Was ist neu

Copywrite M wie Maya

Wortkrieger-Team
Seniors
Beitritt
31.01.2016
Beiträge
2.228
Zuletzt bearbeitet:
Anmerkungen zum Text

Eine Melange aus „Wer zum Teufel ist Uli“ und hier und da Feines aus @ernst offshore wundervollen anderen Geschichten ...

M wie Maya

„Was ist das denn für ein esoterischer Mist?“, fragt Heinrich und es ist deutlich herauszuhören, dass er an einer Antwort nicht interessiert ist. Er schenkt Bier und Schnaps aus, zitiert einen Philosophen gratis dazu.
„Mir gefällt’s.“ Die Frau, die sich neben Luis an die Musikbox stellt, scheint aus dem Nichts gekommen zu sein. Jedenfalls hat Luis sie zuvor nicht wahrgenommen. Sie verströmt Wärme und den Duft von Orangenblüten.
„Die Narbe ist cool“, sagt sie dann, blickt auf Luis’ Hand. Einen Moment lang sieht es aus, als wolle sie mit den Fingern darüber streichen.
„Mona!“, entfährt es ihm.
„Echt jetzt? M wie Mona?“, fragt sie augenzwinkernd.
„Quatsch!“ Luis stürzt den Schnaps hinunter, indem er mit einem Ruck den kahl geschorenen Kopf in den Nacken wirft.
„Hieß die damals so? Ist ewig her. Fünf Jahre? Sechs? Mann, die Zeit vergeht aber auch. Panta rhei, sag ich ja immer.“ Heinrich hält ein Glas zum Polieren ins Licht, haucht es an einer Stelle an.
„Scheiß drauf! Alles vergeht. Bier ist alles, was fließt!“
„Na dann“, sagt Heinrich, denn er weiß, wann er Luis besser nicht widersprechen sollte und putzt das Glas mit einem fleckigen Tuch.

