- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Maiglöckchen
Maiglöckchen
Freunde und Arbeitskollegen haben Chris für ein verlängertes Wochenende ein Ferienhaus gemietet. Sie dachten, es könnte ihm ganz gut tun, wenn er ein paar Tage ausspannt.
Also haben sie ihm am Donnerstagmittag einen Schlüssel, eine Wegbeschreibung und einen kleinen Koffer mit Socken und Rasierzeug in die Hand gedrückt und ihn aufs Land geschickt.
Dort in dem kleinen Ort befindet sich Chris jetzt, nachdem er das Haus gefunden hat. Er hat sein Auto davor geparkt und steckt gerade den Schlüssel ins Schloss. Die Tür lässt sich leicht öffnen. Statt des leicht muffigen Duftes, den er erwartet, riecht er einen Hauch von Maiglöckchen.
Es überrascht ihn nicht nur, Chris ist leicht erschreckt. Seine Frau roch immer nach Maiglöckchen. Chris weiß nicht, ob er sich den Duft nur eingebildet hat. Er hat die Trennung von seiner Frau, bzw. das was zur Trennung geführt hat noch nicht ganz verkraftet.
Chris versucht die Gedanken mit einen Kopfschütteln zu vertreiben und betritt das Haus.
Hier wird er sich wohl fühlen. Ein Bad, ein kleines Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer mit Kochnische und Fernseher.
Fernsehen, Biertrinken und Schlafen und das drei Tage lang, danach wird es ihm besser gehen. Die Idee von den Kollegen war wirklich gut. Ein Blick in den Kühlschrank erhärtet die Vermutung, dass die Kollegen auch das Bier nicht vergessen hatten.
Chris nimmt sich ein Bier und schaltet den Fernseher an. Ein kurzes Zappen durch alle Kanäle bestätigt, dass ihm nicht langweilig werden wird.
Das Sofa ist bequem, nach den Nachrichten kommt ein Fußballländerspiel und Chris hat den ersten Schluck Bier getrunken. Dies könnte der erste entspannte Nachmittag seit langer Zeit werden.
Diese Hoffnung stirbt schon während der Nachrichten. Und die erste Meldung ist es, die Chris verkrampfen lässt.
„Grafenwerda. Massenflucht aus der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Weil ein Krankenpfleger die Schlüssel und Türen verwechselte, nutzten die Insassen der Psychiatrie die Gelegenheit für einen Ausflug.“
Eine Karte wird gezeigt und Chris sieht, dass der Ort in dem er sich befindet nur wenige Kilometer von Grafenwerda entfernt ist.
„Bis auf eine 30 jährige Frau befinden sich alle Patienten wieder in ihren Zimmern. Auch bei der noch abgängigen Frau wird vermutet, dass sie noch heute gefunden wird.“
Bei dieser 30jährigen Frau vermutet Chris nun, dass es sich um seine Frau handelt.
Vor sechs Jahren hatte Chris Dagmar kennen gelernt. Sie war ein Klasseweib gewesen, seine Freunde hatten ihn beneidet. Weil sie gut aussah, weil sie Erotik ausstrahlte, einen guten Job als Büroangestellte hatte und trotzdem hilfebedürftig war.
Mit ihr konnte man sich über Fußball, Quentin Tarantino und Software unterhalten und trotzdem ging sie gemeinsam mit ihren Freundinnen aufs Klo. Chris hatte wirklich geglaubt seine Traumfrau kennen gelernt zu haben.
Als Dagmar nach der Hochzeit schwanger wurde und ihren Job aufgab, um sich ganz um die Tochter kümmern zu können, hatte Chris auch das unter den Punkt Traumfrau aufgenommen.
Ihr Maiglöckchenparfüm hatte ihn wild gemacht. Es hatte so eine zarte, weibliche und doch sexuelle Süße. Chris war immer der Überzeugung gewesen, das es sehr gut zu Dagmar passte.
Das sowohl Maiglöckchen als auch Dagmar eine andere Seite hatten, wurde ihm erst später klar.
Chris war nicht erschreckt, als sie ihm fast alle CDs in den Backofen steckte und so völlig zerstörte. Oder als sie ihm Glassplitter ins Frühstücksmüsli tat. Immer hatte Chris die Schuld bei sich selbst gesucht.
Auch als Freunde und Verwandte Dagmar eine Hexe nannte, sagten, dass Dagmar ihn nur ausnutzte, wollte er es nicht wahr haben.
Für Chris hatten Dagmar und er eine erfüllte Beziehung und nur ein paar kleine Probleme.
Vor einem Jahr hatte Dagmar dann versucht, Chris auf offener Strasse zu kastrieren. Die von Passanten herbeigerufene Polizei hatte Dagmar in die geschlossene psychiatrische Abteilung einweisen lassen. Im Laufe des Jahres war Dagmar dann nach Grafenwerda verlegt worden. Ihr Psychiater hatte es für besser gehalten.
Und jetzt saß Chris mit einem Bier in einem fremden Haus vor dem Fernseher und seine Frau war aus der Psychiatrie geflohen und in diesem Haus, dessen war sich Chris nun sicher.
Der Maiglöckchenduft und die Fernsehmeldung bestätigten Chris Vermutung.
Er fühlt sich wie in den Sessel festgeschraubt, er kann sich nicht rühren. Seine Motorik ist wie abgeschaltet. Hoffentlich verschwindet sie ohne mich zu bemerken, ist sein einziger Gedanke.
„Du warst schon immer ein Versager, ich hätte dich niemals heiraten sollen.“
„Dagmar?“
„Wer sonst? Glaubst du, ich bin zum Spaß hier. Du hast mein Leben zerstört.“
„Ich. Habe. Dein. Leben. Zerstört?“ Chris muss sich an seinem Bier festhalten. Wie immer verdrehte Dagmar die Tatsachen. Und er lässt sich wieder von ihr beeinflussen, er hätte ihr fast geglaubt.
„Ja. Ich habe meinen guten Job aufgegeben, eine Tochter bekommen und bin in die Psychiatrie eingewiesen worden. An all dem bist du Schuld.“
Und dafür wird sie sich rächen, denkt Chris. Er schlägt die Bierflasche gegen den Sessel. Die Flasche geht kaputt und nun hat er nur noch den Flaschenhals in der Hand.
Als Dagmar ein Messer zieht und ihn damit bedroht, sieht Chris den Flaschenhals an und ihm wird klar, dass er eine Waffe in der Hand hat.
Den kurzen Kampf verliert Dagmar.
„Ich habe meine Frau getötet“ meldet Chris zwei Stunden später bei der Polizei.