

So, das war noch mal eine Rückmeldung von mir.

Gruß, Elisha

 
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Lieber sim!

Schade, daß Stefan nicht die Kraft hatte, sich lebend zu bergen, denn erkannt dürfte er ja haben, was ihn nicht leben läßt. Eine traurige Geschichte, die Du da von ihm und seiner Mutter erzählst.
Er ist sozusagen an ihrer Blindheit gestorben – weil sie nicht sehen konnte, daß sie ihn mit ihrer Vereinnahmung einerseits, andererseits damit, daß sie ihn für ihr Glück verantwortlich macht, seelisch tötet. Wie bei diesen russischen Puppen (heißen die Babuschka?), wo man eine in die andere steckt, stülpt sie ihm ihre Meinung über – ihn innen drin sieht man gar nicht. :sad:

sim schrieb:
Schläge dominieren sehr. Sie verdecken oft die psychischen Hintergründe,
Deine Geschichte zeigt sehr gut, wie wichtig es für Menschen mit so einer Erziehung ist – vor allem für die eigenen Kinder –, daß man sich damit auseinandersetzt und aufarbeitet, weil man sonst unbewußt den eigenen Kindern dasselbe weitergibt. Da hilft kein Die-Vergangenheit-hinter-sich-Lassen, kein Verzeihen und kein Vergessen, wie es uns immer wieder andere Menschen einzureden versuchen, sondern nur Arbeit daran, weil man sonst ja auch gar nicht merkt, wie man unbewußt zumindest manche Dinge wiederholt, selbst, wenn man doch alles besser machen will, nicht schlagen etc. Das zeigst Du sehr eindringlich.
Was Du hier allerdings über die Schläge sagst, dem kann ich so nicht ganz zustimmen – obwohl ich dasselbe schon öfter im Zusammenhang mit sexuellem Mißbrauch gesagt habe. ;-) Schläge helfen im Gegenteil nämlich viel mehr, sich zu erinnern. Wenn jemand nur psychische Gewalt erlebt, kann er sich daran weniger leicht erinnern, als wenn er auch geschlagen wird. Natürlich kann er sich dann zuerst vor allem an die Schläge erinnern, und erst, wenn er weitergräbt an die anderen Dinge, aber daß er überhaupt in die Erinnerung findet, oder sogar, daß er überhaupt auf die Idee kommt, daß da etwas nicht ganz richtig war, dabei helfen die Schläge. (Nicht, daß jetzt jemand glaubt, ich sei für Schläge – wer das nicht richtig versteht, bitte melden.)
Den Unterschied zwischen sexuellem Mißbrauch und Schlägen sehe ich in dem Zusammenhang vor allem da, daß ich mir bei Schlägen eher Gedanken über das Warum mache, während beim Mißbrauch der Mißbrauch selbst, als das schlimmste Vergehen am Kind schlechthin, im Vordergrund steht.

Der Einstieg mit der Urne in der Hand sollte erst im letzten Absatz deutlich werden. Zwar ist die Geschichte auch so recht wenig überraschend, aber trotzdem wollte ich den Tod nicht schon im ersten Moment schon deutlich machen.
Ich hoffe, Du bist jetzt nicht zu enttäuscht, daß ich bei den Einstiegssätzen …
»Es wird Zeit, Frau Mundrach.«
Er soll mich hier verweilen lassen. Dich in meinen Händen, allein mit meiner Erinnerung, die viel zu frisch ist, um sie in der Vergangenheit zu denken.
… zwar nicht das Bild mit der Urne hatte, aber der Tod bereits da war. Genaugenommen ergab es ein Bild, bei dem sie den Toten in Armen hält. – Also gar nicht so weit weg vom Bild mit der Urne.
Aber es hätte mich keineswegs gestört, dieses Bild gleich richtig zu sehen – das Thema verlangt nicht unbedingt danach, eine Pointengeschichte zu sein, vielmehr zählt der Inhalt, und der ist weitaus interessanter und spannender, als die Überraschung am Schluß, daß sie mit der Urne in Händen dasteht.
Ich würde also die Situation entweder gleich deutlich machen, oder die Einstiegssätze ganz streichen und mit »Stefan!« beginnen.

Die Charakerisierung der Mutter ist meiner Meinung nach nicht ganz stimmig – zu hinterfragend für das, wie Du sie zeigen willst (was ja am Schluß besonders deutlich wird). Genaugenommen meine ich damit zum Beispiel die folgenden beiden Stellen:

Hätte ich von draußen die Musik nicht gehört, wäre ich vielleicht nicht einfach so in die Wohnung gegangen. Immerhin habe ich den Schlüssel nur für Notfälle. Ist dies ein Notfall?
Du hast nicht geöffnet, nachdem ich geklingelt habe. Und ich hörte die Musik, die durch deine Tür drang. Sie war nicht so laut, dass du mein Klingeln nicht hättest hören können.
Seit drei Tagen hast du dich nicht gemeldet. Da habe ich mir eben Sorgen gemacht.
Meiner Meinung nach überlegt sie hier viel zu sehr, ob sie auch richtig handelt/gehandelt hat. Die Frage »Ist dies ein Notfall?« – ich denke, sie würde sich stattdessen eher bestätigen – rechtfertigen –, daß es natürlich ein Notfall ist, denn er hat sich ja immerhin schon drei Tage nicht gemeldet.
Ich will schon fast sagen, sie wirkt hier eher zaghaft und schüchtern. »Da habe ich mir eben Sorgen gemacht« kann man auch so lesen, als wollte sie sich entschuldigen, besser wäre vielleicht: »Da musste ich mir ja schließlich Sorgen machen!«

Es ist so ordentlich hier. Anscheinend brauchst du mich gar nicht mehr. Ein paar Blumen könnten nicht schaden. Ich werde welche mitbringen, wenn ich dich das nächste Mal besuche.
Auch das. Dadurch, daß Du die Betonung ja nicht mitlieferst, kann man das auf sehr verschiedene Arten lesen; »Anscheinend brauchst du mich gar nicht mehr« kann man zum Beispiel auch so lesen, daß sie feststellt, daß er nun erwachsen genug ist (also mehr wie »Gut, daß du mich nicht mehr brauchst«), während vielleicht ein »Soll das etwa bedeuten, dass du mich jetzt gar nicht mehr brauchst?« deutlicher in der Aussage wäre. Dann würde ich sie um sich blicken lassen, nach etwas suchend, das vielleicht doch nicht in Ordnung ist, und dann erst die Blumen.
Wobei ich hier auch noch bemängle, daß sie zwar herumschaut und die Ordnung feststellt, aber die Flasche am Tisch erst später wahrnimmt. Vielleicht gelingt es Dir ja, die Flasche bereits hier einzubauen, zwischen »brauchst du mich nicht mehr« und die Blumen, oder so?
Dann würde hier davor natürlich der Übergang fehlen, …
Vielleicht wolltest du gar nicht einschlafen? Sonst wärest du doch sicher in das teure Bett gegangen,
… was Du aber etwa durch »Sicher wolltest du gar nicht einschlafen, sonst …« schnell beheben könntest. ;-)
Erinnert mich übrigens an eine Szene, die ich Dir glaub ich auch schon erzählt hab, in der meine Mutter nach meinem Abhauen heulend meinte: »… und dabei hab ich dir sogar ein neues Bett gekauft!« Betten scheinen bei solchen Müttern ein besonders großer Liebesbeweis zu sein. Zumindest voluminös sind sie ja… :lol:

»Stefan!« Ich werde energischer und lauter. Dabei streichle ich durch dein Haar.
Vorschlag, um das kommentierende »Ich werde energischer und lauter« zu vermeiden: »Stefan!« Hörst du mich denn nicht? Dann muss ich wohl lauter werden. »Stefan!« Ich streichle durch dein Haar.

Wie lange habe ich deine Wangen nicht mehr berührt. Ob ich es darf?
Fragt sie sich wirklich, ob sie das darf? Das würde ja heißen, daß sie ihn als vollwertigen Menschen betrachtet. Sie will es, deshalb tut sie es. Ohne Fragen.

Als du klein warst, mochtest du es, wenn ich dir mit dem Zeigefinger ganz leicht über die Lippen strich. Das war schön. Einmal noch. Vielleicht weckt dich ja die schöne Erinnerung.
Ihre Sehnsucht, daß er noch so klein und hilflos – von ihr abhängig – sein soll. Die »schöne Erinnerung« an die Zeit, als er noch nicht wußte, daß sich die nie durchtrennte Nabelschnur in schwere Ketten verwandelt.

Du solltest viel öfter an die Sonne gehen. Ich habe doch so einen schönen Garten. Warum nutzt du ihn nicht?
Natürlich soll er nur in ihrem Garten in der Sonne sitzen. Vor allem im übertragenen Sinn.

Wie schön war es, als du noch lieber bei mir bleiben wolltest, statt dich mit Freunden im Hof zu treffen. Nie konnte ich dich rausschicken. Egal wie schön das Wetter war. Immer musste ich dich zwingen, mir mal ein paar Stunden Ruhe zu gönnen, in denen ich Zeit für mich hatte. Nie wolltest du von meiner Seite weichen.
Vermutlich mußte er auch immer genau wissen, wie es ihr im Moment gerade recht wäre. Komm her, ich erdrück dich – geh weg, du störst.

Jetzt kreische ich, packe dich fest an beiden Schultern, reiße dich hoch und presse dich wieder auf das Sofa zurück.
Was kreischt sie denn? Dieses Selbstkommentieren der Handlung finde ich nicht sehr elegant. Ich stelle mir übrigens vor, daß man da eher kurz die Luft anhält, sprachlos ist.

Die Panik möchte mir etwas einreden, was unmöglich wahr sein kann,
Wenn wir schon ihr Innenleben miterleben, warum dann nicht auch das, was ihr die Panik einreden will?

Wie gut, dass sie Geduld mit mir haben, auch wenn ich immer unklarer und ungeduldiger meine Antworten in den Hörer brülle.
Fände ich besser zum Charakter passend, wenn sie empört wäre, daß die so viel fragen, statt gleich auf ihr Kommando loszufahren.
Natürlich weiß ich, warum die die Fragen stellen. Aber einerseits scheint mir die Frau nicht allzusehr gebildet zu sein, andererseits scheint sie aber auch nicht unbedingt zu jenen zu gehören, die sich Gedanken machen, warum jemand etwas tut.

Auf alles habe ich deinetwegen verzichtet, am meisten auf das Leben.
Damit hat sie ihm auch nie gezeigt, was Leben ist/sein kann. Stattdessen sollte er dankbar sein, daß sie ihr Leben geopfert hat, und aus lauter Dank sein eigenes opfern.

Als du dich ankündigtest, mir in die Eingeweide trampeltest und mich allmorgendlich kotzen ließest,
Eigentlich hat mir die Stelle mit dem Magen von vorher in ihrer Zweideutigkeit schon gefallen (zur Erinnerung: »Als du dich ankündigtest, mir auf dem Magen lagst und mich allmorgendlich kotzen ließest«), nur war es nicht ganz passend formuliert. Allerdings ist mir auch noch keine Möglichkeit eingefallen, wie die Zweideutigkeit erhalten bleiben könnte, und es biologisch trotzdem richtig wäre. Aber ich behalts mal noch im Kopf. ;-)

habe ich zu rauchen aufgehört.
Wenn er ihr schon in die Eingeweide trampelt, ist es aber reichlich spät, um mit dem Rauchen aufzuhören. Würde das gleich nach »ankündigtest« einfügen.

Ich habe mich auf dich gefreut.
Ja, genau so haben die Zeilen zuvor geklungen … Toll gemacht. :)

»Die Fenster sind verdunkelt. Das Telefon ist stumm. Die Klingel hab ich abgestellt, nun bringe ich dich um.«
Habe ich das nicht schon mal gehört?
Eine der Stellen, warum ich sie oben als nicht besonders gebildet bezeichnet habe: Sie macht sich scheinbar überhaupt keine Gedanken über das, was sie hört. Erst wollte ich ja schreiben »Da muß es einem doch gruseln, wenn man sowas in der Situation hört«, aber sie versteht wohl tatsächlich gar nichts. Kriegt nichts mit, lebt nur in ihrem geistigen Bunker.

Wie lange durfte ich dich nicht mehr küssen? Darf ich es jetzt? Darf ich meinen Mund auf deinen pressen, …
Wiederum dasselbe. Du möchtest eine Frau zeigen, die ihn ansonsten selbstverständlich vereinnahmt, ohne nach seinen Bedürfnissen zu fragen, und plötzlich sollte sie sich Fragen stellen, wenn er wehrlos vor ihr liegt? :susp: Passender fände ich zum Beispiel: Wie lange durfte ich dich nicht mehr küssen? Jetzt darf ich es. Ich presse meinen Mund auf deinen, du wehrst dich nicht. Ich werde dir meinen Atem leihen …
Dem folgend würde ich hier »Es ist, als ob du ein Ventil geschlossen hast. Wie kann ich es schaffen, es zu öffnen und dir wieder Leben einzuhauchen?« mehr in die Richtung schreiben: Wie kannst du dich vor mir verschließen, das Leben, das ich dir einhauchen möchte, verweigern?

Ich habe dich nie geschlagen. Das wollte ich dir nicht antun. Ich weiß, wie weh das tut. Du solltest es gut haben bei mir. Du solltest mir vertrauen, mich als Freundin sehen, der du alles erzählen könntest. Immer hättest du zu mir kommen können. Warum musstest du dich betrinken?
Das »Ich weiß, wie weh das tut« ist mir eine Spur zu viel – das wäre ein erster Ansatz, nachzudenken, worin denn die Schmerzen eigentlich bestehen. Sie verdrängt aber, deshalb würde ich den Schmerz hier auslassen. Und die beiden Sätze davor und danach finde ich direkt hintereinander gelesen viel schöner. ;-)

»Vielleicht wachst du auf, wenn ich auf deine Brust drücke? Wie fest kann ich drücken? Ich will dir doch nicht weh tun.«
– »Wie fest kann ich drücken« würde ich hier einfach nur streichen, zusätzlich dann das »doch«, damit alles wieder paßt.

»Wie lange spielst du schon dieses entsetzlich blöde Spiel?«
– Hier steh ich wohl ein bisschen auf der Leitung: Wieso Spiel, welches Spiel?

Die Sonne stand so hoch über meinem Fenster, dass es schon Mittag sein musste.
Es juckt mich gerade fürchterlich an der Nase … ;)

Ich erinnere mich nur an sonnige Tage mit dir.
Das ist mir nicht ganz klar: Warum erinnert sie sich nur an sonnige Tage? Wie steht das in Zusammenhang mit dem langen Schlafen und den folgenden Vorwürfen für die eigenen Fehler samt Selbstmorddrohung? Hat sie bewölkte Tage ganz verschlafen?

»Mama. Steh bitte auf.« Deine Bitte kam wie immer zu spät.
Wie traurig sarkastisch – eine fast der Geschichte gleichende Situation in umgekehrten Rollen. Überhaupt ist Dir die Stelle sehr gut gelungen.

Du solltest doch anders werden. Nicht, wie die Männer, die mich verlassen haben wie dein Vater, als er von meiner Schwangerschaft erfuhr.
Hier hast Du den richtigen Ton drauf, super!

Du solltest Rücksicht lernen. War das so schwer? Nicht einmal meine Tränen konnten dich zu liebevoller Zärtlichkeit erziehen.
Als ich mit 17 mit meinem Rucksack auf und davon bin, weil ich es nicht mehr ausgehalten hab, hat sich meine Mutter verheult fotografieren lassen, um es dann zum Erzeugen von schlechtem Gewissen einzusetzen, wie weh ich ihr getan habe …

»Warum warst du bloß so sehr Mann?«
– Weil er keine Frau ist.
»Schon als kleiner Junge?«
– Weil er sich schon als kleiner Junge gegen die mächtige Mutter durchsetzen lernen mußte.
»Was habe ich falsch gemacht?«
– Diese Frage gehört zu jenen, die ich fehl am Platz finde, da die Mutter damit ja Schuld bei sich sucht. Ich kann mir zwar vorstellen, daß Du es mehr wie ein »Ich habe doch nichts falsch gemacht, das liegt natürlich an dir« gemeint ist, aber das kommt nicht unbedingt so rüber – außer man würde die entsprechende Betonung hören; bei dem darauf folgenden »Warum konnte ich dir nicht beibringen« ist das schon eher der Fall.

Warum konnte ich dir nicht beibringen, wie man seine Mutter achtet?
Weil die Mutter selbst sich nicht unbedingt als achtenswert präsentiert, ihr eigenes Leben selbst nicht einmal achtet, sondern völlig aufgibt, ihr ganzer Sinn darin besteht, den Sohn so hinzubiegen, wie es dem Muster entspricht, das sie selbst eingetrichtert bekommen hat und durch ein paar Erfahrungen entsprechend umgestaltet hat.

Es sind so viele Geräte im Koffer, so viele Werkzeuge der Hoffnung, die sie bei sich tragen. Die könnten sie doch wenigstens benutzen, anstatt sich wortlos über dich zu beugen und deine Augenlider zu öffnen. Spüren sie die Vorwürfe in meinen Blicken nicht? Merken sie nicht, wie misstrauisch ich ihnen über die Schulter schaue?
Da würde ich kürzen. Würde die Frau wirklich an Vorwürfe in ihren Blicken und mißtrauisches Schauen denken? Durch »Die könnten sie doch wenigstens benutzen« finde ich das Mißtrauen eigentlich schon recht gut dargestellt, wenn Du meinst, daß das noch zu wenig wäre, würde ich das eher in dieser Form noch deutlicher machen.

»Sie können dich doch nicht so einfach aufgeben? Meinen Stefan doch nicht.«
– beide Sätze würde ich mit Rufzeichen schreiben.

Die Sonne schien, wir hatten deinen Tag im Schwimmbad verbracht. Ich wollte ein bisschen in Ruhe lesen oder fernsehen. Ich wollte einen Cognac trinken und mich erholen.
Ähm, bei »deinen Tag« ist ja wohl nicht zufällig ein d zuviel hineingerutscht … nein, Du meinst das so … :sad:

Hast du jemals gefragt, wie es mir geht?
Sie selbst ist kein Vorbild darin, wie man Gefühle anderer achtet, erwartet aber, daß ihr Sohn sich nach ihren Bedürfnissen richtet. Vermutlich, weil auch sie sich immer nach den Bedürfnissen ihrer Mutter richten mußte. Um es anders zu machen, müßte sie das sehen können, sich erinnern, wie es für sie selbst als Kind gewesen ist…

Liegt es daran, dass du auf den Kinderbildern nie lachst? Dass ich dir zeigen wollte, dass Freunde wichtig sind?
Irgendwie fehlt mir da die Verbindung zu den Bildern. Warum fällt ihr das überhaupt auf, daß er nie lacht? Oder hat er überhaupt nur in ihrer Vorstellung jemals gelacht?

Ich habe deine Liebe zu mir genossen. Weißt du das nicht?
Da fällt mir grad auf, daß Du sie eigentlich immer von Liebe sprechen läßt, nie aber so Dinge wie »Ich hab doch immer alles für dich gemacht – ist das deine Dankbarkeit?« – ich finde, sowas würde sich an manchen Stellen schon gut machen, zum Beispiel hier. Und »Hast du dich deshalb so sehr betrunken? Um mir zu zeigen, wie sehr du mich liebst?« darauf folgend.

Aber ich kann nicht mehr stehen bleiben. Im Stehen kann ich mein Gesicht nicht verbergen, muss gefasst bleiben und zuhören, wie der Arzt die Polizei ruft. Schreien kann ich nicht.
Hier könnte auch noch sowas wie »Was du mir alles antust« gut dazwischenpassen.

Du wirst immer mein Sohn bleiben.
Und in der Erinnerung kann sie ihn sich dann ganz bravdenken. Dann ist er endlich so, wie sie ihn immer haben wollte.

Den Schluß finde ich einfach nur perfekt. Echt.

Alles Liebe,
Susi :)

 

@Häferl

Interessant, wie unterschiedlich man diese Geschichte lesen kann. Für mich steht die Ambiguität der Mutter im Vordergrund, denn dies macht meiner Meinung nach die Geschichte so stark. Für dich ist die Mutter ein Monster, eher ein Stereotyp. Deshalb kritisierst du auch gerade die Stellen, die ich für besonders gelungen halte:

Hätte ich von draußen die Musik nicht gehört, wäre ich vielleicht nicht einfach so in die Wohnung gegangen. Immerhin habe ich den Schlüssel nur für Notfälle. Ist dies ein Notfall? ...
Meiner Meinung nach überlegt sie hier viel zu sehr, ob sie auch richtig handelt/gehandelt hat. Die Frage »Ist dies ein Notfall?« – ich denke, sie würde sich stattdessen eher bestätigen – rechtfertigen –, daß es natürlich ein Notfall ist, denn er hat sich ja immerhin schon drei Tage nicht gemeldet.
Gerade hier beruhigt Sim den Leser,führt ihn auf eine falsche Fährte. Man kann denken: "Ah, sie hält sich an Grenzen" und spürt doch, dass etwas nicht stimmig ist.


Wie lange durfte ich dich nicht mehr küssen? Darf ich es jetzt? Darf ich meinen Mund auf deinen pressen, …
Wiederum dasselbe. Du möchtest eine Frau zeigen, die ihn ansonsten selbstverständlich vereinnahmt, ohne nach seinen Bedürfnissen zu fragen, und plötzlich sollte sie sich Fragen stellen, wenn er wehrlos vor ihr liegt?
Wiederum dasselbe. Das Klischee von der rücksichtslos vereinnahmenden Mutter passt nicht ganz, oder sind es Spuren der endlosen Diskussionen, in denen der Sohn versucht hat, der Mutter seine Sicht verständlich zu machen?


Zwischen diesen Stellen liegen ja schon verschiedene Anspielungen, die deutlich machen, dass es hier nicht so eindimensional ist, wie es zunächst scheint:

... Anscheinend brauchst du mich gar nicht mehr ... Ein paar Blumen könnten nicht schaden. Ich werde welche mitbringen, wenn ich dich das nächste Mal besuche ... Wie oft musstest du mich mit aller Gewalt aus den Träumen reißen, um pünktlich zur Schule zu kommen, als du noch ein Kind warst? ... Sonst wärest du doch sicher in das teure Bett gegangen, das ich dir zu deinem Umzug geschenkt habe.

Der Leser erfährt dieses Doublebind, das die Mutter ja auch dem Sohn vermittelt, am eigenen Leib. Das finde ich klasse gemacht!

Gruß, Elisha

 

@Elisha: Da du deine Meinung ja gerade vor meinem Posting bereits zum zweiten Mal gesagt hast, weiß ich nicht, warum du sie aufgrund meiner Kritik nun noch einmal wiederholst. Warum läßt du nicht erst einmal sim antworten?

 

Hallo Elisha und liebe Häferl,

vielen Dank für eure Auseinandersetzung und eure Mühe.
Ich bin im Moment dabei, einiges zu ändern, einiges habe ich auch schon geändert. Ich muss diesen Änderungen aber erst nachspüren, denn selbst, was aus den Kritiken heraus für mich so überzeugend war, dass ich es gleich geändert habe, ist es für mich im Ergebnis noch so, dass ich überlegen muss.
Ziel ist es für mich ja, etwas aufzuzeigen, nicht, zu denunzieren.
Da kann ich leider nur nach meinem Gefühl in der Ballance gehen.

Habt also bitte ein bisschen Geduld mit mir.

Lieben Gruß und vielen Dank, sim

 

Hi Sim,

keine Angst, ich werde weder eine Interpetration abgeben, noch versuchen einige Stellen zu analysieren. Das wurde schon zu genüge getan.;)

ich kann nur sagen, dass deine Geschichte, auch wenn vohersehbar, mich tief ergriffen hat und ich mir Gedanken darüber mache, ob ich eine "normale" Mutter bin. Ob ich mal meine Kinder frage?:hmm:

Ein großes Kompliment gebührt deinem Schreibstil, der mich immer wieder fasziniert.:)

ganz lieben Gruß, coleratio

 

Hi coleratio,

vor deinen Analysen und Interpretationen habe ich dich keine Angst. :)
Ob du eine "normale" Mutter warst, weiß ich natürlich nicht. Was ist schon normal?
Schön, dass die Geschichte dich ergriffen hat und vielen Dank für das große Kompliment.:)

Dir auch einen lieben Gruß, sim

 

vor deinen Analysen und Interpretationen habe ich dich keine Angst.
Nein, nein, so hab ich das auch nicht gemeint.:)
War nur der Meinung, dass ich nicht auch noch ...;)

 

Hallo sim,
habe jetzt auch endlich mal die Zeit gefunden, deine Geschichte zu lesen.
Will jetzt hier keine großen Schlaubergereien abgeben, gedeutelt wurde ja schon zu genüge.
was mich an deiner Geschichte am meisten fasziniert, ist der konsequente Stil, den du beeindruckenderweise bis zm Schluss im gleichen Ton durchhältst. Das finde ich bei einem inneren Monolog gar nicht so einfach.

Was mich aber auch sehr beeindruckt hat ist, dass du die Geschichte um einen Kunze Text herumgebaut hast. Habe zuerst das post skriptum gelesen und war zunächst leicht auf dr falschen Fährte - hast den text ja nicht allzu wörtlich eingesetzt (also leiblich überfüttern, meine ich). Aber gerade deine übertragende Version des erdrückenden Dramas finde ich sehr gelungen...

Wo ich jedoch vehement widrsprechen muss ist die Aussage, dass HRK nach dem dritten Album rapide nachgelassen hat. Wie wäre es mit: Er hat sich weiter entwickelt? ;)

zumindest hatte ich auch schon mal die Idee um einen seiner Texte eine Kg zu kreieren (z.B.:Froschmann von der Korrekt, aber da gäbe es soo viele Songs mit brisantem Inhalt *schwärm*) und dein Werk hat mir da einen schönen Motivationsschub gegeben...

gerne gelesen
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo coleratio,

ich hatte dich schon richtig verstanden. :)

Hallo weltenläufer,

sagen wir mal, mir persönlich gefällt die Weiterentwicklung nicht so gut. ;)
Schön, dass du zu meiner Geschichte gefunden hast, und dass sie dich beeindrucken konnte.
Hat mich sehr gefreut.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim.

Irgendwie ist es erfrischend, wieder einmal von dir zu lesen.
Eine mich sehr traurig stimmende Geschichte. Die nach außen hin dargestellte "Mutterliebe" entpuppt sich als eine Ich-bezogene Farce (schreibt man das so?), die im Selbstmord des Sohnes endet.

Die Liebe besteht aus Vorwürfen zu Lebzeiten und erschreckenderweise auch post mortem. Häufig zu beobachten bei fortgeschrittenem Alkoholismus, den du hier sehr schön darstellst. Ich hoffe, ich interpretiere jetzt nicht alles falsch :D

Wie dem auch sei: Es war eine kurzweilige und gleichzeitig erschreckend traurige Unterhaltung.

LG! Salem

 

Hi Salem,

es ist auch schön, dich mal wieder unter einer meiner Geschichten zu lesen.
Der Alkoholismus ist sicherlich auch nur eine Folge.
Schön, dass du diese traurige Geschichte gelesen hast.

Lieben Gruß und vielen Dank, sim

 

Hi sim,

ich habe ie Geschichte eigentlich schon direkt nach dem Posten gelesen, bin aber bislang nicht dazu gekommen, einen Kommentar abzugeben. Sie spukt mir aber seitdem im Kopf herum... und das kannst du als Kompliment auffassen.

Sicher, es wird relativ schnell klar, was sache ist, dass der Sohn (wer nur die Kommentare liest, nicht weiterlesen ;)) tot ist – überraschen wirst du also mit dem Text neimanden. Ist aber ja wohl auch nicht deine Intension.
Was mir gefällt (neben Spache und Stil natürlich – müßig zu erwähnen ;)), ist das Indifferenzierte im Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Die Worte zwischen den Zeilen, das Unausgesprochene, das was zwischen ihnen steht.
Perfekt gelöst, gerade weil du aus der Sicht der Mutter erzählst, gerade weil die Mutter ihren Sohn direkt anspricht.
Dadurch, dass nichts wirklich aufgelöst wird, wird die Geschichte erst richtig "brutal".

Für mein Empfinden ist allerdings der letzte Satz zu viel, bwz unnötig.
"Nie wärest du auf die Idee gekommen, mir solchen Schmerz zuzufügen. Du hast mich doch geliebt. Hast du doch, oder?"
Fast zu viel finde ich.


Stattdessen tendiere ich zu folgendem Schlusssatz.
"Wie kann er es wagen? Was will er mir einreden? Schuld?"

Schuld! Alleinstehend! als letztes Wort! deutlicher kann das Unausgesprochene, die Ängste der Mutter kaum wiedergegeben werden. Wäre in meinen Augen ein noch "grausameres" Ende, noch prägnanter!

Ist aber sicherlich Geschmackssache.

Aber wie das Ende auch lautet: hervorragende Geschichte. Sehr gern gelesen.

Gruß, Sebastian

 

Hallo svg,

auch dir vielen Dank für die vielen lobenden Worte.
Ich wollte den Fokus ja nicht zu sehr auf Schuld legen, sonst wäre dein Vorschlag sicherlich sehr bedenkenswert. :)

Lieben Gruß, sim :)

 

Hallo sim,
gewohnt harter Stoff, um es mal salopp zu sagen. Ich warte ja immer noch auf eine Geschichte von dir, die vor Fröhlichkeit nur so sprüht, die förmlich herausschreit: „Ja! Das Leben ist schön! Lebe!.
Nun, das Leben hat aber leider seine Schattenseiten und ich kenne nur wenige, die sie so schön einfangen können wie du, wobei schön natürlich relativ zu verstehen ist.
Eigentlich sind Geschichten, die in der Gegenwart erzählt werden nicht so mein Ding, vor allem, wenn es sich auch noch um eine Art Gedankenbericht des Protagonisten handelt. Und ich muss auch zugeben, dass mir nicht immer klar war, worauf die gerade hinauswolltest, was du erzählen solltest. Aber ich habe mir die entsprechende Textstelle dann einfach noch einmal vorgenommen und dann ging es.
Du schreibst schon fast berauschend und man hat als Leser das Gefühl, dass in dieser kg sehr viel mehr drinsteckt, als nur eine einfach Storyidee.
Traurig, anrührend und auch ein wenig verstörend!
Toll geschrieben! Toll erzählt! Da kann man nichts machen, da gibt es nicht viel Raum für Kritik ;)
Noch ein paar Anmerkungen:


Als du dich ankündigtest, mir in die Eingeweide trampeltest und mich allmorgendlich kotzen ließest
- klingt in meinen Ohren ein wenig zu geschwollen, vor allem, wenn du das Wort kotzen in diesem Zusammenhang verwendest

Darf ich meinen Mund auf deinen pressen, um dir meinen Atem zu leihen, nur so lange, bis du wieder deinen eigenen findest?
- schön!

Wo bleiben die Schreie, die wir in unserer Brust vergraben, die nie den Weg nach draußen finden, sondern nur in uns selber widerhallen
- noch so ein toller Satz!

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hey sim,

morti hat es gut formuliert, ich lese Dich gerne, doch nicht gerne oft. Weil die Stimmung bisher in dem Gelesenen immer eine Schwermut, eine Trauer trägt, die ich - selber zur Schwermut neigend - nicht gut verknusen kann.
So auch hier, ich hab sie vorhin wieder gelesen, nachdem ich sie vor einigen Wochen schon hab wirken lassen, und es ist definitiv nix für die Mittagspause. Hätte ich wissen können, doch da ja Freitag ist und meine Laune aufgehekllt... Sei's drum, die traurigen Töne, die dunklen Farben, die schweren Düfte, alles gehört zum Leben, ohne das wäre es nicht das und mein Leben.

Gut finde ich im Besonderen, daß Du den Fokus nicht auf die Schuld, sondern auf den Schmerz legen wolltest, Schuld kann ich nicht zuordnen in dieser Erzählung, Menschen handeln in jeder Situation nach der Besten ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsalternative. Und da hilft "Schuld" nicht, zumal, gibt es ein echtes Gegenteil/-wort von Schuld ? Und kann das Zufall sein ?
Schuld verkürzt auf eine griffige Formel, ohne daß es verdeutlicht, erklärt, nachvollziehbar macht. Und es wertet, so ungemein.
Diese Geschichte ist traurig. Das reicht und genügt vollends.
Vielleicht auch deswegen, weil sie so alltäglich ist oder mindestens sein kann.

Grüße,
C. Seltsem

 

Hi morti,

Ich warte ja immer noch auf eine Geschichte von dir, die vor Fröhlichkeit nur so sprüht, die förmlich herausschreit: „Ja! Das Leben ist schön! Lebe!.
Ich bin ein sehr lebensbejahender Mensch, aber bei den Geschichten kommt irgendwie meistens etwas anderes heraus.
Aber es gibt schon deutlich positivere als diese hier. :)
Schön, dass du trotz der Düsterniss so viel Lob findest. Vielen Dank dafür.

Hallo C.Seltsem,

ja, die Schwermut gehört dazu. Und auch ich kann sie nicht immer ertragen.
Ich wünsche dir, dass du ein fröhliches Wochenende hast.
Auch dir vielen Dank für dein Lob.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,

die Geschichte wurde zwar schon heftig kommentiert, aber ich würde dennoch gerne eine Kleinigkeit hinzufügen.

Ich habe sie zweimal gelesen, im Abstand mehrerer Wochen, es war eine der ersten Geschichten, die ich bei kg.de gelesen habe. Beim zweiten Mal hat sie mich heftig berührt, allerdings auf eine recht abstrakte Art:

Weite Teile der Geschichte bauen auf ein Motiv auf, das ich in zig Varianten schon gelesen, gesehen oder gehört habe: Jemand Toter wird für schlafend gehalten. Das vielleicht passendeste Vorbild, das mir einfällt, sind die Kindertotenlieder von Friedrich Rückert.

Natürlich ist diese äußere Handlung nur vordergründig, eigentlich geht es um etwas ganz anderes, die Mutter-Sohn Beziehung.

Erschüttert hat mich die Tatsache, dass auch du mit einem immensen Überblick über die Originalität von Themen die Handlung der Geschichte (sicherlich bewusst) an einem so "ausgelutschten" Plot aufhängst.

Ist denn wirklich schon alles gedacht, gesagt, getippt und gepostet? Bleibt uns denn wirklich nichts anderes mehr übrig, als Personen zu beschreiben, psychische Abläufe zu Papier zu bringen?

Bitte nicht falsch verstehen, das ist kein Angriff gegen die Qualität der Geschichte, ich finde die psychologische Schilderung der Mutter weitgehend gelungen, vielleicht bestenfalls etwas zu lang geraten, zu sehr dem Klischee der Glucke entsprechend.

In jedem Fall hat mich dein Werk nachdenklich gemacht,


LG,

N

 

Hallo Nicole,

ganz sicher ist es ein häufig verwendetes Motiv, dass ein Toter für schlafend gehalten wird. Manchmal wird es für Komödien verwendet, manchmal für Thriller, in diesem Fall für die Charakterisierung der Frau, die ihren Sohn findet. Sie sieht etwas und möchte es nicht wahrhaben, nicht einmal, als sie am Grab steht. Insofern habe ich diesen ausgelutschten Plot tatsächlich voller Absicht gewählt.
Ich empfinde Originalität ohnehin nicht als zwangsläufiges Muss. Meistens führt der verzweifelte Versuch, originell zu sein zu recht schlechten Ergebnissen, da er nicht am Inhalt orientiert ist, sondern an der Wirkung.
Viel wichtiger ist mir, ein Gefühl zu erzeugen, in ein Gefühl mitzunehmen und darüber Gedanken und Fragen anzustoßen.

Vielen Dank fürs Lesen und einen lieben Gruß, sim

 

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