Luis ist ein Mann, der macht. Wenn er nicht mit den Händen arbeitet, säuft er oder raucht, meistens beides gleichzeitig. Die Finger sind lang und fest wie die trockenen Zweige des Olivenbaumes in Monas Garten, die Haut auf dem Handrücken zerfurcht, vernarbt, verbrannt, überzogen mit Adern dick wie der Schlauch an der Ausblaspumpe, mit der Luis arbeitet, wenn er Löcher bohrt, um Metall im Mauerwerk zu befestigen. Mona küsste jede einzelne Narbe darauf. Die Narbe, die dem Buchstaben ‚M‘ ähnelte, bedachte sie mit größter Aufmerksamkeit.
‚Angelo‘, flüsterte Mona. Luis erinnert sich an ihre Stimme. Klar war sie und leise, ihre Stimme, bevor Mona die Lippen auf seinen Handrücken legte.
„Lass gut sein.“
Und weil Luis eben ein Mann der Tat ist, umfasste er Mona mit festem Griff. Möglicherweise aus Gewohnheit, weil er bei allem, was er macht, fest zugreift. Er küsste ihren Nacken, am Haaransatz, wo sie den Orangenduft auftupfte. Er hatte ihr dabei zugesehen. Mit den Kuppen des Zeige- und Mittelfingers klopfte sie das Parfum mit leicht zur Seite geneigtem Kopf auf die Haut. Sie lachte, wenn er seinen Mund auf ihren Hals presste. Sie schlang die Arme um seinen Nacken, drehte sich herum, als spielte Musik dazu und es gab für beide kein Halten mehr. Vor allem, wenn Mona das zartgelbe Sommerkleid trug, der Stoff zwischen ihnen lag und Luis ihren Körper spüren ließ, als wäre sie nackt. Sie trug das Kleid den gesamten Sommer. Sommer und Mona waren das eine. Seine Arbeit, das Metall, die Stadt das andere.
„Scheiß drauf!“, brummt Luis und sucht in der Musikbox erneut „I believe in you“, steckt eine Münze hinein und wartet auf den ersten Ton von Mark Hollis, bevor er zu seinem Bier zurückkehrt.
„Noch eins, Luis?“ Heinrich schert sich nicht um Liebe.
Aber Luis rutscht vom Hocker, seine Knie geben einen Moment nach und er legt die Hände auf den Tresen, wie Tentakeln schlingen sie sich um die schmierig-glänzende Holzkante.
„Komm, wir gehen“, haucht die Frau in sein Ohr und während ihre Lippen, die seine Ohrmuschel nicht berühren, ihm eine Gänsehaut bis zum Fuß verursachen, stürzt er den Rest aus dem Bierglas in seinen Rachen.
„Willst los, Luis? Hast wohl noch was vor.“ Heinrich kann es nicht lassen und schickt Luis ein leises „Hic Rhodos, hic salta“ hinterher. Und lauter: „Wird Zeit, alter Sack!“
Die Frau hakt sich vor dem Eingang unter Luis’ Arm und wartet, bis der sich orientiert hat.
„Und wohin gehen wir jetzt, Luis? Willst du mir was zeigen?“ Dabei hört sie sich nicht mal annähernd zweideutig an. Eindeutig will sie, dass er sie irgendwo hinführt, und er hat keine Ahnung, wo das sein soll.
„Willste etwa in die Kirche?“, nuschelt Luis, weil es das Erstbeste ist, was ihm einfällt und streckt den Rücken durch, „Ich hab dir doch gesagt, da kriegste mich niemals rein.“
„Zeig mir das, was in deinem Leben zählt.“
Luis beugt sich in einer leichten Drehung rückwärts, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Er braucht einen Moment, den Blick auf sie scharf zu stellen. Als würde er zweifeln, als würde er diese Frau nicht kennen, legt er die Stirn in Falten. Er macht einen Schritt und der Fuß rutscht auf dem vereisten Pflaster zur Seite. Luis strauchelt, rudert mit den Armen und schlägt der Länge nach hin. Ein Funke sprüht auf vor seinen Augen, orangegelb, er muss mit dem Kopf aufgeschlagen sein, gleißend wie das Feuer in seiner Esse, wenn er Metall formt, wenn er die Welt vergisst.
„Du bist zweimal falsch abgebogen, Luis. Hier geht’s lang.“ Sie reicht ihm ihre Hand, weiß und weich und warm und Luis greift zögernd nach ihr.
„Na los, komm schon! Es wird Zeit.“ Ihre Zähne, die sie beim Lächeln freilegt, sind klein, nicht besonders gerade, aber hell und beinahe strahlend, so dass Luis nachdenkt, ob sie schon immer so ausgesehen haben. Damals im Sommer in Italien. Sie besuchten Monas Großmutter, die blind und taub den lieben langen Tag auf einem Stuhl im Schatten des Olivenbaumes saß. Aber vielleicht war sie weder das eine noch das andere. Was weiß Luis schon von der Vergangenheit. Alles, was er weiß, ist dass er hier und jetzt blutend und besoffen auf dem Pflaster liegt.
Luis braucht eine Weile, um sich aufzurichten, gleitet immer wieder aus. Ein junges Paar geht zögernd einen Bogen um ihn und es ist klar zu erkennen, dass sie auf den roten Fleck sehen, den er auf dem Boden hinterlässt.
„Können wir Ihnen helfen?“, fragt der Mann mit leiser Stimme und die beiden bleiben eng aneinander gepresst mit etwas Abstand zu ihm stehen, „Brauchen Sie einen Krankenwagen?“
„Du hast ja so was von keine Ahnung, was ich brauche.“ Luis wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn und schließlich das Blut von der Hand an der Hose ab, als er vor dem jungen Mann zum Stehen kommt. Die junge Frau, die sich fester an ihrem Partner festhält, scheint beunruhigt und flüstert: „Komm, der ist doch besoffen.“
„Ja! Richtig! Verpisst euch bloß! Hopphopp, kriegt Kinder, schleppt euch ins Büro oder an den Arsch der Welt - vergesst nicht Blumen von dort mitzubringen - plant und versichert euch! Auch einander! Und immer schön in die Zukunft blicken!“ Die junge Frau dreht sich noch einmal um und guckt verächtlich, kneift die Augen zusammen und beschleunigt ihren Schritt. Der Mann hält mit.
„Können wir weitergehen?“ Ihre Stimme ist geduldig, als spräche sie zu einem Kind. Luis spürt, wie ihm Tränen in die Augen steigen.
„Verdammt noch mal. Was willst du denn schon wieder. Hörst du denn nicht? Hörst du die Musik, Mona?“
Sie nimmt seine Hand, führt sie an ihre Lippen und küsst die Narbe darauf, indem sie nur einen Hauch auf das ‚M‘ gibt.
„Mona …“ Luis schließt die Augen, zieht Luft durch die Nase und riecht den Duft von Orangenblüten.
„Maya“, flüstert sie, „M wie Maya.“

Eine Platane, fünfzig Meter hoch steht sie vor Luis’ Werkstatt, tausendjährig mit fleckigem Stamm, die Borke sich in großen Stücken lösend. Sie ist entlaubt, jedoch hängen jetzt im Winter schwarze Fruchtbälle daran. Maya setzt sich auf die Bank, die darunter steht, blickt in die weit verästelte Krone und zählt insgesamt neun starke Äste, die sich wie kräftige Schlangen zum Himmel recken.
„Hier arbeitest du also.“
Luis nestelt an seiner Hosentasche und fingert einen Schlüssel heraus. Er öffnet die Tür zur Werkstatt und geht wortlos hinein. Es ist dunkel, die Esse erloschen und erkaltet. Luis klettert das Gerüst hinauf, stellt sich auf die Plattform, zündet sich eine Zigarette an und schaut auf Maya herab. Langsam bläst er den Rauch aus der Nase.
„Kennst Du ‚Die Ballade vom Heiligen Trinker‘, Luis? Natürlich kennst Du sie. Los, sag schon, gib zu, dass Du sie kennst! Der sie schrieb, hatte ein großes, wundes Herz, wie Du. Er konnte hören, wie die Eiszapfen beim Erfrieren klirrten, und weil niemand verstehen wollte, dass sie klirrten beim Erfrieren, begann er zu saufen, wie Du.
Ich habe was übrig für Säufer, die saufen, weil sie hören, wie die Eiszapfen klirren beim Erfrieren. Ich bin mir nicht sicher, ob Du zu dieser Art Säufer gehörst. Aber ich habe was übrig für Dich, weil Du ein großes wundes Herz hast, wie alle Säufer.
Wenn Du also unbedingt in die Kirche gehen musst, um zu fühlen, dass Du mehr bist als ein Organ, dann wenigstens nicht Bruckner! Ich weiß, das Brausen der Orgel, natürlich. Aber deshalb muss es ja nicht gerade Bruckner sein. Auch nicht Mahler und Wagner schon gar nicht! Bach, meinetwegen. Aber bitte nicht die Kunst der Fuge! Warum nicht die zweistimmigen Inventionen? Klare Konturen, einfache Linien. Sie führen weg vom Suff. Ich mag ihn nicht, den Suff. Du meinst, er wäre Balsam für Dein großes wundes Herz. Dabei suchst Du nach Liebe, glaubst, Du hättest sie gefunden und verloren. Bei Mona. Dass ich nicht lache. Du hast Mona nie gekannt, sie nie gespürt unter ihrem Kleid. Dich hast Du gespürt, gleich unter welchem Kleid, Dein Organ und dass es anschwoll wie das Brausen der Orgel, nur nicht bei Mona. Mona hast Du erfunden, wie Bruckner seine grauenvoll tönende Musik erfunden hat. Es würde mich nicht wundern, wenn auch Bruckner behauptet hätte, Mona gekannt und sie gespürt zu haben, das Weiche unter ihrem zartgelben Sommerkleid. Nichts habt ihr gespürt, weder Du noch Bruckner! Aber Du irrst, wenn Du meinst, Du könntest von mir erfahren, wie man, ohne zu saufen, das Leben spürt. Ich bin nicht Mona. M wie Maya. Ich weiß nicht viel. Nur das mit Mona und den Orangen. Manche schmecken bitter."

 

Hej @bernadette , chapeau klingt schon mal nicht schlecht so als Interjektion ;) - merci beaucoup.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass mit dem letzten Teil der Geschichte, Mayas Ansage, sehr wenig Raum bleibt. Auf mich wirkt es wie ein Eisbad, nachdem man Luis auf seinem Umherirren bloß folgen konnte. Ich wollte einen starken Bruch. Das war eine Möglichkeit. Hätte ich danach einen Weg zurück gefunden zu ihm, wäre mir die Kraft für diesen Einschlag abgeschwächt vorgekommen. Zudem gefiel mir das Bild, wie Luis auf der Empore rauchend steht, mit seinen gezeichneten Händen, herabblickt auf ... Maya und nachzudenken scheint. Zum ersten Mal. :shy: Und alles ist offen ... im Theater würde Maya sich vielleicht auflösen:D

Das Fragezeichen werde ich setzen und Dir danke ich für deinen Kommentar und wünsche dir einen schönen Sommersonntag, Kanji

 

Hej @Robert Yves Vauxelle ,

puh, da stößt du aber etwas an. Deinen und diesen Text nebeneinander zu stellen und Schlüsse daraus zu ziehen, überfordert mich gerade ein wenig. Denn ich müsste mich, bzw. meine Lesegewohnheiten erklären. Das kann ich nicht, weil es sie nicht gibt. Ich lese wohl auch mehr so wie ... hier... äh ... impulsiv. :D Und so funktioniere ich scheinbar genreübergreifend. Da kommt mir auch schon mal Humor, Satire oder Philosophie in die Quere.

deine Geschichte doch recht hart, rau und „naturalistisch“ rüberkommt.
Maya entstand ja aus einer Vorlage vom @ernst offshore in der Kreativwerkstatt zum Copywrite.

Da bin ich ganz tief in seine Geschichten eingetaucht und heraus kam eben ein Protagonist, den ich so sicher nie selbst ersonnen hätte und eine Idee: eine Antagonistin, nämlich Maya, als eine Art Trugbild, ein Schleier, der sich über seine, Luis’ Wirklichkeit gelegt hat, zu entwickeln, die den Protagonisten sich selbst gegenüberstellen wollte ... oder in die Richtung zumindest. Ich hatte dabei nicht im Sinn, eine feministische Richtung einzuschlagen, ich wollte Luis entlarven, aufrütteln, wollte ihn auf sich selbst sehen lassen, ohne die Schuld seines Lebens, seines Daseins auf die Liebe zu Mona/Maya zu schieben, die vergangen war, die in ihm zu schwelen schien ... ja, ich glaube, ich wollte ihn retten.

Ich könnt’ ja schon wieder. :lol:

Gruß. Kanji

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom